Russische Oligarchen, ein Investmentfonds in Luxemburg und ignorierte Hinweise auf Geldwäsche: Die „Pandora Papers“ enthüllen komplexe Finanzkonstruktionen, bei denen die Kontrolle der Luxemburger Aufsichtsbehörden bisweilen versagt. Eine Spurensuche.
Am 18. April 2019 treffen sich in Singapur die Topmanager des Offshore-Finanzdienstleisters „Asiaciti“. Es geht an diesem frühen Nachmittag um die „Russian Cases“. Nach anderthalb Jahren Streit mit der Finanzaufsicht des südostasiatischen Stadtstaates trennt sich das Unternehmen von mehreren russischen Kunden und deren Gesellschaften. Darunter befinden sich zwei Offshore-Firmen, die einen Luxemburger Investmentfonds namens „Altera“ kontrollieren. Der Hintergrund: Verdächtige Transaktionen, die keine wirtschaftliche Substanz nachweisen können. In Luxemburg stellten sich die Aufsichtsbehörden dagegen weitaus weniger Fragen.
Der Fall ist symptomatisch für die mitunter nachlässige Kontrolle der Luxemburger Fondsindustrie, die ihr Prestige aus ihrem sauberen Image zieht. Anders als bei den Banken begann die Geschichte des Standorts hier nicht mit Schwarzgeld und Steuerhinterziehung. Der Erfolg des Finanzplatzes gründet in diesem Bereich auf Know-how und einem steuerlich günstigen Umfeld für Investoren, so die offizielle Darstellung. Gleichzeitig birgt die hiesige Fondsbranche aber vergleichsweise hohe Risiken, als Schauplatz von Transaktionen im Zusammenhang mit Geldwäsche genutzt zu werden.
Recherchen von Reporter.lu im Rahmen der vom „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) koordinierten „Pandora Papers“ zeigen, dass eine effektive Kontrolle der hiesigen Fondsindustrie und ihrem verwalteten Vermögen von 5,6 Billionen Euro in jedem einzelnen Fall kaum möglich ist. Kapitalkräftige Investoren können über Luxemburg überaus diskret ihr Vermögen verwalten, ohne dass immer nachvollzogen werden kann, woher das Geld stammt.
Luxemburger Fonds als Tarnung
Im Fall des Altera-Fonds diente das Großherzogtum als Plattform, um obskuren Offshore-Strukturen von russischen Oligarchen einen respektablen Anstrich zu verleihen. Hinter dem Fonds verbirgt sich unter anderem Kirill Androsov, Ex-Vize-Stabschef von Wladimir Putin und bis 2010 stellvertretender Wirtschaftsminister der Russischen Föderation. Auf renommierten Veranstaltungen wie dem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg gab sich der 49-jährige Ex-Politiker als „Managing Partner“ von Altera aus.
Doch nie wurde öffentlich, woher das mehrere Hundert Millionen US-Dollar umfassende Fondsvermögen kam. Recherchen von Reporter.lu belegen: Dubiose Transaktionen rund um die Fondsgesellschaft und unzureichende Anti-Geldwäsche-Kontrollen riefen die Behörden in Singapur auf den Plan. Der vertrauliche Bericht der „Monetary Authority of Singapore“ und weitere Dokumente aus den „Pandora Papers“ offenbaren verdächtige Finanzgeschäfte, die auch in Luxemburg die Warnsysteme hätten auslösen müssen.
There was a notable failure to holistically monitor and adequately probe into circuitous transaction patterns with questionable economic purpose (…)“Vertraulicher Bericht der „Monetary Authority of Singapore“
Der Investmentfonds „Altera Investment Fund SICAV-SIF“ entstand 2011 – in einer Zeit, in der sich die Luxemburger Regierung um enge Beziehungen zu Moskau bemühte. „Unser Finanzplatz soll sich den russischen Unternehmen als Pforte für deren Investitionen in der EU und in den Vereinigten Staaten anbieten“, sagte der damalige Premier Jean-Claude Juncker (CSV) im Jahr 2010 bei einem Treffen mit Präsident Dmitri Medwedew in Sotschi. Auch der damalige Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) pflegte dort seine Bekanntschaften, von denen er später als Geschäftsmann profitieren sollte.

