Der Militärsatellit „LUXEOSys“ soll eigentlich ein Projekt der Luxemburger Armee werden. Nun stellt sich heraus, dass der Generalstab nicht in die Planungsphase eingebunden wurde. Eine Geschichte von systematischer Fehlplanung und einem überforderten Ministerium.

Am Montag zündete der Oberbefehlshaber der Armee eine kleine Bombe im Haushaltskontrollausschuss. „Wir sind heute Mittag aus allen Wolken gefallen“, sagte Diane Adehm (CSV) nach der Sitzung. Die Vorsitzende des Ausschusses erklärt, dass die Armee nicht in die Planung des „LUXEOSys“-Projekt eingebunden wurde. Dies habe der Generalstabschef der Luxemburger Armee, Alain Duschène, in der Unterredung mit den Abgeordneten behauptet.

Alain Duschène soll erst durch die Publikation des Gesetzentwurfs erfahren haben, dass die Antennen für die Steuerung des Erdobservationssatelliten „LUXEOSys“ auf dem Gelände der Kaserne gebaut werden sollen. Zudem wurde er bis dahin nicht darüber informiert, dass die Armee die Steuerung des Satelliten übernehmen solle. Beides stellte sich später als unmöglich heraus. Die Aussagen des Generals veranschaulichen dabei das dilettantische Vorgehen des Ministeriums. Es ist eine Chronik des zu erwartenden Scheiterns.

Zuerst das Gesetz, dann der Plan

In der letzten Sitzungswoche im Juli 2018 musste alles ganz schnell gehen. Es war für die Regierung die letzte Gelegenheit, Gesetze und Verordnungen vor den Parlamentswahlen zu verabschieden. Der damalige Verteidigungsminister Etienne Schneider (LSAP) nutzte den Zeitpunkt, um die Finanzierung von mehreren Militärprojekten zu sichern. Insgesamt wurde in dem besagten Monat ein Budget von 590 Millionen Euro verabschiedet – davon sollten 170 Millionen auf das Projekt „LUXEOSys“ entfallen.

In seinem Gutachten gab der Staatsrat dem Projekt zwar grünes Licht. Allerdings bedauerten die Gesetzesprüfer, dass „unter dem Deckmantel der Vertraulichkeit der laufenden Verhandlungen, weder Informationen über die Investitions- noch Betriebskosten mitgeteilt“ wurden. Tatsächlich wusste offenbar selbst das Ministerium noch nicht, wie die Kosten aufgeteilt werden würden – und wie hoch sie letztlich ausfallen sollten.

Das „LUXEOSys“-Projekt

Während des NATO-Gipfels in Wales im Jahr 2014 erklärte die Regierung, das Budget für Militärausgaben von 0,4 auf 0,6 Prozent zu erhöhen. Vier Jahre später liefen die Vorbereitungen für den „LUXEOSys“-Satelliten an. Der Satellit soll hochauflösende Fotos von der Erde liefern, die zum Beispiel den Behörden im Fall einer Umweltkatastrophe bei der Krisenbewältigung helfen sollen. Im Schnitt soll der Satellit etwa 100 Fotos pro Tag an die Erde übertragen. Luxemburg hat sich gegenüber der NATO dazu verpflichtet, den Satelliten 2023 in Betrieb zu nehmen.

Laut dem heutigen Verteidigungsminister François Bausch (Déi Gréng) wurde das Unternehmen „OHB-I“ im Januar 2018 mit einer Machbarkeitsstudie des Projekts beauftragt. Diese kam fünf Monate später zum Schluss, dass das vorgesehene Budget nicht ausreiche. Allerdings befand sich der Gesetzentwurf zu dem Zeitpunkt bereits seit zwei Monaten im Parlament. Um eine kurzfristige Anpassung des Betrags zu umgehen, suchte das Ministerium nach Möglichkeiten, den Preis zu drücken oder andere Mittel zur Finanzierung einzusetzen. Später erklärt Etienne Schneider, dass eine Anpassung notfalls im Herbst 2018 noch möglich gewesen wäre, er dann aber bereits nicht mehr Minister gewesen sei.

