Die Rüstungsausgaben steigen seit Jahren deutlich an. Doch bei der strategischen Ausrichtung der Verteidigungspolitik bleibt die Regierung im Ungefähren. Eine fundierte Debatte über Sinn und Zweck der Luxemburger Armee ist so kaum möglich. Eine Analyse.

„Les lignes directrices de la défense luxembourgeoise à l’horizon 2025 et au-delà ont été complétées en 2018 par un Plan directeur. Ce plan est cependant classifié et n’est donc pas accessible au grand public.“

Es ist ein unscheinbarer Satz in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Die Abgeordnete Stéphanie Empain (Déi Gréng), selbst mit beruflicher Vergangenheit im Etat-Major der Armee und nun Vorsitzende der Verteidigungskommission im Parlament, hatte sich bei Verteidigungsminister François Bausch (Déi Gréng) nach dem „Plan directeur de la défense“ erkundigt. Ziel des Dokuments: Die Marschrichtung der Luxemburger Armee für die Zukunft verbindlich festzulegen. Jährlich soll das Dokument angepasst und aktualisiert werden.

Die Antwort des Ministeriums sagt jedoch viel darüber aus, wie sich das Ministerium die Debatte über die Militärstrategie vorstellt. Dass es Bereiche in der Verteidigungspolitik gibt, die der Geheimhaltung unterliegen, ist zwar nachvollziehbar. Dass aber ausgerechnet der „Plan directeur“ darunter fallen soll, also die Leitlinien der Verteidigungspolitik Luxemburgs, erschwert eine öffentliche Auseinandersetzung über dieses nicht ganz unwichtige Politikfeld.

Dabei verfolgt der „Plan directeur“ eigentlich ein löbliches Ziel. Lange geplant und unter dem damaligen Verteidigungsminister Etienne Schneider (LSAP) umgesetzt, sollte er gemeinsam mit den „Lignes directrices“ Luxemburgs Verteidigungspolitik nachvollziehbarer und transparenter – und somit nicht zuletzt demokratischer machen. Oder wie es in den „Lignes directrices“ des Ministeriums selbst heißt: „Ces deux documents faciliteront le contrôle démocratique de la politique de défense, en exposant en toute transparence les principes et les objectifs de la politique de défense.“

Die Rolle des Parlaments

Dass bereits der erste „Plan directeur“ zur Verschlusssache wurde, widerspricht jedoch diesem Willen zu mehr Transparenz. In Luxemburg ist die demokratische Kontrolle der Armee ohnehin diffus. Anders als etwa Deutschland hat Luxemburg keine sogenannte Parlamentsarmee. Dort sind Auslandseinsätze Sache des Bundestags und führen regelmäßig zu heftigen parlamentarischen Debatten. Gesetzlich gefestigt ist die „Parlamentsarmee“ spätestens seit 2005 durch das sogenannte Parlamentsbeteiligungsgesetz. Es regelt nicht nur, wie über Auslandseinsätze entschieden wird, sondern auch wann: Einsätze im Ausland sind auf ein Jahr beschränkt und müssen dann durch den Bundestag verlängert werden.

Die Luxemburger Verfassung sieht die Beteiligung des Parlaments hingegen nur indirekt vor. Denn Artikel 96 bietet Verteidigungsministern viel Spielraum, wann und wie sie das Parlament überhaupt einbeziehen: „Tout ce qui concerne la force armée est réglé par la loi.“ In der Praxis findet der Artikel zumeist in zwei Fällen Anwendung: Bei Finanzierungsgesetzen für Militärausgaben und bei Reformen des Armeegesetzes.

Zu einer generellen Anpassung der gesetzlichen Basis der Armee kam es in den vergangenen 25 Jahren bisher drei Mal. 1997 wurde unter dem damaligen Verteidigungsminister Alex Bodry (LSAP) der Rahmen für Friedensmissionen geschaffen – unter dieses Mandat fällt etwa der Einsatz der Armee in Mali. 2002 wurde der Militärdienst für EU-Bürger geöffnet, sofern sie bereits 36 Monate in Luxemburg leben.

2007 schließlich wurde unter Jean-Louis Schiltz (CSV) die gesetzliche Basis für die „Unité de disponibilité opérationelle“ gelegt. Seitdem können Mitglieder der operationellen Einsatzgruppe schnell und flexibel zu NATO-Missionen entsandt werden. Anwendung fand das Gesetz beispielsweise bei der Operation Enhanced Forward Presence in Litauen 2018, bei der Luxemburger Einheiten eingebettet in einer gemeinsamen „Battlegroup“ mit Belgien beteiligt waren.

Großprojekte vor Transparenz

Damit haben Auslandseinsätze der Luxemburger Armee zwar eine gesetzliche Basis, doch eine effektive parlamentarische und somit demokratische Kontrolle fehlt noch. Daran ändert auch die letztes Jahr beschlossene Änderung des Gesetzes zu Auslandseinsätzen nur wenig. Auch wenn das Parlament dadurch in Zukunft über Auslandseinsätze beraten soll, Entscheidungsgewalt hat es durch die Reform nicht. Denn über die Auslandseinsätze entscheidet der zuständige Minister weiterhin selbst.

Hinzu kommt hierzulande noch die besondere Rolle des Monarchen in der Verteidigungspolitik. Denn auch wenn der Verteidigungsminister für das operative Geschäft der Armee zuständig ist, unterstehen die Streitkräfte rein verfassungsrechtlich dem Großherzog: „Le Roi Grand-Duc commande la force armée, déclare la guerre et fait les traités.“

Das Großherzogtum ist auch in diesem Punkt Frankreich deutlich näher als Deutschland, was die Rolle der Armee im Staat betrifft. Schließlich obliegt auch in Frankreich die Befehlsgewalt über die Armee nicht dem Parlament, sondern ebenfalls dem Staatsoberhaupt, also aktuell Präsident Emmanuel Macron.

