Macht, Geld, Einfluss, öffentliche Anerkennung, das Gefühl von Wichtigkeit: Warum gehen Menschen in die Politik? Und warum bleiben viele ein Leben lang Berufspolitiker? Christoph Bumb hat sich mit einigen Suchtgefährdeten aus der politischen Klasse unterhalten.
„Es klingt vielleicht blöd, aber ich bin kein machtgeiler Typ“, sagte einmal Xavier Bettel. Macht sei kein Selbstzweck. Man brauche sie aber eben, „um Dinge zu verändern“. Es gebe aber auch Leute, die unbedingt und nur an die Macht wollen. Denen ginge es vor allem um die damit verbundenen „Symbole der Macht“ wie einen Dienstwagen mit Chauffeur. Das sei ihm aber komplett fremd, so der Premier im Interview mit REPORTER vor den vergangenen Wahlen.
Xavier Bettels Schilderung ist dabei durchaus repräsentativ für die politische Klasse – in Luxemburg und darüber hinaus. Nur die wenigsten Amtsträger geben offen zu, dass sie Macht wollen. Dass Politik und Macht im Grunde Synonyme sind. Und dass nur die allerwenigsten diese Macht freiwillig aufgeben.
Doch Macht ist nicht alles, auch in der Politik nicht. Um zu verstehen, warum Politiker ihren Job als Berufung auffassen, von der sie nur schwer wieder loskommen, spielen noch andere Vorzüge eine Rolle. Das öffentliche Ansehen etwa und die allumfassende Beachtung, die man als Politiker erfährt. Politik als „Wichtigkeitsdroge“ nannte es der verstorbene deutsche Journalist Jürgen Leinemann in „Höhenrausch“, seinem Standardwerk über „die wirklichkeitsleere Welt der Politiker“.
Macht, Status und Wichtigkeit
„Es geht schon auch um einen gewissen Status“, gibt Alex Bodry zu. Der langjährige Parlamentarier, Ex-Minister, Ex-Bürgermeister, Ex-Parteichef, Ex-Fraktionschef der LSAP kann mittlerweile aus Erfahrung sprechen. Nach nahezu 40 Jahren in der aktiven Politik gab er sein Abgeordnetenmandat auf und wechselte in den Staatsrat. Mit diesem Schritt sei schon ein gewisser Abstieg in der öffentlichen Wahrnehmung verbunden gewesen, bekennt der 61-Jährige. „Man ist von einem Moment auf den anderen etwas weniger wichtig. Damit muss man erst einmal umgehen können.“
Wie äußert sich diese Wichtigkeit? Im Grunde genau durch das, was Xavier Bettel als die „Symbole der Macht“ definierte: Man wird auf der Straße erkannt; man ist gefragt und sitzt bei allen großen gesellschaftlichen Events in der ersten Reihe; man erfährt Applaus und viele andere Formen der Zustimmung; man ist gern gesehener Gast der Medien; man reist um die Welt und begegnet dort den wirklich Mächtigen. Kurz: Das ganze Umfeld verleitet einen Politiker dazu, sich selbst für enorm wichtig und bedeutend zu halten.
Viele von uns suchen in der Politik auch Respekt und Bestätigung, die sie anderswo vielleicht nicht so leicht erfahren. Das ist ein sehr menschliches Phänomen.“Alex Bodry, langjähriger LSAP-Spitzenpolitiker
„Politik verleiht ihren Akteuren ein Gefühl von Wichtigkeit, die über alles hinausgeht, was sie in den anderen Berufen erfahren würden“, zitiert Jürgen Leinemann in seinem Buch den deutschen SPD-Politiker Wolfgang Thierse. „Tagtäglich werden sie in ihrer Bedeutung bestätigt, und sei es nur durch Kritik.“ Typisch für Spitzenpolitiker sei, dass sie aus ihrer Macht und dem Hochgefühl ihrer Bedeutsamkeit ihre „Existenzberechtigung“ ziehen, fügt der Autor hinzu. Die akute Suchtgefahr dieser Konstellation liegt auf der Hand.
