Umweltzerstörung, Kinderarbeit, Korruption: Auch Luxemburg debattiert darüber, wie Menschenrechtsverstöße von Unternehmen verhindert werden können. Die Regierung will Holdings aus dieser Sorgfaltspflicht heraushalten. Das erscheint aber anhand rezenter Fälle immer schwieriger.
Wenn von Holdings oder „Sociétés de participation financière“ (Soparfi) die Rede ist, dann geht es meist um die Frage, ob der Standort Luxemburg ihnen zur Steuervermeidung dient. Weniger im Fokus steht das Problem, inwieweit diese Konzerne durch ihren Sitz in Luxemburg auch andere Regeln zu umgehen versuchen.
Reporter.lu berichtete im Februar über JBS, den größten Fleischkonzern der Welt, und dessen komplexe Firmenstruktur in Luxemburg. JBS wurde wegen weitläufiger Korruption in Brasilien und den USA verurteilt und von mehreren NGOs der Verstrickung in illegale Rodungen im Amazonas-Regenwald beschuldigt.
Aufgrund dieser Recherche richteten die CSV-Abgeordneten Martine Hansen und Claude Wiseler eine Anfrage an die Regierung zur Sorgfaltspflicht von Holdings wie JBS. Die Antwort von Außenminister Jean Asselborn und Wirtschaftsminister Franz Fayot (beide LSAP) ist bezeichnend für die zwiespältige Haltung Luxemburgs zur Problematik.
Multinationale Konzerne müssten gewissen Pflichten nachkommen, aber Holdings in Luxemburg hätten meist keine Rolle im Tagesgeschäft und trügen deshalb auch nur begrenzt Verantwortung, heißt es in der Antwort. Es sei „ineffizient“, Holdings zu einer Sorgfaltspflicht zu zwingen, da sie „per Definition“ nicht in der Lage seien, Probleme in Drittstaaten zu beheben.
„Nur eine Dachgesellschaft“
Die Regierung wünscht sich zudem eine EU-weite Regelung zur Verantwortung von Konzernen. Die Europäische Kommission soll dazu bereits im Juni einen Vorschlag unterbreiten. Inwieweit Holdings unter diese Regelungen fallen, wird für Luxemburg von herausragender Bedeutung sein. Ein nationales Gesetz könnte dazu führen, dass Holdings Luxemburg verlassen würden, warnte der Außenminister mehrmals. Doch auf europäischer Ebene wird die Rolle von Holdings anders gesehen als in Luxemburg. Und auch hierzulande tauchen vermehrt Fälle auf, die die Position der Regierung infrage stellen.
Das Hauptargument der Regierung besteht in der Definition einer Holding. Die Luxemburger JBS-Holding sei eine Dachgesellschaft und leite nicht die Aktivitäten der Tochtergesellschaften, betonen die Minister in ihrer Antwort auf die parlamentarische Anfrage. Der Ursprung der „behaupteten Probleme“ liege demnach nicht im Großherzogtum. Sie unterscheiden also zwischen dem offiziellen Sitz eines Unternehmens, der in diesem Fall in Luxemburg liegt, und dem Ort der wirtschaftlichen Entscheidungen, die in Brasilien fallen.
Das ist eine sehr selektive Sicht des Sachverhalts. Denn die Luxemburger Gesellschaften gelten durchaus als juristisch verantwortlich. Die Holding „JBS USA“ mit Sitz in der hauptstädtischen Avenue de la Gare wurde etwa in den USA als Prozessbeteiligter in einem Korruptionsverfahren angeführt, das millionenschwere Strafzahlungen nach sich zog.
In den Jahresberichten der Luxemburger JBS-Firmen stehen die Strafzahlungen als Geschäftsrisiko. Die Regierung will es dagegen nicht so genau wissen: Jean Asselborn und Franz Fayot betonen in ihrer Antwort, dass sie außerstande seien, den „Wahrheitsgehalt“ der Skandale rund um JBS zu bewerten.
