Steuervorteile, Agrarsubventionen, maßgeschneiderte Gesetze: Oligarchen dominieren den ukrainischen Agrarsektor – und setzen sich dabei über Umweltnormen und andere EU-Regeln hinweg. Dabei helfen ihnen Firmenstrukturen, die auch nach Luxemburg reichen.
Die „schwarze Erde“ der Ukraine gilt als Kornkammer Europas. Sie zählt zu den fruchtbarsten Böden weltweit. Ausbau und Professionalisierung des Agrarsektors sollen helfen, die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine voranzutreiben. Doch große Agro-Holdings kontrollieren über 30 Prozent der Landwirtschaft. Die zehn größten Konzerne bewirtschaften zusammen sechs Millionen Hektar Land. Ihr Geld führt auch nach Luxemburg.
Laut der Datenbank „Landmatrix“ kontrollieren luxemburgische Firmen 780.000 Hektar ukrainisches Agrarland. Luxemburg ist damit der zweitgrößte Investor in die dortige Landwirtschaft. Am Interesse Luxemburgs an ukrainischen Agrarprodukten liegt das nicht: Laut Statec hat Luxemburg 2018/19 gar keine Agrarprodukte aus der Ukraine importiert.
Agrarholdings mit Sitz im Großherzogtum
Allerdings haben mehrere ukrainische Agroholdings hier ihren Sitz. Etwa der weltweit größte Sonnenblumenölproduzent Kernel, dem der ukrainische Oligarch Andriy Verevskiy vorsitzt. Der Landwirtschaftskonzern hat seinen Sitz seit 2005 in Luxemburg. Kernel teilt sich seine Adresse in der Bitburgerstraße in Hamm mit zahlreichen anderen Betrieben und Holdings. Am 10. Dezember versammeln sich dort die Kernel-Aktionäre zur diesjährigen Jahresversammlung.
Auch der größte Geflügelproduzent der Ukraine, „Myronivsky Hliboproduct (MHP), etablierte sich 2006 in Luxemburg. 2017 verlagerte der Konzern seinen Sitz nach Zypern, gründete aber zeitgleich die Holding MHP Lux, die als Finanzierungsgesellschaft fungiert. Alleiniger Begünstigter der Holding ist laut dem Register der wirtschaftlichen Eigentümer (RBE) der Vorsitzende von MHP, Yuriy Kosyuk.
„Luxemburg bietet mehr Rechtssicherheit als die Ukraine und die Währung ist stabiler. Doch in erster Linie geht es um Steueroptimierung“, sagt Tetiana Shevuchuk vom „Organized Crime and Corrupting Reporting Project“ (OCCRP) im Gespräch mit REPORTER.
Großkonzerne profitieren von Beihilfen
An der Spitze der Firmen stehen Millionäre wie Andriy Verevskiy. Über seine in Zypern registrierte Firma „Namsen Limited“ hält er 39,97 Prozent der Aktien des Agrarriesen Kernel. Er gehört laut Forbes zu den Top fünf der reichsten Ukrainer. Oder Yuriy Kosyuk, der Vorsitzende des Geflügelgiganten „MHP“. 2014 kontrollierte er zusammen mit dem ehemaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und sieben weiteren Millionären über sechs Prozent des ukrainischen Bruttoinlandproduktes. Sie gehörten zum engsten Kreis Petro Poroschenkos und halfen ihm 2014 ins Amt.
Statt Klein- und Mittelbetrieben sind oft sie es, die ukrainische Agrarsubventionen und europäische Investitionen erhalten. „Es ist, als würden die Konzerne der Entwicklung der Bevölkerung in ihrem Land im Weg stehen“, kommentiert Antonyia Argirova von der ASTM.
Der MHP-Vorsitzende Yuriy Kosyuk fungierte erst als Vize-Regierungschef, später als persönlicher Berater des Präsidenten. Unter Poroschenko erhielt MHP den Großteil der ukrainischen Agrarsubventionen. Das Geld stammte zum Teil aus dem gestohlenen Vermögen der Vorgängerregierung, das eigentlich in das Verteidigungsbudget des Landes fließen sollte. Rund 35 Prozent der gesamten ukrainischen Agrarsubventionen gingen 2017 an den Geflügelproduzenten.

Unter Petro Poroschenko saßen sechs Abgeordnete mit Beziehungen zu Kernel im Parlament, schreibt die Kiew Post. Unter ihnen Vitaliy Khomutynnyk, dem über seine Firma „Cascade Investment Fund“ sechs Prozent der Kernel-Anteile gehören. Er half 2016 als Vorsitzender des Steuerausschusses ein Gesetz zu verabschieden, das es dem Staat erlaubt, Firmen die Mehrwertsteuer zu erstatten, die über 40 Prozent ihrer Produktion exportieren.
