Für die Europawahlen gibt es dieses Jahr kein Wahlkampfabkommen. Damit brechen die etablierten Parteien mit einer langen Tradition. Die Folge: Die Wahlkampagnen bis zum 26. Mai werden weitgehend ohne Regeln und finanzielle Rechenschaft ablaufen.

„Wir hatten keine große Lust“, bringt es der Co-Präsident der Grünen, Christian Kmiotek auf den Punkt. Anders als bei den vergangenen Parlamentswahlen konnten sich die Parteien in diesem Jahr nicht auf ein Wahlkampfabkommen einigen. Mehr noch: Die meisten Parteien hatten gar kein Interesse, dass es zu einer solchen Verständigung kommt.

Dabei haben Wahlkampfabkommen in Luxemburg durchaus Tradition. Seit rund drei Jahrzehnten verpflichten sich die Parteien formal zu einem fairen Wahlkampf. Sie setzen den finanziellen Rahmen für Werbeausgaben und klären etwa, wie viele Plakate sie aufhängen und welche Gadgets sie austeilen dürfen.

In der Regel wird darüber diskutiert und mitunter gestritten. Die einen wollen die Zahl der Poster nicht begrenzen, die anderen feilschen um die Budgetgrenze. Die kleinen Parteien beschweren sich regelmäßig darüber, dass sie nicht in die Verhandlungen einbezogen werden. Oder, dass ihre Forderungen nicht berücksichtigt werden. Und spätestens während des Wahlkampfs werfen sich die Unterzeichner gegenseitig vor, sich nicht an die Vereinbarungen zu halten.

Keiner ergreift die Initiative

Dieses Jahr ist das anders. An dieser Situation scheint sich auch niemand zu stören. Es habe dieses Mal generell kein sonderlich großes Interesse an einem Abkommen gegeben, erklärt Christian Kmiotek (Déi Gréng). „Die anderen haben sich nicht bewegt“, sagt CSV Generalsekretär Felix Eischen. Auch die LSAP wollte keine Initiative ergreifen. Die DP will ihrerseits selbst die Verantwortung über die Gestaltung des Wahlkampfs übernehmen. Déi Lénk glauben ohnehin nicht an ein Abkommen und haben es auch die letzten Jahre nicht unterschrieben. Und laut ADR und den Piraten gab es zwar erste Diskussionen, die allerdings schnell ins Leere liefen.

Letztes Jahr war das Abkommen kaum das Papier wert, auf dem es geschrieben war.“Tom Jungen, LSAP

Die Äußerungen der Parteien könnte man als Indiz dafür werten, dass den Europawahlen in Luxemburg ohnehin kaum Bedeutung beigemessen wird. Hinzu kommt aber die Tatsache, dass es nach den Gemeindewahlen im Oktober 2017 und den Kammerwahlen im Oktober 2018 bereits die dritten Wahlen innerhalb von weniger als zwei Jahren sind.

Eines wird angesichts der Reaktionen der Parteien schnell klar: Es herrscht allgemeine Lethargie. Bei den Grünen heißt es gar, dass die Lokalsektionen kaum noch zu motivieren seien, die Wahlplakate aufzuhängen.

Statt selbst die Initiative zu ergreifen, wird die Verantwortung auf andere geschoben. So lag für die CSV der Ball bei den Regierungsparteien. Für die LSAP und die Grünen sind die Piraten schuld. Sie hätten letztes Jahr das Wahlabkommen für die Kammerwahlen mitgestaltet, seien dann aber abgesprungen. „Der Trick klappt nur ein Mal“, beschwert sich Kmiotek. Die Piraten kontern, dass sie die Diskussionen dieses Jahr angestoßen hätten. „Bis auf die Grünen haben anfangs alle Interesse gezeigt“, betont Marc Goergen. Doch am Ende habe niemand dem Vorstoß der Piraten Folge geleistet.

Budgets der Parteien steigen an

Ohnehin würde sich niemand an alle Abmachungen halten, lautet der allgemeine Tenor. „Letztes Jahr war das Abkommen kaum das Papier wert, auf dem es geschrieben war“, stellt etwa LSAP-Generalsekretär Tom Jungen fest. Déi Lénk und Piratenpartei kritisieren, dass die letzten Abkommen die Ausgaben und die übliche Materialschlacht nicht ernsthaft eingeschränkt hätten. Und Claude Lamberty (DP) betont: „Ein Abkommen, bei dem nicht jede Partei mitmacht, steht ohnehin auf keiner soliden Grundlage.“ Jene Parteien, die einen fairen Wahlkampf führen wollen, würden das auch ohne Vereinbarung, so der Generalsekretär der Liberalen.

Doch ob sich nun alle zu 100 Prozent an das Abkommen halten oder nicht: Zumindest setzt es einen gewissen Rahmen, mit dem nicht zuletzt die Öffentlichkeit die einzelnen Aktivitäten der Parteien nachvollziehen kann. So limitierte das Abkommen 2014 noch die Ausgaben für Werbeausgaben auf 65.000 Euro. Die Parteien durften maximal 100 große Werbeflächen und 200 Plakatständer einsetzen. Und als Wahlgeschenk gab es nur zwei Gadgets, darunter der traditionelle Kugelschreiber.

