Mit dem Fortgang der Pandemie wird die Kritik an der Regierung lauter und heftiger. Dabei ist die Koalition zwar nicht an allen Missständen und Versäumnissen des Krisenmanagements schuld. Ihrer politischen Verantwortung kann sie sich jedoch nicht so einfach entziehen. Eine Analyse.

„Mir hunn eis Verantwortung iwwerholl“: Mit diesen Worten schloss Premierminister Xavier Bettel (DP) das vorerst letzte Pressebriefing des Jahres in der vergangenen Woche ab. Es war eine Reaktion auf die Frage, ob das Parlament sich womöglich für andere Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Krise aussprechen könnte. Doch es war auch ein passender Schlusssatz, durch den sich aus Sicht des Regierungschefs alle weiteren kritischen Fragen erübrigen sollten.

Unbeirrt von steigender Kritik seitens der Opposition und der Medien hält die Koalition an ihrem Kurs fest. Alle Rufe nach einer härteren Gangart, also nach strengeren Einschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung der Pandemie, lassen der Regierungschef und die Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) seit geraumer Zeit verhallen.

Dabei fällt aber auf, dass die Kritik nicht spurlos an den beiden Krisenmanagern in der ersten Reihe vorbeigeht. Bettel und Lenert ändern zwar nicht ihren Kurs, doch sie reagieren zunehmend empfindlich auf die Infragestellung ihrer Politik. Von einer Auseinandersetzung auf der sachlichen Ebene, von der rationalen Begründung und Rechtfertigung ihrer Politik, die das Krisenmanagement zu Beginn der Pandemie noch ausgezeichnet hatte, haben sich die federführenden Minister mittlerweile verabschiedet.

Das Offensichtliche lässt sich nicht leugnen

Der Kern der Kritik ist dabei der Vorwurf, dass die Regierung mit neuen Maßnahmen zu lange gezögert habe. Im Rückblick lässt sich in der Tat veranschaulichen, dass Luxemburg in den vergangenen Wochen einen „Sonderweg“ eingeschlagen hat. Das gilt nicht nur im Vergleich zu anderen Ländern, den die Regierenden meist nur dann anführen, wenn er aus Luxemburger Sicht positiv ausfällt. Der „Sonderweg“ lässt sich vor allem auch an den eigenen Ansprüchen festmachen, die die Regierung am Anfang der Coronavirus-Pandemie formuliert hatte.

Im Frühjahr hieß es nämlich noch: Alle Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sollten eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindern. Konkret lässt sich dieses Ziel mit „Menschenleben retten“ übersetzen. Darum geht es letztlich in dieser Krise und dieses Ziel lässt sich nur durch vorausschauendes Handeln erreichen.

Die Krisenmanager managen zwar noch, aber sie erklären ihre Entscheidungen nicht mehr – zumindest nicht in einer Form, die zur Nachvollziehbarkeit ihres Handelns beiträgt.“

Seit dem Herbst haben sich Intention und Strategie aber merklich gewandelt. Seit über einem Monat nimmt die Regierung ein hohes Niveau an Infektionszahlen, Behandlungen in den Krankenhäusern und Covid-19-Todesfällen in Kauf. Auch das ist an sich nicht außergewöhnlich, denn die allermeisten Staaten der Welt leiden unter einer zweiten Pandemiewelle.

In einem Punkt unterscheidet sich Luxemburg jedoch von vielen anderen Ländern: Die Regierung wartete länger ab und brachte neue Maßnahmen später als etwa die Nachbarstaaten auf den Weg. Sie verpasste den Moment, eine Verschlechterung der Krisenlage durch eigenes Handeln zu antizipieren. Diese Tatsache lässt sich analysieren und politisch deuten, aber nicht leugnen.

Krisenmanager mit Kommunikationsproblem

Wenn man es ganz genau nimmt, und auch auf die leisen Zwischentöne des politischen Diskurses hört, dann streiten Xavier Bettel und Paulette Lenert diese Faktenlage auch nicht ab. Sie verweigern sich jedoch einer offenen Debatte über ihre Politik und damit auch ihrer Verantwortung für das Geschehene und das Versäumte. Im Laufe der Pandemie, irgendwann zwischen den Sommerferien und dem Beginn der zweiten Welle im Oktober, haben sie aufgehört, ihre Strategie in dieser Krise zu kommunizieren. Die Krisenmanager managen zwar noch, aber sie erklären ihre Entscheidungen nicht mehr – zumindest nicht in einer Form, die zur Nachvollziehbarkeit ihres Handelns beiträgt.