Ministerialer Flickenteppich

Ex-Minister Etienne Schneider erklärte nach der Ausschusssitzung Ende Juni, dass das Unternehmen 168 Millionen Euro für den Bau der Antennen und des Satelliten forderte. Damit blieben weniger als zwei Millionen Euro zum Betreiben des Satelliten übrig – vorgesehen waren für letztereren Punkt jedoch 15 Millionen Euro.

Es folgten mehrere Bemühungen, das Projekt mit dem vorgegebenen Budget durchzuführen. Nachdem Offizier Geoffroy Beaudot seine Vorgesetzten über die Probleme informierte, wurde er angewiesen, eine sogenannte „Request for Information“-Prozedur einzuleiten. Mehrere Unternehmen wurden demnach vom Ministerium aufgefordert, einen Preisvorschlag für das Projekt einzureichen, jedoch lag keines unter dem Preis von „OHB-I“. Die Hoffnung, das Unternehmen durch die neue Konkurrenzsituation dazu zu bewegen, den Preis zu senken, musste letztlich aufgegeben werden.

Der „LUXEOSys“-Satellit wird auch noch in den kommenden Monaten für Diskussionen im parlamentarischen Ausschuss sorgen. (Foto: Chambre des Députés)

Im September entschied das Ministerium, trotz der höher ausfallenden Kosten, den Vertrag mit „OHB-I“ zu unterschreiben. „Meine Experten sagten mir, wir könnten zehn Prozent der Bilder verkaufen. Selbst mit fünf Prozent hätte man die Zusatzkosten decken können“, sagte Etienne Schneider nach der Ausschusssitzung im Juni. Er hoffte durch den Verkauf von Satellitenfotos die restlichen zwölf Millionen Euro zu erwirtschaften. Eine Idee, die vom zuständigen Beamten während einer Pressekonferenz Mitte Juli als „ein mögliches Konzept“ bezeichnet wurde. Der Verkauf von Bildern war nicht vorgesehen, so Geoffroy Beaudot.

Leichtgläubigkeit und Überforderung

Im neuen Finanzierungsplan von „LUXEOSys“ fallen diese Kosten allerdings nicht weiter ins Gewicht. Die Regierung benötigt nämlich weitere 139 Millionen Euro für die Umsetzung des Projekts.

Den Grund erkannte Schneiders Nachfolger, François Bausch, bereits im Januar 2019: Die Antennen konnten nicht in Luxemburg errichtet werden. Erst zu diesem Zeitpunkt stellte man fest, dass der Standort „Härebierg“ ungeeignet sei. Für den Bau wäre kein Platz vorgesehen, so Bausch während der Pressekonferenz im Juli. Laut mehreren Abgeordneten bestätigte General Alain Duschène am Montag im Parlament diese Aussage und erklärte, dass das Ministerium zuvor nicht im Dialog mit der Armee gestanden habe.

Das Ministerium ist in dem Sinne verantwortlich, dass es dem Parlament ein unvollständiges Projekt vorlegte.“André Bauler, Abgeordneter der DP

„Laut unseren Experten hätte man die neuen Antennen neben den bereits bestehenden auf dem Härebierg bauen können und somit viel Geld sparen können“, sagte Etienne Schneider noch Ende Juni nach einer Ausschusssitzung. Er vertraute den Aussagen seiner Beamten, die allerdings nicht die nötigen Voruntersuchungen durchführten, um dies zu überprüfen, so seine Darstellung. Während der Pressekonferenz Mitte Juli erklärte Offizier Geoffroy Beaudot, dass die Antennen ohnehin nicht ausreichen würden. Für die Übertragung der Satellitenbilder soll zusätzlich eine Antenne am Polarkreis gemietet werden.

Vorher scheint dies allerdings niemandem aufgefallen zu sein. Geoffroy Beaudot erläuterte, dass er zusätzlich zu „LUXEOSys“ noch weitere Projekte wie „LuxGovSat“ leiten musste. „Ich arbeitete als einziger am Projekt“, so Beaudot. Die Überforderung des Beamten war unausweichlich.

Fragwürdige Budgetierung

Weitere Kosten für die Betreibung des Satelliten sollen zwar bereits in der Konzeptionsphase bekannt gewesen sein, wurden aber absichtlich nicht in das Gesetzprojekt integriert. Auch hier widersprechen sich die Aussagen von Etienne Schneider und François Bausch.