Die Gründung von Altera entsprach demnach der politischen Linie einer immer enger werdenden russisch-luxemburgischen Zusammenarbeit. Der Fonds startete im ersten Jahr mit einem investierten Kapital von 400 Millionen US-Dollar. Im Verwaltungsrat saßen neben Kirill Androsov der Schweizer Unternehmer Philipp Kindt und der Schweizer Geschäftsanwalt Benno P. Hafner. Die Briefkastenfirma „Swiss Advising and Consulting Group Ltd“ aus dem Schweizer Kanton Zug trat als Gründer auf.
Altera hielt zu Beginn vor allem eine Beteiligung von zwei Prozent am Aluminium- und Energiekonzern „EN+“. Das Konglomerat gehörte damals mehrheitlich dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska, der seit 2018 wegen seiner Nähe zu Wladimir Putin auf der Sanktionsliste der USA steht. Die Bandbreite der Investitionen reichte von industriellen Firmen über eine Supermarkt-Kette aus der Sowjet-Ära bis hin zu Tech-Startups. Am Ende investierte der Fonds verstärkt in Immobilien, etwa Bürogebäude in Moskau sowie Luxusimmobilien in Wien und London.
Ein Oligarch mit Reputationsproblemen
Der Altera-Fonds unterlag bei seiner Gründung der Kontrolle durch die „Commission de Surveillance du Secteur Financier“ (CSSF). Die Luxemburger Finanzaufsicht hakte bei der Genehmigung auch nach, welche Eigentümerstruktur sich hinter der Gesellschaft verbirgt.
Dokumente aus den „Pandora Papers“ zeigen, dass der Fonds über drei Schichten an Offshore-Gesellschaften dem russischen Investor Evgeny Novitsky gehörte. Der Oligarch führte viele Jahre das russische Konglomerat „AFK Sistema“ als Präsident des Verwaltungsrats. Ab 2011 tagte er als „independent director“ im Vorstand von „Sistema“ – neben dem früheren Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP). Letzterer gab seinen Sitz im vergangenen Jahr an Ex-Vizepremier Etienne Schneider (LSAP) ab.
Es ist möglich, dass ich in ein paar Sitzungen mit Evgeny Novitsky zusammen saß, das war es aber auch schon.“Jeannot Krecké, ehemaliger Wirtschaftsminister
Im Gespräch mit Reporter.lu gibt sich Jeannot Krecké kleinlaut. Weder Kirill Androsov noch Evgeny Novitsky will der ehemalige Wirtschaftsminister näher kennen: „Es ist möglich, dass ich in ein paar Sitzungen mit Evgeny Novitsky zusammen saß, das war es aber auch schon“, so Krecké. Der Altera-Fonds sei ihm zwar ein Begriff, er kenne aber keine Details.
Dabei zählt Evgeny Novitsky zu jenen russischen Unternehmern, die häufiger in der Presse auftauchen – nicht immer positiv. In einem Brief an die CSSF nahm er im Februar 2011 Stellung zu Medienberichten, denen zufolge ihm Verbindungen zur russischen Mafia nachgesagt wurden. Vor über 20 Jahren berichtete „Le Monde“ über den Vorwurf, Novitsky habe als Sistema-Chef keine Entscheidung getroffen ohne Zustimmung der sogenannten Solnzewo-Bruderschaft. Der Geschäftsmann klagte in Frankreich gegen den Artikel, verlor den Prozess aber.