„Wer bin ich dann noch?“
Dass die öffentliche Beachtung ein wesentlicher Vorzug der Politik ist, zeigt sich vor allem, wenn man sie nicht mehr hat, meint Alex Bodry. „Ich habe das in meiner Karriere bei vielen Kollegen erlebt. Es ist die Angst, was nach der politischen Karriere passiert. Erkennen mich die Leute noch auf der Straße? Wer bin ich dann noch?“ Diese „Angst vor dem Fall in die Bedeutungslosigkeit“ sei in der Politik wohl noch stärker vorhanden als in anderen Berufen, so der LSAP-Politiker.
Er persönlich fühlt diese Angst noch nicht, sagt der langjährige Parlamentarier. Immerhin wird das Urgestein der Sozialisten noch in der para-politischen Arena des Staatsrats tätig sein. Doch die Entscheidung, nach fast vier Jahrzehnten aus der ersten Reihe zu treten, ist ihm sicherlich nicht leicht gefallen. „Viele von uns suchen in der Politik auch Respekt und Bestätigung, die sie anderswo vielleicht nicht so leicht erfahren. Das ist ein sehr menschliches Phänomen“, so Alex Bodry.

Der verstorbene tschechische Präsident Václav Havel hatte einmal drei Gründe ausgemacht, warum Menschen nach politischer Macht streben: 1. Idealismus, also der Einsatz für eine bessere Welt; oder mit Xavier Bettel gesprochen: „Dinge verändern“. 2. Pragmatismus, also all jene finanziellen und materiellen Privilegien, die ein politisches Mandat mit sich bringt. Und 3. die „enorme Möglichkeit, sich selbst zu bestätigen, indem man weithin sichtbare Abdrücke der eigenen Existenz hinterlässt“.
Wann merkt man, dass man von etwas abhängig ist? Wenn die Droge mal nicht mehr verfügbar ist. Über diese Entzugserscheinungen sprechen Politiker noch weniger gern als über ihr Verhältnis zur Macht. Doch es gibt auch Ausnahmen. So vertraute der CSU-Politiker Horst Seehofer einem Journalisten einmal an, wie er nach einem Karriereknick wahre „Entzugserscheinungen“ hatte. „Politik ist eine Sucht“, gab Seehofer ohne Ausschweife zu. Von einem Tag auf den anderen nicht mehr wichtig sein, nicht von jedem nach seiner Meinung gefragt zu werden: Das ist der kalte Entzug des „Politoholic“.
Die Nebeneffekte der Macht
Auch Gast Gibéryen blickt mit den Worten „Ein Leben lang Politik“ auf seine Karriere zurück. Im Laufe des kommenden Jahres soll auch für den ADR-Politiker im Parlament Schluss sein. Und auch er gibt zu, dass die Politik nicht nur wegen der Möglichkeit zur Gestaltung anziehend sein kann. „Natürlich wollen Politiker populär sein. Sonst bleiben sie nicht lange Politiker.“ Das wirkliche Suchtpotenzial der Politik hängt aber doch mit Macht, er nennt es lieber „Einfluss“, zusammen.
Die besondere Mischung aus Macht und Bestätigung hat aber auch negative Nebeneffekte, sagen beide erfahrene Politiker. „Politik ist absolut faszinierend“, schwärmt Alex Bodry. Mit ihr gehe allerdings eine bestimmte Lebensweise einher, die nicht jeder aushält. Dazu gehört auch ein gewisser Realitätsverlust, schreibt Jürgen Leinemann in „Höhenrausch“. Durch die Begehrlichkeiten der Macht würden Politiker Gefahr laufen, das Wesentliche, also die Sorgen und Probleme der Bürger aus den Augen zu verlieren.
