Marc Spautz hat seine Gedanken zur Wahlniederlage der CSV aufgeschrieben. Die Analyse des Ex-Parteichefs ist zum Teil selbstgerecht und enthält bewusste Lücken. Sie könnte dennoch zur Erneuerung der Christsozialen beitragen. Ein Kommentar.

Eines muss man Marc Spautz lassen: Nach Wahlniederlagen sagen Politiker stets, dass man jetzt die Gründe für das schlechte Abschneiden der eigenen Partei ausführlich analysieren müsse. Dazu kommt es meist aber nicht. Der ehemalige CSV-Vorsitzende stellt hier eine bemerkenswerte Ausnahme dar. Auch wenn seine Gedanken wohl ursprünglich nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt waren, leistet er damit einen Beitrag zu jener selbstkritischen Debatte, die man in der CSV oft vermisst.

Nun könnte man der Meinung sein, dass es rund fünf Monate nach den Wahlen an der Zeit wäre, nach vorne zu schauen. Die CSV könnte es etwa der LSAP gleichtun, die nach ihrer Wahlniederlage ohne den Hauch von Selbstzweifeln wieder zur Tagesordnung übergeht. Doch eine Partei, die seit über fünf Jahren in der Opposition ist und dieses Schicksal hinter sich lassen will, kann und sollte sich die Zeit zur Infragestellung der eigenen Strategie nehmen.

So sieht es offenbar auch Marc Spautz. Eine „gründliche parteiinterne Analyse nach den Wahlen“ sei absolut notwendig, schreibt der Ex-Parteichef in einem persönlichen Bericht, der im Dezember 2018 verfasst wurde und den „RTL“ nun veröffentlichte. Seine Betrachtungen sind durchaus lesenswert. Die CSV könnte sich daran ein Beispiel nehmen. Eine Auseinandersetzung mit den Gründen für das schlechte Abschneiden am 14. Oktober 2018 wäre zumindest konstruktiver als die anhaltende interne Debatte um Eitelkeiten und Ambitionen einzelner Personen.

Eine Chronik von Fehlern und Versäumnissen

Die Analyse von Marc Spautz zeichnet sich durch eine gewisse Nüchternheit aus. Punkt für Punkt reiht der Politiker jene Gründe aneinander, die seiner Meinung wesentlich zum suboptimalen Abschneiden seiner Partei bei den Wahlen beigetragen haben. Manche davon sind offensichtlich und wurden bereits thematisiert. Andere sind in dieser Form aber durchaus neu und rechtfertigen eine weitergehende kritische Betrachtung.

Dazu gehört das Eingeständnis eines „übersteigerten Optimismus“ und eines „falschen Sicherheitsgefühls“, welche laut Spautz eine große Konsequenz auf die Ausrichtung der Wahlkampagne hatten. Man sei sich sicher gewesen, dass die CSV den nächsten Regierungschef stellt („Claude séchere Premier“). In dieser Hinsicht sei auch die frühe Kür von Claude Wiseler als Spitzenkandidat im Oktober 2016 ein „strategischer Fehler“ gewesen.

Permanent ze soen ‚Mir hunn e Plang‘ geet net duer.(…) E Slogan ersetzt kee Programm.“Marc Spautz, Ex-Parteichef der CSV

Vor allem hätten sich aber manche andere Kandidaten auch schon als sichere Regierungsmitglieder gesehen. Marc Spautz gibt an dieser Stelle etwa zu, dass manche CSV-geführte Gemeinden schon im Sommer die Nachfolge von Bürgermeistern oder Schöffen regeln wollten, die fest damit gerechnet hatten, in ein CSV-geführtes Kabinett einzutreten.

Ebenso folgenschwer war für Spautz im Rückblick, dass man sich für ein „offenes Wahlprogramm“ entschieden habe. Die CSV habe ihr Programm schon als pragmatische Grundlage für Koalitionsverhandlungen verfasst – das Ergebnis war ein Programm, dem es „an Herz, an Ecken und Kanten“ fehlte.

Ein vernichtendes Urteil für die eigene Partei

Neben diesen strategischen Irrtümern, die mit der Ausgangsposition zu tun hatten, stellt der Autor aber auch eine Reihe von taktischen Fehleinschätzungen fest. Durch die Analyse zieht sich der Eindruck einer Partei, die sich nicht einmal die Mühe machte, inhaltliche Positionen zu beziehen. Und wenn, dann handelte es sich laut Spautz um punktuelle Vorstöße („Eintagsfliegen“), die nicht lange genug und auch nicht koordiniert über alle der CSV zur Verfügung stehenden Kanäle „gespielt“ wurden.

Ernüchterung am Wahlabend: Marc Spautz gehörte zu den wichtigsten Entscheidungsträgern der CSV im Wahlkampf. (Foto: Matic Zorman)

Immer wieder liest man aus der Analyse heraus, dass die CSV ihren Wahlkampf nicht konsequent und professionell genug führte. Man sei zu wenig präsent gewesen, etwa in den sozialen Medien, aber auch auf Events, bei denen man nicht allein von Parteikollegen umgeben war. Die Botschaft der Partei sei zudem von Anfang an verschwommen gewesen. „D’CSV huet laang Méint e Plang annoncéiert, de net komm ass, bis d’Leit et midd waren (oder carrément de Geck gemaach hunn)“, schreibt Spautz. Und: „E Slogan ersetzt kee Programm“.