Die Rolle der Luxemburger „Enabler“
Im Rahmen der „Pandora Papers“ konnte Reporter.lu ein Dokument einsehen, in dem Novitskys Brief an die CSSF zitiert wurde. Darin wies er die Anschuldigungen kategorisch von sich. Mehrere Prüfungsverfahren der britischen und amerikanischen Finanzaufsichten hätten keine Belege für die Vorwürfe gefunden, so die Verteidigung des heute 63-Jährigen. Der CSSF reichten die Erklärungen offensichtlich aus.
He was identified as being a member of an oligarchy belonging to the fourth circle of Vladimir Putin’s court.“ Compliance-Bericht von Asiaciti zu Evgeny Novitsky
Zudem konnte Evgeny Novitsky bei der Gründung des Altera-Fonds auf die Dienste etablierter Luxemburger Experten zurückgreifen: Die Anwaltskanzlei „Arendt&Medernach“ fungierte als Rechtsberater, die Bank „Edmond de Rothschild“ war als Depotbank mit an Bord und „EY“ hatte die Rolle des Wirtschaftsprüfers. Sowohl Arendt&Medernach als auch EY Luxembourg wollten den Fall Altera auf Nachfrage von Reporter.lu zum aktuellen Zeitpunkt nicht kommentieren.
Die Rolle der Luxemburger Akteure war aber noch unmittelbarer. Ab 2014 sitzt der Luxemburger Rechtsanwalt Alex Schmitt im Verwaltungsrat des Altera-Fonds. Zu den Fragen von Reporter.lu, ob er über den Verdacht gegen Evgeny Novitsky Bescheid gewusst habe, meint Alex Schmitt: „Diese Gesellschaft war zu dem Moment der Kontrolle der CSSF unterworfen. Es war also an der CSSF, diese Aspekte zu überprüfen.“
„Politically exposed person“
Fest steht: Evgeny Novitsky war darauf bedacht, dass die Investitionen des Fonds nicht so leicht bis zu ihm nachverfolgt werden konnten. Mehrere Ebenen an Offshore-Gesellschaften lagen zwischen ihm und der Luxemburger Fondsgesellschaft.
Zudem hielt er die Anteile an Altera ab 2013 über einen sogenannten „insurance wrapper“. Diese waren Teil einer Lebensversicherung, die er mit „Swiss Life Luxembourg“ abgeschlossen hatte und die in einen „fonds interne dédié“ beim Versicherungskonzern flossen. Solche „insurance wrappers“ werden gemeinhin nicht nur eingesetzt, um Steuern zu sparen, sondern auch um die Identität des wirtschaftlichen Eigentümers einer Struktur zusätzlich zu verschleiern. Von Reporter.lu kontaktiert, gibt sich „Swiss Life“ zugeknöpft: „Wenn ein neuer Klient an Bord kommt, unterzieht Swiss Life Luxembourg SA diesen allen vom Gesetz vorgeschriebenen Anti-Geldwäsche-Prüfungen.“

Im Kampf gegen Geldwäsche gilt der Grundsatz: Je höher das Risiko, dass Gelder aus kriminellen Tätigkeiten kommen, desto genauer müssen Banken, Anwälte und Treuhänder hinschauen. Ein weiterer Faktor ist, wenn an den Geschäften Beteiligte politische Ämter innehaben oder hatten. Als früherer Minister gilt Kirill Androsov ohne Zweifel als „politisch exponierte Person“ (PEP). Auch Evgeny Novitsky wurde vom Dienstleister Asiaciti Trust in einem Compliance Report von 2018 als „high profile Russian PEP“ eingestuft, dies weil er zum erweiterten Oligarchenkreis um Wladimir Putin gehören soll.