Nutznießer des Gesetzes ist Kernel: 2017 bekam der Konzern über 122 Millionen Euro zurück, während Klein- und Mittelbetriebe leer ausgingen. Andriy Verevskiy saß ebenfalls jahrelang als Abgeordneter im Landwirtschaftsausschuss des Parlaments. 2013 musste er seinen Sitz wegen Interessenskonflikten abtreten. Wenig später schaffte es sein Cousin ins Parlament.
Großproduzenten wachsen munter weiter
Mit 600.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzungsfläche ist Andriy Verevskiys Konzern der weltweit führende Sonnenblumenöl-Produzent und größter Landbesitzer der Ukraine. Rund drei Millionen Tonnen Sonnenblumenkerne hat der Konzern allein im laufenden Jahr angebaut. Auch MHP gehört mit 380.000 Hektar zu den fünf größten Landwirtschaftsbetrieben der Ukraine. 2018 produzierte der Konzern über 600.000 Tonnen Geflügel – den Großteil für den Export.
Da die Pachtverträge meist über 50 Jahre laufen, kommt die Pacht einem Verkauf gleich. Die Menschen kriegen ihr Land meist nicht mehr zurück.“Alex Yaroshchuk, ukrainischer Journalist
Eigentlich herrscht im osteuropäischen Staat seit 2002 ein Verkaufsverbot für Agrarland. Doch über Pachtungen, Fusionen und Übernahmen können die Konzerne dieses umgehen. Kernel konnte seine Agrarflächen so zwischen 2008 und 2017 um über 400.000 Hektar vergrößern. 2017 etwa kaufte die Holding über eine ihrer Tochtergesellschaften sämtliche Aktien der Gruppe „Ukranian Agricultural Investments“ sowie die Hälfte der zugehörigen Holding. 190.000 Hektar gingen so auf den Sonnenblumenöl-Produzenten über.
Daneben pachten die Betriebe ihr Agrarland zu sehr günstigen Preisen von der ländlichen Bevölkerung, die ihr Land selbst nicht nutzen kann. „Da die Pachtverträge meist über 50 Jahre laufen, kommt die Pacht einem Verkauf gleich. Die Menschen kriegen ihr Land meist nicht mehr zurück“, erklärt der ukrainische, in Umweltfragen spezialisierte Journalist Alex Yaroshchuk im Gespräch mit REPORTER: Experten, wie die Geografin Sabine von Löwis, sprechen vor diesem Hintergrund von Landraub.
Viele Millionen Euro an EU-Subventionen
Vergrößern können sich die Konzerne auch dank europäischen Entwicklungsgeldern, die seit der Maidan-Revolution großzügig in den osteuropäischen Staat fließen. 2016 trat das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine in Kraft, das den ukrainischen Markt für Europa öffnet. EU-Gelder und Investitionen sollten helfen, die Entwicklung mittelständischer Betriebe anzukurbeln, um die ukrainische Landwirtschaft an EU-Standards anzupassen.
Die Banken arbeiten schon lange mit den großen Holdings zusammen. Sie pumpen einfach weiter Geld in die Konzerne.“Vladlena Martsynkevych, „Bankwatch“
Letztlich profitierten davon die Großkonzerne. 2017 erhielt Kernel 56 Millionen von der Europäischen Entwicklungsbank (EBRD). 2018 nochmals 250 Millionen Euro von der Europäischen Investitionsbank (EIB). MHP erhielt zwischen 2003 und 2017 über 300 Millionen Euro von EBRD und EIB. „Die Banken arbeiten schon lange mit den großen Holdings zusammen. Sie pumpen einfach weiter Geld in die Konzerne“, erklärt Vladlena Martsynkevych von der Organisation Bankwatch. Die EIB kommentiert, die Investitionen seien projektbezogen und unterlägen einer strengen Sorgfaltspflicht. Man wolle die Entwicklung des lokalen Privatsektors vorantreiben und Arbeitsplätze schaffen.
„Geld, das eigentlich als Unterstützung für Kleinbauern in ländlichen Gegenden gedacht war, fließt in die Konzerne. So war das im Assoziierungsabkommen nicht vorgesehen“, bedauert hingegen Tetiana Shevchuk vom OCCRP. Dank der Gelder kontrollieren die Konzerne die gesamte Produktionskette, sagt Vladlena Martsynkevych. „Wir haben es mit einer Zentralisierung der Landwirtschaft zu tun: Vom Anbau über Produktion und Export bis hin zu Forschung und Entwicklung ist alles in einer Hand.“
Dabei sind sowohl das EU-Assoziierungsabkommen wie auch die Investitionen an Umweltkriterien gebunden. Im Abkommen ist etwa von der „Förderung einer modernen und nachhaltigen Landwirtschaftsproduktion, „organischen Produktionsmethoden“ und „Tierschutz“ die Rede. Die Darlehen der Banken werden damit gerechtfertigt, dass die Konzerne damit etwas für Umwelt- und Klimaschutz tun. Die Realität sieht aber meistens anders aus.
