Die Debatte um eine verstärkte Sorgfaltspflicht von Unternehmen reißt nicht ab. Bei der Achtung der Menschenrechte steht in Luxemburg der Finanzplatz besonders im Fokus. Ein Thema, bei dem die Regierung europaweit nicht zu den Vorreitern gehört und sich lieber in Schweigen hüllt.

Luxemburg ist nicht die Niederlande. Im vergangenen Dezember erklärte der niederländische Außenhandelsminister Tom de Bruijn seinem Parlament, ihm sei der Geduldsfaden gerissen. Anstatt wie die hiesige Regierung weiter auf eine europäische Richtlinie in Sachen Lieferketten zu warten, habe sein Kabinett beschlossen, nun ein eigenes Gesetz auf den Weg zu bringen. Dabei geht es darum, dass der Respekt der Menschenrechte in der ganzen Wertschöpfungskette obligatorisch wird – vom lokalen Produzenten über Verarbeitungsbetriebe und den Versand von Waren sowie deren Finanzierung.

Die Europäische Kommission hatte kurz zuvor die Veröffentlichung einer entsprechenden Richtlinie zum wiederholten Male verschoben. Zu kompliziert scheint der Konflikt zwischen den einzelnen Lobbygruppen, wenn es um eine konkretere Verantwortung von Unternehmen geht. Auch Luxemburgs Regierung tut sich mit dem Thema schwer. Bei Nachfragen wird stets auf die Arbeit eines interministeriellen Komitees verwiesen, das sich mit der Frage auseinandersetzen soll.

Grundlage dieser Arbeit ist wiederum eine Studie, die das Außenministerium in Auftrag gegeben hat. Darin hat sich die Wissenschaftlerin Basak Baglayan, die an der Rechtsfakultät der Uni Luxemburg zum Thema Menschenrechte und Wirtschaft forscht, näher mit einer möglichen Gesetzgebung zur Sorgfaltspflicht („due diligence“) von Unternehmen befasst.

Die entsprechenden Vorbereitungen sind allerdings ins Stocken geraten. Das Komitee wurde im April 2021 ins Leben gerufen und berät sich auch mit Akteuren der Zivilgesellschaft. Seitdem gab es laut Informationen von Reporter.lu insgesamt erst zwei Sitzungen. Wann erste Ergebnisse vorliegen sollen, ist noch nicht klar.

Beispiele für mangelnde Sorgfaltspflicht

Außenminister Jean Asselborn (LSAP) wollte auf Nachfrage von Reporter.lu auch keine Details zum Zeitplan nennen: „Das Komitee wird der Regierung seine Schlussfolgerungen vorlegen. Ich will dieser Arbeit also im Moment nicht vorgreifen.“ Jean Asselborn bestätigte aber, dass eine der Fragen, die das Komitee zu klären hat, den Geltungsbereich eines solchen Gesetzes betrifft. Also: Welche Art von Betrieben sollen darunter fallen.

Es handelt sich um die Kernfrage, denn in diesem Zusammenhang ist der Finanzplatz von besonderer Wichtigkeit. Sollen die Transaktionen von Investmentfonds oder Beteiligungsgesellschaften auch auf Menschenrechtsverletzungen kontrolliert werden können? Das sind Fragen, denen sich Luxemburg als relativ neues Mitglied des UN-Menschenrechtsrats eigentlich stellen müsste.

Die „Action Solidarité Tiers Monde“ (ASTM) präsentierte diese Woche den Bericht „Luxembourg’s Financial Centre & Its Human Rights Policies“. Darin analysieren die Autorinnen Nadine Haas und Antoniya Argirova Fälle, in denen der Finanzplatz fragwürdige Investitionen tätigte, obwohl Informationen über Menschenrechtsverletzungen bei diesen Unternehmen öffentlich zugänglich sind. Es handelt sich also um Beispiele für jene Praxis, die auf europäischer Ebene künftig strenger geregelt werden soll.