In den Umfragen beliebt, aber in der harten politischen Realität so umstritten wie noch nie in der andauernden Krise: Xavier Bettel und Paulette Lenert bei einem Pressebriefing im April. (Foto: SIP/Jean-Christophe Verhaegen)

Auch der „Paulette-Lenert-Effekt“ verliert langsam seine Wirkung. Wurden die Auftritte der Gesundheitsministerin im Frühjahr noch als wohltuende Abwechslung zum bekannten Berufspolitiker-Gestus empfunden, hat sich auch die ehemalige Richterin und hohe Beamtin mittlerweile angepasst. Auch Paulette Lenert verfällt immer mehr in den Modus der reinen Beschreibung der von ihr maßgeblich verantworteten Politik. Ihr nüchterner Ton kann die Widersprüche und Versäumnisse der Regierungspolitik nicht mehr übertünchen.

Dabei geht es nicht um die formale Veranstaltung von Pressekonferenzen, auf denen getroffene Entscheidungen verkündet werden. Erfolgreiche Krisenkommunikation geht über die reine Ankündigung und Selbstdarstellung hinaus. Nur wenn sie offen, klar und zumindest im Ansatz an einem Dialog mit der Öffentlichkeit orientiert ist, kann politische Kommunikation glaubwürdig sein. Und nur dann kann sie zur Erreichung der eigenen Ziele, also zur Überwindung der Krise, beitragen. In letzter Zeit erfüllt die Regierung jedoch fast keines dieser Kriterien einer modernen Krisenkommunikation mehr.

Öffentlicher Diskurs als expertenfreie Zone

Diese Entwicklung lässt sich bei vielen Gelegenheiten beobachten. Auch im Parlament geht es Xavier Bettel und Paulette Lenert eher um die oberflächliche Beschreibung und emotionale Verteidigung ihrer Maßnahmen als um wahrhaftige Erklärung. Ihre Pressebriefings gleichen mittlerweile einer lästigen Pflichtübung und einem reinen Frontalunterricht. Fragen von Journalisten werden ausweichend beantwortet oder mit allzu bekannten Gemeinplätzen abgefertigt. Die Kennzahlen der Pandemie sind heute zwar kompletter als noch im Frühjahr, doch ihre komplexe Deutung spielt in der öffentlichen Rhetorik des Premiers und der Gesundheitsministerin kaum mehr eine Rolle.

Alles hängt an den beiden Ministern, die offenbar die absolute Hoheit über den politischen Diskurs behalten wollen. Damit tun sie sich allerdings keinen Gefallen.“

Spätestens jetzt rächt sich denn auch, dass Luxemburgs Krisenkommunikation weitgehend eine expertenfreie Zone ist. Dass die Auftritte des obersten politischen Führungspersonals so suboptimal anmuten, liegt nämlich nicht nur an den rhetorischen Qualitäten von Bettel und Lenert. Sie wissen es oft nicht besser, und das ist bis zu einem gewissen Grad auch normal. Im Gegensatz zum Ausland spielen die wahren Experten der Pandemie – Ärzte, Virologen und andere Fachleute – in Luxemburg kaum eine Rolle bei der öffentlichen Untermauerung der Regierungspolitik.

Alles hängt an den beiden Ministern, die offenbar die absolute Hoheit über den politischen Diskurs behalten wollen. Damit tun sie sich allerdings keinen Gefallen. Die öffentlichen Einschätzungen von kompetenten Experten könnten die Qualität des Krisenmanagements und damit die Vertrauenswürdigkeit und die Akzeptanz der Regierungspolitik erhöhen. Es ist ein Defizit, das sich in Luxemburg durch die ganze Pandemie zieht und das auch nur bedingt durch die geringere Größe des Landes zu erklären ist. Denn die Experten gibt es durchaus, sie treten für die breite Öffentlichkeit aber nur selten in Erscheinung.

Über Motivationen lässt sich nur mutmaßen

Dabei gäbe es einiges zu erklären. Allem voran die Frage, warum die Regierung seit dem Spätsommer immer wieder mit Verzögerung handelt. Warum wartete sie wochenlang mit einem Teil-Lockdown ab, obwohl die Krankenhäuser laut der Gesundheitsministerin schon Anfang November „am Limit“ funktionierten? Warum zögert sie jetzt mit weiteren Maßnahmen, obwohl die Lage kaum besser ist als in Ländern, die längst weitreichendere Maßnahmen beschlossen haben?