Geschäfte mit „PEP“-Investoren sind grundsätzlich kein Problem in Luxemburg. So sehen es das Justiz- und das Finanzministerium in einer gemeinsamen Stellungnahme an Reporter.lu zum Fall „Altera“: „Die Präsenz einer oder mehrerer PEPs bei Kunden oder als ‚bénéficiaire effectif‘ heißt nicht notwendigerweise, dass die getätigten Operationen suspekt sein müssen. Dies verpflichtet den sachkundigen Bearbeiter, seine Wachsamkeit zu erhöhen und die angemessenen Maßnahmen umzusetzen, um das Risiko adäquat zu mildern. Nur wenn bei weiteren Überprüfungen ein Zweifel aufkommt, sollte die CRF verständigt werden. Offene Quellen, wie zum Beispiel Presseartikel, können zu solchen Meldungen führen.“
Imagepolitur durch angeheuerte Blogger
Warnungen der Luxemburger Akteure gab es offenbar nicht, obwohl Evgeny Novitsky und Kirill Androsov nicht immer die beste Presse hatten. Dass sich zumindest Androsov seines potenziellen Imageproblems bewusst war, zeigt ein weiteres Dokument, das Reporter.lu in den „Pandora Papers“ fand. Im Dezember 2018 schloss der Ex-Minister einen Vertrag mit der Schweizer Firma „Global Risk Profile“ ab. Im Vertrag wird ihm eine „neue digitale Identität“ versprochen. Dies soll durch gezielte Manipulation des Google-Algorithmus geschehen, dem Anheuern von PR-Bloggern sowie durch ein permanentes Monitoring seiner Wikipedia-Seiten. Hinzu kommt noch ein „War-Room“ -Service, der bei Imagekrisen schnell und effektiv „Angreifer“ abwehren soll.
A series of circular fund flows (including some demonstrating no plausible economic purpose) were allowed to pass through the trust accounts managed by Asiaciti Trust.“
Vertraulicher Bericht der „Monetary Authority of Singapore“
Das Geflecht aus Offshore-Firmen hinter dem Altera-Fonds ist ein zusätzliches Mittel gegen ungewollte öffentliche Aufmerksamkeit. Eine Offshore-Gesellschaft an sich muss aber auch nur bedingt verdächtig sein. „Das Mittel gegen undurchsichtige Strukturen ist die Verpflichtung, den wirtschaftlichen Eigentümer zu kennen. Damit soll vermieden werden, dass Personen Strukturen aufbauen, um sich dahinter verstecken zu können“, erklärt Max Braun, Direktor der „Cellule du renseignement financier“ (CRF) im Gespräch mit Reporter.lu.
Bei der Ermittlung und Kontrolle der „bénéficaires effectifs“ sei der Luxemburger Finanzsektor seit Jahren streng, betont der CRF-Direktor. Max Braun und sein Team erhalten Meldungen der Finanzdienstleister, wenn diese einen Verdacht auf Geldwäsche oder Finanzierung von Terrorismus haben. Der Grund dafür sind oft Zweifel, wer der tatsächliche Eigentümer ist. „Das Risiko ist, dass ein Strohmann als ‚bénéficiaire effectif‘ eingesetzt wird. Wenn das eine Person ist, die nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um tatsächlich der Eigentümer zu sein, dann muss der Dienstleister nachfragen“, betont Max Braun.
Ein Fonds wird grundsaniert
Genau das war die Frage, die sich ab 2017 im Fall des Altera-Fonds stellte. Aus den Handelsregistereinträgen lassen sich größere Änderungen nachzeichnen. Nicht nur wurde auf die Dienste der bekannten luxemburgischen Anwaltskanzlei „Bonn-Schmitt“ zugunsten von „Sedlo“, einer weitaus kleineren Kanzlei, verzichtet. Auch bekam Altera mit „RSM“ und „Vistra Trust“ neue Dienstleister am hiesigen Finanzplatz. Während RSM mehrfache Nachfragen von Reporter.lu unbeantwortet ließ, kam von Vistra die Standard-Antwort: „Wir sind nicht in der Position, über aktuelle oder nicht mehr aktive Kunden zu kommunizieren“. Man halte sich aber an alle vorgeschriebenen Regeln.
