Luxemburg hat eine der kleinsten Armeen der Welt. Um ihre NATO-Verpflichtungen dennoch zu erfüllen, setzt die Armee auf kostspielige Investitionen. Während die Rekrutierung stagniert, steigen die Ausgaben für Rüstungsgüter kontinuierlich. Eine Strategie, die Fragen aufwirft.
Ein Panzer wird es am Ende doch nicht. Auch wenn es wohl ernsthafte Überlegungen gab, die Luxemburger Armee mit einem Radpanzer des französischen Typs „Jaguar“ auszustatten. Dennoch wagten General Steve Thull und der zuständige Verteidigungsminister François Bausch (Déi Gréng) am 2. Juni einen großen rüstungspolitischen Wurf.
Denn die Ankündigung, alle Einsatzfahrzeuge des Typs „Hummer“ und „Dingo“ zu ersetzen, stellt nicht weniger als den größten Rüstungsauftrag in der jüngeren Geschichte dar. Mit einem Maximaletat von 367 Millionen Euro für 80 Fahrzeuge übersteigt der Auftrag die anfänglich für das Militärflugzeug A400 veranschlagten 200 Millionen Euro deutlich.
Auf den ersten Blick reiht sich der Auftrag in Luxemburgs Verteidigungspolitik der vergangenen Jahre ein. Diese beruhte vornehmlich auf der Maxime: Die Sicherheit Luxemburgs wird mit dem Geldbeutel verteidigt. Denn dazu hat sich Luxemburg spätestens seit dem NATO-Gipfel 2014 in Newport verpflichtet. Der Gipfel in der walisischen Hafenstadt markierte dabei eine Trendwende für das gesamte transatlantische Bündnis.
Verteidigung als Investitionspolitik
Waren die Militärausgaben der Bündnispartner, bis auf wenige Ausnahmen, seit dem Ende des Kalten Krieges rückläufig, verpflichteten sich die Mitgliedsländer zu diesem Zeitpunkt erstmals formell, mehr für Rüstung und Verteidigung auszugeben. Hintergrund war unter anderem die Annexion der Krim und von Teilen der Ostukraine durch Russland. Der unterschwellige Tenor des Gipfels: Europa muss mehr tun, um sich selbst verteidigen zu können. Also auch Luxemburg.
Zwei Ziele markieren seitdem die Verteidigungspolitik der NATO-Mitgliedstaaten. Erstens haben sich die Mitglieder dafür ausgesprochen, bis 2024 zwei Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandprodukts für die Verteidigung auszugeben. Zweitens sollen mehr als 20 Prozent davon in Material investiert werden.
Dans de nombreux domaines, des engagements financiers pour des investissements capacitaires ont été pris et l’Armée n’est actuellement pas en mesure de mettre en oeuvre toutes ces capacités faute de personnel qualifié.“Bericht zur Lage der Armee, 2019
Vor diesem Hintergrund befindet sich Luxemburg in einer zwiespältigen Lage. Denn: Bei den Militärausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist Luxemburg seit Jahren das abgeschlagene Schlusslicht unter den Bündnispartnern. So schätzt die NATO, dass das Großherzogtum 2020 nur rund 0,57 Prozent seines BIP für die Verteidigung aufgebracht hat.
Die Regierung scheint sich dieses Zwiespalts durchaus bewusst zu sein. Dies zeigt auch ein Lagebericht zur Ausrichtung der Armee, der dem Kabinett 2019 präsentiert wurde und der Reporter.lu vorliegt. Der Erklärungsversuch, warum Luxemburg die Ziele nicht erreicht, verweist aber zunächst nur auf die wirtschaftliche Dynamik des Landes: „Cet outil est régulièrement remis en question compte tenu de la disparité des PIB des pays respectifs. Le Luxembourg y est fortement pénalisé par son économie stable et forte.“
Militärausgaben im Höhenflug
Die Lösung für das Problem? Den Fokus auf das zweite Ziel der NATO zu legen und mehr als 20 Prozent des Etats in Material zu investieren. Diese Strategie verfolgt Luxemburg mittlerweile mit Nachdruck. In relativen Zahlen fungiert man so seit kurzem als unangefochtener Spitzenreiter bei den Materialausgaben innerhalb der NATO. Machten die Ausgaben für Material 2012 in Luxemburg etwa nur 17,11 Prozent der Militärausgaben aus, ist der Anteil nach dem NATO-Beschluss in Wales sprunghaft angestiegen, auf zunächst 33,33 Prozent im Jahr 2015 und dann 52,5 Prozent im Jahr 2019.