Problematisch wird es, wenn die Politik das ganze Leben bestimmt. Wenn man dauerhaft für und von der Politik lebt.“Alex Bodry, langjähriger LSAP-Spitzenpolitiker
Anstrengend seien vor allem die etlichen Verpflichtungen neben dem eigentlichen Job, erklärt Alex Bodry. „Parteiveranstaltungen, Bezirksversammlungen, Vereinsarbeit, jederzeit erreichbar sein: All das ist extrem zeitintensiv.“ Als Vollzeitpolitiker hat man „kein Wochenende“, man ist nie „in Zivil“ unterwegs. Ab einer gewissen Machtposition steht man laut Bodry konstant unter Druck, wird nicht nur politisch, sondern auch persönlich attackiert, was zum Teil die Familie in Mitleidenschaft ziehen kann.

Die Dauerbelastung müsse man auch rein körperlich erst einmal aushalten, gibt Alex Bodry zu bedenken. Die Folgen des hohen Stresslevels eines Spitzenpolitikers sind zudem nicht zu unterschätzen. Der Tod von Camille Gira und die Herzattacke von Felix Braz hat die gesamte politische Klasse mitgenommen; vor allem auch deshalb, weil beide Fälle nach Meinung vieler Weggefährten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Lebensstil des Politikers standen. „Das macht etwas mit einem und das geht mir heute noch nahe“, sagt auch Gast Gibéryen, der den Zusammenbruch von Camille Gira im Parlamentsplenum aus nächster Nähe miterlebt hatte. Man sei eben „zuerst Mensch und erst dann Politiker“.
Ein Leben für die Politik
Die Gesundheit ist denn auch einer der Gründe, warum sich Gibéryen im Laufe des nächsten Jahres zurückziehen will. „Ich freue mich jetzt schon auf einige ruhige Jahre ohne vollen Terminkalender“, sagt er. Und doch fällt es ihm schwer, völlig von der Berufspolitik loszulassen. Seine größte Sorge: „Kann ich mich wirklich komplett zurückziehen und unwichtig machen? Wie höre ich auf, wie ein Politiker zu denken?“
Bestätigung und Beifall, Aufmerksamkeit und Zustimmung lösen im Gehirn Impulse aus, die Wohlgefühl vermitteln und ein rauschähnliches Erleben auslösen.“Jürgen Leinemann, Autor von „Höhenrausch“
Es ist eine Sorge, die viele Politiker mit vergleichbarer Erfahrung und Stellung teilen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass viele im Beruf Politik völlig aufgehen. „Problematisch wird es, wenn die Politik das ganze Leben bestimmt. Wenn man dauerhaft für und von der Politik lebt“, sagt Bodry in Anlehnung an Max Webers berühmten Vortrag „Politik als Beruf“.
Das Berufspolitikertum kann sogar so weit gehen, dass manche sich regelrecht in die Politik flüchten, dort ihr Lebensglück suchen und ohne Politik kaum noch funktionieren können. Jean-Claude Juncker und Jean Asselborn seien für ihn zwei Beispiele für diesen Extremtypus des Vollzeitpolitikers, sagt Alex Bodry. Das Wirken beider Spitzenpolitiker konnte er über mehrere Jahrzehnte aus unmittelbarer Nähe beobachten.
Von der Politik leben
Apropos „von der Politik“ leben: Sowohl Alex Bodry als auch Gast Gibéryen geben zu, dass es neben der Macht und dem Ansehen noch ein weiteres Suchtmittel gibt. Auch finanziell mache man sich als Berufspolitiker nämlich abhängig von dieser ganz besonderen Tätigkeit. Als Abgeordneter in Luxemburg verdient man gut und gerne 12.000 Euro im Monat, manche auch weitaus mehr. Minister erhalten ein Grundgehalt von über 18.000 Euro monatlich; Premier, Vizepremier und Außenminister liegen noch wesentlich darüber.