Wird gleichzeitig die Rechtsstruktur, die Anwaltskanzlei und der Treuhänder ausgetauscht, dann ergibt das zusammen ein anderes Bild. In dieser Konstellation müssten sich Finanzdienstleister Fragen stellen.“Max Braun, „Cellule du renseignement financier“
Zudem wurde der Fonds dereguliert und in eine „Société en Commandite Simple“ (SCS) umgewandelt. Der Vorteil dieses Umbaus: Solche alternativen Investmentfonds werden von der CSSF nicht unmittelbar kontrolliert und müssen auch keine detaillierten Audits durchführen lassen. Ab Ende September 2017 stand Altera denn auch nicht mehr auf der offiziellen Liste der regulierten Fonds, verzeichnete die CSSF damals. Damit waren die umfangreichen Audits durch EY nicht mehr verpflichtend und das Gutachten der Wirtschaftsprüfer musste nicht mehr im Jahresbericht veröffentlicht werden.

Die Deregulierung an sich sehen die Behörden nicht als Problem an. Zwar finde nach der Umgestaltung keine spezifische Prüfung mehr statt, es gebe jedoch weiterhin eine indirekte Aufsicht, erklärt die CSSF. Sowohl der Fondsmanager als auch die Depotbank und der Wirtschaftsprüfer müssten sich zu jedem Zeitpunkt an die Anti-Geldwäsche-Bestimmungen halten, betont Luxemburgs Finanzaufsicht auf Nachfrage von Reporter.lu.
Für den CRF-Direktor Max Braun zählt vor allem der Kontext. „Pauschal zu sagen, dass der Wechsel der rechtlichen Struktur ein Warnsignal ist, wäre gewagt. Wird gleichzeitig die Rechtsstruktur, die Anwaltskanzlei und der Treuhänder ausgetauscht, dann ergibt das zusammen ein anderes Bild. In dieser Konstellation müssten sich Finanzdienstleister Fragen stellen. Das kann man ganz klar so sagen.“
Hinter der Deregulierung stand der neue Besitzer des auf „Altera Capital SCS“ umgetauften Fonds – Kirill Androsov. Verträge, Schemata und E-Mails aus den „Pandora Papers“ zeigen, wie er im Juni und Juli 2017 mehrere Firmen in den Britischen Jungferninseln übernahm und so die Kontrolle über den Fonds in Luxemburg erhielt. Es ging vor allem um die „Pharonic Investments Limited“, der die Anteile an Altera gehörten (siehe Grafik).
CSSF genehmigte verdächtige Transaktion
Weder in Luxemburg noch in Singapur wurden die Umstände des Verkaufs des Altera-Fonds durch Evgeny Novitsky an Kirill Androsov jedoch als Alarmsignale gedeutet. Der Untersuchungsbericht der Finanzaufsicht in Singapur spricht von mehreren „red flags“, die der Offshore-Dienstleister Asiaciti ignoriert habe. Die „Monetary Authority of Singapore“ monierte in ihrem Bericht von März 2018 „zirkuläre Geldflüsse“ die keinen „plausiblen ökonomischen Zweck“ verfolgen – in der Branche ein Synonym für: einen harten Verdacht auf Geldwäsche.
Ein Verkauf, der keiner war
Der Verkaufsvertrag von „Pharonic Investments Ltd.“, den Reporter.lu über die „Pandora Papers“ einsehen konnte, zeigt mehrere Auffälligkeiten. Als Preis verlangt Evgeny Novitsky 113,8 Millionen Dollar. Für Ende 2016 gibt Altera laut dem Jahresbericht den Wert der Investments aber mit 310 Millionen Dollar an. Asiaciti begründete diese enorme Diskrepanz gegenüber der „Monetary Authority of Singapore“ damit, dass die Investments „nicht liquide“ seien und Novitsky weiterhin an den Gewinnen von Altera beteiligt geblieben sei.