Die Nachforschungen der ASTM zeigen etwa, dass ein Luxemburger Fonds in „Tencent Holdings Limited“ investiert. Die auf den Cayman-Inseln gegründete Gesellschaft kontrolliert die sozialen Netzwerke in China. Der Messenger-Dienst „WeChat“ oder die Videoplattform „ByteDance“ (der wiederum „TikTok“ gehört), stehen seit geraumer Zeit im Fokus von Menschenrechtsorganisationen wie „Human Rights Watch“. Der Vorwurf: Die sozialen Netzwerke spielen dem autoritären Regime in Peking Informationen über User zu, die auch in der Repression gegen Minderheiten Anwendung finden, besonders in der uigurischen Provinz Xinjiang.

Auch „Alibaba“, das chinesische Pendant zu „Amazon“, ist finanztechnisch auf den Cayman-Inseln etabliert. Recherchen von Reporter.lu haben ergeben, dass nicht nur der von der ASTM erwähnte Fonds in die Tencent-Holding investiert. Dank der „OpenLux“-Datenbank konnten mindestens 28 weitere Gesellschaften identifiziert werden, die ihren letzten Jahresberichten zufolge Geld in diesen Fonds schleusten. Dabei ist die Information, dass Tencent politisch umstritten ist, öffentlich: Im April 2020 verzichteten sogar die Vereinten Nationen auf Druck der USA und von Aktivisten auf eine Partnerschaft mit Tencent.

Ein weiteres Beispiel betrifft den „Fonds de Compensation (FDC)“, den luxemburgischen Rentenkompensationsfonds, dessen Investitionen seit über einem Jahrzehnt regelmäßig in der Kritik stehen. Die ASTM fand heraus, dass der FDC konsequent in eine australische Firma namens „BHP“ investiert, die im Öl- und Minengeschäft tätig ist. Menschenrechtsaktivisten ist diese Firma eher als eine Gefahr für indigene Völker und die Umwelt in Lateinamerika bekannt.

Auch vergangene Recherchen von Reporter.lu haben immer wieder darauf hingewiesen, wie wenig die Sorgfaltspflicht gegenüber Menschenrechten am Finanzplatz mitunter gilt.

Viel Umweltschutz, wenig Menschenrechte

Die ASTM prüfte aber auch sämtliche Akteure des hiesigen Finanzplatzes auf ihr Engagement hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte. Dabei unterscheidet sie zwischen Institutionen, Regulatoren und Lobbyorganisationen. Das Fazit: Nur die wenigsten erwähnen die Menschenrechte überhaupt, Verpflichtendes ist noch seltener zu finden.

Weder die „Banque Centrale du Luxembourg“, „Luxembourg Stock Exchange“ noch die „Commission de surveillance du secteur financier“ (CSSF) erwähnen die Sorgfaltspflicht in ihren Statuten oder sonstigen Dokumenten. Auch „Luxflag“, eine gemeinnützige Initiative, die eigentlich für verantwortliche und nachhaltige Investitionen werben soll, beschränkt sich auf Umweltkriterien und bezieht sich nicht auf Menschenrechte. Der Pakt, den das „Institut national pour le développement durable et la responsabilité sociale des entreprises“ im Sommer vergangenen Jahres mit Unterstützung des Außenministers den Medien vorstellte, basiert nicht nur auf Freiwilligkeit, sondern enthält auch keinen Hinweis auf die Beachtung von Menschenrechten.

Auch die „Luxembourg Sustainable Finance Initiative“ (LSFI), die bereits ins Kreuzfeuer der NGOs geraten war, kommt nicht gut weg: Auch wenn sie Menschenrechte erwähne, so fehle „eine klare Verpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte“, so die Studie. Laut der Direktorin der LSFI stimmt dies so nicht: „Die Menschenrechte sind integraler Bestandteil unserer Herangehensweise“, meint „General Manager“ Claire de Boursetty gegenüber Reporter.lu, „auch wenn es stimmt, dass wir 2021 unsere Prioritäten auf die Umweltfreundlichkeit gesetzt haben“.