Es liege kein Ruhm in der Prävention, heißt es oft in dieser Pandemie. Doch nach der verpassten Prävention ist einem die Schmach sicher.“

Blau-Rot-Grün hat sich letztlich eigenverantwortlich in eine missliche Lage manövriert. Handelt sie nicht, bietet die Regierung ihren Kritikern eine ständige Angriffsfläche. Doch selbst wenn sie jetzt härtere Maßnahmen beschließen sollte, gibt sie damit ihren Kritikern recht. Denn dann hätte sie erneut wertvolle Zeit verspielt und würde zwangsläufig zugeben, dass ihre zögerliche Haltung der vergangenen Wochen falsch war. Es liege kein Ruhm in der Prävention, heißt es oft in dieser Pandemie. Doch nach der verpassten Prävention ist einem die Schmach sicher.

In guten wie in schwierigeren Krisenzeiten: Premier Xavier Bettel und Gesundheitsministerin Paulette Lenert tragen den Großteil der politischen Verantwortung für Luxemburgs Weg durch die Pandemie. (Foto: Chambre des Députés)

Damit ist nicht gesagt, dass die Regierung unbedingt falsch liegt und ihre Kritiker in allen Punkten recht haben. Das Problem des Luxemburger Krisenmanagements ist fundamentaler: Die Regierung verweigert sich einer konstruktiven und tiefgründigen Debatte über den richtigen Weg aus dieser Pandemie. Ihre Intention scheint klar, aber die politische Motivation bleibt komplett im Dunkeln. Über ihre Beweggründe lässt sich somit schwer mit Argumenten streiten, sondern nur mutmaßen.

Ist es etwa wirklich so, dass Luxemburg einen „liberalen“ Weg aus der Krise eingeschlagen hat, wie einige Kommentatoren meinen? Dass die Koalition mit antizipierenden Maßnahmen zögert, weil sie die Wirtschaft schützen und die persönlichen Freiheiten der Bürger nicht zu stark einschränken will? Oder ist die abwartende Haltung der Regierung eher auf eine mangelnde Vorbereitung des Krisenstabs und eine an manchen Stellen sichtbare Überforderung des Staatsapparats zurückzuführen? Oder vielleicht eine Mischung aus alledem?

Schweigen führt zu nachlassender Akzeptanz

Weil sie überhaupt solchen Raum für Spekulationen und Zweifel an ihren Motivationen lassen, sind die Regierenden letztlich auch selbst schuld an der zunehmenden Heftigkeit der öffentlichen Kritik. Bis zu einem gewissen Grad nehmen sie damit auch eine nachlassende Akzeptanz ihrer Entscheidungen in der Bevölkerung in Kauf. Zudem hat die Regierung auch eine Verantwortung im Sinne einer Vorbildfunktion. Wenn die politische Führung es etwa nicht mehr für prioritär hält, die Überlastung des Krankenhaus- und Pflegepersonals und die steigenden Todeszahlen prominent in ihrem Diskurs unterzubringen, dann setzt sie auch damit ein Zeichen für die ganze Gesellschaft.

Politische Verantwortung ist nicht nur geboten, wenn die Krise im Griff scheint und viele Bürger mit gefühltem Dauerapplaus reagieren.“

An der generellen Krisenlage ist sicherlich nicht nur die Regierung schuld, sondern auch jeder Einzelne. Allerdings hängt das Handeln jedes Einzelnen eben auch davon ab, wie konsequent und konsistent die Regierung ihre für die Allgemeinheit geltenden Regeln begründet. Warum bleiben Kleider- und Luxusgeschäfte offen, während Theater, Kinos und Sportstätten schließen müssen? Was bringt eine nächtliche Ausgangssperre konkret? Warum werden Kinder nicht von den Besuchsobergrenzen in privaten Haushalten ausgenommen? Von jenen, die Entscheidungen treffen, darf man sich eine sachliche, fachmännisch begründete Erklärung dieser Maßnahmen erwarten. Noch besser wäre natürlich, wenn man hinter all den einzelnen Entscheidungen eine schlüssige Gesamtstrategie erkennen könnte.

Noch ist es dafür zwar nicht zu spät. Doch es wäre höchste Zeit, dass Xavier Bettel, Paulette Lenert und die ganze Regierung dieses fundamentale Versäumnis ihres Krisenmanagements nachholen. Denn politische Verantwortung ist nicht nur geboten, wenn die Krise im Griff scheint und viele Bürger mit gefühltem Dauerapplaus reagieren. Auch und besonders in einer Phase, in der Missstände und Widersprüche offenbar werden, gilt es für die Krisenmanager, ihre Entscheidungen besser zu erklären und für die Konsequenzen ihrer Politik geradezustehen. Ansonsten wird auch der ständige Appell an die Eigenverantwortung der Bürger vollends zur pandemischen Plattitüde.


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