Fehlt es in Luxemburg wirklich an Bauland? Eine neue Studie stellt diese oft genannte Ursache der Wohnungskrise in Frage. Demnach liegen viele nutzbare Grundstücke in den Händen weniger privater Baufirmen, die damit Angebot und Preise maßgeblich bestimmen können.
Ob es die Großeltern sind, die Bauland für die Enkel horten, internationale Investmentfonds, die wie Heuschrecken über den luxemburgischen Immobilienmarkt herfallen, oder schlicht die Nachfrage, die das Angebot bei weitem übersteigt: Der politische Diskurs in Luxemburg kennt viele Erzählungen über die Ursachen der sich zuspitzenden Wohnungskrise. Doch meist sind die Erklärungsansätze nicht an konkreten Daten festzumachen. Sie entsprechen eher einem Bauchgefühl als einer faktischen Analyse des Marktes.
Das Problem ist offensichtlich: Die Bewegungen auf dem Immobilienmarkt sind für Außenstehende kaum nachzuvollziehen. Wer wann welches Grundstück und an wen verkauft, bleibt oft im Dunkeln. Denn in Luxemburg gibt es keinen systematischen Zugang zu den Grundbuchauszügen. Zugriff auf den gesamten Kataster haben nur Behörden und Notare.
Selbst Wissenschaftler erhalten nur begrenzten Zugang zu den sensiblen Informationen über die Eigentumsverhältnisse, meist werden die Daten dafür anonymisiert. So geht es auch dem Geografen Antoine Paccoud, der seit 2015 am „Luxembourg Institute of Socio-Economic Research“ (LISER) forscht. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört der Grundbesitz und dessen soziale Folgen.
Alles aus einer Hand
Bereits 2019 konnte der 36-Jährige anhand von Katasterdaten die hohe Konzentration von Grundbesitz in den Händen von einigen Wenigen nachweisen. In einer neuen Studie beleuchtet Antoine Paccoud nun erstmals die Folgen dieser Entwicklung für den gesamten Immobilienmarkt. Die am 29. Juli im Fachmagazin „Housing Studies“ veröffentlichte Studie trägt den etwas sperrigen Titel „Land and the housing affordability crisis: landowner and developer strategies in Luxembourg’s facilitative planning context„.
Für die Arbeit hat der Sozialgeograf, gemeinsam mit den Forschern Markus Hesse, Tom Becker und Magdalena Górczyńska, die 71 größten Wohnimmobilienprojekte in Luxemburg seit 2007 analysiert. Die untersuchten Projekte entsprechen einer Gesamtfläche von rund 240 Hektar in 50 verschiedenen Gemeinden.
Um es auf den Punkt zu bringen: Jedes Mal, wenn der Perimeter erweitert wird, gibt es nur weitere Millionäre.“Antoine Paccoud, Sozialgeograf am LISER
Dabei im Fokus: die Besitzverhältnisse bei den Grundstücken. Dafür haben die Forscher jede Parzelle unterschiedlich kodiert, je nachdem, ob es sich bei dem Besitzer um eine Privatperson, eine Firma oder die öffentliche Hand handelte. Auffällig bei den Transaktionen ist die hohe Konzentration bei den Besitzverhältnissen über die gesamte Wertschöpfungskette.
Oder, wie es Antoine Paccoud im Gespräch mit Reporter.lu ausdrückt: „Bei vielen Immobilienprojekten gibt es eine doppelte Konzentration. Das heißt: Die Immobilienentwickler, die ein Gelände erschließen, waren bereits davor im Besitz des Baulands.“ Nur in 20 der 71 untersuchten Projekte kauften die Entwickler Land von Privatpersonen auf. In der Mehrzahl der untersuchten Bauvorhaben waren sie bereits Besitzer, ehe das Projekt begonnen hatte, so ein Ergebnis der Studie.
