Die Grünen sind im Aufwind, auch in Luxemburg. Doch wie erklärt sich der positive Trend der zur braven Realo-Partei gewandelten linken Bewegung? Eine Antwort liegt darin, dass Luxemburgs Grüne schon länger davon überzeugt sind, die besseren Liberalen zu sein. Eine Analyse.

„Die liberalste bzw. freieste Gesellschaft ist nicht die mit den wenigsten Regeln, sondern die, deren Regeln am effektivsten die Lebenswünsche aller Menschen Realität werden lässt.“ Schon im Jahre 2006 identifizierte sich François Bausch mit dem Liberalismus. In einem Beitrag für die Zeitschrift „Forum“ argumentierte der damalige Fraktionschef der Grünen, dass seine Partei durchaus liberal sei.

Mehr noch: „In Bezug sowohl auf die ideologische Kohärenz wie auch auf die konkrete Politik der letzten Jahre kann man die Grünen in der Tat als die besseren Liberalen bezeichnen“, schrieb Bausch. Die „abschätzig gewollte Betitelung der Grünen als ökoliberale Partei“ sei demnach „keine Frechheit, sondern ein Kompliment“.

Über ein Jahrzehnt später zeigt sich: Bausch hat sich mit seiner Liberalismus-Theorie nicht nur in seiner Partei durchgesetzt. Er nahm damals die weitere Entwicklung der Grünen gewissermaßen vorweg. Als „bessere Liberale“ kamen Déi Gréng überhaupt erst in die Position, eine Regierungspartei zu werden. Und als Teil einer liberalen Koalition feierten sie im vergangenen Jahr ihren wohl fulminantesten Wahlsieg.

Die nicht allzu liberalen Wurzeln

Dabei ist die grüne Bewegung nicht wirklich als Vorreiter des Liberalismus gestartet. Die Wurzeln der Partei liegen auch in Luxemburg in der Post-68er Friedensbewegung und in der Anti-Atomkraft-Bewegung. Ideologisch beriefen sich ihre ersten Mitglieder eher auf pazifistische, sozialistische oder post-materialistische Thesen als auf liberale Ideen; eher auf im Ausland aufgegriffene Autoritarismuskritik als auf Freiheitsliebe; eher auf Theodor Adorno und Max Horkheimer als auf Adam Smith und John Stuart Mill.

Die Attitüde einer pragmatischen Regierungspartei, der es um die Sache und nichts als die Sache geht, scheint bei der ebenso pragmatischen grünen Wählerschaft gut anzukommen.“

Doch von Anfang an gab es in der grünen Bewegung mehrere Flügel. Im Vorläufer der heutigen Grünen, der „Gréng Alternativ Partei“ (GAP), versammelten sich Sozialisten und Ex-Trotzkisten, Feministen, Umweltaktivisten und Pazifisten. Aber auch damals gab es schon einen liberalen Flügel, der etwa durch den später abtrünnigen Grünen-Politiker Jup Weber verkörpert wurde. Ein schon bei der Gründung der Luxemburger Grünen entfachter Richtungsstreit führte Mitte der 1980er Jahre zur Spaltung der Partei, die fast zehn Jahre lang anhielt.

Nach den Wahlen 1994 setzte sich aber nach und nach die Auffassung einer Realo-Partei durch. Nicht, dass die Liberalen plötzlich die Partei übernommen hätten. Es war eher so wie in Deutschland, dass die meisten der Ex-Revoluzzer schnell zu Pragmatikern wurden. Das führte einerseits zu einer breiteren politischen Programmatik. Andererseits wurden die Grünen in der Öffentlichkeit jetzt oft auf ihre ökologischen Forderungen reduziert, da sie andere fundamentale Einstellungen aus ihrer Gründerzeit mit der Zeit ablegten.

Grüner Liberalismus und Realismus

Gleichzeitig wurden die Mitglieder und die Wähler der Grünen erwachsen. Die sozialkritischen Studenten und Anti-AKW-Demonstranten von damals sind heute ganz normale Vertreter des Luxemburger Bürgertums. Die grünen Wähler sind in der Regel gut gebildet und arbeiten mehrheitlich beim Staat. Das ist nicht nur ein Klischee, sondern auch die Erkenntnis der Analyse der Wählerstruktur bei vergangenen Wahlen.

In der Opposition trat man zwar als kritisches und moralisches Gewissen auf. In der Sache lagen Luxemburgs Grüne aber schon sehr bald mitten im programmatischen Mainstream.“

Anders als etwa bei der deutschen Schwesterpartei lief die weitere Entwicklung in Luxemburg zudem fast ohne interne Reibungen ab. In der Opposition trat man zwar als kritisches und moralisches Gewissen auf und versuchte sich weiter als Querdenker zu profilieren. In der Sache lagen Luxemburgs Grüne aber schon sehr bald mitten im programmatischen Mainstream. Der grün-alternative Aktionismus von einst wich so wie natürlich einem politisch und sozial angepassten Selbstverständnis.

