Vom Gesundheitsministerium bis zum DP-Fraktionschef: Dass „Der Spiegel“ Luxemburg auf dem zweiten Rang eines Corona-Ländervergleichs führte, empfand Blau-Rot-Grün als Bestätigung ihrer Politik. Doch die Details lassen das Selbstlob in einem anderen Licht erscheinen.

„So viel Sicherheit wie nötig, so viele Freiheiten wie möglich: Mit diesem Leitmotiv sind wir bisher zusammen besser durch diese Krise gekommen als die meisten Länder in Europa. Eine rezente Studie des ‚Spiegel‘ hat das auf eindrucksvolle Weise untermauert“, sagte der DP-Fraktionsvorsitzende Gilles Baum bei der Debatte über den Waringo-Bericht vergangene Woche. Das Gesundheitsministerium teilte das vorgeblich gute Ergebnis der gleichen Studie über die sozialen Medien.

Der Hintergrund: Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ging in der zweiten Juli-Ausgabe der Frage nach, „welche Länder am besten durch die Krise kommen“. Tatsächlich lautet das Ergebnis: „Berücksichtigt man alle 154 Länder der Erde, die mehr als eine halbe Million Einwohner haben, sind Finnland, Norwegen und Luxemburg die Spitzenreiter“.

Auch die grüne Fraktionschefin Josée Lorsché verwies vergangene Woche auf das positive Ergebnis. „Bei internationalen Studien muss man manchmal vorsichtig sein“, schränkte sie allerdings ein. Auch CSV-Parteichef Claude Wiseler relativierte: Das Ranking gebe ein positives Bild Luxemburgs im Ausland ab. „Das kann aber keine Ausrede sein, um die detaillierte Analyse der Regierungspolitik nicht zu machen“, betonte der Oppositionspolitiker im Parlament.

In der Tat basiert das Ranking auf vier sehr unterschiedlichen Kriterien: der Übersterblichkeit, der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes (BIP), dem Impffortschritt und der Stringenz der Corona-Maßnahmen. In der Gesamtnote schneidet Luxemburg gut ab, aber die Ergebnisse der einzelnen Komponenten sind sehr gemischt.

Ein „Genügend“ für die Gesundheitsministerin

„Ein Land erhält in jeder der vier Kategorien eine Note zwischen 1,0 und 6,0. Die Note hängt davon ab, wo sich der Wert des Landes in einer Kategorie zwischen den schlechtesten und besten Werten aller 170 untersuchten Länder einsortiert“, erklären die „Spiegel“-Journalisten ihre Vorgehensweise. Die Gesamtnote ist dann der Durchschnitt der einzelnen Noten.

Bemerkenswert ist dabei: Obwohl ihr Ministerium das „Spiegel“-Ranking sowohl auf Twitter als auch auf Facebook postete, distanzierte sich Paulette Lenert am Donnerstag davon. „Ich habe den Artikel noch vor keinem Mikro erwähnt. Er beschäftigt sehr viele Menschen, ich habe viel darüber gehört und gelesen“, sagte die Gesundheitsministerin im Parlament.

Mit gutem Grund äußerte sich die Ministerin etwas zurückhaltender, denn tatsächlich sind die Kriterien, die ihr Ressort betreffen, nicht so berauschend. Bei der Übersterblichkeit kommt Luxemburg auf den 29. Rang unter 154 Ländern. Beim Kriterium der mindestens einmal geimpften Personen ist es Rang 21.

Mit 37 zusätzlichen Todesfällen auf 100.000 Einwohner ist die Bilanz in Luxemburg zwar weniger schlecht als in Deutschland (47), Frankreich (113) und Belgien (156). Finnland, das in der Gesamtwertung auf Platz 1 steht, hatte allerdings nur zehn zusätzliche Todesfälle auf 100.000 Einwohner. Bei der Impfquote liegt Luxemburg mit 54,5 Prozent vor Frankreich (49,9 Prozent), aber hinter Belgien (61,7) und Deutschland (54,7). Die Daten geben den Stand vom 30. Juni wieder.

Glänzende Wirtschaftszahlen

Ein wichtiger Faktor in der Bewertung ist schließlich die Wirtschaftsleistung. In Luxemburg hielt sich der Einbruch der Wirtschaftstätigkeit in Grenzen. Das BIP-Wachstum fiel 2020 vier Prozentpunkte geringer aus als Ende 2019 vorhergesagt. Nur Irlands Volkswirtschaft gelang es in der EU besser, durch die pandemiebedingte Krise zu kommen. „Der Spiegel“ griff dabei auf Zahlen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zurück.

Das Problem ist allerdings, dass das BIP in Luxemburg weniger Aussagekraft über den Zustand der Wirtschaft hat als in anderen Ländern. Sowohl der Wirtschafts- und Sozialrat als auch das Statistikamt Statec warnten schon mehrmals, dem BIP in Luxemburg allzu große Bedeutung beizumessen. Das Problem: Je nachdem, welche Vermögenswerte internationale Konzerne hierzulande verbuchen, sinkt oder steigt das BIP. In Irland ist dieses Phänomen noch ausgeprägter. Zudem ist klar, dass die Finanzbranche hierzulande einen wesentlichen Anteil an den vergleichsweise guten Zahlen hat.