Das Bauland-Kartell
Hinzu kommt, dass es ebenfalls oft die gleichen Firmen sind, die große Immobilienprojekte überhaupt umsetzen. An den untersuchten Projekten waren beispielsweise im Ganzen 27 Firmen und 31 Privatpersonen beteiligt. Unter diesen Gesellschaften dominieren wiederum lediglich vier den gesamten Immobilienmarkt. Denn diese vier Unternehmen besaßen 2016 31,9 Prozent des gesamten Baulands, das sich in Firmenhand befand. Zudem waren sie in 21 Projekte involviert, die von Firmen durchgeführt wurden. Und sie kauften in neun von 20 Fällen Land von Privatpersonen auf.
Die dominante Position dieser Unternehmen ist problematisch, weil sie kaum Konkurrenz haben und es zunehmend schwierig wird, ihrer marktwirtschaftlichen Position etwas entgegenzustellen.“Antoine Paccoud, Sozialgeograf am LISER
Die Studie spricht in diesem Zusammenhang von „Land Hoarding“ oder auch „Land Banking“. Die Bauträgerfirmen verfügen sozusagen über eine strategische Landreserve. Sie können demnach frei entscheiden, wann sie welches Areal erschließen und zu welchen Bedingungen. So können sie das Angebot künstlich knapp halten und den Gewinn maximieren. „Die dominante Position dieser Unternehmen ist problematisch, weil sie kaum Konkurrenz haben und es zunehmend schwierig wird, ihrer marktwirtschaftlichen Position etwas entgegenzustellen“, erklärt Antoine Paccoud.
Denn in den seltenen Fällen, wo Bauland von privaten Besitzern verkauft wird, sind es wiederum oft diese großen Unternehmen, die es sich überhaupt noch leisten können, das Land zu kaufen. Kleinere Immobiliengesellschaften oder auch öffentliche Bauträger sind ihnen gegenüber oft chancenlos. So entstehe gewissermaßen ein Bauland-Kartell, das von einigen Wenigen kontrolliert werde, erklärt der Forscher.
Niedrige Steuern als Problem
Der oft geforderten Erweiterung des Bauperimeters steht Antoine Paccoud auch kritisch gegenüber. Denn eigentlich stehe im jetzigen Perimeter noch genügend Bauland zur Verfügung, um in den nächsten zehn Jahren zu bauen. „Luxemburg hat ein Mobilisierungsproblem beim Bauland, denn eigentlich ist bereits jetzt genug Fläche ausgewiesen. Um es auf den Punkt zu bringen: Jedes Mal, wenn der Perimeter erweitert wird, gibt es nur weitere Millionäre“, so der Experte.
Dieses steuerliche Umfeld begünstigt die Konzentration beim Bauland.“Antoine Paccoud, Sozialgeograf am LISER
Vielmehr sieht die Studie den laxen politischen Rahmen als einen der Hauptgründe der Wohnungskrise. „Luxemburg hat im Vergleich zu den Nachbarländern eine extrem niedrige Vermögensteuer. Hinzu kommen eine niedrige Grundsteuer sowie das Fehlen einer Erbschaftssteuer in direkter Linie. Dieses steuerliche Umfeld begünstigt die Konzentration beim Bauland“, erklärt der Forscher.
Die Studie selbst beschränkt sich nicht auf die Diagnose, sondern schlägt die Einführung einer nationalen Spekulationssteuer vor, die den Wertgewinn von unbebauten Grundstücken besteuert. Aber auch die Gemeinden sind laut Studie in der Pflicht. Sie müssten vermehrt vom Vorkaufsrecht bei Grundstücksverkäufen Gebrauch machen und so eine öffentliche Landreserve schaffen, die längerfristig dem Phänomen des „Land Hoarding“ von großen Unternehmen entgegenwirken könnte.
Das Forscher-Team um Antoine Paccoud arbeitet bereits an der nächsten Studie. Konkret wollen die Forscher bis Herbst dieses Jahres ihre Studie zum unbebauten Bauland aus dem Jahr 2019 aktualisieren und dabei auch die Namen der mächtigsten Akteure auf dem Wohnungsmarkt nennen.




