Im Vorfeld der Europawahlen wollen sich die EU-Institutionen gegen russische Trolle und gezielte Desinformationskampagnen wappnen. Doch der Kampf gegen „Fake News“ riskiert zu einem Instrument zu werden, um das Image der EU aufzupolieren. Eine Analyse.

Es fallen Wörter wie „Krieg“ und „Bedrohung“. Von „Waffen“ ist die Rede, und davon, dass sich die EU „wappnen“ und „schützen“ muss. Dabei geht es aber nicht um einen Konflikt im traditionellen Sinne,  sondern um die Europawahlen im Mai. Die Angst, dass Drittstaaten diese durch gezielte Desinformationskampagnen beeinflussen oder gar manipulieren, ist in Brüssel allgegenwärtig.

Kaum ein Tag vergeht, an dem der Kampf gegen „Fake News“ kein Thema ist. Es werden Aktionspläne aufgestellt, Konferenzen organisiert und Experten zu Rat gezogen. Brüssel appelliert an seine Mitgliedsstaaten, stellt „Task-Forces“ auf und knöpft sich die Betreiber sozialer Netzwerke vor. Und das alles, um „unsere demokratischen Prozesse“ zu schützen, wie es Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker anlässlich seiner Rede zur Lage der Union letztes Jahr ausdrückte.

Die Frage, wie sich Europa gegen Desinformationskampagnen schützen kann, drängt sich spätestens seit „Cambridge Analytica“ und der Einflussnahme Russlands auf die US-Wahlen 2016 geradezu auf. Es herrscht ein „neuer Kampf mit neuen Einsatzregeln“, formuliert es der EU-Kommissar für die Sicherheitsunuon Julian King. Die Waffe? Die Manipulation der öffentlichen Meinung. Das Ziel? Die Schwächung von Demokratien.

Ein zweideutiger Aktionsplan

Nun also rüstet sich die EU. Im Dezember hat Brüssel seinen Aktionsplan gegen Desinformation vorgestellt. Eine ganze Reihe an Maßnahmen sollen dafür sorgen, dass die Europawahlen im Mai fair und demokratisch ablaufen und sich die Bürger eine informierte Meinung bilden können. Sie sollen mit einer „Vielfalt an politischen Ansichten“ konfrontiert und keinesfalls manipuliert werden. Kämpft Brüssel gegen Desinformation, geht es demnach um den Schutz der Wähler. „A Europe that protects“:  Mit dem Slogan sind die Maßnahmen der EU überschrieben.

Informiert Brüssel über „Fake News“, werden äußere Einmischungen und populistische Diffamationen immer öfter zu austauschbaren Begriffen.

Die Frage, wogegen Europa seine Bürger denn eigentlich schützen will, ist schwer zu beantworten. Die vorgestellten Maßnahmen geben nur bedingt Aufschluss. Das große „Wettrüsten“ der EU birgt zugleich Risiken. Denn die Grenzen zwischen äußeren Einmischungen und EU-kritischen Diskursen sind fließend. Nicht immer ist klar, wen Brüssel eigentlich bekämpfen will. Akteure, die es ganz gezielt auf eine politische Schwächung Europas abgesehen haben oder doch Populisten und unliebsame EU-Kritiker?

Beides, beteuern die hohen Vertreter der EU-Institutionen. Ob Presseschreiben, Reden, Aktionspläne oder Strategien: Informiert Brüssel über „Fake News“, werden äußere Einmischungen und populistische Diffamationen immer öfter zu austauschbaren Begriffen.

Systematische Falschmeldungen im Visier

Zentraler Punkt des besagten Aktionsplans ist eine Stärkung der strategischen Kommunikationseinheiten des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Der EAD ist für die Umsetzung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU zuständig. Seit mehreren Jahren geht es dabei auch um die Abwehr von systematischer Online-Desinformation. So wurde etwa 2015 die „EastStratComm“ ins Leben gerufen. Die Einheit beschäftigt sich mit der Richtigstellung, ausländischer bzw. ausdrücklich russischer Falschnachrichten, das Ganze unter dem Kampfnamen: EUvsDisinfo.