Der ehemalige Verteidigungsminister wollte alle Zusatzkosten über den sogenannten „Fonds d’équipement militaire“ laufen lassen. Laut Bausch habe das Ministerium diese Kosten jedoch nicht im Budget des Fonds vorgesehen. Auch Oberbefehlshaber Duschène erklärte während der Ausschusssitzung am Montag, dass kein zusätzliches Budget für neue Posten in der Armee vorgesehen wurde. Dabei sollten sie eigentlich die Steuerung des Satelliten übernehmen. Externe Betreiber sollen nun zumindest in den ersten Jahren die Steuerung übernehmen.

Oberbefehlshaber Alain Duschène soll erst durch den Gesetzestext erfahren haben, dass die Antennen auf dem Gelände der Kaserne errichtet werden sollen. (Foto: État-major de l’armée)

Als François Bausch sich des Ausmaßes der Planungsfehler bewusst wurde, versuchte er vergeblich aus dem Vertrag mit „OHB-I“ auszusteigen. Im Sommer überprüfte „Clifford Chance“ die Möglichkeiten, den Vertrag aufzukündigen. Die Höhe der mit einer Kündigung verbundenen Kosten bewog das Ministerium dazu, das Projekt trotz allem weiterzuführen.

Kurz danach sollte das Audit-Unternehmen „PwC“ die Kosten für Bau und Betrieb des Satelliten überprüfen. Wie „Radio 100,7“ berichtete, lagen die ersten Ergebnisse im Februar 2020 vor und veranlassten den Minister, einen neuen Gesetzesvorschlag einzureichen, der diese Kosten decken sollte. Eine zweite tiefer gehende Analyse des Unternehmens wurde im Juli der Presse vorgestellt. Das Fazit: Etwa 67 Millionen Euro wurden im ersten Gesetzesprojekt nicht angegeben. Weitere 59 Millionen Euro seien zudem nötig, weil die Grundhypothesen, wie etwa der Bau der Antennen in Luxemburg, nicht haltbar seien.

Ausschreibungsprozedur ausgesetzt

Zusätzlich zur Kostenexplosion wirft allerdings auch die Vertragsvergabe Fragen auf. Das luxemburgische Unternehmen „HITEC“ stellte den Kontakt zwischen dem Wirtschaftsministerium und „OHB-I“ her. Die Initiative für das Satelliten-Projekt ging somit von den Herstellern aus. Anschließend erhielt das Unternehmen auch den Zuschlag für den Bau des Satelliten.

Das Problem: Eigentlich müssten solche Projekte vom Staat öffentlich ausgeschrieben werden. Das Ministerium umging die Prozedur, indem man sich auf eine Ausnahmeregelung für wissenschaftliche Projekte berief. Bis jetzt konnte der Haushaltskontrollausschuss nicht abschließend klären, ob das Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge eingehalten wurde. François Bausch erwähnte in der Pressekonferenz im Juli, dass das Parlament den Rechnungshof zur Klärung dieser Frage einschalten könnte.

Die Frage der Verantwortung

Mit den Aussagen des Generals scheint nun vorerst auch die Verantwortung für die Fehlplanung geklärt. Sowohl André Bauler (DP) als auch Djuna Bernard (Déi Gréng) kritisierten das Vorgehen des Ministeriums – und damit auch die Rolle des ehemaligen Ministers Etienne Schneider. „Das Ministerium ist in dem Sinne verantwortlich, dass er dem Parlament ein unvollständiges Projekt vorlegte“, so der Finanzpolitiker André Bauler.

Die Abgeordneten schlossen auch nicht aus, dass man Etienne Schneider sowie aktuelle Verantwortliche aus dem Ministerium noch einmal in den Ausschuss einladen könnte. Sollten dann weitere Widersprüche bestehen, wäre der nächste Schritt ein Untersuchungsausschuss, so David Wagner (Déi Lénk).

Die parlamentarische Aufarbeitung des Sachverhalts soll jedenfalls weitergehen. Am 25. September werden die Verantwortlichen von „LuxGovSat“ eingeladen. Es gilt zu klären, warum das parastaatliche Unternehmen sich nicht an der Ausschreibung für den Betrieb des Satelliten beteiligte, obwohl dies ursprünglich geplant war. Es könnte für die Abgeordneten eine weitere Gelegenheit sein, aus den Wolken zu fallen.


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