Lange schien es unmöglich, die Reichtümer, die dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nachgesagt werden, auch tatsächlich mit ihm in Verbindung zu bringen. Eine neue internationale Recherche, zu der Reporter.lu Zugang hatte, zeigt nun neue Spuren auf.

Offiziell besitzt Wladimir Putin nicht mal eine Datscha. Doch werden ihm seit Jahrzehnten sagenhafte Luxusimmobilien und Jachten zugeschrieben, ohne dass sie konkret mit ihm in Verbindung gebracht werden können. Das liegt am System, das der russische Präsident und seine Verbündeten geschaffen haben, um ihren Reichtum zu verbergen. An der Spitze steht Wladimir Putin selbst. Das Geld fließt dabei in einen sogenannten „Obschak“ – einen gemeinsamen Pool von Vermögenswerten, bei dem unklar ist, wem was gehört. Beschrieben haben dieses System unter anderem die Finanzjournalistin Catherine Belton in ihrem Buch „Putin’s Men“ sowie der Whistleblower Sergei Kolesnikov.

Lange wurde angenommen, der Obschak sei ein Offshore-Vehikel, wie bei so vielen Oligarchen. Eine Recherche der Journalisten Olesya Shmagun, Miranda Patrucic und Ilya Lozovsky vom „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ (OCCRP) in Zusammenarbeit mit Denis Dmitriev von der unabhängigen russischen Online-Plattform „Meduza“ erlaubt nun zum ersten Mal einen Einblick in die Maschinerie hinter Putins Vermögen.

Geheime E-Mail-Domain

Was von vorneherein klar ist: Offiziell besitzt Wladimir Putin keine der Luxusvillen, die ihm zugeschrieben werden. Auf dem Papier stehen die Namen von Oligarchen wie Arkadi Rotenberg oder Gennady Timtschenko, die dem russischen Präsidenten nahestehen. Laut der OCCRP-Recherche sind die meisten dieser Besitztümer aber untereinander vernetzt. Sie besitzen nämlich alle dieselbe technische Infrastruktur: die E-Mail-Domain „LLCInvest.ru“, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist.

Benutzt wird die Domain von genau jenen Firmen, denen offiziell Immobilien gehören, die Putin zugeordnet werden: etwa der „Schwarzmeerpalast“ sowie eine Villa bei Sankt Petersburg. Geleakte E-Mails, die den Journalisten zugespielt wurden, belegen nun jedoch, dass diverse Firmen und Organisationen miteinander korrespondieren. Insgesamt konnten 86 Gesellschaften identifiziert werden.

Zusammen halten sie Vermögenswerte von etwa 4,5 Milliarden Dollar. Darunter sind Immobilien, Privatjets, Jachten und gut gefüllte Bankkonten sowie mit „Russair“ eine eigene Fluglinie. Alle sind sie über das „LLCInvest.ru“-Netzwerk miteinander verbunden. Viele sind aber auch an den gleichen Adressen angemeldet, haben die gleichen Direktoren und Audit-Firmen.

Verbindungen zu „Putins Bank“

Eine weitere Verbindung zu Wladimir Putin ist die Präsenz der „Bank Rossiya“ in dem Netzwerk. Sie wird auch „Putins Bank“ genannt, weil sie engen Vertrauten des Präsidenten gehört und auch schon in den „Pandora Papers“ des „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) auftauchte. Sie ist direkte Besitzerin einiger Gesellschaften mit „LLCInvest.ru“-Verbindungen. In 18 weiteren tauchen Beschäftigte der Bank auf. Auch werden alle Adressen vom selben Provider namens „Moskomvyaz“ gehostet. Als die Journalisten versuchten, dort auch ein Konto zu eröffnen, wurden sie abgewimmelt.

Auch E-Mails an alle Adressen aus dem Leak blieben unbeantwortet. Bei Telefonanrufen gelang es aber, einen Direktor, der gleich mehreren Gesellschaften aus dem Netzwerk vorsteht, zu erreichen: „Ich bin nur ein einfacher Angestellter und kümmere mich um meine Angelegenheiten. Ich unterschreibe lediglich Papiere. Wissen Sie, wie manchmal Obdachlose als Firmendirektoren registriert werden? Ich bin nicht obdachlos, aber ich unterschreibe die Papiere genau wie die, ohne aufs Detail zu schauen“, war die Antwort. Auf die Frage, wem denn die Firmen gehören, denen er vorsteht, gab er zu verstehen, dass er das nicht wisse.

Ein weiteres E-Mail-Leak aus den Servern der Ölfirma „Sibur“ gibt indes Einblick in die Funktionsweise des Systems. So bezahlte die Firma über Jahre mehr als eine Million Dollar Miete für die „Villa Sellgren“ am Finnischen Meerbusen. Offiziell wurden die Ausgaben als Konferenz- und Erholungszentrum für Sibur-Angestellte verbucht. Nun stellt sich heraus, dass nicht einmal die Top-Manager wussten, warum ihre Firma die Villa von Oleg Rudnov – ein enger Freund Wladimir Putins und offiziell Besitzer der Immobilie – anmietete. Auf die Frage: „Können wir sie benutzen?“, lautete die Antwort aus dem Vorstand: „Nein, können wir nicht.“

Erneuter Korruptionsverdacht

Es ist auch nicht das erste Mal, dass ein solches System öffentlich wird. Der Geschäftsmann Sergei Kolesnikov publizierte vor zehn Jahren einen offenen Brief an den damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew, in dem er Wladimir Putins Korruption anprangerte. Damals lief das Schema über eine andere Firma namens „Rosinvest“, die unter der Leitung Putins in die russische Wirtschaft investieren sollte. Das Geld wurde aber für den „Schwarzmeerpalast“, der Putin gehören soll, den auf dem Papier aber der Oligarch Arkadi Rotenberg besitzt, benutzt. Sergei Kolesnikov lebt seitdem im selbstgewählten Exil.

Das System „LLCInvest.ru“ scheint eine anspruchsvollere und diskretere Version des Rosinvest-Netzwerks zu sein – das nach Kolesnikovs Brief aufgelöst wurde. Jedenfalls, so meinen auch Experten, mit denen das OCCRP gesprochen hat, ist das nun aufgedeckte Netzwerk „höchst verdächtig“. Ein ehemaliger für Sanktionen zuständiger Beamter des US-Finanzministeriums meinte: „Es ist schwer, diese Dinge mit einer unschuldigen Erklärung wegzuschieben. Zumal die Bank Rossiya in der Öffentlichkeit bereits als die Bank bezeichnet wird, in der Putin und seine Gefährten ihre Vermögen einlagern.“


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