D’CSV hat keen Thema, dat am Gudden oder am Schlechten mat hir associéiert ginn ass.“Marc Spautz, Ex-Parteichef der CSV

Die Selbstkritik wird auch an den wenigen Inhalten festgemacht, welche die CSV im Wahlkampf überhaupt thematisierte. Mit den Themen „Pensiounen, Gemengefusionen“ habe man selbst bei CSV-nahen Wählerschaften negative Reaktionen hervorgerufen. Zudem habe man für traditionelle Wählergruppen wie den Mittelstand nichts im Angebot gehabt. Und auch keine Vorschläge in der Klima- oder Umweltpolitik, „wat ville Léit méi ënnert de Neel gebrannt huet ewéi eng mathematesch-akademesch Diskussioun iwwer Pensiounen“.

Das Fazit von Marc Spautz ist letztlich vernichtend für die eigene Partei: „D’CSV hat keen Thema, dat am Gudden oder am Schlechten mat hir associéiert ginn ass.“

Was der Analyst Marc Spautz lieber verschweigt

Der politische Analyst Marc Spautz macht sich aber auch selbst angreifbar. Ein Beispiel ist das Kapitel, in dem er sich mit der Rolle des „Luxemburger Wort“ auseinandersetzt. Die Idee, wonach eine „Distanz“ der traditionell der CSV wohlgesonnen Tageszeitung eine Rolle gespielt habe, lässt sich vielleicht noch diskutieren. Doch die Aussage, wonach das „Wort“, dessen Verwaltungsratschef seit 2016 Luc Frieden heißt, in den vergangenen fünf Jahren „massiv die Regierungsparteien unterstützt“ habe, ist schlicht absurd.

An dieser Stelle lässt sich Spautz in seiner Analyse zudem von seinen Gefühlen und persönlichen Enttäuschungen überwältigen. Die Zeitung habe „eine Reihe von CSV-Politikern systematisch ignoriert oder in ein schlechtes Licht gestellt“, heißt es etwa. Man muss kein Psychologe sein, um aus diesen Zeilen herauszulesen, dass der Autor damit vor allem sich selbst meinen dürfte.

Dabei fragt sich Spautz offenbar nicht, ob er sich in seiner jüngeren Karriere vielleicht selbst in ein schlechtes Licht gestellt hat und damit auch unmittelbar zum Misserfolg seiner Partei beigetragen haben könnte. Man erinnere sich etwa an die diversen medialen Kontroversen, die in direktem Zusammenhang mit der Person Marc Spautz standen: Stichwort: „SMS-Affäre“, „Rosa Uniformen“, „Kleeschen-Gate“. Wenn man schon die möglichen Gründe für die Schwäche und Angriffsfläche der CSV zusammenträgt, sollte man auch möglichst komplett sein.

Die ungeklärte Frage der Verantwortung

Spätestens hier wird die Schwäche der Analyse deutlich. Zwar legt Spautz immer wieder den Finger in die christlich-sozialen Wunden. Doch er versäumt es bewusst, Ross und Reiter zu nennen. Denn der Autor der hier zitierten Analyse war nicht irgendein interessierter Beobachter der Politik; Marc Spautz war Parteivorsitzender und damit einer der Hauptverantwortlichen für das, was er jetzt schonungslos kritisiert.

Seine inhaltlich interessante Analyse ist demnach nur halb so überzeugend, weil er die Frage der Verantwortung komplett ausspart. Die Frage, wer für welche Fehler oder Versäumnisse verantwortlich war, liegt bei all den von Spautz angesprochenen Punkten auf der Hand. Der einzige, der nach den Wahlen öffentlich die „komplette Verantwortung“ übernahm, war jedoch der Spitzenkandidat Claude Wiseler. Wie es aus Kreisen der damaligen Kampagne heißt, habe sich dieser im Zweifel nicht mit eigenen Ideen durchgesetzt, sondern bis zum Schluss auf die diversen Berater aus der Partei gehört.

Andererseits ist die Frage nach der Verantwortung mittlerweile dann doch nicht mehr so entscheidend. Denn mit Fraktionschef Claude Wiseler, Parteichef Marc Spautz, Generalsekretär Laurent Zeimet und Wahlkampfberater Marc Glesener sind keine der damals federführenden Akteure noch an herausragender Stelle in der CSV aktiv.

Unabhängig von der ungeklärten „Schuldfrage“ geht aus der Analyse deutlich hervor: Die CSV hat die Wahlen selbst verloren. Sie hat vieles falsch gemacht und hatte eben keinen „Plang fir Lëtzebuerg“. Anhand von den Ausführungen des Ex-Parteichefs lässt sich jedenfalls besser verstehen, wie Wiseler, Spautz und Co. den als sicher geglaubten Wahlsieg verspielen konnten. Niemand wird zwar jemals wissen, wie es ohne diese Fehler und Versäumnisse ausgegangen wäre. Doch die Partei hat sich einiges vorzuwerfen. Oder konstruktiver, aus der Sicht der CSV formuliert: Man weiß jetzt, wie man es beim nächsten Mal nicht machen sollte.


 

Lesen Sie mehr zum Thema