Kurz: Eine weitere Form der Abhängigkeit, aus der sich manche Berufsgenossen nur schwer freiwillig wieder herausziehen können, meint Gast Gibéryen. Viele Politiker würden ohne Abgeordneten- oder Ministergehalt anderswo sicher weniger verdienen, ergänzt Alex Bodry. Das verleitet natürlich dazu, diese finanzielle Sicherheit so lange wie möglich aufrecht zu erhalten.

Der Fall Jean-Claude Juncker verdeutlicht aber, dass das Geld letztlich ab einem gewissen Machtniveau kein entscheidender Beweggrund mehr sein kann. Nach seinen 30 Jahren als Regierungsmitglied und fünf Jahren als EU-Kommissionschef müsste Juncker heute zwar Multimillionär sein. Gleichzeitig ließ sein Wirken als wohl bekanntester Luxemburger „Politoholic“ gar keine Zeit, um das verdiente Geld auch nur ansatzweise auszugeben.
Das Finanzielle ist aber durchaus ein weiterer Grund für die Abgehobenheit mancher Politiker von den Problemen breiter Bevölkerungsschichten. Berufspolitiker haben in der Regel keine Geldsorgen, sind nicht von Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Und je länger sie Teil der politischen Klasse sind, desto größer wird mitunter der Abstand von den Lebenswirklichkeiten der Nicht-Politiker.
Schmeichelhafte Prominenz
Auch Djuna Bernard (Déi Gréng) bestätigt das hohe Abhängigkeitspotenzial der Politik. Im Gegensatz zu Bodry und Gibéryen steht die 27-Jährige, die erst seit knapp einem Jahr im Parlament sitzt, noch am Anfang ihrer Karriere. Und doch deckt sich ihre Erfahrung zum Teil bereits mit jenen Schilderungen der „alten Hasen“.
„Die Abhängigkeit ist allein schon deshalb da, weil man als Politiker nicht alles selbst in der Hand hat“, sagt sie. Durch ständiges Feedback, sei es Schulterklopfen oder Kritik, erhalte man schon sehr früh den Eindruck der Unverzichtbarkeit. „Man spürt förmlich die Verantwortung gegenüber den Wählern, sich überall einzubringen oder zumindest Präsenz zu zeigen.“
Diese Prominenz kann einem schon schmeicheln. Sie kann auch beflügeln, weil man weiß, dass viele Menschen hinter einem stehen.“Djuna Bernard, Abgeordnete von Déi Gréng
Die Vorzüge ihres Mandats würden auf der Hand liegen, so Djuna Bernard. Als Politiker würden einem viele Türen in der Gesellschaft geöffnet, die anderen Bürgern verschlossen bleiben. Auch die Wichtigkeit, die mit dem Mandat einhergeht, sei schon früh zu spüren. Politik sei zwar ein „hartes Geschäft“, eine „Arena voll mit Alphatieren“, in der einem wenig geschenkt werde. Gleichzeitig finde man aber auch als Neuling sofort Beachtung in der breiten Bevölkerung.
„Diese Prominenz kann einem schon schmeicheln. Sie kann auch beflügeln, weil man weiß, dass viele Menschen hinter einem stehen“, so die Grünen-Politikerin. Oder wie es wiederum der Journalist Jürgen Leinemann ausdrückte: „Bestätigung und Beifall, Aufmerksamkeit und Zustimmung lösen im Gehirn Impulse aus, die Wohlgefühl vermitteln“, ja „die ein rauschähnliches Erleben auslösen“.
Die Ära des „Insta-Fame“
Doch das Politiker-Dasein hat auch definitiv Schattenseiten. „Man verliert seine Freizeit, und bis zu einem gewissen Grad auch seine Freiheit, so zu leben, wie man es vorher gewohnt war“, so Djuna Bernard. Als Parlamentarierin stehe man immer „im Schaufenster“. Man dürfe sich keine Fehler erlauben, müsse Vorbild sein und nebenbei auch noch jegliche Kritik aushalten.
