Die Wohnungsnot hat sich längst zum zentralen sozialen Problem des Landes entwickelt. Politische Lösungsansätze liegen seit geraumer Zeit auf dem Tisch. In Luxemburgs „Demokratie der Eigentümer“ schreckt die Regierung allerdings vor strukturellen Maßnahmen zurück.
Die Wohnungspolitik in Luxemburg gleicht einem Kind im kaukasischen Kreidekreis. Alle ziehen daran, keiner lässt los, bis der Stärkste sich durchsetzt. Am besten nachvollziehen können dies sicher die Planungsbüros und Urbanisten, die nicht selten „im Dreieck springen“, wie es Tom Becker nennt: „Planer müssen den Spagat hinbekommen und zwischen meist drei grundverschiedenen Interessen einen Kompromiss finden“, so der Forscher an der Universität Luxemburg.
Zum einen sind da die Investoren, denen es in erster Linie um den Profit geht, an einer anderen Ecke steht der Staat, der den Wohnungsbau immer auch unter Einbezug des Wirtschaftswachstums und der demographischen Entwicklung betrachten sollte. Und dann gibt es da noch die Gemeinden, die meistens nicht stark genug sind, um sich zu behaupten. Für den Bau von privat verwalteten Shoppingcentern und Hotels mag dieser Kampf gut ausgehen, Verlierer ist – und das belegen Studien seit Jahrzehnten – der soziale Wohnungsbau.
Klare Diagnose, naheliegende Lösungen
Erst 2019 hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem Länderbericht zu Luxemburg festgehalten, dass das Großherzogtum dafür sorgen solle, sein Wirtschaftswachstum nachhaltiger zu gestalten, so dass mehr Menschen davon profitierten. Die Studie betont, dass besonders im Bereich des Wohnungsmarktes Handlungsbedarf bestehe. Dieser müsse ausgeglichener werden.
Solange wir eine Politik haben, die die Rechte und Interessen der Immobilien- und Grundbesitzer vertritt, wird nicht viel passieren.“
Tom Becker, Raumplanung- und Urbanistik-Forscher
Das Land sei dabei, Menschen vom Wohnungsmarkt zu vertreiben, ohne die seine Städte nicht funktionieren würden: Pflegepersonal, Köche und Kellner, Verkäufer und Kassierer können sich kaum noch eine Wohnung im Land bzw. in der Nähe ihres Arbeitsplatzes leisten. Die Tendenz verschärft sich von Jahr zu Jahr.
Empfehlungen liefert die OECD gleich mit: Besonders in der Steuerpolitik sowie im sozialen Wohnungsbau sieht sie Handlungsbedarf. Eine Reform der laufenden Steuern auf unbewegliches Vermögen müsse dafür sorgen, dass es für den Besitzer zu teuer werde, verfügbares Bauland nicht zu nutzen. Zu den weiteren möglichen Maßnahmen gehöre, die Wohndichte zu erhöhen, Grundbesitzer und Bauherren für die Nichtnutzung von Baugenehmigungen zu sanktionieren und die steuerliche Absetzbarkeit von Hypothekenzinsen schrittweise zu verringern oder auslaufen zu lassen. Wohngeld und Sozialwohnungsmieten sollten an die Höhe der lokalen Mieten geknüpft werden.
Blau-rot-grüne Prioritäten
Die Diagnose für die Wohnungsproblematik ist gestellt, Lösungsansätze liegen auf dem Tisch, doch will die Politik das Problem lösen? Und wenn ja, wie? Im Koalitionsprogramm sind sieben Prioritäten formuliert, die dem akuten Wohnungsmangel entgegentreten sollen. Die Fleißarbeit ist zumindest teilweise getan: So stellte Henri Kox Anfang Juli eine Liser-Studien vor, die den Begriff des „erschwinglichen Wohnraums“ klarer bestimmt. Dies kann als grundlegender erster Schritt verstanden werden, um relativ zeitnah die Reform des Gesetzes über die Wohnungsbeihilfen (Punkt 1) zu realisieren.
Ebenso sollen die Reform des Mietgesetzes (Punkt 7) und die zweite Auflage des Wohnungspakt 2.0 (Punkt 5) „noch vor dem Sommer“ präsentiert werden. Weniger klar ist jedoch weiterhin, welche konkreten Maßnahmen die Regierung zur „Bekämpfung der Bodenspekulation“ (Punkt 7) oder der „Mobilisierung von Bauland“ (Punkt 3) ergreifen möchte. Das Koalitionsprogramm bleibt zudem sehr schwammig im Hinblick auf die Schaffung von erschwinglichem Wohnraum, lediglich von „Dynamisierung“ ist die Rede (Punkt 2).