Im Rahmen der EU-Strategie gegen Desinformation soll die „StratComm“ ausgebaut werden. Mehr Geld und mehr Personal sollen dabei helfen, äußere Attacken zu identifizieren, zu verstehen und abzuwehren. Wie entstehen etwa russische „Trollfabriken“? Wie verbreiten sich Falschnachrichten? Welche Methoden und Kanäle nutzen die „Angreifer“? Mit solchen Fragen sollen sich spezialisierte Einheiten beschäftigen.

Was in Luxemburg ‚Nation branding‘ heißt, heißt in Brüssel ‚verbesserte Kommunikation‘.“

Inzwischen geht es dabei aber nicht mehr nur um Russland. Denn gezielte Desinformationskampagnen haben sich, zusammen mit Hackerangriffen und Cyber-Attacken, spätestens seit den US-Wahlen als genehme Methode zur Destabilisierung oder Schwächung anderer Staaten etabliert. Es scheint, als habe Brüssel seine Lehren aus den US-Wahlen gezogen. Bereits Monate vor den Europawahlen sendet sie ein Signal: „Wir sind gewappnet.“ Ein „Rapid Alert System“ soll den Mitgliedstaaten dabei helfen, koordiniert auf Angriffe zu reagieren und Daten auszutauschen.

Mit Populismus oder dem wachsenden Misstrauen gegenüber der EU hat diese Arbeit des EAD wenig zu tun. „Es geht um von Drittstaaten ausgehende Kampagnen, nicht um interne Fehden“, betont ein Mitarbeiter gegenüber REPORTER.

Das Ziel einer „besseren Kommunikation“

Dass es der EU jedoch sehr wohl auch um „interne Fehden“ geht, lassen andere Punkte des Aktionsplans vermuten. Denn im Kampf gegen Desinformation setzt Brüssel auf eine „bessere Kommunikation“ (proactive messaging). Den Mitgliedsstaaten will man „maßgeschneiderte Kommunikationstools“ zur Verfügung stellen: Etwa „Fakten“ zur Weiterverbreitung, und „Mythbuster“.

Es ist in Brüssel kein Geheimnis, was darunter zu verstehen ist. Positives „Messaging“ ist seit der Juncker-Kommission das allgegenwärtige Mantra der EU-Kommunikationsspezialisten (DG Comm). Besonders im Vorfeld der Wahlen soll die EU in einem besonders guten Licht dastehen. Was in Luxemburg „Nation branding“ heißt, heißt in Brüssel „verbesserte Kommunikation“.

Dass die Kommission sich gut verkaufen will, ist dabei eine Sache. Dass dieses Mantra auf andere Aktionsfelder überschwappt eine andere. Immer wieder lassen Beamte der unterschiedlichen Institutionen verlauten, sie wollten „sich DG Comm vom Leibe halten“. Denn Imagepflege und Sicherheitspolitik sind eigentlich getrennte Aufgabenfelder und sollten es auch bleiben.

Unterstützung von „unabhängigen“ Faktencheckern

Doch geht es um das Image, sollen auch Journalisten zu Partnern werden. So will die EU „unabhängige“ Faktenprüfnetzwerke fördern – wieder mit Blick auf die EU-Wahlen. Die Unabhängigkeit dieser Netzwerke wird von offizieller Seite in Brüssel immer wieder betont. Sie werden aber über europäische Finanzierungsinstrumente unterstützt.

Auch, dass Parlament und Kommission potentielle Kandidaten zu Konferenzen zusammenrufen, lässt Zweifel an der Unabhängigkeit der Initiative aufkommen. Insbesondere dann, wenn führende Kommissionsbeamte bei solchen Events etwa bedauern, dass „Experten inmitten wachsender EU-Skepsis kaum Gehör geschenkt wird“. Und fordern, dass Experten und Journalisten „zusammen hinter einer gemeinsamen Message stehen.“

Die Euroskepsis, die sich inmitten der europäischen Bürger breitmacht, lässt sich aber nicht alleine durch russische Trolle oder italienische und ungarische Populisten erklären.“