Doch der Vertrag zeigt, dass Kirill Androsov tatsächlich nur 20 Millionen Euro für Pharonic sofort zahlte. Die restlichen 93 Millionen Euro sollten innerhalb von drei Jahren an Novitskys Offshore-Firmen überwiesen werden – ohne Zinsen. Der Grund ist einfach: Androsov konnte sich den Kauf von Altera und den anderen Firmen gar nicht leisten. Als sein gesamtes privates Vermögen gab er 86 Millionen Dollar an, heißt es im Bericht der singapurischen Finanzaufsicht.
Die Behörde in Singapur störte sich zudem an weiteren Millionenzahlungen von Novitsky an Androsov und Philipp Kindt. Asiaciti-Mitarbeiter bestätigten, dass die Zahlungen von Novitsky an Androsov und Kindt als „Geschenk“ für ihre guten Dienste beim Verwalten von „Altera Investment Fund“ zu verstehen seien. Die insgesamt 50 Millionen Dollar flossen dann aber wiederum auf Umwegen in den Kauf von Altera.
Die „Monetary Authority of Singapore“ kommt in ihrem Bericht zum Schluss, dass Evgeny Novitsky die Transaktionen rund um den Verkauf von Altera nutzte, um Teile seines Vermögens nach Singapur zu verlagern. Kirill Androsov habe dabei lediglich die Rolle des Strohmanns gespielt. Dabei ist letztlich fraglich, was Novitsky zu einem solchen Versteckspiel veranlasst haben könnte. Eine Möglichkeit wäre die Angst vor US-Sanktionen. Ein Unternehmen, dem er vorstand – der russische Militärzulieferer RTI – taucht in den Sanktionslisten der amerikanischen Regierung auf.
Die Zweifel der Behörde aus Singapur hegte die Luxemburger Finanzaufsicht offenbar nicht. Dabei musste die CSSF den Verkauf von Altera genehmigen, da zu diesem Zeitpunkt der Fonds noch unter ihre Kontrolle fiel. Im Vertrag zwischen Novitsky und Androsov steht die Genehmigung der CSSF explizit als Bedingung für die Transaktion.
Beim Verkauf einer Mehrheitsbeteiligung an einem Fonds, prüfe die CSSF die neuen wirtschaftlichen Eigentümer, heißt es von der Finanzaufsicht auf Nachfrage von Reporter.lu. Es werde kontrolliert, ob es sich um politisch exponierte Personen handelt und ob sie auf Sanktionslisten stehen. Sind Offshore-Trusts an der Transaktion beteiligt, werde zudem geprüft, ob deren Nutzung begründet ist und ob kein steuerliches Vergehen vorliegt. Schwere Steuerhinterziehung ist in Luxemburg strafbar und deshalb eine Vortat zu Geldwäsche.
Zum konkreten Fall des Altera-Fonds wollte sich die CSSF auf Nachfrage von Reporter.lu nicht äußern. Das sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Ob die CSSF doch Einwände hatte und ob dies schließlich zur Deregulierung der Fondsgesellschaft führte, lässt sich also nicht überprüfen. Der CRF ist es ebenfalls gesetzlich untersagt, konkrete Fälle öffentlich zu kommentieren. Evgeny Novitsky, Kirill Androsov und Philipp Kindt ließen Anfragen um Stellungnahmen von Reporter.lu unbeantwortet.
Luxemburg schaut zu
Die Luxemburger Finanzdienstleister blieben ihrerseits lange passiv. Nur der Geschäftsanwalt Alex Schmitt verließ im August 2017 den Verwaltungsrat von Altera. Die Anwaltskanzlei Sedlo und der Finanzdienstleister RSM bleiben dagegen bis zur Abwicklung im August 2019 an Bord. Geradezu nervös reagierte der Inhaber der Anwaltskanzlei, Adrian Sedlo, auf eine Nachfrage von Reporter.lu. Statt darauf einzugehen, versuchte er jegliche Namensnennung seiner Firma oder seiner Angestellten und Geschäftspartner zu unterbinden.