Demnach war der Schritt zur Regierungspartei 2013 logisch und im Vergleich mit dem Ausland durchaus verspätet. Doch die Gründe für das Verständnis der Grünen als liberale Partei liegen noch einige Jahre vor dem Machtwechsel hin zur Dreierkoalition. Schon ab 2005 konnten sich Déi Gréng nämlich im Schöffenrat der Hauptstadt als loyale Regierungspartei bewähren. Und es war im Rückblick kein Zufall, dass sich die Grünen an der Seite der liberalen DP bald für höhere regierungspolitische Weihen empfehlen konnten.

Fusionsgedanken zwischen DP und Déi Gréng

Die Annäherung zwischen DP und Déi Gréng ging ziemlich weit. Beide Parteien arbeiteten nicht nur im Schöffenrat vertrauensvoll zusammen. Auch in der Opposition auf nationaler Ebene machten sie ab 2004 zunehmend gemeinsame Sache. Dabei gingen sie auch ungewöhnliche Wege, als etwa Vertreter von beiden Fraktionen zusammen Pressekonferenzen abhielten.

Auch hinter den Kulissen vertiefte man die Zusammenarbeit. So gab es regelmäßige informelle Treffen, bei denen man sich über den gemeinsamen Kurs abstimmte und auch über dauerhafte Kooperationsformen austauschte. Man hätte bei diesen Gesprächen sogar mit dem Gedanken einer mittelfristigen Fusion von Grünen und Liberalen gespielt, räumte der frühere Fraktionssekretär der Grünen, Abbes Jacoby, jüngst öffentlich ein.

Gefördert wurde die liberale Allianz vor allem durch das Führungspersonal beider Parteien, das schlicht gut miteinander konnte. Aber auch inhaltlich waren die Gemeinsamkeiten offensichtlich. Beide Formationen verband das Ziel einer fortschrittlichen Justiz- und Gesellschaftspolitik. Auch in der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik lagen die Grünen in den späten 2000er Jahren längst näher an der DP als an der LSAP. Umgekehrt waren die Liberalen seit jeher offener für das Anliegen eines „nachhaltigen“ Wirtschaftsmodells, zumindest in der Theorie.

Die Mode des diffusen „Sozialliberalismus“

Dabei einte beide Parteien freilich ein eher diffuser Liberalismus- und Freiheitsbegriff. „Der wirkliche Liberale ist an erster Stelle dem Schutze und Ausbau der Freiheit und des demokratischen Spielraums aller Menschen verpflichtet“, schrieb François Bausch in dem eingangs zitierten Beitrag „Sind die Grünen die besseren Liberalen?“. „Wenn man nun diese Definition des Liberalismus vorausschickt, dann haben die Grünen in der Tat ein enges Verhältnis zum liberalen Gedankengut“, so der heutige Minister im Jahr 2006.

Was aus den Grünen eine moderne liberale Partei macht, ist letztlich auch der Glaube an das „Sowohl-als-auch“-Prinzip. „Nicht ‚entweder … oder‘, sondern ’sowohl als auch‘. Diese lösungsorientierte Haltung ist seit jeher Teil der Identität unseres Landes“, formuliert es die DP in ihrem letzten Wahlprogramm. Solche Sätze könnten auch eins zu eins im grünen Grundsatzprogramm stehen.

In Wahlkämpfen servieren Déi Gréng den Wählern zwar immer wieder eine Prise Wachstumskritik. Doch ihre Politik spricht eine andere Sprache.“

„En même temps…“: Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte sich das Prinzip im Wahlkampf zu eigen gemacht. Es soll eine ebenso soziale wie liberale, generell unideologische Politik suggerieren, die auf Ausgleich bedacht ist. In letzter Konsequenz ist es aber auch eine gefährliche PR-Strategie. Denn „Sowohl-als-auch“, also der Anspruch, dass man sowohl eine Sache und ihr genaues Gegenteil anstreben kann, kann in der Politik schnell auch als beliebig angesehen werden.

Doch gerade am Beispiel Macron zeigt sich: Auch der Sozialliberalismus bleibt im Zweifel immer noch Liberalismus. Dementsprechend verwahren sich Bausch und seine Parteikollegen natürlich regelmäßig gegen das Label des bösen „Neo-Liberalismus“. Das Liberale sei vielmehr an Begriffen wie Eigenverantwortung, Toleranz oder Weltoffenheit festzumachen, heißt es. Doch letztlich sind auch Luxemburgs Grüne eine kapitalismusbejahende Partei, genau wie die DP oder „En Marche“ auch. In Wahlkämpfen servieren Déi Gréng den Wählern zwar immer wieder eine Prise Wachstumskritik. Doch ihre Politik spricht eine andere Sprache.