Letzteres hat sie am meisten überrascht, erzählt die Abgeordnete. In Zeiten der allgegenwärtigen sozialen Medien erhält man zwar unmittelbares, oft konstruktives Feedback von Bürgern. Aber man müsse sich auf einmal auch mit persönlichen Beleidigungen und „Hate Speech“ auseinandersetzen.

Gleichzeitig gilt Djuna Bernard aber als Vertreterin einer Politiker-Generation, die Facebook, Instagram und Co. gezielt für ihre Zwecke nutzt. „Natürlich nutze ich die sozialen Medien auch als Mittel zur Vermarktung“, sagt sie. Es seien für sie Kanäle, über die sie ganz natürlich mit Freunden, und jetzt eben potenziellen Wählern, kommunizieren könne.
Das habe einerseits einen „pragmatischen“ Grund, nämlich: „Man will ja präsent sein und wiedergewählt werden.“ Andererseits kann sie aber so auch ihr idealistisches Verständnis von Politik ausleben: „Ich will dadurch auch die Hürden zwischen Wählern und Gewählten abbauen.“ Und: „Ich will zeigen, dass man als junge, engagierte Frau selbstbewusst Politik machen kann.“
Gegen soziale Medien haben Alex Bodry und Gast Gibéryen zwar nichts. Auch sie posten munter Botschaften, Fotos und Videos auf Facebook oder Twitter, wobei die Grenze zwischen Amtsträger und Privatmensch oft genug verschwimmt. Gleichzeitig stellen beide Politiker fest, dass sich im Vergleich zu ihrer Pionierzeit in den 1980er Jahren doch viel verändert hat. Abgeordnete, die nach der Wahl erst einmal mit allen Kollegen im Plenum Selfies machen: Das habe es zu seiner Zeit nicht gegeben, sagt Gibéryen.
Die Gefahr der „Selbstberauschung“
Damit meint der erfahrene Abgeordnete natürlich nicht nur den technologischen Fortschritt an sich, sondern auch die „übertriebene Selbstdarstellung“ mancher Politiker. Diese ziele oft gar nicht mehr auf die Förderung von politischen Inhalten ab, sondern sei nur noch eine „Inszenierung des Politikers an sich“. Zum Problem wird die „Politik als Beruf“ in der Tat, wenn das Machtstreben der Politiker „unsachlich und ein Gegenstand rein persönlicher Selbstberauschung“ wird, schrieb schon vor knapp 100 Jahren der Soziologe Max Weber.
Es gibt einem schon eine enorme Zufriedenheit, wenn man Dinge verändern kann und die Menschen das mit einem persönlich in Verbindung bringen.“Gast Gibéryen, ADR-Abgeordneter
Manche Abgeordnete würden den Eindruck erwecken, als seien sie mit ihrer ersten Wahl ins Parlament bereits „am Ziel angekommen“, sagt auch Alex Bodry. Dabei bringe das stark personalisierte Luxemburger Wahlsystem ohnehin mit sich, dass der „Promi-Faktor“ fast schon ein Garant für die andauernde Wiederwahl sei. Das sei auch bei ihm der Fall gewesen, räumt Bodry ein, der seit 1984 ohne Unterbrechung immer in die „Chamber“ gewählt wurde. Der Unterschied sei aber: Früher hätte man ohne ein deutliches inhaltliches Profil wenig Chancen auf eine politische Karriere gehabt.