Was die Minister verschweigen: Neben den Verurteilungen steht JBS auch auf der „schwarzen Liste“ des luxemburgischen Pensionsfonds. Der staatliche „Fonds de compensation“ investiert nicht in Aktien des Fleischkonzerns – wegen mangelhafter „business ethics“, wie es in der aktuellen Liste von Oktober 2020 heißt.
Der Odebrecht-Skandal
Die „Lava Jato“-Ermittlungen, die die systematischen Korruptionszahlungen von JBS an brasilianische Politiker ans Licht brachten, gingen ursprünglich auf den „Odebrecht“-Skandal zurück. Gegen den Baukonzern wird in mehreren südamerikanischen Staaten wegen Korruption ermittelt. In den USA zahlte Odebrecht 2016 eine Strafe von 3,5 Milliarden US-Dollar. Hintergrund waren Korruptionszahlungen in Verbindung mit über 100 Infrastrukturprojekten in Höhe von 788 Millionen US-Dollar und in zwölf Ländern. Der Konzern hatte von 2001 bis 2016 eine regelrechte Abteilung für Bestechungsgelder.
Im Zuge der „Openlux“-Recherche zeichnete das US-Medium „McClatchy“ zusammen mit dem „Miami Herald“ nach, wie Odebrecht mehrere Gesellschaften in Luxemburg gründete – während die Ermittlungen bereits liefen. Die US-Journalisten fanden in den „Openlux“-Daten 27 Luxemburger Gesellschaften, die zu Odebrechts Firmennetz gehörten.

Im Zusammenhang mit Odebrecht leistete die Luxemburger Justiz der brasilianischen Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Paraná dreimal Amtshilfe: 2014, 2015 und 2017. Das bestätigt ein Sprecher der Luxemburger Justiz auf Nachfrage von Reporter.lu. Auffällig ist auch, dass die „Cellule du renseignement financier“ (CRF) 2018 insgesamt 64 Millionen Euro in Korruptionsaffären blockierte. Das stellte gegenüber 2017 eine Zunahme von 595 Prozent dar. Die CRF betont: „Cette hausse importante est essentiellement due à des dossiers en relation avec des affaires de corruption dans des États étrangers.“
Später im Bericht heißt es, dass die CRF in engem Austausch mit den Behörden in Brasilien, Peru und Argentinien stand. Länder also, die tief in die Odebrecht-Affäre verstrickt waren. Eine offizielle Bestätigung gibt es an dieser Stelle jedoch nicht: Die CRF dürfe keine Aussage zur Herkunft blockierter Vermögenswerte machen, erklärt der Justizsprecher.
Drei der Odebrecht-Soparfis sind laut Handelsregister weiter aktiv. Eine davon – „Odebrecht Latinvest“ – reichte im Februar 2020 vor einem internationalen Schiedsgericht eine Klage gegen Peru ein. Odebrecht fordert 1,2 Milliarden US-Dollar Schadensersatz. Es geht um ein gescheitertes Gaspipeline-Projekt, das unter fragwürdigen Bedingungen unter anderen an Odebrecht vergeben wurde, wie die Luxemburger NGO Astm in ihrer Zeitschrift „Brennpunkt“ schrieb.
Holding ist nicht gleich Holding
Obwohl die Luxemburger Holding „Obebrecht Latinvest“ klagte, schickte die brasilianische Zentrale die Klageschrift an die peruanischen Behörden. Es zeigt ein klassisches Handlungsmuster von Konzernen: Sie wählen die Gesellschaft in jenem Land, das ihnen den größten juristischen Vorteil ermöglicht. In diesem Fall scheint das Investitionsschutzabkommen zwischen Belgien, Luxemburg und Peru der ausschlaggebende Grund zu sein.
Soparfis sind sehr wandelbare juristische Wesen – entweder Kanäle für obskure Zahlungen oder wichtige Einheiten, die Milliarden-Investitionsprojekte finanzieren. Das Argument der Minister, dass Holdings „per Definition“ keinen Einfluss auf die Operationen der Tochterfirmen in Drittstaaten hätten, läuft demnach ins Leere. In der Luxemburger Gesetzgebung gibt es seit dem Ende der „Holding 1929“ kein gesondertes Statut. Die meisten Holdings sind eine Sàrl – genau wie der Bäcker um die Ecke auch. Unternehmen geben einer Holding unterschiedliche Aufgaben. In Luxemburg ist es oft die Finanzierung von Tochterfirmen.
