Der Immobilienmarkt steht unter Druck. Für viele Menschen ist ein Eigenheim unerschwinglich. Versteigerungen verheißen die Chance auf ein Schnäppchen. Doch auch hier herrscht Goldgräberstimmung für die Spekulanten. Einblicke in eine ganz besondere Form des Hauskaufs.
Sonntagnachmittag in einem Wohngebiet in Cessingen. Das Objekt der Begierde liegt auf dem „Kuelebierg“. Eine Seite der Straße ist gesäumt von stattlichen Einfamilienhäusern, die andere von Reihenhäusern aus den 1950er Jahren. Das Haus, das versteigert wird, liegt auf der anderen Seite: Graue Fassade, kleine Garage, drei Stockwerke. Es ist kaum zu unterscheiden vom jenem zur Linken oder jenem zur Rechten. Doch allein die angesagte Lage spricht für das Haus. Rund 500 Meter Luftlinie östlich entsteht mit der Cloche d’Or das größte Neubaugebiet der Hauptstadt. Mit Quadratmeterpreisen von über 15.000 Euro mittlerweile eines der teuersten Pflaster der Hauptstadt.
Besichtigungstermine gibt es an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden, unter Voranmeldung beim Notar. An diesem Sonntag öffnet ein Mitarbeiter des Notarbüros die Tür zum Haus. Ein Pärchen, Ende 60, sah sich gerade den Keller an und fragt nach der Heizung. Der Mitarbeiter zeigt auf einen Papierstapel auf dem Küchentresen: „Nehmen Sie sich ein Exemplar. Da ist alles drin, was Sie brauchen, wenn Sie vor der Auktion zur Bank gehen.“
Neben einem Katasterauszug enthält die Blattsammlung Zeit und Ort der Auktion sowie eine detaillierte Beschreibung der Immobilie. Das Haus, Jahrgang 1957, hat eine nutzbare Gesamtfläche von 231 Quadratmetern. Zwei Badezimmer, vier Schlafzimmer, Büro. Dazu ein kleiner Außenbereich mit Veranda sowie ein Souterrain mit Garage und Weinkeller.
„Nicht einig bei den Finanzen“
Erst bei der Besichtigung verrät das Haus jedoch etwas über seine Geschichte. Denn so leer wie auf den Bildern ist es nicht. Jedoch auch nicht wirklich bewohnt. Während einige Zimmer ausgeräumt aussehen, stehen in anderen noch Fernseher, Computer und eine Büchersammlung. Alles wirkt, als ob jemand es sich während des Auszugs anders überlegt hätte. Das Gästebad und das oberste Stockwerk sind bis auf ein Regal leergeräumt.
Ich sage Ihnen, Ihre Reportage wird niemand lesen und wissen Sie weshalb? Auktionen stehen in Verruf und man spricht nicht gerne darüber.“Ein Auktionator
Eine Etage darunter sieht das Bad aus, als ob es noch genutzt würde. Auf der Veranda im Erdgeschoss sitzt ein etwas untersetzter Mann, Mitte 40, und tippt auf seinem Mobiltelefon herum. Er schenkt den Besuchern keine Beachtung und beschränkt sich auf ein kurzes „Hallo“, ohne vom Handy aufzublicken.
Unten in der Küche empfängt der Mitarbeiter des Notarbüros die nächsten Interessenten. Wieder ist es ein Pärchen, wieder um die 60. Während sie Richtung Garten gehen, erklärt der Mitarbeiter den Grund für die Versteigerung: „Eine Scheidung. Das Paar wird sich nicht einig bei den Finanzen. Deshalb wird das Haus versteigert.“
Rechtliche Unterschiede bei Versteigerungen
In Luxemburg unterscheidet man generell zwischen zwei Arten von Versteigerungen: den „licitations publique à l’amiable“ und den „ventes forcées“. Bei letzteren findet die Versteigerung auf Grund einer Beschlagnahmung und einem rechtskräftigen Gerichtsurteil statt. In diesem Fall geht der Besitz, egal ob von einer Immobilie oder einem sonstigen Wertgegenstand, von privater Hand in Staatsbesitz über. Die eigentliche Versteigerung der Gegenstände übernimmt die „Administration de l’enregistrement des domaines et de la TVA“ (AED). Zuständig für die Versteigerungen im ganzen Land ist dabei das Regionalbüro in Esch.