Auch die Bankenvereinigung ABBL und „Luxembourg for Finance (LFF)“ erwähnen Menschenrechte in Zusammenhang mit der Sorgfaltspflicht – aber immer im Kontext einer freiwilligen Verpflichtung. Die Lobbyorganisation LFF veröffentlichte im vergangenen Jahr ebenfalls einen Bericht über die Quantität und Qualität von nachhaltigen Finanzen auf den globalen Finanzmärkten. Das Fazit auch hier: Die Umwelt wird großgeschrieben, die sozialen Faktoren und die Menschenrechte hinken hinterher.

Dass der Finanzplatz aber nichts in dieser Hinsicht unternehmen würde, will der CEO von LFF, Nicolas Mackel, jedoch nicht so stehen lassen: „Es ist eine komplexe Frage, ich will mich da auch nicht rausreden. Auch ich bin gespannt auf den Vorschlag der EU-Kommission. Aber Luxemburg geht jetzt schon sehr weit in Sachen nachhaltige Finanzen – das sind Sorgen, die wir uns auch machen“, meint Nicolas Mackel im Gespräch mit Reporter.lu.

Nicolas Mackel verweist auf eine andere Publikation von LFF, in Zusammenarbeit mit der Universität Genf, die sich dieser Frage auf europäischer Ebene annimmt – und bestätigt, dass eine Folgeuntersuchung in Planung sei. Das Wichtigste ist für ihn trotzdem bereits geschehen: Seit November gilt die sogenannte europäische „SFDR“-Verordnung „über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstsektor“. „Damit ist schon ein guter Teil gemacht. Die Frage ist nicht, wer sanktioniert oder zu etwas gezwungen wird, sondern wie ambitioniert unsere Ziele sind“, meint Nicolas Mackel.

Luxemburg nicht unter den „first movers“

Eine Argumentation, der eine der Autorinnen der Studie nicht folgen will: „Das Problem mit SFDR ist, dass es sich nur um eine Offenlegung handelt, die nicht unbedingt Konsequenzen mit sich bringt“, meint Nadine Haas im Gespräch mit Reporter.lu. Für die Recherchebeauftragte der ASTM reichen die Selbstverpflichtungen der Finanzplatz-Akteure nicht aus. „Hinzu kommt, dass jeder ein bisschen in seiner Ecke sein eigenes Süppchen kocht, es aber keine klaren Linien gibt, die für alle verpflichtend wären“, so Nadine Haas.

Die Politik hält sich in dieser Frage auffallend zurück. Nach mehreren Nachfragen an das Wirtschaftsministerium, unter dessen Kompetenz der Außenhandel eigentlich fällt, wurde mitgeteilt, dass Minister Franz Fayot (LSAP) den Aussagen Jean Asselborns nichts hinzuzufügen habe. Auch das Finanzministerium gibt sich schmallippig: Es handele sich um ein wichtiges Dossier und man unterstütze eine kohärente Lösung auf europäischer Ebene. „Wir warten in diesem Sinn auf die nächsten Schritte der Europäischen Kommission, die in den kommenden Wochen ihren Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz öffentlich machen wird “, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber Reporter.lu.

Damit wäre zumindest schon eine Frage geklärt, die auch der Oppositionsabgeordnete Paul Galles (CSV) Mitte Januar stellte: Die Regierung wird nicht wie die Niederlande, Frankreich oder auch Deutschland in eigener Initiative ein Lieferkettengesetz auf den Weg bringen.

Die Frage, ob nun die Aktivitäten des Finanzplatzes unter eine europäische Regelung fallen, ist indes weiter offen. Das Europäische Parlament legte seinerseits schon im März 2021 eine Resolution mit Empfehlungen vor. Wenn es nach den EU-Abgeordneten geht, ist die Antwort klar: Sie sind der Meinung, „dass ein künftiger verbindlicher Rahmen der Union für die Sorgfaltspflicht weit gefasst sein und alle großen Unternehmen abdecken sollte, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen oder im Gebiet der Union niedergelassen sind, einschließlich Unternehmen, die Finanzprodukte und -dienstleistungen anbieten.“ Dies solle auch für ausländische Unternehmen gelten, „die auf dem Binnenmarkt tätig sind“.


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