Luxemburg tut sich weiter schwer, den Finanzplatz zur Achtung der Menschenrechte und der Umwelt zu verpflichten. Jetzt will die Regierung verhindern, dass die Fondsindustrie unter eine geplante EU-Richtlinie fällt – auf Druck aus dem Finanzministerium.

„Ich finde das extrem schade. Die Fonds wären ein wichtiger Hebel gewesen, um weiterzukommen“, meint Charles Muller, Vorsitzender der Vereinigung „Finance and Human Rights“ im Gespräch mit Reporter.lu. Er bezieht sich damit auf die Luxemburger Haltung zur neuen EU-Lieferketten-Richtlinie. Diese sieht vor, dass europäische Unternehmen ein „nachhaltiges und verantwortungsvolles Verhalten in allen globalen Wertschöpfungsketten“ beachten sollen.

Die neuen Sorgfaltspflichten für Unternehmen werden europaweit kontrovers diskutiert. In Luxemburg geht es vor allem um die Frage, inwiefern die Akteure des Finanzplatzes – und besonders die Fondsindustrie – unter die Regelung fallen sollen. „Den Besonderheiten des Finanzsektors muss korrekt Rechnung getragen werden“, sagte Jean Asselborn (LSAP) in seiner Rede zur Außen- und Europapolitik im Parlament. „In dem Sinne beantragte eine Reihe EU-Länder, dass die Fonds aus der Richtlinie ausgeschlossen werden sollen. Wir unterstützen diese Position“, so der Außenminister.

Für Insider ist diese Haltung überraschend. Charles Muller war früher Mitglied des Vorstands der Investmentfonds-Lobby ALFI, heute setzt er sich für eine menschenrechtsbewusste Finanzwirtschaft ein. In dieser Eigenschaft ist er auch Mitglied einer Arbeitsgruppe des Außenministeriums, welche die Umsetzung der UN-Leitlinien für Menschenrechte begleiten soll. Dort sei es in den Gesprächen eher darauf hinausgelaufen, die Fondsindustrie und den Finanzplatz bei der Richtlinie ebenfalls einzubeziehen, erklärt der Experte im Gespräch mit Reporter.lu.

Diskretes interministerielles Gremium

Luxemburg positioniert sich mit seiner Haltung gegen die Europäische Kommission, welche die Finanzinstitute und auch die Fondsindustrie bei der Richtlinie mit einbeziehen will. Laut der EU-Exekutive seien die bisherigen freiwilligen Bemühungen der Finanzindustrie unzureichend gewesen. So steht es in der Begründung des Vorschlags der Kommission für die „Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit“, die Ende Februar vorgestellt wurde.

So viel Geld verdient Luxemburg jetzt auch nicht mit Fonds, die sich nicht an Menschenrechte halten.“
Charles Muller, „Finance and Human Rights“

Die Position der Regierung passt zudem nicht zur bisherigen offiziellen Leitlinie, wonach man sich für einen „nachhaltigen“ Finanzplatz einsetze. Auch das blau-rot-grüne Regierungsprogramm von 2018 sah vor, aus Luxemburg „ein internationales Zentrum für nachhaltige und grüne Finanzen“ zu machen, indem ein „exemplarisches Ökosystem für nachhaltige Finanzen auf internationalem Niveau geschaffen werden soll“. Eine „Ilres“-Umfrage, die von der „Initiative pour un devoir de vigilance“, einem Zusammenschluss von 17 NGOs aus Luxemburg, in Auftrag gegeben wurde, kommt zudem zum Schluss: 86 Prozent der Befragten sind dafür, die Finanzindustrie mit in die Verantwortung zu nehmen.

Wie konnte es nun zu diesem Umschwenken kommen? Noch im Februar dieses Jahres verwies das zuständige Außenministerium auf die Arbeiten eines interministeriellen Komitees, das diese heiklen Fragen klären sollte. Die Arbeiten dieses Gremiums wurden der Öffentlichkeit bisher jedoch vorenthalten. Auch mehrere Nachfragen von Reporter.lu liefen ins Leere. Einen Abschlussbericht des Komitees gebe es nicht, und auch die daraus entstandenen Leitlinien wurden der Redaktion auf Nachfrage nicht mitgeteilt.