Eine Tendenz, die sich auch im Gesamtetat für die Verteidigung widerspiegelt. Die NATO selbst rechnet in diesem Zusammenhang für Luxemburg für 2020 mit 356 Millionen Euro. Zum Vergleich: 2012 hat Luxemburg nur 167 Millionen Euro für die Verteidigung aufgebracht. Das Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) veranschlagt für Luxemburg für das Jahr 2020 einen Militäretat von 479 Millionen Dollar, was in etwa 396 Millionen Euro entspricht.

Damit läge der Etat von Luxemburg nominal höher als jener von Paraguay, Albanien oder Afghanistan. Im Vergleich zu seinen Bündnispartnern erreicht Luxemburg mit diesen Ausgaben fast jene von Slowenien, einem Land mit über zwei Millionen Einwohnern und einer Truppenstärke von 7.000. Die Luxemburger Armee hingegen zählt nur rund 900 aktive Einsatzkräfte.
Bricht man die Militärausgaben Luxemburgs auf die Pro-Kopf-Ausgaben herunter, liegt das Großherzogtum immer deutlicher über dem Durchschnitt der europäischen NATO-Staaten, mit geschätzten Ausgaben von 555 Euro je Einwohner, die 2020 in die Verteidigung flossen. Zum Vergleich: Belgien gab im gleichen Zeitraum nur rund 424 Euro je Einwohner aus.
Für die kommenden Jahre hat die Regierung bereits beschlossen, dass die Ausgaben weiter steigen sollen. Für 2024 ist ein Budget von 550 Millionen Euro festgelegt, was 0,72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspräche.
Prestigeprojekte treiben Kosten
Ein großes Militärprojekt steht dabei exemplarisch für die Verteidigungspolitik der letzten Jahre: die Pläne rund um einen luxemburgischen Militärsatelliten. Rund 70 Millionen Euro waren anfänglich für das Joint-Venture angesetzt, plus zehn Millionen jährlich über zehn Jahre für Satellitenkapazitäten für den Staat als sogenannten „Anker-Kunden“. Voraussichtliche Gesamtkosten damals: rund 170 Millionen Euro.
Der Kauf wurde dabei als ein Schritt hin zu nachhaltigeren Militärinvestitionen dargestellt, wie die blau-rot-grüne Koalition in ihrem Programm von 2018 noch einmal bekräftigte. Darin heißt es auf Seite 227: „Die Verteidigungspolitik gewährleistet die notwendige Einbindung der nationalen Unternehmen, die aufgrund ihres technischen Know-Hows, ihrer Forschung und ihrer Entwicklung über alle Stärken verfügen, die europäische Kapazitätenentwicklung zu unterstützen.“
Eine zentrale Frage für die luxemburgische Armee bleibt: Wie können aus Material und Investitionen nützliche Fähigkeiten entstehen?“Patrick Fautsch, ehemaliger hochrangiger Offizier
Rüstungsaufträge sollen also möglichst auch einen wirtschaftlichen Mehrwert für Luxemburg abwerfen. So einleuchtend diese Idee erscheinen mag, so schwierig ist die Umsetzung angesichts der begrenzten Truppenkapazität der luxemburgischen Armee. Ein Punkt, den der Rechnungshof bereits 2016 in einem Bericht zur Verteidigungspolitik unterstreicht. Zum Projekt Militärsatellit heißt es dort: „(…) la Cour constate que non seulement une programmation militaire à long terme qui précise les orientations à prendre pour l’armée fait défaut, mais également une programmation visant à développer ou à mettre en place de nouvelles composantes de l’armée.“
Das Projekt rund um den Militärsatellit „LuxEoSys“ verdeutlicht sinnbildlich die Grenzen einer rein ausgabenorientierten Verteidigungspolitik. Denn neben der mangelhaften Planung an sich, ist es auch die fehlende Berücksichtigung von dem für den Betrieb erforderlichen Personal, die die Kosten des Projekts in ungeahnte Höhe treibt. So musste Verteidigungsminister François Bausch der Presse am 13. Juli 2020 erklären, dass Personal und Betrieb des Satelliten in der ursprünglichen Planung überhaupt nicht berücksichtigt worden waren. Voraussichtliche Gesamtkosten für das ganze Projekt, nach aktuellem Stand: 350 Millionen Euro.
