Die Regierung beweist in der Coronavirus-Pandemie ungeahnte Führungsstärke. Dennoch hat ihre Strategie der Krisenkommunikation gewisse Makel. Was vor allem fehlt: Der Hauch einer Perspektive, wie man das Land aus der aktuellen Krisenlage eines Tages wieder herausführen will.
„In der Krise beweist sich der Charakter“, hat der verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt einmal gesagt. Es ist ein Satz, der nicht nur auf Politiker zutrifft. Alle Bürger müssen gerade mehr oder weniger Opfer bringen, um die Coronavirus-Pandemie zu bewältigen. Und doch zeigt sich in diesen Tagen besonders, aus welchem Holz die Vertreter der politischen Klasse geschnitzt sind.
Das gilt für US-Präsident Donald Trump, der in der Krise lieber Anderen die Schuld gibt, als selbst Verantwortung zu übernehmen. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron inszenierte sich lieber als oberster Feldherr, der dem Coronavirus den „Krieg“ erklärte.
Angela Merkel übte sich vergangene Woche dagegen in einem Balanceakt zwischen wissenschaftlicher Sachlichkeit, einem Appell an die Vernunft ihrer Landsleute und der Hoffnung auf die Bewältigung der Krise. „Diese Situation ist ernst und sie ist offen“, brachte die deutsche Kanzlerin nicht nur die Lage, sondern auch die Herausforderung für die politische Führung auf den Punkt.
Der Aufstieg einer neuen Krisenmanagerin
Auch in Luxemburg zeigt sich in diesen Krisenzeiten der Charakter der politischen Klasse. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist Paulette Lenert. Erst seit rund eineinhalb Monaten ist die LSAP-Politikerin Gesundheitsministerin. Ohne Zeit zur Eingewöhnung wurde sie prompt zur Managerin einer nie da gewesenen „sanitären Krise“, wie sie selbst sagt.
Die meisten Beobachter sind sich dabei einig: Ihre öffentlichen Auftritte seit Beginn der Coronavirus-Pandemie sind durch eine fast schon Merkel’sche Nüchternheit geprägt. Paulette Lenert neigt weder zu einer Beschönigung noch zu einer unnötigen Dramatisierung der Lage. Besonnen, aber bestimmt spricht die Ministerin zu den Bürgern und erweckt damit den Eindruck, dass die gesamte Regierung die Lage im Griff hat. Dabei ist es weniger, was die Ministerin sagt, als wie sie es sagt, womit sie bei vielen Bürgern eine beruhigende Wirkung erzielt.
Doch auch ihr kann man die hohe Anspannung immer wieder ansehen. Es sind die kleinen Gesten und Nebensätze in ihren Reden, die darauf hindeuten, dass hier ein Mensch unter enormem Druck steht. Neben der körperlich wie psychischen Dauerbelastung, den vielen Krisensitzungen und wenigen Stunden Schlaf, lässt sich dabei die Empfindung, dass das Schicksal eines ganzen Volkes an ihren Entscheidungen hängt, nur erahnen.
Distanz zwischen Regierenden und Regierten
Die Gesundheitsministerin arbeite „23 Stunden am Tag“ an Lösungen der aktuellen Krise, sagt dazu Xavier Bettel. Allein an diesem Satz merkt man, dass der Premierminister einen anderen kommunikativen Stil pflegt: Emotionaler, direkter, spontaner, mit dem ihm eigenen Hang zur rhetorischen Übertreibung. Das erkennt man vor allem im direkten Vergleich: Wenn der Premier spricht und der Gesundheitsministerin das Wort übergibt, ist das ein ein radikaler politischer Stilwechsel.
Der Premier tritt in diesen Tagen wie ein Regierungschef, Pressesprecher, Oberlehrer, Chefarzt und Seelsorger in einer Person auf.“
So fällt auch auf, dass der Premier einen ganz anderen Ansatz wählt, um sich die Aufmerksamkeit des Volkes zu sichern. „Ihr alle seid Teil des Problems“ und „Ihr alle könnt Teil der Lösung sein“, lautet das Mantra von Xavier Bettel zur Beilegung der Coronavirus-Pandemie. Es ist ein starkes, leidenschaftlich vorgetragenes Statement, das die Bürger zur kollektiven Vernunft und zum Handeln auffordert, aber auch latent an ein schlechtes Gewissen appelliert.
Gleichzeitig spricht aus Bettels Worten ein auch für ihn ungewöhnlicher Hang zum Obrigkeitsdenken. Denn der Premier sagt nicht „Wir sind alle das Problem“. Nein, „Ihr“ seid es. Ihr, die Bürger, seid in der Verantwortung. Nicht wir alle, Bürger und Politik.

In Krisenzeiten kommt es in der politischen Kommunikation auf jedes Wort und jede Nuance an. Der belehrende Ton von Xavier Bettel setzt dabei – anders etwa als Paulette Lenert – auf eine deutlichere Distanz zwischen Regierenden und Regierten; zwischen jenen, die die Krise managen und jenen, die den Anweisungen der Manager gefälligst folgen oder weitere (Straf-)Maßnahmen befürchten müssen.
Doch wie alle Aussagen in der aktuellen Krise sind dies nur Momentaufnahmen. Der Regierungschef lieferte in seinen vielen öffentlichen Auftritten entsprechend viele rhetorische Stilmittel, Gefühlslagen und Interpretationsmöglichkeiten. Was Bettel und Lenert jedoch gemeinsam ist: Sie treten seit rund zwei Wochen fast täglich vor die Presse. Jedes Update wird von der obersten Regierungsebene präsentiert und kommentiert. Angesichts der sich täglich überschlagenden Ereignisse scheint das durchaus angemessen.