Stattdessen gab es ein Statement von einem Pressesprecher aus dem Außenministerium: Seitdem der EU-Vorschlag auf dem Tisch liege, laute die Position der Regierung, dass man „konstruktiv bei den Verhandlungen mitarbeiten“ wolle, damit „die luxemburgischen Ziele adäquat im Text“ wiedergegeben werden könnten. Welche Ziele das genau sind, konnte das Ministerium – das keine Dokumente über die luxemburgische Strategie öffentlich machen wollte – nicht sagen.

Finanzinteressen vs. Menschenrechte

Auch sei das interministerielle Komitee laut dem Außenministerium „in engem Kontakt“ mit allen betroffenen Parteien sowie der Zivilgesellschaft gewesen. Das verneinen jedoch mehrere Vertreter von betroffenen Nichtregierungsorganisationen im Gespräch mit Reporter.lu. Dazu gehört Jean-Louis Zeien, Präsident von „Fairtrade Lëtzebuerg“, der auch an der „Initiative pour un devoir de vigilance“ beteiligt ist. „Wir hatten keinen Einblick in das Komitee, aber wir sind auch nicht wirklich überrascht“, so der langjährige Aktivist gegenüber Reporter.lu. Seiner Meinung nach hätten sich eben jene Kräfte durchgesetzt, die von vornherein verhindern wollten, dass die Fondsindustrie unter eine europäische Richtlinie fallen sollte.

Jean-Louis Zeien verweist auch darauf, dass diese Blockadehaltung sehr kurzfristig gedacht sei, denn Luxemburg habe dadurch eine „Business Opportunity“ verpasst, um einen wirklich nachhaltigen Finanzplatz zu gestalten: „Die Niederländer haben das erkannt“, meint er und verweist auf eine Studie, welche die niederländische Regierung dazu bewog, von sich aus ein Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen.

Nach dem Willen des Finanzministeriums soll die heimische Fondsindustrie bei der europäischen Sorgfaltspflicht außen vor bleiben. (Foto: Mike Zenari)

Auch Charles Muller kann die Haltung der Regierung nicht nachvollziehen: „An sich ist es eine schreckliche Aussage: Wenn wir uns an die Menschenrechte halten, haben wir kein Business mehr. So viel Geld verdient Luxemburg jetzt auch nicht mit Fonds, die sich nicht an Menschenrechte halten“, so der Vorsitzende von „Finance and Human Rights“.

Dennoch gibt es einige Beispiele von Unternehmen, die Fonds in Luxemburg aufgelegt haben, deren Bilanz in Sachen Menschenrechte und Umweltschutz höchst fragwürdig ist: Seien es die luxemburgischen Finanzstrukturen der israelischen Firma „NSO“ oder fragwürdige Investments eines luxemburgischen Fonds in die chinesische „Tencent“-Holding, die in Verbindung mit der Überwachung der uigurischen Minderheit steht, wie die Vereinigung ASTM herausfand. Dass Luxemburg in Sachen „Greenwashing“ auch keine weiße Weste hat, haben Journalisten von „Luxtimes“ mit ihrer rezenten Berichterstattung zu den „Dark Green Funds“ belegt: 43 Prozent der luxemburgischen Fonds, die sich als nachhaltig verkaufen, investieren der Recherche nach in Gas, Öl, Kohle oder in die Luftfahrt.

Insgesamt werden in den Luxemburger Investmentfonds Vermögenswerte von über 5.000 Milliarden Euro verwaltet. Zum Vergleich: Der gesamte Haushalt der EU-Kommission für 2023 beträgt 167,8 Milliarden Euro. Kein Wunder also, dass die Fondsindustrie und ihr Lobbyverband, die ALFI, in Luxemburg ein gewisses politisches Gewicht haben.

Spürbarer Lobby-Einfluss

Und dennoch ist die Art, wie es zur Blockadehaltung kam, bemerkenswert. Denn laut Informationen von Reporter.lu waren nicht alle Ministerien von Beginn an auf dieser Linie. „Sämtliche vertretenen Ministerien waren dafür, den Finanzplatz und die Fondsindustrie in die Richtlinie mit einzubeziehen. Nur das Finanzministerium stellte sich quer“, heißt es von einer Quelle, die mit den Beratungen des interministeriellen Komitees vertraut ist und nur unter der Wahrung ihrer Anonymität darüber sprechen wollte.

