Seit fast 20 Jahren herrscht in der Ukraine ein Verbot für den Verkauf von Agrarland. Dennoch befindet sich rund ein Drittel der Landwirtschaft in der Hand von wenigen Großkonzernen. Die Geografin Sabine von Löwis über mächtige Agrarholdings und mögliche Reformen.

Interview: Charlotte Wirth

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde die kollektive Landwirtschaft aufgelöst. Wie ist die Lage für die Bauern heute?

In der Sowjetunion gab es eine kollektive Landwirtschaft. Mit der Unabhängigkeit der Ukraine hat man dann in den 1990er Jahren damit begonnen, die Kollektivwirtschaften aufzulösen. Das Land wurde anschließend an die Bauern verteilt, die Teil der Kollektive waren. Im Durchschnitt waren das jeweils etwa vier Hektar. Diese Dekollektivierung war allerdings ein langer Prozess. Erst Ende der 2000er Jahre waren die Bauern im Besitz von Zertifikaten über den Besitz von ihrem Stück Land. 2001 hatte die ukrainische Regierung ein Moratorium, also ein Verkaufsverbot auf das Agrarland erlassen. Damit wollte sie eine Konzentration des Landes in wenigen Händen verhindern. Es sollte vermieden werden, dass die Bauern dazu genötigt werden, ihr Land zu schlechten Preisen zu verkaufen. Das Moratorium wurde seitdem immer wieder verlängert und gilt bis heute.

Dennoch kontrollieren heute wenige Konzerne einen großen Teil der Agrarfläche. Wie konnte das passieren?

Zum einen war es so, dass die Parzellen, die die Bauern erhielten, oft nicht zugänglich waren. Da wurden große Flächen einfach in viele Parzellen aufgeteilt und irgendwo lagen dann die kleinen Ländereien. So war es kaum möglich, dass die Bauern das Land selber nutzen konnten. Zudem wurden die alten Kollektivbetriebe nicht sofort aufgelöst, sondern erst nach und nach in private Unternehmen umgewandelt. Diese haben dann weiter dasselbe Land gepachtet – also auch Parzellen, die die Bauern zur Bewirtschaftung erhalten haben.

Auf indirekte Weise ist das Landraub.“

Zudem haben sie immer weiter Land von den Bauern zu sehr niedrigen Preisen dazugepachtet. So sind diese sehr großen Pachtbetriebe entstanden. Die Pachtpreise sind in der Ukraine sehr niedrig und liegen bei etwa 45 Euro pro Hektar. Oft wird der Betrag aber in Naturalien gezahlt. Die Menschen kriegen dann zum Beispiel einen Sack Getreide vor die Tür gestellt. Nach und nach haben sich dann internationale Partner in diese großen Konzerne eingekauft und es entstanden sogenannte Agro-Holdings.

Das Moratorium sollte ja eigentlich verhindern, dass es zu dieser Konzentration von Land in wenigen Händen kommt. Wieso hat das nicht geklappt?

Der Sinn und Zweck des Moratoriums wurde eigentlich komplett verfehlt, weil diese Agro-Holdings entstanden sind. Diese haben nach und nach ihre Macht ausgedehnt, indem sie enge Kontakte zur Regierung in Kiew pflegen und mit den lokalen und regionalen Verwaltungen in Beziehung stehen. Es herrscht aber auch ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Eigentümern der Parzellen und den Agrarunternehmen, die sie pachten. Die Zentralregierung und die Verwaltungen der Regionen haben kaum Mittel zur Entwicklung der ländlichen Räume zur Verfügung gestellt. Die Konzerne helfen, die ländlichen Räume zu versorgen, etwa indem sie Schulen und Infrastrukturen in den Dörfern unterhalten.

Während die großen Konzerne Zugang zu Geldern und Geldgebern haben, haben die kleinen Bauern und Familienbetriebe Probleme, an Kredite zu kommen.“

Die Konzerne haben sich oft auch abgesichert, für den Fall, dass das Moratorium einmal aufgelöst wird. Sie haben Verträge mit sehr langer Laufzeit abgeschlossen – oft über 49 Jahre. Die Pächter können diese Pachtverträge auch weiterverkaufen, sogar ohne die Eigentümer zu fragen. Sie können also ein geschlossenes Paket von Pachtverträgen einfach an jemand anderes weitergeben und damit handeln.