Entlang der gesamten Wertschöpfungskette findet eine indirekte Überwachung statt.“Stellungnahme des Justiz- und des Finanzministeriums zum Fall Altera
Ob die Luxemburger Behörden überhaupt von dem Geldwäsche-Verdacht in Singapur wussten, ist indes unklar. Im April 2019, als Asiaciti sich von den „Russian Cases“ trennte und insgesamt zwölf Offshore-Strukturen auflöste, meldete der Dienstleister mehrere von der „Monetary Authority of Singapore“ beanstandete Transaktionen offiziell der Geldwäsche-Einheit in Singapur. Sowohl die CSSF als auch die CRF arbeiten eng mit den jeweiligen Partnerbehörden in Singapur zusammen, bestätigen sie auf Nachfrage von Reporter.lu. Die CSSF unterschrieb bereits 2007 ein „Memorandum of Understanding“ mit ihrer singapurischen Partnerorganisation.
Auf Nachfrage von Reporter.lu wollte die „Monetary Authority of Singapore“ nicht bestätigen, ob sie in dem konkreten Fall die luxemburgischen Autoritäten gewarnt hat. Ein Sprecher der singapurischen Finanzaufsicht erklärte: „Die Monetary Authority of Singapore hat starke, kooperative Beziehungen in Sachen Überwachung mit unseren regulatorischen Ansprechpartnern und sucht oder gibt proaktiv Hilfestellung, wo es notwendig und angemessen ist.“
Singapur greift durch
Als Konsequenz für mangelhafte Anti-Geldwäsche-Kontrollen zwischen 2007 und 2018 sprach die „Monetary Authority of Singapore“ im Juli 2020 schließlich eine Strafe von 1,1 Millionen Singapur-Dollar (umgerechnet knapp 700.000 Euro) gegen Asiaciti aus. Die Liste der Verfehlungen des Offshore-Dienstleisters ist lang. Die Aufsichtsbehörde in Singapur warf Asiaciti mangelhafte Maßnahmen vor, besonders in Bezug auf die russischen Hoch-Risiko-Kunden. Die fehlenden Kontrollen hätten dazu geführt, dass der Dienstleister verdächtige Transaktionen falsch bewertet und nicht an die Behörden gemeldet habe.
„Pandora Papers“, das neue Offshore-Leak
Ein massives Datenleck, zwölf Millionen Dokumente, über 600 Journalisten und 150 Medien, darunter Reporter.lu: Die „Pandora Papers“ geben neue Einblicke in die Schattenwelt der Offshore-Firmen. Die Daten stammen von 14 Dienstleistern aus aller Welt. Diese Providerfirmen helfen ihren Kunden, ihr Geld in Steueroasen zu verstecken und oft auch vor den Behörden zu verheimlichen. Einer dieser Offshore-Provider ist „Asiaciti Trust“.
Die Recherchen zu den „Pandora Papers“ koordinierte das „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ). Mehr Informationen finden Sie auf der ICIJ-Webseite. Alle Artikel zu den Luxemburger Verbindungen in den Daten finden Sie in unserem Dossier.
Auf Anfragen des ICIJ und Reporter.lu reagierte „Asiaciti Trust Singapore“ abweisend: „Wir sind enttäuscht, dass die ICIJ und ihre Medienpartner erneut eine Story veröffentlichen, die falsche, unvollständige und potenziell illegal erlangte Informationen enthält, die darauf abzielen, unsere Industrie, Firma und Klienten negativ darzustellen“, heißt es in der schriftlichen Antwort an das Konsortium. Zuvor hatte Asiaciti der ICIJ mitgeteilt, die von der „Monetary Authority of Singapore“ verhängte Strafe betreffe „isolierte Probleme“, die inzwischen behoben seien.