Bei einer „Licitation publique à l’amiable“ beruht die Versteigerung hingegen auf einer einvernehmlichen Entscheidung zwischen zwei Privatparteien. Dies kann bei Erbschaften oder Scheidungen der Fall sein, also immer dann, wenn ein Besitz unter mehreren Besitzern aufgeteilt werden muss. Die eigentliche Versteigerung übernimmt in diesem Fall ein Notar, der auch die Modalitäten dafür organisiert. Oft wird etwa eine Bankgarantie von potenziellen Bietern verlangt, um zu vermeiden, dass jemand den Zuschlag erhält, der nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, um den eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen.
Auch deshalb ist es oft schwierig für finanzschwache Haushalte, überhaupt an einer Versteigerung teilzunehmen. Kommerzielle Bieter wie Immobilienagenturen haben oft bessere Karten, den Zuschlag zu erhalten. Schnäppchen machen also vor allem jene, die eigentlich nicht auf sie angewiesen sind. Schätzungen gehen davon aus, dass in Luxemburg jährlich rund 60 Immobilien auf diese Art versteigert werden.
Gemischtes Publikum
Eine halbe Woche später, nachmittags in einem Restaurant in Rollingergrund. Die Mehrzahl der Gäste sind Rentner, die noch beim Kaffee auf der Terrasse sitzen. Die Versteigerung ist für 15 Uhr angesetzt. Nur allmählich treffen Interessierte ein. Ein Grüppchen aus zwei Männern und einer Frau. Ein asiatisches Pärchen. Ein Rentner mit schwarz gefärbten Haaren und grauem Haaransatz. Dazu vereinzelt jüngere Männer, allesamt leger gekleidet. Ein älterer Mann im Anzug mit einem Spazierstock fragt, wer für die Versteigerung da sei, sie finde drinnen statt.
Im Speisesaal des Restaurants dominiert Eiche-rustikal. Die Vierertische sind mit Paravents voneinander getrennt. Die meisten Teilnehmer sitzen allein am Tisch. Nur das Dreier-Grüppchen und das Pärchen sitzen jeweils zusammen. In der Ecke mit dem Rücken zur Terrasse sitzen die Notarin, der Mitarbeiter, der bereits bei der Besichtigung anwesend war, und eine Frau, der das Haus wohl noch zur Hälfte gehört. Der Mann mit dem Handy fehlt.
Hoffen auf ein Schnäppchen
Ein Mann mit kurzen, rot-braunen Haaren und dreiviertel Jeans fragt, ob er sich an den Tisch setzen dürfe. Die Versteigerung hat noch nicht begonnen, es bleibt Zeit für ein Gespräch. Er heiße Jimmy und stamme eigentlich aus dem Libanon. Seit drei Jahren wohne er in Luxemburg, momentan in einer Zweck-WG in Bartringen. Sein Mitbewohner hat ihm von Auktionen erzählt, er solle sich mal eine anschauen, vielleicht würde er ja fündig.

Jimmy arbeitet als Bauingenieur. „Ich bin sozusagen vom Fach“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Doch bei den Immobilienpreisen sei es fast unmöglich, etwas auf dem freien Markt zu finden. Ob er schon einmal jenseits der Grenze gesucht habe? Jimmy winkt ab und erklärt: „Für Franzosen und Luxemburger mag das interessant sein. Für mich nicht. Als Libanese kann ich nach fünf Jahren die luxemburgische Staatsbürgerschaft beantragen, dafür ist es aber wichtig, dass ich auch hier wohne.“
Die Notarin steht auf und erklärt kurz die Konditionen der Auktion und gibt Details zum Haus. „Zusätzlich zum Höchstgebot müssen Auktionsgebühren in Höhe von 12 Prozent beglichen werden. Hinzu kommen 1,25 Prozent, wenn die Immobilie in den Wiederverkauf gehen soll. Dazu kommen drei Prozent, die an die Stadt-Luxemburg zu entrichten sind. Nach dem Kauf muss außerdem sofort eine Feuerversicherung abgeschlossen werden. In der Immobilie wohnt derzeit noch ein Mann. Er hat ein unbeschränktes Wohnrecht bis Anfang November.“
Ein Hin und Her in Tausender-Schritten
Der ältere Mann im Anzug übernimmt. Beschwingt nimmt er seinen Spazierstock, stellt sich in die Mitte des Raums und sorgt mit seinen ersten Worten für Ernüchterung bei Jimmy: „Es liegt ein Gebot über 800.000 Euro vor.“ Ein Mann im blauen Polo, Teil des Dreier-Grüppchens, erhöht zunächst auf 810.000. Ein junger Mann am Nebentisch hat das Handy am Ohr. Er erhöht ebenfalls und wird gekontert. So geht es kurz hin und her bis der Preis bei 850.000 Euro ins Stocken gerät. Ruhe.