Beim Aktionsplan geht es also keineswegs nur um russische Trolle. Die Vermischung zwischen Abwehr gegen Einflussnahme von außen und Imagepflege nach innen wird dann ersichtlich, wenn die EU-Organe über ihre Maßnahmen kommunizieren. Anlässlich der erwähnten Konferenz sagte etwa der Vizepräsident des EU-Parlaments, Ramón Valcárcel (EVP): „Mit Lügen und Halbwahrheiten treiben Populisten und Nationalisten einen Keil zwischen die Bürger Europas. Wir müssen die soziale Einheit der europäischen Bürger schützen.“

Dass Brüssel Angst davor hat, dass populistische Parteien gestärkt aus den EU-Wahlen hervorgehen, ist legitim. Das Problem ist der Kontext, in dem solche Aussagen fallen. Beim spanischen Abgeordneten etwa war es eine Konferenz für Faktenprüfer, die von Experten und EU-Offiziellen auf die Europawahlen vorbereitet wurden.

Eine komplexe politische Gemengelage

Die Frage darf also erlaubt sein: Worum geht es Brüssel letztlich? Um die Abwehr von Cyber-Attacken, den Kampf gegen Populismus oder um das eigene Ansehen?

„Eine gesunde Demokratie braucht eine offene, freie und faire öffentliche Debatte. Es ist unsere Pflicht, diesen Raum zu schützen, und wir dürfen keine Verbreitung von Desinformation zulassen, die Hass sät, zu Spaltung anstachelt und das Vertrauen in die Demokratie erschüttert.“ Diese Worte stammen von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini, als sie die EU-Strategie im Dezember vorstellte.

Doch wo verlaufen die Grenzen zwischen Euroskepsis, Spaltung oder einem Angriff auf die Demokratie? Handelt es sich bereits um einen Angriff auf die Demokratie, wenn Populisten eine Kampagne gegen das Impfen für sich ausnutzen. Über die Frage, wie weit ihr Engagement gegen „Fake News“ gehen soll, scheint sich die EU-Kommission noch nicht ganz einig zu sein.

Das Problem ist durchaus komplex. Nicht immer lassen sich äußere Angriffe bis zur Quelle zurückverfolgen. Gleichzeitig profitieren Akteure wie Russland besonders vom Aufstieg von euroskeptischen Parteien. Die Schwächung von Demokratien lässt sich am besten durch die Stärkung von Populisten erreichen. Desinformation oder „Fake News“ sind keinesfalls eine Waffe, die nur jene einsetzen, die den europäischen Demokratien ganz gezielt schaden wollen.

Das wahre Problem liegt woanders

Letztlich aber lässt sich die Vermischung vor allem auf eines zurückführen: die Angst vor dem Zerfall der europäischen Idee. Aus den Worten der selbsternannten Kämpfer für die Demokratie spricht die Furcht davor, dass die europäischen Bürger nicht mehr an Europa glauben.

Der grüne Abgeordnete Philippe Lamberts drückte es jüngst so aus: „Es gibt Trolle, doch es gibt auch Menschen, die wollen an die falschen Informationen glauben. Und zwar weil die EU sie immer wieder enttäuscht hat. Jahrelang wurde ihnen weis gemacht, dass sie von der EU profitieren und es ist nicht der Fall. Dann wenden sie sich ab und glauben vielleicht lieber an andere Lügen, etwa an die der Populisten.“

Die Euroskepsis, die sich inmitten der europäischen Bürger breitmacht, lässt sich aber nicht alleine durch russische Trolle oder italienische und ungarische Populisten erklären. Letztlich liegt der Fehler auch bei der EU selbst. Strukturelle Mängel, mangelnde Transparenz, Kommunikationsprobleme, umstrittene Personalentscheidungen: Jahrelange Versäumnisse lassen sich nicht so kurz vor den Wahlen mit einer feierlichen Desinformationsstrategie beheben. Es besteht eher die Gefahr, dass die Glaubwürdigkeit der EU weiteren Schaden erleidet.