In der Tat gab es eine Vorgeschichte: Die mangelhaften Anti-Geldwäsche-Kontrollen bei Asiaciti waren 2017 Gegenstand der Berichte über die vom ICIJ koordinierten „Paradise Papers“. Gegenüber dem ICIJ betonte die „Monetary Authority of Singapore“, die Kontrollen bei Asiaciti seien bereits Anfang 2017 geplant gewesen.
Laut den nun vorliegenden Dokumenten aus den „Pandora Papers“ fand die eingehende Prüfung allerdings erst von Januar bis März 2018 in den Büros von Asiaciti statt. Die Behörden in Singapur standen unter Druck, die Anti-Geldwäsche-Regel härter durchzusetzen, heißt es in einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg. In den Skandalen um „Wirecard“ und den malaysischen Fonds „1MDB“ war der Finanzplatz in Singapur jeweils ein Schauplatz.
„Ab dem ersten investierten Euro“
Das Durchgreifen der Behörden in Singapur blieb allerdings ohne Folgen in Luxemburg. Als der „Altera Capital SCS“-Fonds im August 2019 liquidiert wird, fließen laut Handelsregister die restlichen 252 Millionen US-Dollar an Investments zurück an die in den Britischen Jungferninseln registrierte „Pharonic Investments Limited“. Ohne weitere Probleme oder Nachfragen seitens der Luxemburger Aufsichtsbehörden.
Die Präsenz einer oder mehrerer politisch exponierter Personen bei Kunden oder als ‚bénéficiaire effectif‘ heißt nicht notwendigerweise, dass die getätigten Operationen suspekt sein müssen.“Stellungnahme des Justiz- und des Finanzministeriums zum Fall Altera
Dabei ist das generelle Geldwäsche-Risiko in der Fondsbranche den Behörden natürlich bewusst. In dem 2020 erstellten „National Risk Assessment“ wird das inhärente Risiko als hoch bewertet. Als Argumente gelten die Größe und die internationale Ausrichtung des Luxemburger Standorts. Allerdings geht der Bericht auch davon aus, dass die von der Finanzaufsicht eingeforderten Prozeduren die Gefährdung gut eingrenzen können.
Diese Darstellung liest sich auch aus der Stellungnahme der Regierung heraus, die Reporter.lu im Rahmen dieser Recherche anfragte: „Entlang der gesamten Wertschöpfungskette findet eine indirekte Überwachung statt. Diese entfällt auf Verwaltungsfirmen, Depotbanken, Fonds-Anbietern und Registrier-Agenten die ihren professionellen Verpflichtungen nachkommen, unter die auch die Sorgfaltspflicht fällt“, heißt es in einem gemeinsamem Schreiben des Finanz- und des Justizministeriums. Die Ministerien von Pierre Gramegna (DP) und Sam Tanson (Déi Gréng) behaupten sogar: „Die Kontrolle findet ab dem ersten investierten Euro statt.“
Schon frühere journalistische Recherchen, etwa das „OpenLux“-Projekt, konnten belegen, dass die Kontrolle „der gesamten Wertschöpfungskette“ im Fall von komplexen Offshore-Strukturen löchrig ist. Durch die „Pandora Papers“ lässt sich nun anhand von konkreten Beispielen noch klarer nachvollziehen, dass Anspruch und Realität beim Bekämpfen des Geldwäscherisikos oft weit auseinander liegen.
Die „Pandora Papers“ sind ein internationales Rechercheprojekt des „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) in Zusammenarbeit mit über 600 Journalisten, 150 Medien aus 117 Ländern der Welt. Reporter.lu ist als Luxemburger Medienpartner erstmals Teil der ICIJ-Kooperation.
Mehr Informationen zum Projekt erfahren Sie auf der Webseite des ICIJ.




