Ein massives Datenleck, zwölf Millionen Dokumente, über 600 Journalisten und 150 Medien, darunter Reporter.lu: Die „Pandora Papers“ geben neue Einblicke in die Schattenwelt der Offshore-Firmen. Luxemburg spielt dabei nicht die erste, aber doch eine nicht unwesentliche Rolle.

„Wir sehen hier ein System, das den Menschen und der ganzen Welt schadet. Es ist wichtig, dass die Leute davon erfahren“, sagt der Direktor des „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ), Gerald Ryle. Die neuen „Pandora Papers“, ein vom ICIJ koordiniertes Rechercheprojekt, decken die globalen Hintergründe von Offshore-Finanzplätzen, Briefkastenfirmen und komplexen Finanzkonstruktionen auf – und zwar in einem bisher ungeahnten Ausmaß.

Die mehr als 11,9 Millionen Dokumente, die im Rahmen der größten journalistischen Recherchekooperation in der Geschichte ausgewertet wurden, erlauben einen tiefen Einblick in die Schattenwelt der Offshore-Firmen, die sonst nur im Verborgenen operieren. Sie geben neue Hinweise auf die Abläufe, Strukturen und Techniken der nach wie vor florierenden globalen Steuervermeidungsindustrie.

Die „Pandora Papers“ unterscheiden sich gleich in mehreren Punkten von vorherigen Leaks: Die Menge an Daten ist mit 2,94 Terabytes größer als die der „Panama Papers“. Über 600 Journalisten und 150 Medien aus 117 Ländern, darunter Reporter.lu, durchforsteten mehrere Monate lang die massiven Datensätze. Die vorliegenden Dokumente – darunter etliche vertrauliche Berichte, E-Mails, Gesprächsprotokolle – decken eine Zeitspanne von den 1970er Jahren bis zum Jahr 2020 ab.

Könige, Präsidenten, Premiers und Ex-Premiers

Insgesamt sind über 330 politische Amtsträger aus mehr als 90 Ländern mit ihren Offshore-Firmen in den „Pandora Papers“ auffindbar – darunter 35 Staatsoberhäupter und Premierminister, von denen manche noch im Amt sind. Darunter sind der jordanische König Abdullah II., der Ministerpräsident der Tschechischen Republik, Andrej Babis, die Präsidenten der Ukraine, Kenias, Ecuadors sowie der ehemalige britische Premier Tony Blair.


Der größte Unterschied zu früheren Leaks betrifft aber die Herkunft der Daten. Stammten die „Panama Papers“ nur aus einer einzigen Anwaltskanzlei („Mossack Fonseca“), so kommen die aktuellen Daten von nicht weniger als 14 Offshore-Providern aus aller Welt. Diese meist international vernetzten Firmen, von denen manche auch in Luxemburg Filialen eröffneten – wie Alcogal bis 2017 oder Trident Trust bis heute – bieten Dienstleistungen für Personen an, die genau so viel Kapital haben wie Gründe, dieses möglichst diskret zu verwalten.

Komplexe Konstrukte, zwielichtige Akteure

Wie die „Pandora Papers“ belegen, spielen in der obskuren Offshore-Welt aber nicht nur tüchtige Geschäftsleute, sondern auch Anwaltskanzleien und Steuerberater – die sogenannten „Enabler“ – eine wichtige Rolle. Für kapitalstarke Kunden, die ein Interesse an der Verschleierung ihrer Geldflüsse haben, tüfteln sie an komplexen Finanzkonstruktionen, bei denen selbst die Providerfirmen mitunter den Überblick verlieren. Die systematische Recherche der beteiligten Journalisten erlaubt es jedoch, einige Offshore-Konstrukte sowie deren Drahtzieher und Nutznießer im Detail offenzulegen.