Die sieben Prioritäten des Koalitionsprogramms
- Vollständige Überarbeitung des geänderten Gesetzes vom 25. Februar 1979 über die Wohnungsbeihilfe und das Beihilfensystem für Wohnungen, um die Begriffe „Sozialwohnungen“ und „erschwingliche Mietwohnungen“ klarer zu definieren.
- Dynamisierung der Schaffung von Sozialwohnungen und erschwinglichem Wohnraum.
- Mobilisierung von Bauland.
- Verstärkter Einsatz von Maßnahmen zur Steigerung des Angebots (Flächennutzungspläne, Stadtentwicklung, Naturschutz).
- Neuer Pacte Logement 2.0 – „Staat-Gemeinden“.
- Verbesserung der städtebaulichen Qualität, der Lebensqualität und des Zusammenhalts in den einzelnen Stadtvierteln, sowie Verbesserung der Bauqualität, der Energieeffizienz und der Baubiologie.
- Bekämpfung der Bodenspekulation und Verbesserung der Transparenz von Mietpreisen.
Definition von „erschwinglichem Wohnraum“
„Ein Bauträger oder Investor hält sich doch nicht an Empfehlungen einer Studie“, sagt der CSV-Abgeordnete Marc Lies im Gespräch mit REPORTER. „Wir brauchen ein Gesetz, das klar definiert, was unter erschwinglichem Wohnraum zu verstehen ist“, so Lies. Eine nationale Lösung bei der Schaffung einer Spekulationssteuer, sowie steuerliche Anreize für Bodenbesitzer, ihr Bauland an die öffentliche Hand zu verkaufen, sind laut des CSV-Abgeordneten weitere unabdingbare Maßnahmen im Kampf gegen die Wohnungsnot. Ebenso wie ernsthafte Überlegungen zur Ausweitung des Perimeters, also jener Flächen, die überhaupt zur Bebauung in Frage kommen dürfen.
Wir werden die Welt nicht retten, aber wir geben uns große Mühe, ein Stück mit anzupacken.“Guy Entringer, Direktor der SNHBM
„Passiert ist in dieser Hinsicht in den letzten Jahren gar nichts“, meint Marc Lies. Für ihn liegt die Ursache für das zögerliche Handeln an „den Ideologien der nationalen Politik“. Ein Wohnungsbauministerium in DP-Hand würde nicht seine eigene Klientel mit Steuern abschrecken, so der Député-Maire von Hesperingen. Dafür hätte er sogar Verständnis. Und nun, in grüner Hand und mit starker Unterstützung aus dem grünen Umweltministerium sei es die Naturschutz-Ideologie, die einer zielgerichteten Wohnungsbaupolitik Steine in den Weg lege.
Öffentliche Bauträger nur ein Teil der Lösung
Dabei hat das Wohnungsbauministerium in den letzten Wochen zumindest in seiner Kommunikation zugelegt. Erst die Präsentation der beiden Liser – Studien, wichtige Vorarbeit für die nun zeitnah in Aussicht gestellten Reformen des Mietgesetzes und des Gesetzes zu Wohnungsbeihilfen. Dann folgte die zweite Auflage des Pacte Logement, die auch nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen dürfte.
Hinzu kommt die regelmäßige Präsentation von großen Bauprojekten, die der Staat oder auch einzelne Gemeinden meistens direkt mit Bauträgern wie dem Fonds du Logement oder der Société Nationale des Habitations à Bon Marché (SNHBM) plant und realisiert.
Seit seiner Gründung im Jahr 1979 hat der Fonds du Logement exakt 4.091 Wohneinheiten fertig gestellt, seit 2013 waren es 651. In Planung sind momentan weitere 4.200 Wohneinheiten – allerdings ohne Zeithorizont. Auf Nachfrage heißt es, der Fonds du Logement sei parallel ständig auf der Suche nach bebaubarem Boden, um schnellstmöglich mit weiteren Bauprojekten beginnen zu können.

„Wir werden die Welt nicht retten, aber wir geben uns große Mühe, ein Stück mit anzupacken“, sagt Guy Entringer, Direktor der SNHBM im Gespräch mit REPORTER. Während die Agentur von 2005 bis 2014 noch etwa 80 Wohnungen pro Jahr baute, verfolge sie seit 2015 ein anderes Ziel: 250 Wohnungen pro Jahr seien nun geplant.