Der Auktionator geht von Tisch zu Tisch und streichelt mit der Hand über die Platte. „Wie sieht es bei Ihnen aus?“, fragt er. Jeder winkt ab. Jimmy ist ganz raus. Währenddessen stehen immer wieder Interessierte auf und gehen mit der Notarin vor die Tür. Diskutieren kurz und kommen wieder rein. Dann geht die Eigentümerin mit vor die Tür. Ihr scheint das Gebot überhaupt nicht zu gefallen.
Die Notarin stellt sich mit dem Auktionator vor den Bietern auf. „Jetzt wird es ernst“, sagt sie. „Wann de Bengel fällt, ass d’Haus fort.“ Die Stimmung im Raum ändert sich, der Auktionator ruft das Haus zum ersten Mal aus. Der junge Mann mit dem Handy erhöht, und wird wieder überboten. Es geht hin und her, in Tausender-Schritten. Nach schnellem Bieterwechsel ist die Schallmauer erreicht und der Auktionator ruft: „Eine Million Euro. Wir sind bei einer Million Euro.“
„Man spricht nicht gerne darüber“
Am Tisch mit dem Dreier-Grüppchen wird kurz diskutiert. Der Mann im blauen Polohemd fragt: „On fait une pause de cinq minutes?“ Der Auktionator willigt ein. Am Nebentisch flüstert der junge Mann in sein Handy. Kurz darauf geht es weiter. Das Höchstgebot liegt bei 1.112.000 Euro. Der junge Mann nickt. 1.113.000 Euro. Die Schritte dauern jetzt deutlich länger. Die Entscheidung fällt zwischen der Gruppe und dem jungen Mann. Sonst bietet niemand mehr. Ein letztes Mal erhöht der Mann im blauen Polohemd. Der Auktionator ruft 1.117.000 Euro aus. Zum ersten. Zum zweiten. Eine Kunstpause. Der junge Mann wiegelt ab. Verkauft für 1.117.000 Euro.
Zu Versteigerungen kommt es immer, wenn es Streit gibt. Vor allem bei Scheidungen und bei Erbstreitigkeiten.“Eine Notarin
Nach der Auktion am Tisch der Notarin: Die Papiere sind längst unterschrieben. Das Dreier-Grüppchen verabschiedet sich. Wie sich herausstellt, war es ein Zusammenschluss von Immobilienagenten. Auch der junge Mann mit dem Handy war von einer Immobilienagentur, weiß die Notarin zu berichten. „Es herrscht Goldgräberstimmung“, erklärt sie. Rund vier bis fünf Versteigerungen leitet sie jedes Jahr. „Bei anderen Notaren sind es mehr, die haben sich auf Auktionen spezialisiert.“
Der Auktionator setzt sich an den Tisch. Seit 40 Jahren ist er „Ausriffer“, seinen Namen will er aber nicht in der Öffentlichkeit lesen. Wieso? „Ich sage Ihnen, Ihre Reportage wird niemand lesen und wissen Sie weshalb? Auktionen stehen in Verruf und man spricht nicht gerne darüber.“ Den Grund dafür liefert die Notarin: „Zu Versteigerungen kommt es immer, wenn es Streit gibt. Vor allem bei Scheidungen und bei Erbstreitigkeiten.“ Deshalb kämen auch nur wenige Bieter zu Versteigerungen. „Eigentlich schade, denn bei Auktionen kann man durchaus ein gutes Geschäft machen.“
Und in der Tat. Selbst wenn der Kaufpreis von 1.117.000 Euro für viele an diesem Nachmittag unerschwinglich war, im Vergleich mit den Neubauwohnungen in Gasperich war das Haus ein wahres Schnäppchen. Denn dort bezahlt man für eine Zweizimmerwohnung mit 80 Quadratmetern bereits eine Million Euro. Ein Eigenheim in Cessingen mit sechs Zimmern, drei Badezimmern und einer Gesamtfläche von 287 Quadratmetern ist derzeit für rund 2,6 Millionen Euro annonciert und damit doppelt so teuer wie jenes auf dem „Kohlenberg“.
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