Krisenkommunikation als expertenfreie Zone
Ein Blick ins Ausland zeigt aber: In Krisenzeiten kommt es nicht allein auf das oberste Führungspersonal an. Regierungssprecher, die in Luxemburg eher den Job der Moderatoren von Pressekonferenzen übernehmen, haben im Ausland ein anderes Format und Gewicht. Ebenso wie hohe Beamte oder Berater können sie stets für die Minister einspringen, die Regierungspolitik erklären, Fragen beantworten und die Ressortchefs allein schon so entlasten. Luxemburgs Premier tritt in diesen Tagen dagegen wie ein Regierungschef, Pressesprecher, Oberlehrer, Chefarzt und Seelsorger in einer Person auf.
Hinzu kommt in der aktuellen Pandemie die zunehmende Rolle von Experten. In anderen Ländern existieren Behörden oder Institute, die sich (auch in Nicht-Krisenzeiten) um nichts anderes als um Infektionskrankheiten kümmern. So etwa das „Robert Koch Institut“, das täglich Updates zur Entwicklung der Coronavirus-Pandemie liefert. In Luxemburg kommt das „Luxembourg Institute of Health“ dieser Funktion am nächsten. Doch die Experten des Forschungsinstituts spielen in der offiziellen, externen Kommunikation dieser Krise keine Rolle.
Heute ist die Krisenkommunikation in Luxemburg zunehmend eine expertenfreie Zone.“
Es ist auch kein Wunder, dass etwa in Deutschland Christian Drosten in diesen Tagen zu den gefragtesten Fachleuten avancierte. Der Virologe der Berliner Charité berät nicht nur die politischen Verantwortlichen seines Landes. Er teilt seine Einschätzungen auch selbst in sehr pädagogischer Weise per Podcast, in Interviews und in den sozialen Medien mit. Drosten sei in dieser Zeit der „Corona-Aufklärer der Nation“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ in einem Porträt.
In Luxemburg gibt es das alles in dieser Form nicht. Die Regierungssprecher und Chef-Berater des Premiers treten in der Öffentlichkeit nicht auf oder ihnen wird nicht zugetraut, eigenständig zu kommunizieren. Und auch die Experten spielen in der Krisenkommunikation immer weniger eine Rolle. Manche, wie der Luxemburger Virologe Claude Muller, sind zwar in den Medien präsent. Auch der Direktor der „Santé“, Dr. Jean-Claude Schmit, trat zwar anfangs immer an der Seite von Ministerin Paulette Lenert bei Pressekonferenzen auf. Heute ist die Krisenkommunikation in Luxemburg aber zunehmend eine expertenfreie Zone.
Führungsstärke und die fehlende Perspektive
Damit bleibt letztlich alles an den Politikern hängen. Bisher beweisen Bettel, Lenert und Co. dabei durchaus Entschlossenheit und politische Führungsstärke. Dazu gehört laut der klassischen Theorie des Krisenmanagements vor allem: die klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten und ein inhaltlich wie argumentativ einheitliches Auftreten. Die Aufrüstung der Krankenhäuser kann man in diesem Sinn als Produkt schnellen politischen Handelns werten. Entsprechend inszenierten sich gleich mehrere Minister bei den ersten Aufbauarbeiten in Macher-Pose.
Gleichzeitig fehlt in den Reden der Luxemburger Minister aber ein weiterer wichtiger Aspekt der Krisenkommunikation: eine wahrhaftige Perspektive, wie man wieder aus der Krise herauskommen will. Zwar kommuniziert die Regierung recht offen und vor allem oft. Allerdings vermeiden die politischen Verantwortlichen bisher, den Bürgern eine Aussicht auf eine Bewältigung der Krise mit auf den Weg zu geben.
In den Reden schwingt stets die Möglichkeit mit, dass die aktuellen Maßnahmen vom Ausnahme- zum Regelzustand werden könnten.“
Zugegeben: Niemand weiß letztlich, wie lange die Ausbreitung des Coronavirus noch anhalten wird. Doch überhaupt keine positive Perspektive zu vermitteln, kann für Krisenmanager fatal sein. Denn damit drohen das gesamte Handeln, das mühsam geschaffene Vertrauen und die Vorbereitungen zur Verbesserung der Lage zu scheitern.
In den Reden von Xavier Bettel und Paulette Lenert schwingt stets die Möglichkeit mit, dass die heute geltenden Maßnahmen vom Ausnahme- zum Regelzustand werden könnten. Das könnte bereits dann zutreffen, wenn die aktuelle Phase einige Monate andauern sollte. Zuhause bleiben, jegliche soziale Kontakte vermeiden, die einheimische Wirtschaft weitgehend lahmlegen, ist allerdings keine Situation, die dauerhaft aufrecht zu erhalten ist – und letztlich wohl auch keine Garantie zur Besiegung eines Virus.
An dieser Stelle kommt es nicht nur auf Charakter und Führungsqualitäten, sondern auf politische Weitsicht an. Niemand kann von der Regierung erwarten, dass sie jetzt schon weiß, bis wann die aktuellen restriktiven Maßnahmen noch gelten sollen. Luxemburgs Krisenmanager handeln in Sachen Coronavirus-Pandemie eben bis auf Weiteres „auf Sicht“. Doch auch bei einer solchen „navigation à vue“ (Paulette Lenert) sollte man die nächsten möglichen Etappen bereits aufzeigen, für den wahrscheinlichen Fall, dass sich der Nebel eines Tages wieder lichtet. Ansonsten könnte der heute noch ganz frische Eindruck einer handlungsfähigen und krisenfesten Regierung bald schon wieder verblassen.