„Bedenken“ bei Einhaltung von Umweltnormen
Kernel musste 2017 etwa eine Kernsaatanlage schließen, weil die Pestizidrückstände der dort verarbeiteten Körner weit über den erlaubten Höchstmengen lagen. In der Ukraine würden keine systematischen Kontrollen über die Nutzung von Pestiziden durchgeführt, betonen mehrere Experten. Dies lässt zumindest die Frage zu, ob der Konzern die Umweltnormen des EU-Assoziierungsabkommens einhalten kann. Spielt etwa die langfristige Bodenbeschaffenheit eine Rolle, solange der Konzern seine Flächen nur pachtet?
MHP steht wegen Verstößen gegen Umwelt- und Tierschutznormen europaweit in der Kritik. Auf der Vorzeigefarm des Betriebs, dem Geflügelkomplex „Vinnytsia“ im Westen der Ukraine, tummeln sich 17 Millionen Hühner auf engstem Raum. Fast 300.000 Tonnen Hühnerfleisch werden in Europas größtem Mastbetrieb produziert. „In der EU ist sowas gar nicht möglich. Alle Gesetze verbieten es“, sagt Vladlena Martsynkevych von Bankwatch. Finanzieren konnte MHP die Anlage auch dank europäischen Investitionen.

„Die Umweltstandards sind eine Katastrophe“ sagte der EU-Abgeordnete Thomas Waitz (Die Grünen) nach einem Aufenthalt in der Region. Die umliegenden Gemeinschaften klagen über Ammoniakgestank, Schlachtabfälle, nitratbelastetes Wasser, massive Pestizideinsätze, und tonnenschwere LKWs, die täglich über die unbefestigten Straßen brettern. Aktuell vermitteln EBDR und Weltbank in dem Fall. Die EU-Kommission kritisiert ihrerseits die Investitionen in den Großkonzern in einer rezenten Evaluierung der EIB.
Trotz allem wollte die Europäische Entwicklungsbank einen weiteren Kredit von 100 Millionen an den Geflügelkonzern vergeben. Nachdem NGOs und Politiker Druck auf die Bank ausübten, zog MHP die Anfrage zurück.
Die EU-Handelskomissarin Cecilia Malmström teilt laut eigenen Aussagen viele von den Bedenken. Doch nicht jeder sieht das so streng. Als MHP die Quoten für Geflügelimporte in Europa umging, passte Brüssel diese nach oben an. Und obwohl der Konzern nachweislich gegen Umwelt- und Tierschutznormen verstößt, beteuert der bisherige Kommissar für Lebensmittelsicherheit, Vytenis Andriukaitis, dass MHP-Produkte alle EU-Standards erfüllen.
Schwierige Frage der Verantwortlichkeit
Obwohl seit Mai der Komiker Wolodymyr Selenskyj die ukrainische Präsidentschaft übernommen hat, gehen Experten nicht davon aus, dass sich die Situation schnell bessert. „Ich bin sehr skeptisch, was große Veränderungen angeht“, meint die Korruptionsspezialistin Tetiana Shevchuk.“Die Konzerne wissen, wie wichtig die Lobbyarbeit ist. Sie sind auch jetzt dabei, ihre Interessen geltend zu machen“, sagt auch der ukrainische Journalist Alex Yaroshchuk.
Luxemburg bietet mehr Rechtssicherheit als die Ukraine und die Währung ist stabiler. Doch in erster Linie geht es um Steueroptimierung.“Tetiana Shevuchuk, „Organized Crime and Corrupting Reporting Project“
Den Landbewohnern sind hingegen die Hände gebunden. Von den Luxemburger Finanzbehörden können sie keine Unterstützung erwarten: Luxemburg obliegt diesbezüglich keiner gesetzlichen Sorgfalts- oder Kontrollpflicht. Lediglich die nationale Kontaktstelle der OECD könnte aktiv werden, wenn ihnen Verstöße gegen Umweltregeln oder Menschenrechtsverletzungen zugetragen werden. Vorausgesetzt, die Beschwerden lassen sich auf in Luxemburg getroffene Entscheidungen zurückverfolgen.
„Um Beschwerde einzureichen, müssten die Betroffenen zumindest wissen, dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt. In der Ukraine weiß niemand, wo MHP seinen Sitz hat“, bringt es der EU-Abgeordnete Thomas Waitz auf den Punkt. Bei Kernel dürfte das nicht anders sein.
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