Allerdings beziehen sich die Zahlen auch auf die finanz- und wirtschaftspolitische Performance. Als „schnell, gezielt und angemessen“ würdigte der IWF die Hilfsmaßnahmen der Regierung für die Luxemburger Wirtschaft. Mit großzügigen Hilfen hat Blau-Rot-Grün den größten Schaden abgewendet. Auch wenn die Unternehmen letztlich deutlich weniger Hilfen in Anspruch nahmen als ursprünglich geplant.

Die späte Reaktion im Herbst

Schaut man sich die dem Ranking zugrunde liegenden Zahlen an, hob Luxemburg sich von anderen Ländern ab, was die Entwicklung im Herbst und Winter 2020 betrifft. Im vierten Trimester wuchs die Luxemburger Wirtschaft um 1,7 Prozent, doch in der Eurozone insgesamt schrumpfte die Wirtschaft um 0,7 Prozent. Die zweite Diskrepanz: Luxemburg ist eines der wenigen Länder, das in der zweiten Welle eine deutlich höhere Übersterblichkeit zu verzeichnen hatte als in der ersten.

Vor allem im November und Dezember 2020 starben in Luxemburg überdurchschnittlich viele Menschen, zeigen die Zahlen des Statec. Das ist unter anderem ein Abbild der Lage in den Alters- und Pflegeheimen, in denen zwischen Oktober 2020 und Januar 2021 190 der insgesamt 345 Todesfälle verzeichnet wurden. Der Waringo-Bericht hebt hervor, dass dies vor allem darauf zurückzuführen sei, dass die Luxemburger Regierung deutlich später reagierte als in den Nachbarländern.

Mit Bezug auf das Ranking analysierte Claude Wiseler, dass Luxemburg zu Beginn der Pandemie „gut und schnell gehandelt hat“. In der zweiten Welle sei die Lage jedoch eine ganz andere gewesen: „Zwischen November und Dezember hatten wir quasi europaweit die schlechtesten Zahlen sowohl bei den Infektionen als auch bei den Todesfällen“, betonte der CSV-Abgeordnete.

Das zeigt sich auch in einem Datensatz, den „Der Spiegel“ für die Bewertung der Corona-Maßnahmen nutzte: der „COVID-19 Government Response Stringency Index“ der Universität Oxford. Während Luxemburg in der ersten Welle mit die strengsten Regeln hatte, änderte sich das ab Mai 2020, als der Lockdown endete. Am deutlichsten wird die Diskrepanz zu anderen Ländern ab dem Herbst: Da liegt Luxemburg im Mittelfeld, während die Infektionen gleichzeitig zunahmen.

„Das hätten wir nicht durchbekommen“

Im vergangenen November wollte die blau-rot-grüne Mehrheit noch einen Teil-Lockdown verhindern – und zwar mit zum Teil irreführenden und falschen Argumenten. Die Konsequenz waren steigende Infektionszahlen und Todesopfer. Gleichzeitig kann man davon ausgehen, dass die Wirtschaft durch den Kurs von Blau-Rot-Grün Ende 2020 weniger litt als in anderen Ländern.

Die Gesundheitsministerin kann denn auch die Kritik des Waringo-Berichts bezüglich des zu späten Handelns in der Herbstwelle nachvollziehen. „In der Rückschau ist es klar, dass wir strenger hätten eingreifen müssen. Andere Länder haben härter eingegriffen. Aber ich bin nicht sicher, dass wir Maßnahmen wie in Belgien zu diesem Zeitpunkt durchbekommen hätten. Wir hätten nicht den politischen Rückhalt gefunden, um das so schnell und so radikal durchzusetzen“, sagte Paulette Lenert anlässlich der Pressekonferenz am vergangenen Dienstag.

Als erfolgreichen „Luxemburger Weg“ bezeichnete dagegen Gilles Baum die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit, die die Regierung gefunden habe. Die Folgen dieser Politik schienen dem Chef der DP-Fraktion nicht bewusst gewesen zu sein. Bei der Vorstellung des Waringo-Berichts fragte er: „Wurde eine Übersterblichkeit in den Altersheimen festgestellt?“ Die Naivität der Frage überraschte auch den Epidemiologen Joël Mossong, der als Mitglied der Expertengruppe die klare Antwort gab: Ja, und zwar vor allem im November und Dezember. Diese Monate erklären auch das schlechte Ranking Luxemburgs in Bezug auf die Übersterblichkeit.

Schaut man sich die Komponenten des „Spiegel“-Rankings an, ergibt sich demnach ein differenziertes Bild, das durchaus Argumente für einen Erfolg der Regierung liefert. Doch diese Argumente sind nicht so eindeutig, wie es manche Vertreter der Regierungskoalition der Öffentlichkeit glauben machen wollen.