Die unsichtbare grüne Handschrift

Der wirkliche Katalysator der Entwicklung der Grünen zur Regierungspartei an der Seite der Liberalen war aber die CSV als gemeinsames „Feindbild“. In der DP saß der Stachel der regelmäßigen Erniedrigung durch die CSV in den gemeinsamen Regierungsjahren 1999 bis 2004 immer noch tief. Und auch die Grünen hatten nach den Wahlen von 2004 und 2009 vergeblich auf die Chance zur Mitgestaltung an der Macht gehofft. Die Entfremdung der CSV von den anderen Parteien im Zuge der Affären der Legislaturperiode von 2009 bis 2013 tat ihr Übriges.

Die klassische Kritik an den Grünen unterliegt letztlich dem Irrglauben, wonach sich die grüne Programmatik ausschließlich auf ökologische Themen konzentriere.“

Als nach den Neuwahlen 2013 dann die Mehrheit der Dreierkoalition feststand, mussten Bausch, Braz und Co. nicht lange überzeugt werden. Das galt dann auch für die Koalitionsverhandlungen. Laut Beteiligten sei es damals frappant gewesen, wie wenig sich die grüne Verhandlungsdelegation mit eigenen Forderungen eingebracht hatte. Die entsprechende Kritik von der Opposition und manchen Medien lautete später, dass die Grünen sich in ihren traditionellen Themenbereichen nicht genug durchgesetzt hätten. Diese klassische Kritik an den Grünen unterliegt letztlich aber dem Irrglauben, wonach sich die grüne Programmatik ausschließlich auf ökologische Themen konzentriere.

Das Programm der Dreierkoalition trug durchaus eine grüne Handschrift, auch wenn diese auf den ersten Blick unsichtbar schien. Der Ausstieg aus dem Tanktourismus und die „ökologische Steuerreform“ standen zwar im Wahl- und nicht im Koalitionsprogramm. Doch in vielen anderen Punkten deckte sich die blau-rot-grüne Programmatik mit dem neuen grünen Selbstverständnis, und nicht zuletzt mit der damit einhergehenden diffusen Liberalismus-Definition.

So wurden letztlich alle Punkte, die von der DP in den vergangenen fünf Jahren als eigene Erfolge verbucht wurden, auch von den Grünen als solche wahrgenommen. Neben der inhaltlichen Ebene entwickelte sich auch zwischen den an der Koalition beteiligten Personen, besonders zwischen DP und Déi Gréng, ein vertrauliches, ja oft freundschaftliches Verhältnis. Angesichts des Umgangs mit der gemeinsamen Regierungsbilanz könnte man in der Tat auf die Idee kommen, dass Blau und Grün einer Parteienfamilie angehören.

Der liberale Gegenblock zur CSV

Dass sie in der Gunst der Wähler nach fünf Jahren an der Regierung besser abschnitten, dürften die Grünen vor allem zwei Faktoren verdanken. Einerseits haben sie mittlerweile ein Programm, das in guter Volkspartei-Manier niemanden ausschließt und doch zumindest den Anschein erweckt, dass man als Partei die Zeichen der Zeit erkannt hat. Andererseits haben insbesondere die grünen Kabinettsmitglieder, nicht zuletzt im Gegensatz zu den DP-Kollegen, ziemlich unaufgeregt ihre Arbeit gemacht. Die Attitüde einer pragmatischen Regierungspartei, der es um die Sache und nichts als die Sache geht, scheint bei der ebenso pragmatischen grünen Wählerschaft gut anzukommen.

Hinzu kommt, dass die langjährige Oppositionspartei mittlerweile eine Schlüsselposition im Parteiensystem eingenommen hat. Ohne die Grünen könnte es in Zukunft schwerer werden, eine stabile und inhaltlich sinnvolle Koalition zu schmieden. Für die Dreierkoalition, die es ohne das dauerhafte Machtstreben der Grünen nicht geben könnte, sowieso. Doch auch die CSV entdeckt langsam, aber sicher die Vorzüge der „besseren Liberalen“. Nicht umsonst debattierten die Christsozialen auf dem vergangenen Kongress ernsthaft darüber, wie sie so „cool“ werden können wie die Grünen und ob man in fünf Jahren mit einer Präferenz für Schwarz-Grün in den Wahlkampf ziehen soll.

Faktisch hat die CSV es als stärkste Partei im Land aber mit einem Gegenspieler zu tun, der mindestens genauso mächtig und in der Bevölkerung verankert ist wie sie selbst. DP und Déi Gréng vereinen gemeinsam mittlerweile mehr Wähler hinter sich als die CSV. Selbst wenn die Dreierkoalition keine Dauerveranstaltung sein sollte und die sie tragenden Parteien nicht fusionieren werden: Der gegen die CSV gerichtete Block wird so schnell nicht auseinander brechen. Zumindest nicht der liberale, blau-grüne Kern.


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