Ohne jenen Spitzenpolitikern, die im Beruf die Jahrzehnte überdauern, zu nahe treten zu wollen, will Djuna Bernard diese Karriere überhaupt erst vermeiden. „Ich will mich nicht abhängig machen von der Politik“, sagt sie. „Fünf bis maximal zehn Jahre“ will sie im Parlament bleiben. Danach will sie eine neue Herausforderung angehen, die natürlich „auch in einem anderen politischen Amt“ liegen kann. Ausschließen, dass sie wie Bodry oder Gibéryen nie so richtig von der „Droge Politik“ wegkommen wird, kann sie ehrlicherweise aber auch nicht. „Ich versuche aber, mich ständig in Frage zu stellen.“
Einer, der ausgestiegen ist
„Es gibt einem schon eine enorme Zufriedenheit, wenn man Dinge verändern kann und die Menschen das mit einem persönlich in Verbindung bringen“, bringt Gast Gibéryen den Reiz der Politik auf den Punkt. Auf kommunaler Ebene sei dieses Gefühl häufiger und unmittelbarer, so der Politiker, der fast ein Vierteljahrhundert Bürgermeister von Frisingen war.
Als Minister könne man von dieser Droge noch in stärkeren Dosen kosten, erinnert sich auch Alex Bodry, der 1989 schon im politisch zarten Alter von 31 Jahren erstmals Regierungsmitglied wurde. Als Mitglied der Exekutive habe man schon eine gewisse Macht, die Dinge in eine bestimmte Richtung zu bewegen, sagt er. Gleichzeitig lerne man aber auch sehr schnell, „dass Macht auf viele Schultern verteilt ist und auch oft außerhalb der Politik liegt.“

Einer, der schnell in die hohen Sphären der Macht aufstieg, sich rasch daran gewöhnte und die Arena im Vergleich auch zügig wieder verließ, ist Ex-Vizepremier Etienne Schneider. „Sehr untypisch“ für die politische Klasse, bemerkt Parteifreund Alex Bodry mit einem Schmunzeln.
Anders als viele seiner einstigen Berufsgenossen hatte Etienne Schneider denn auch ein eher entspanntes Verhältnis zur Macht. „Ich habe schon gerne die Macht, die ich habe“, sagte der selbst ernannte Macher der Luxemburger Politik einst im Interview mit REPORTER vor den Wahlen 2018. Seinen freiwilligen Rückzug aus der aktiven Politik Richtung Wirtschaft kommentierte er ähnlich offen wie ein Abhängiger auf dem Weg in die Entziehungskur: „Ich will mein Leben zurück.“
Das wahre Suchtpotenzial
Macht ja, aber nicht nur um der Macht willen: So definieren die meisten Politiker also ihre Abhängigkeit. Es gehe ihnen ja nur um die Möglichkeit, zu gestalten und Dinge zum Besseren zu verändern, so die politisch korrekte Antwort der akut Suchtgefährdeten.
Wenn man ehrlich ist, sei es eine Mischung aus vielen, durchaus rühmlichen und weniger rühmlichen, also „allzu menschlichen Motiven“, sagt Alex Bodry. Macht oder Einfluss ist also nicht der einzige Grund, der einen dazu bringt, so lange wie möglich in der Politik zu bleiben. Weil sich die Macht irgendwann auch wieder „verflüchtigt“. Gutes Geld kann man letztlich auch woanders verdienen, und an manchen Stellen auch noch um einiges besser als in der Politik. Und wem es um reine Prominenz geht, der wäre wohl im Showbusiness glücklicher.
Letztlich macht also nur die Kombination aller genannten Vorzüge den Reiz der Politik aus. Die Erfahrung, seinen persönlichen Einfluss nutzen und steigern zu können, sei schon faszinierend sagt auch Gast Gibéryen. Doch zur Droge wird die Politik erst durch die andauernde Wirkung und Rückmeldung in der Öffentlichkeit, pflichtet Alex Bodry bei.
Dass man etwas Sinnvolles bewirken kann, die Menschen genau das anerkennen und man nebenbei noch gut davon leben kann – daran kann man sich schon gewöhnen, hört man die Abhängigen sagen. Es ist wohl genau dieses vollkommene Gefühl, das viele in der Politik suchen. Manche wohl vergeblich. Und doch lässt es die meisten nicht mehr so schnell los.