Fehlendes Personal, fehlende Strategie
Die ausgedünnte Personaldecke der Armee hat dabei auch Folgen für andere Projekte. Ein Punkt, zu dem im Lagebericht zur Armee von 2019 deutliche Worte gefunden werden: „Dans de nombreux domaines, des engagements financiers pour des investissements capacitaires ont été pris et l’Armée n’est actuellement pas en mesure de mettre en oeuvre toutes ces capacités faute de personnel qualifié.“
Als Beispiel nannte der Bericht, neben dem Militärsatelliten, auch das Drohnenprogramm der Armee. Denn für die Aufklärungsflüge der ferngesteuerten Drohnen sind langfristig vier Offiziere, 40 Unteroffiziere, acht Korporäle und ein Zivilist nötig. Zusätzlich zu den bestehenden Kapazitäten. In diesem Zusammenhang konstatiert der Bericht trocken: „Depuis 2007, l’éffectif réel en personnel de carrière n’a quasiment pas augmenté alors que l’effectif des soldats-volontaires a même baissé.“
Neben der Frage, wie man die Kapazitäten in der Praxis nutzt, ist zudem ungeklärt, wo und mit wem die Armee aktiv werden soll. Die verantwortlichen Minister verweisen in diesem Zusammenhang gerne auf den "Multilateralismus" und die humanitäre und nachhaltige Rolle, die die luxemburgische Armee übernehmen soll. Eine konkretere Antwort auf die Frage, wie genau das in der Praxis aussehen soll, vermeidet die Regierung jedoch.
Diese fehlende strategische Ausrichtung bemängelte auch der Bericht der "Cour des Comptes". Der Rechnungshof forderte deshalb bereits 2016 ein "Weißbuch" für die Armee, welches ihre Entwicklung detailliert skizziert. Und auch wenn 2017 unter Verteidigungsminister Etienne Schneider (LSAP) mit den "Lignes directrices" ein erster Schritt in diese Richtung unternommen wurde, bleibt die Regierung den darin versprochenen verbindlichen "Plan directeur" bis jetzt schuldig.
Verhältnis zu strategischen Partnern
Die Frage nach der strategischen Ausrichtung beschäftigt auch Patrick Fautsch. Der ehemalige Colonel war militärischer Vertreter Luxemburgs in den EU- und NATO-Militärkomitees. Auch für ihn ist es eine der drängendsten Fragen jene nach der langfristigen Strategie: "Eine zentrale Frage für die luxemburgische Armee bleibt: Wie können aus Material und Investitionen nützliche Fähigkeiten entstehen? Und dafür braucht es eine klare Rahmensetzung."
Eine Antwort darauf könne nur in einer engeren Einbindung der luxemburgischen Armee in die Streitkräfte der strategischen Partner liegen, so Patrick Fautsch im Interview mit Reporter.lu. "Letztlich kann die luxemburgische Armee nur ein kleines Rädchen in einem großen Ganzen sein. Doch dabei muss klar sein, dass diese Rolle über eine rein nationale Auslegung der Verteidigungspolitik hinausgehen muss", erklärt er.
Es gibt keinen Automatismus zwischen der Orientierung am Scorpion-Programm, der Beschaffung von neuen Einsatzfahrzeugen und den Entscheidungen, wie und wo die Luxemburger Armee eingesetzt werden soll."Verteidigungsministerium
Wie problematisch diese fehlenden Richtungsentscheidungen sein können, verdeutlicht auch die komplette Erneuerung der Einsatzfahrzeuge der Armee. Denn anders als die belgischen Verbündeten geht die luxemburgische Armee einen Sonderweg. Während Luxemburg die Bestellung alleine abwickelt, hat die belgische Armee die Anschaffung über ein zwischenstaatliches Abkommen geregelt. Für unsere Nachbarn geht die Beteiligung am sogenannten Scorpion-Programm mit einer engeren Zusammenarbeit mit den französischen Streitkräften einher.
So ist Belgien, neben neun weiteren Staaten, schon zuvor der "European Intervention Initiative" beigetreten. Das unter dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ins Leben gerufene Bündnis versteht sich als "Koalition der Willigen" und sieht sich formell als Unterstützer der NATO und der EU. In Verteidigungskreisen löste die Initiative jedoch auch Kritik aus, da die EU mit der "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" (Pesco) seit 2017 bereits über ein ähnliches Bündnis verfügt.