Es geht bei den Europawahlen ja nicht um die Machtverteilung, deswegen sind die Wahlen nicht so heikel.“Romain Kohn, Alia

Dieses Jahr haben die Parteien freie Hand. Man wolle das Budget von den letzten Europawahlen sowieso nicht überschreiten, beteuern die Parteivertreter auf Nachfrage. 2014 hatte die CSV mit 367.584 Euro das meiste Geld für die Wahlkampagne investiert. Knapp dahinter lag laut den beim Parlament hinterlegten Abrechnungen die DP mit 354.026 Euro. Die LSAP hatte in dem Jahr 243.582 Euro ausgegeben, Déi Gréng 172.114 Euro, Déi Lénk 94.037 Euro, die ADR 76.963 Euro und die Piraten 24.794 Euro.

Dieses Jahr hat sich die LSAP ein vorläufiges Budget von 200.000 bis 250.000 Euro gesetzt. Bei den anderen Parteien soll der Wahlkampfetat dagegen wesentlich ansteigen. Die Grünen wollen maximal 265.000 Euro ausgeben, die ADR 150.00, Déi Lénk 130.000 und die Piraten 50.000 Euro. Die CSV hat, rund sechs Wochen vor der Europawahl, laut ihrem Generalsekretär noch kein Budget festgesetzt. Die DP will erst nach dem Wahlkampf Angaben zu ihren Ausgaben machen.

Umgang mit sozialen Medien nicht reguliert

Problematischer als die mangelnde Transparenz ist aber wohl, dass es ohne Wahlkampfabkommen keine Regeln für die digitale Welt gibt. Für die Kammerwahlen letztes Jahr wurde zum ersten Mal ein Rahmen für das Verhalten auf den sozialen Netzwerken gesetzt. Die Parteien verpflichteten sich etwa formal dazu, keine Hass- oder Falschnachrichten zu verbreiten.

Bereits damals sorgte die Frage nach dem richtigen Umgang mit den sozialen Medien für Diskussionen: Den Piraten ging die Definition von „Hate Speech“ nicht weit genug, die LSAP wollte nicht auf zielgerichtete Werbung (sogenannte „dark ads“) verzichten.

Die sozialen Medien sind sowieso schwer zu überwachen.“
Sven Clement, Piratenpartei

Die sozialen Medien spielen eine immer größere Rolle im Wahlkampf. Nach den Wahlmanipulationen in den USA, Großbritannien, und Frankreich ist die Angst, dass sich Dritte in den Wahlkampf einmischen, groß. Die EU-Kommission hat aus diesem Grund eine eigene Task-Force eingerichtet und Google, Twitter, Facebook und Mozilla zu mehr Transparenz verpflichtet und allgemeine Richtlinien aufgestellt. Diese Richtlinien wurden via das Staatsministerium auch an die hiesigen Parteipräsidenten weitergeleitet. Die Parteien werden im Schreiben unter anderem dazu aufgerufen, ihre Ausgaben für die Online-Kommunikation im Wahlkampf offenzulegen.

In Luxemburg kommen die Parteien diesem Aufruf offensichtlich nicht nach. Die CSV wolle sich an die Empfehlungen halten, sagt zwar Felix Eischen. Eine Verpflichtung dazu gibt es aber nicht. Der LSAP-Generalsekretär zum Beispiel ist über die Richtlinien aus Brüssel nicht im Bilde. „Bei uns wurde kaum über die sozialen Medien gesprochen“, so Tom Jungen. Auch der Abgeordnete der Piratenpartei Marc Goergen wusste über die Richtlinien auf Nachfrage nicht Bescheid.

Nur begrenzte Kontrolle

Darüber, welche Inhalte die Parteien verbreiten, wie sie auf „Hate Speech reagieren“ und welche Werbung sie schalten, gibt es demnach keine Kontrolle. Oder darüber, ob die einzelnen Kandidaten ihre Inhalte selbst promoten. „Die sozialen Medien sind sowieso schwer zu überwachen“, gibt Sven Clement von den Piraten zu bedenken. Es sei kaum möglich, zu überprüfen, was die einzelnen Kandidaten machen, so der Abgeordnete.

Ohne Wahlkampfabkommen fehlt aber jegliche Transparenz im Umgang mit den Werbemitteln, die den Parteien zur Verfügung stehen. Lediglich die „Autorité Luxembourgeoise de l’Audiovisuel“ (Alia) übt eine begrenzte Kontrollfunktion aus. Sie überwacht die Präsenz der Parteien in jenen Medien, die einen öffentlich-rechtlichen Auftrag haben, also bei „RTL“ und „Radio 100,7“.

Darüber hinaus wird die Alia nur dann aktiv, wenn jemand eine Beschwerde einreicht. Damit rechnet Alia-Direktor Romain Kohn aber nicht. „Es geht bei den Europawahlen ja nicht um die Machtverteilung, deswegen sind die Wahlen nicht so heikel.“