Kann man denn in diesem Zusammenhang von Landraub sprechen?

Auf indirekte Weise ist das Landraub. Zum einen ist es ein strukturelles Problem, da einzelne Flächen aus der Gesamtfläche nur schwer herauszulösen sind oder es keinen Sinn ergibt, weil sie so auch nicht zu bearbeiten sind. Zum anderen sind es die ungünstigen Verträge mit langen Laufzeiten, die die Verfügbarkeit der Flächen durch die Eigentümer einschränkt. Es ist zwar noch immer so, dass die Bauern das Land besitzen. Aber durch die Verträge und Regelungen, die man zum Teil entwickelt hat, sind die Bauern außer Gefecht gesetzt. Sie können ihre Rechte nicht wahrnehmen. Bei Verträgen über 49 Jahre sind die Menschen nur begrenzt handlungsfähig, um noch etwas anderes mit ihren Flächen zu tun.

Diese großen Betriebe haben zum Teil viel Geld von europäischen und internationalen Institutionen erhalten, etwa von der Europäischen Entwicklungsbank, der Europäischen Investitionsbank oder der Weltbank. Ist das nicht kontraproduktiv?

Das ist auch ein Problem. Während die großen Konzerne Zugang zu Geldern und Geldgebern haben, haben die kleinen Bauern und Familienbetriebe Probleme, an Kredite zu kommen. Die Investitionen sind mit ein Grund dafür, wieso es diese Konzentration der Landwirtschaft durch die großen Konzerne gibt. Die Großen sind präsenter, machen eine größere Lobbyarbeit und kriegen so das Geld. Die Weltbank beispielsweise unterstützt die Aufhebung des Moratoriums, um die großen Agro-Holdings noch effizienter zu machen. Große Geldgeber unterstützen in der Regel auch große Strukturen.

Was dabei erstaunlich ist: Die großen Konzerne produzieren hauptsächlich für den Export. Viele kleine Familienunternehmen und Hofwirtschaften, die viel weniger Fläche beanspruchen, produzieren hingegen für den ukrainischen Markt: Laut statistischem Jahrbuch der Ukraine produzierten sie 2017 58 Prozent der Agrarkulturen, nutzen aber nur 47 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Doch das spielt für die Geldgeber keine Rolle. Eine Strategie, um diese Situation zu verändern wäre, viele Kredite und Möglichkeiten anzubieten, damit die kleinen Leute, die kaum über die Runden kommen, überhaupt die Möglichkeit haben, einen Kredit aufzunehmen und von ihrem Land Gebrauch zu machen.

Im Mai hielt der Europäische Gerichtshof in Straßburg fest, dass das Moratorium auf den Landverkauf unrechtmäßig ist. Der Verkaufsstopp läuft ohnehin im Januar 2020 aus und der neue Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bereits angekündigt, das Moratorium auszusetzen. Wird sich die Lage für die ländliche Bevölkerung dadurch weiter verschlechtern?

Das kommt darauf an, was für eine Gesetzesregelung die Regierung entwickelt und ob sie in der Lage ist, den Markt schrittweise zu öffnen. Es gibt Überlegungen, den Verkauf zu begrenzen oder einzugrenzen, wer Land kaufen kann. Es hängt also davon ab, ob es so reglementiert wird, dass nur die Großen profitieren, die nun einmal eine sehr starke Lobby haben. Oder Vorkehrungen getroffen werden, damit die kleinen Betriebe und Eigentümer auch profitieren. Dazu müsste aber auch sehr viel Informationsarbeit geleistet werden. Manche wissen gar nicht, dass ihr Land nicht verkauft werden kann. Immer wieder werden in gesellschaftlichen Diskursen Befürchtungen geäußert, dass Ausländer den Boden aufkaufen. Da spielt sicher auch die aktuell aufgeladene Situation mit Russland eine Rolle.

Zur Person

Sabine von Löwis ist Geografin und forscht am Zentrum für Osteuropa und internationale Studien in Berlin unter anderem zur ländlichen Entwicklung in der Ukraine.