Jean Asselborn und Franz Fayot widersprechen auch offen den Aussagen von Finanzminister Pierre Gramegna (DP). Sein Mantra: Holdings als Briefkastenfirmen gebe es in Luxemburg immer seltener. „Die aktuelle Tendenz – die wir unterstützen – ist, dass jene Unternehmen, die in Luxemburg bleiben wollen, ihre Präsenz mit mehr Substanz und Personal verstärken. Jene, die in Luxemburg nur sehr oberflächlich bleiben wollen, werden merken, dass dies wenig bringt“, erklärte Pierre Gramegna einst im Interview mit dem „Lëtzebuerger Land“. Mehr Substanz heißt: mehr Entscheidungen, die in Luxemburg getroffen werden.
Die leuchtenden Beispiele sind in diesem Sinne etwa Ferrero und Vodafone. Beide Unternehmen beschäftigen mittlerweile Hunderte von Mitarbeitern in Luxemburg. Doch obwohl Ferrero juristisch eine Holding ist, zweifelt die Regierung nicht daran, dass der Süßwarenhersteller einer Sorgfaltspflicht nachkommen muss. Vodafone betreibt in Luxemburg seine Einkaufszentrale – auch hier ist die Notwendigkeit der Kontrolle von Lieferketten unumstritten.
Wirksame Rechtsmittel fehlen
Ein weiteres Beispiel: Reporter.lu berichtete im November 2019, dass Luxemburger Holdings 780.000 Hektar ukrainisches Agrarland kontrollieren. Immer wieder gab es Umweltprobleme und Vorwürfe der illegalen Landnahme. Doch die Betroffenen haben keine Handhabe, um sich zu wehren.
Menschen, die unter Menschenrechtsverletzungen oder unter Umweltzerstörung leiden, fehlt es oft an wirksamen Mitteln, um dagegen vorzugehen. Sie haben nicht die Möglichkeit, in ihrem Land gegen den Konzern zu klagen. Eine Studie des Europäischen Parlaments benennt ein Problem: Es sei schwierig, Holdings für das Handeln ihrer Tochterfirmen juristisch zu belangen. Gerichte im Land des offiziellen Sitzes würden sich als nicht zuständig erklären. Faktisch bedeute dies den Ausschluss der gefährdetsten Menschen von einem wirksamen Schutz, so die Autoren.
In ihrer Erklärung zum JBS-Fall verweisen Jean Asselborn und Franz Fayot auf die OECD-Leitsätze für eine verantwortungsvolle Firmenführung. Betroffene können sich demnach an die Luxemburger Kontaktstelle beim Wirtschaftsministerium wenden, falls ein hiesiges Unternehmen ihnen geschadet haben sollte. Die Kontaktstelle könne aber nur aktiv werden, wenn die fraglichen Entscheidungen bis nach Luxemburg zurückverfolgt werden könnten. Die Präsenz einer Holding reicht nicht.
Eine weitere Studie im Auftrag des Europaparlaments kommt zu dem Schluss, dass das System der OECD-Kontaktstellen kaum Wirkung gegen Fehlverhalten von Unternehmen zeigt. Experten sprechen dann davon, dass der Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln nicht gewährleistet ist. Dabei zählt das zu den Pflichten der Staaten, um die Einhaltung der Menschenrechte zu wahren.
Dieser Punkt spielt bereits in der Debatte über die Sorgfaltspflicht auf EU-Ebene eine große Rolle. Der erwartete Vorschlag der Europäischen Kommission wird dieses Thema nicht ausblenden können. Noch versucht die Luxemburger Regierung das Problem und ihren fragwürdigen Umgang mit den Holdings zu leugnen. Spätestens jedoch wenn der Kommissionsvorschlag vorliegt, wird sie Farbe bekennen müssen.
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