„Wir sehen hier ein System, das den Menschen und der ganzen Welt schadet. Es ist wichtig, dass die Leute davon erfahren.“Gerald Ryle, ICIJ-Direktor

Wie im Fall der „Panama Papers“ dürften die Enthüllungen der „Pandora Papers“ auch die Aufsichtsbehörden und Staatsanwaltschaften dieser Welt interessieren. Denn in den Recherchen finden sich auch nachgewiesene Steuersünder, Geldwäscher, Drogenbarone und andere Kriminelle. Das Leak fördert aber auch zutage, welche Schäden die Schattenwelt der Offshore-Industrie anrichtet. Dabei geht es nicht nur um die naheliegenden, strukturellen Steuerausfälle in vielen Staaten der Welt. Auch hinter systematischen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen stecken oft genug Akteure, die ihr Kapital durch windige Offshore-Konstrukte vermehren.

Luxemburgs Rolle in den „Pandora Papers“

Auch wenn Luxemburg „nur“ in rund 100.000 Dokumenten auftaucht, stellt sich das Großherzogtum in vielen Fällen als nicht unwichtiges Zahnrad in der gut geölten Offshore-Maschinerie heraus. Die von Reporter.lu aufgearbeiteten Daten belegen: Oftmals wird der hiesige Finanzplatz benutzt, um zwischen Offshore-Firmenkonstruktionen als sogenannte „Onshore“-Plattform zu dienen und so allzu windigen Geschäften einen legalen Anstrich zu verleihen.

Zwar gibt es seit Januar 2021 eine Gesetzesänderung, die es für Gesellschaften weniger attraktiv macht, ihr Geld von hier aus in andere Steuerparadiese zu verschieben. Doch auch dieser Regulierungsversuch ist offenbar löchrig. Zudem betrifft er nur die von der EU auf die „schwarze Liste“ der Steueroasen gesetzten Länder. Diese enthält aktuell Länder wie Samoa, Panama und die Seychellen, aber keine EU-Staaten und auch nicht andere Offshore-Zielorte wie zum Beispiel die Britischen Jungferninseln oder Belize. Gerade letztere Standorte spielen in den „Pandora Papers“ eine herausragende Rolle.

Eine Erkenntnis der Recherchen von Reporter.lu im Rahmen der „Pandora Papers“ lautet: Bei der Frage nach der Transparenz und Gerechtigkeit des internationalen Steuersystems rücken zunehmend die Investmentfonds in den Fokus. Dabei macht die schiere Größe der Luxemburger Fondsindustrie es dem Land sichtlich schwer, wirksam gegen die Konstrukteure und Profiteure von Offshore-Firmen vorzugehen. Die Behörden wollen oder können offensichtlich nicht genau kontrollieren, wo die über 5,6 Billionen Euro an verwaltetem Vermögen herkommen oder welche Absichten sich bei den Investoren im Einzelnen verbergen.

Auf konkrete Beispiele aus den „Pandora Papers“ angesprochen, verweist die Luxemburger Regierung auf die Verantwortlichkeit der Profis aus dem Finanzsektor: „Jeder, der in Luxemburg an der Aufstellung, der Verwaltung und dem Vertrieb von Investmentfonds arbeitet, ist der Gesetzgebung zur Anti-Geldwäsche- und Terrorismusbekämpfung unterworfen und setzt die gleichen Auflagen durch, vor allem im Bereich der Sorgfaltspflicht“, heißt es in einer von Reporter.lu angefragten Stellungnahme des Finanz- und des Justizministeriums.

Neue Erkenntnisse über Steueroasen

Die „Pandora Papers“ erlauben jedoch nicht nur ein besseres Verständnis der komplexen Geschäftsgebaren von Privatleuten, Banken und Konzernen. Auch die andauernde Rolle von Steueroasen wie Panama, Belize, Singapur, Hong-Kong, den Britischen Jungferninseln oder den Seychellen und deren durchaus bemerkenswerte Fähigkeit zur Anpassung an internationale Regulierungen wird beleuchtet.

Erstmals wird in dieser Form auch die zweifelhafte Rolle von manchen US-Bundesstaaten in der Offshore-Welt deutlich. Die „Pandora Papers“ liefern etwa Beispiele südamerikanischer Politiker und Industrieller, die ihr Geld in diskreten Treuhandgesellschaften in den Vereinigten Staaten verstaut haben.