Demnach sei der Einfluss der Bankenvereinigung ABBL oder der ALFI in den Beratungen auch stets spürbar gewesen. Auch Finanzministerin Yuriko Backes (DP) habe den Diskurs der Finanzplatzlobbyisten übernommen und letztlich dafür gesorgt, dass Luxemburg bei der Lieferkettengesetzgebung eine Ausnahme für die Fondsindustrie anstrebe.

Auf die Frage, ob das Finanzministerium die anderen Ministerien wirklich ausgebremst habe, will ein Sprecher von Yuriko Backes nicht antworten. Die Position Luxemburgs sei „das Resultat von interministeriellen Austauschen und Kompromissen. Diese Position wird von allen Ministerien getragen“, heißt es aus dem Finanzministerium. Weiterhin begründet das Ministerium seine Haltung mit Bedenken gegenüber „rechtlichen Unsicherheiten sowie doppelt angewendeten Verpflichtungen, die bereits existieren“.

Weitere Verhandlungen auf EU-Ebene

Dabei würde der Finanzplatz keine gravierenden Verluste machen, wenn die Fondsindustrie tatsächlich von der Richtlinie betroffen wäre. Vielmehr gibt es mehrere Gründe, die für die Richtlinie sprechen: Diese sieht zwar vor, sämtliche Finanzdienstleister ihren Verpflichtungen zu unterstellen. Doch die „Ermittlung der negativen Auswirkungen“ muss vor der „Erbringung der Dienstleistung“ stattfinden. Was dann mit den erbrachten Leistungen passiert, betrifft die Finanzdienstleister nicht mehr direkt. Ihre Haftung wäre also in jedem Fall begrenzt.

Dieser Kompromiss macht nicht viel Sinn. In ein paar Jahren werden sowieso neue EU-Regeln kommen, die genau das durchsetzen werden, was Luxemburg gerade verweigert.“Jimmy Skenderovic, „Luxembourg Sustainable Finance Initiative“

Hinzu kommt: Die Richtlinie würde nur Kredite an große Unternehmen betreffen, nicht aber solche an Privatpersonen oder etwa mittelständische Unternehmen. Und schließlich: Der Richtlinie nach fällt der gesamte Finanzsektor explizit nicht unter die Bezeichnung „Branche mit hohem Schadenspotenzial“. Dies hätte eine noch stärkere Offenlegung seitens der Branche und auch mehr Haftung im Schadensfall erfordert.

Die Enttäuschung über die Entscheidung der Regierung reicht bis in parastaatliche Gefilde. Auch der Verwaltungsratspräsident der „Luxembourg Sustainable Finance Initiative“ (LSFI), Jimmy Skenderovic, kann der Blockadehaltung des Finanzministeriums wenig Gutes abgewinnen: „Dieser Kompromiss macht nicht viel Sinn“, meint er im Gespräch mit Reporter.lu, „In ein paar Jahren werden sowieso neue EU-Regeln kommen, die genau das durchsetzen werden, was Luxemburg gerade verweigert.“ Die LSFI, eine Initiative aus Staat und Finanzsektor zu nachhaltigen Finanzen, war im September 2021 selbst ins Visier der Kritik von NGOs geraten: Das von ihr ausgearbeitete Konzept habe weder auf Partizipation gesetzt, noch sei es präzise genug, um einen Wandel herbeizuführen.

Mit ihrem Umdenken zeigt die Regierung, wessen Argumente in ihrer Entscheidungsfindung Gewicht haben, und welche nicht. Aber auch in diesem Fall ist nicht alles in Stein gemeißelt, was im Finanzministerium entschieden wurde: Mit dem Vorschlag der EU-Kommission beginnt nun die Phase des Trilogs zwischen Rat, EU-Parlament und Kommission. Die neuesten Empfehlungen des Parlaments halten vehement an einer zwingenden Einbindung des Finanzsektors in die Richtlinie fest. Auch steht im EU-Ministerrat an diesem Donnerstag eine Entscheidung über die Reichweite der Richtlinie an. Ein Verbund von 50 NGOs hat diesbezüglich Briefe an sämtliche zuständigen Minister verschickt, damit sie ihre Position noch einmal überdenken – auch an Jean Asselborn.


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