Luxemburg zwischen den Fronten
Luxemburg hielt sich zu der Initiative bis jetzt bedeckt. Der Kauf und die Ausschreibung der neuen Einsatzfahrzeuge erfolgt über die NATO, nämlich über die "Nato Support and Procurement Agency" (NSPA) mit Sitz in Capellen. Die Armee selbst erklärt den Kauf mit Sachzwang. Das aktuelle Material sei veraltet und nicht mehr nachrüstbar. Dies habe unter anderem eine Studie der NSPA selbst ergeben.
Dazu kommt aber, dass das Verteidigungsministerium bereits 2019 den belgischen Rüstungskonzern "Thales" damit beauftragt hatte, eine Studie zur Modernisierung der "Dingo"-Flotte durchzuführen. Kostenpunkt für die Studie: 3,57 Millionen Euro.

Vor dem Hintergrund, dass die luxemburgische Armee öffentlich erklärt, sich am Scorpion-Programm beteiligen zu wollen, erscheint die Ausschreibung über die NATO-Agentur wie ein verteidigungspolitisches Feigenblatt. Denn eigentlich ist bereits klar, welche Einsatzfahrzeuge für die Armee in Frage kommen. Im Scorpion-Programm zur Auswahl stehen entweder die Modelle "Griffon" oder dessen Leichtversion "Serval". Beide werden vom Rüstungskonzern KMW+Nexter Defense Systems gebaut, einer gemeinsamen Holding des staatlichen französischen Rüstungskonzerns "Nexter" und dem deutschen Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann.
Mit dem Auftrag stellt sich vor allem die Frage nach den Folgen für die strategische Ausrichtung der Streitkräfte. Denn das Scorpion-Programm versteht sich als ganzheitliches System, in dessen Zentrum ein eigenes Informationssystem steht. Das sogenannte "Système d'Information de Combat Scorpion" ermöglicht den Informationsaustausch auf dem Schlachtfeld in Echtzeit. Oder wie die französische Armee es ausdrückt: "(...) réduit le temps entre la détection d'une menace et sa neutralisation".
Zwischen Autonomie und Multilateralismus
Mit der Beteiligung am Scorpion-Programm begibt sich Luxemburgs Armee somit in eine paradoxe Lage. Denn Sinn ergibt das System nur im Zusammenspiel mit den anderen Systemen des Programms. Will heißen: In einer Armee, die ebenfalls über diese Waffensysteme verfügt. Das sind bis jetzt Frankreich und Belgien. Doch formal an der belgisch-französischen Kooperation beteiligen, will Luxemburg sich bisher nicht.
Auf Nachfrage von Reporter.lu räumt das Verteidigungsministerium eine "Annäherung" an das französische Scorpion-Programm ein. Über eine bessere "Interoperabilität" mit den belgischen Streitkräften hinaus bedeute dies aber "keine größere Abhängigkeit von der französischen Verteidigungspolitik". "Es gibt keinen direkten Zusammenhang und definitiv keinen Automatismus zwischen der Orientierung am Scorpion-Programm, der Beschaffung von neuen Einsatzfahrzeugen und den Entscheidungen, wie und wo die Luxemburger Armee eingesetzt werden soll", so die Antwort aus dem Ministerium.
So bleibt bis auf Weiteres unklar, welche Folgen diese rüstungspolitische Entscheidung für die Armee haben wird. Sollte es, wie in Armeekreisen bereits angedacht, wirklich zur Schaffung eines belgisch-luxemburgischen Bataillons kommen, stellt sich spätestens dann die Frage nach der Autonomie der luxemburgischen Verteidigungspolitik. Denn durch die engere Kooperation mit Frankreich orientiert sich Belgien bereits jetzt implizit in Richtung eines französischen Selbstverständnisses in der Verteidigung, also hin zu mehr internationalem sicherheitspolitischem Engagement.
Das luxemburgische Bekenntnis zur NATO stünde dann im Missverhältnis zu einer französischen Verteidigungspolitik, die mitunter von Alleingängen geprägt ist. Oder wie es die Politikwissenschaftlerin Claudia Mayor in einer Analyse zur Verteidigungspolitik unter Emmanuel Macron formuliert: "Flexibler Minilateralismus kann als Leitmotiv gelten. (...) Diese Flexibilität schließt unilaterale Ansätze ein, die greifen sollen, wenn aus französischer Sicht die europäischen Partner zu langsam oder gar nicht reagieren, Paris aber eine Reaktion als erforderlich ansieht."