Steigende Rüstungsausgaben und abnehmender Wille zur Debatte über strategische Fragen sind zwei Konstanten der jüngeren Luxemburger Verteidigungspolitik. (Foto: Armée luxembourgeoise)

Doch anders als Frankreich hat Luxemburg nur eine sehr begrenzte Truppenstärke. Sinnvoll erscheint Luxemburgs Armee also nur als Teil eines größeren Ganzen. In diesem Zusammenhang verweist das Verteidigungsministerium gerne auf den „Multilateralismus“. Eine Definition, was dieses vage Konzept der internationalen Politik konkret für Luxemburgs Militärstrategie bedeutet, bleiben die politischen Verantwortlichen jedoch schuldig.

Derweil versuchten sowohl Etienne Schneider als auch François Bausch die luxemburgischen NATO-Verpflichtungen durch rüstungspolitische Großprojekte zu erfüllen. Sei es durch den Verteidigungssatelliten LuxEOsys oder durch die komplette Erneuerung der Einsatzfahrzeuge: Der Geldbeutel ersetzt in Luxemburg oft jede Diskussion über Sinn und Zweck einer eigenen verteidigungspolitischen Strategie.

Das Irritierende an der Sache: Genau bei diesen kostspieligen Projekten hätte der „Plan directeur“ die richtige Basis für eine Diskussion über die strategische Ausrichtung der Armee liefern können. Denn neue Kapazitäten zu schaffen, geht immer einher mit der Frage, wo sie genutzt werden sollen, wozu und mit wem.

Strategie durch die Hintertür

Doch weil diese Chance nicht genutzt wurde, bleibt es in der Verteidigungspolitik beim Ungefähren und bei rhetorischen Zweideutigkeiten. Beispiel: Einsatzfahrzeuge. Sowohl auf die Frage von Reporter.lu als auch auf das Nachhaken von Stéphanie Empain, ob die Beteiligung am französischen Scorpion-Programm strategische Folgen für die Armee hätte, antwortet das Verteidigungsministerium mit einem klaren Nein.

Liest man sich jedoch das Lastenheft zu den Fahrzeugen durch, erklärt das Verteidigungsministerium darin deutlich, die Beteiligung am Scorpion-Programm sei nötig „in order to insure interoperability with preferred deployment partner nations Belgium and France.“ Zudem plant das Verteidigungsministerium in der Begründung des Gesetzentwurfs bereits, die Beteiligung am Scorpion-Programm auszuweiten. Es ist ein Strategiebekenntnis durch die Hintertür – eine mögliche Annäherung an die französische Außen- und Sicherheitspolitik, die es verdient hätte, im Parlament eingehender debattiert zu werden.

Zaghaft gibt sich das Ministerium unterdessen bei der Umsetzung des gemeinsamen belgisch-luxemburgischen Bataillons. Frühestens 2028 soll es operativ sein, erklärte Minister François Bausch auf eine Frage des ADR-Abgeordneten Fernand Kartheiser bei einer Aktualitätsstunde im Parlament. Davor werde eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Ein politisches Bekenntnis zu dem Bündnispartner ist das nicht.

Neues Gesetz und Konkurrenz

Ein weiteres Beispiel: Am 23. Juli hat François Bausch das neue Armeegesetz auf den Weg gebracht. Wie Reporter.lu bereits im Vorfeld berichtet hatte, sieht die Reform neue Karrieren im Militärdienst vor und soll den Anforderungsprofilen der Armee besser Rechnung tragen. Hintergrund für das neue Gesetz ist unter anderem die schwierige Personalsituation bei der Armee. Bereits 2019 stellte ein Bericht zur Lage der Armee fest, dass die Rekrutierung der Armee seit 2007 stagniert.

Das Problem: Die Armee steht sowohl mit den Rettungsdiensten des CGDIS als auch mit der Polizei im Wettbewerb um geeignete Rekruten. Und auch bei Naturkatastrophen, wie dem jüngsten Hochwasser, konkurriert die Armee mit den Rettungsdiensten um Zuständigkeit.

Dabei dürfte die Frage, wofür sich die neuen Rekruten genau verpflichten, ebenso entscheidend sein, wie die Frage danach, in welcher Laufbahn sie das tun. Ein Beispiel, wie man transparent die eigenen Aufgaben und Ziele definiert, hat dabei ausgerechnet ein vermeintlicher Konkurrent geliefert: die Rettungsdienste des CGDIS. Der unter der Regie des Innenministeriums entstandene „Plan National d’Organisation des Secours“ definiert explizit die Aufgabenbereiche und Kompetenzen im Rettungswesen. Zudem legt er bis 2025 detailliert fest, wie die Rettungsdienste sich entwickeln sollen und wie viel neues Personal wofür rekrutiert werden soll. Und nicht zuletzt: Der Plan ist öffentlich.

All diese Beispiele zeigen, was der „Plan Directeur“ hätte sein können: Ein Lenkungsinstrument, das transparent aufzeigt, wie die Armee sich entwickeln und zu welchen Bedingungen dies geschehen soll. Inhaltliche und strategische Leitlinien für Politik und Öffentlichkeit, die als Grundlage und Auslöser für eine tiefer gehende parlamentarische Debatte dienen könnten. Das Interesse an letzterer scheint sich jedoch zumindest im Verteidigungsministerium in Grenzen zu halten.


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