 

Ein besonderer Fokus der internationalen Recherche liegt zudem auf Asien, weil einige der Offshore-Anbieter, deren Daten sich im Leak befinden, in Singapur ansässig sind oder dort Vertretungen unterhalten. Der verschwiegene Finanzplatz des südostasiatischen Stadtstaates entpuppt sich so als ideale Anlegestelle für das Geld von Oligarchen und Politikern aus aller Welt. Hinzu kommt, dass „Asiaciti Trust Singapore“ zu den Offshore-Anbietern mit den meisten Dokumenten in den „Pandora Papers“ gehört.

Auch der afrikanische Kontinent tritt in den „Pandora Papers“ stärker in den Vordergrund als bei manchen vergangenen Leaks. Nicht nur, weil einige Politiker wie der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta ihr Geld in Offshore-Konstruktionen verschwinden ließen, sondern auch weil viele Journalisten aus afrikanischen Staaten am Projekt mitgearbeitet haben.

Überhaupt haben die „Pandora Papers“ zwingenderweise eine starke inter- bzw. transnationale Dimension. Fakten checken, Dokumente kontextualisieren, Daten verständlich aufbereiten: Dafür braucht es Journalisten aus verschiedenen Ländern, die sich mit lokalen Gegebenheiten auskennen und bestmögliche Zugänge zu Informationen haben.

Die Luxusvillen von Babis, Blair und Co.

Durch diese Vorgehensweise ist eine ganze Fülle von einzelnen Stories entstanden, die in den kommenden Tagen und Wochen von den Partnermedien des ICIJ veröffentlicht werden. Unter den 150 beteiligten Publikationen sind die „Süddeutsche Zeitung“, „Le Monde“, „The Guardian“, „Washington Post“ und viele andere Medien aus insgesamt 117 Staaten.

Zu den Highlights der vom ICIJ koordinierten Recherche gehört der Fall des jordanischen Königs Abdullah II. Der international hofierte Monarch besitzt etliche Luxusanwesen in aller Welt. Laut der ICIJ-Recherche benutzte er dabei Offshore-Firmen in den Britischen Jungferninseln und die Hilfe von Schweizer Anwälten, um seinen Besitz zu verschleiern.

Auch der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis tritt in den „Pandora Papers“ in Erscheinung. Der Politiker, der sich bei seinem Aufstieg zur Macht als Korruptionsbekämpfer inszenierte, besitzt über Offshore-Firmen ein Schloss in Südfrankreich und weitere Villen.

Thematisiert werden schließlich auch die Finanzgebaren von Tony und Cherie Blair, die über eine Firma in den Britischen Jungferninseln ein viktorianisches Anwesen im Wert von 8,8 Millionen Dollar kauften und somit rund 400.000 Dollar an Steuern einsparten. Auch über 100 Personen, die sich auf der Liste des Forbes-Magazins „The World’s Billionaires“ befinden, tauchen mit ihren Offshore-Praktiken in den Dokumenten auf.

Langfristige Dimension der Recherchen

Auch Reporter.lu wurde in den Daten fündig und wird in den kommenden Tagen und Wochen mehrere Storys dazu veröffentlichen. Die „Pandora Papers“ sind kein „One-off“-Rechercheprojekt, sondern ein massiver Datenpool, aus dem sich über einen längeren Zeitraum schöpfen lässt. Auf der Grundlage der Millionen Dokumente drängen sich zudem mittel- bis langfristige Nachforschungen auf, die nicht nur auf einzelne Missstände, sondern auf strukturelle Probleme der heutigen Finanzwelt aufmerksam machen werden.


Die „Pandora Papers“ sind ein internationales Rechercheprojekt des „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) in Zusammenarbeit mit über 600 Journalisten, 150 Medien aus 117 Ländern der Welt. Reporter.lu ist als Luxemburger Medienpartner erstmals Teil der ICIJ-Kooperation.

Mehr Informationen zum Projekt und zu den Ergebnissen der Recherche erfahren Sie auf der Webseite des ICIJ.


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