Zur Zeit sind noch knapp tausend Wohnungen der SNHBM im Bau, wie aus dem aktuellen Aktivitätsbericht hervorgeht. „Der Bau wird komplizierter“, erklärt Guy Entringer die Verzögerung der Fertigstellung. Zum einen liege dies an den Prozeduren, vor allem aber seien viele Baufirmen überlastet und hätten „Schwierigkeiten, das Timing einzuhalten“, so Entringer.
Öffentlich, erschwinglich und nachhaltig
In der vergangenen Woche stellte auch der Fonds du Kirchberg ein neues Großprojekt vor: 7.000 zusätzliche Wohnungen sollen in den nächsten zwanzig Jahren entstehen. Kurzfristig, noch vor 2023, sollen die ersten rund 750 Wohnungen in den Sektoren Reimerwee, Kiem und auf einem Landstück an der Südseite der avenue John F. Kennedy zum Verkauf angeboten werden. Öffentlich, erschwinglich und nachhaltig: Diese drei Adjektive führen wie ein roter Faden durch die Kommunikation der Wohnungsbaupolitik.
Es geht hier nicht darum, der Omi ihren Acker weg zu nehmen, sondern darum, den Spekulanten einen Riegel vorzuschieben.“David Wagner, Abgeordneter von Déi Lénk
„Das Gesicht des Kirchbergs wird sich bald verändern. Die Satellitenstadt wird zu einem urbanen Viertel mit einer angenehmen Lebensatmosphäre“, verspricht Francois Bausch. Während sich heute Tag für Tag zehnmal mehr Erwerbstätige als Einwohner auf dem Kirchberg bewegen, soll sich dieses Verhältnis auf 5 zu 2 reduzieren.
Um einem völlig segregierten Viertel entgegenzuwirken, setzen die Verantwortlichen verstärkt auf den Ansatz der „sozialen Vermischung“. Diese soll durch die Förderung von „erschwinglichem Wohnraum“ erreicht werden. Sozialer Wohnraum also, der seine Preise sowohl für Eigentum als auch für Miete je nach Einkommen und Zusammensetzung staffelt und somit Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten in einem Viertel zusammenbringt. „Wir haben auf dem Kirchberg eine außergewöhnliche Gelegenheit, unsere Wohnungsbaupolitik, die der Logik einer differenzierten Erschwinglichkeit folgt, in großem Maße umzusetzen“, sagt Henri Kox.
Ein Land der Wohnungseigentümer
„Ich bin eher skeptisch gegenüber der Präsentation solcher Großprojekte“, sagt David Wagner (Déi Lénk) auf Nachfrage von REPORTER. „Was Luxemburg braucht, um die Wohnungsnot in den Griff zu bekommen, sind strukturelle Reformen.“ Laut Wagner: Erhöhung der Grundsteuer, Einführung einer Spekulationssteuer und wenn das alles nicht greife: Enteignung. „Es geht hier nicht darum, der Omi ihren Acker weg zu nehmen, sondern darum, den Spekulanten einen Riegel vorzuschieben“, so der Linken-Politiker.
„Solange wir eine Politik haben, die die Rechte und Interessen der Immobilien- und Grundbesitzer vertritt, wird nicht viel passieren“, bringt es Tom Becker auf den Punkt. „Die Politik weiß ganz genau, wo das Problem liegt, ist aber nicht gewillt, es an der Wurzel anzupacken, da es weh tun könnte“, so der Urbanistik-Forscher. Viele Maßnahmen der letzten Jahre seien somit nichts weiter als Makulatur. „Es reicht nicht, die Symptome des Wohnungsproblems zu bekämpfen, wenn das eigentliche Problem – die Wirtschaftspolitik Luxemburgs – nicht kritisch hinterfragt werden darf“, so Tom Becker.
Die Politik widerspricht diesem Befund noch nicht einmal. Es sei eben „eine Situation mit vielen Widersprüchen“, beschrieb Premier Xavier Bettel (DP) in seiner Regierungserklärung vom Dezember 2018 die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Auch er nannte die hohen Preise als eine unmittelbare Konsequenz der erfolgreichen Wirtschaft. Doch wie so oft blieb es an dieser Stelle bei der Problemdiagnose.
Apropos Diagnose: Laut Eurostat sind 74 Prozent der Haushalte in Luxemburg Eigentümer. Bei jenen mit Luxemburger Nationalität beläuft sich die Zahl auf stolze 85 Prozent, von denen 20 Prozent sogar Multi-Eigentümer sind. Luxemburg sei eine „démocratie de propriétaires“, schrieb der Ökonom Michel-Edouard Ruben in einer Analyse für die Fondation IDEA. Eine Eigentümer-Demokratie, die das laut ihren politischen Vertretern offenbar auch bleiben möchte.