Nach langem Streit hat der LSAP-Minister Claude Haagen die Blockade um die Erstattung von Psychotherapie-Kosten aufgelöst. Ein Gespräch über politische Verantwortung und Diekircher Affären, zu denen der Ex-Bürgermeister bisher geschwiegen hat.

Interview: Laurence Bervard

Herr Haagen, seit vielen Jahren wird über eine mögliche Übernahme der Kosten von Psychotherapie-Behandlungen diskutiert. Die Verhandlungen zwischen der Gesundheitskasse (CNS) und dem Psychotherapeuten-Verband „Fapsylux“ sind immer wieder gescheitert. Jetzt sind Sie seit knapp einem Jahr Minister und haben diesen Konflikt im Alleingang aufgelöst. Sie haben einen neuen Tarif festgelegt, der nun von der CNS übernommen werden soll. Ist das eine Leistung, auf die Sie stolz sind?

Aus diesem Blickwinkel habe ich das ehrlich gesagt noch nicht betrachtet. Es gab ein Problem und deshalb habe ich eine neue Mediation angeregt, die dann erneut scheiterte. Dann waren wir in einer Situation, in der ich eine Entscheidung treffen musste. Ich habe immer versucht, das Dossier aus der Sicht der Patienten zu bewerten. Gerade auch im Kontext der Pandemie gibt es viele Menschen, die auf solche Behandlungen angewiesen sind. Manche konnten sich das bisher leisten, andere nicht. Ob das mich nun persönlich zufriedenstellt oder stolz macht … Sagen wir so: Wenn ich diese Entscheidung schon früher hätte treffen können, hätte ich das gemacht.

Ihr Vorgänger im Amt, Romain Schneider (ebenfalls LSAP), hat sich mit einer solchen Entscheidung jedoch schwergetan. Es war aber schon so, dass Sie bewusst entschieden und dabei Ihr ganzes politisches Kapital in die Waagschale warfen

Natürlich. Wenn man politisch etwas erreichen will, muss man Dinge entscheiden und sein politisches Kapital nutzen. Es ist aber nicht so, dass ich hier irgendwelche Sanktionen ausgesprochen hätte. Ich habe eine Entscheidung getroffen, auf die jeder gewartet hat und die eindeutig im Interesse der Patienten ist.

Der Tarif von 144 Euro pro Therapiesitzung, den Sie festgelegt haben, liegt einerseits unter den Forderungen der Fapsylux. Andererseits ist er aber auch deutlich höher als die 127 Euro, die die CNS am Ende vorschlug. Haben Sie bei Ihrer Entscheidung auch die finanzielle Schieflage der CNS bedacht?

Natürlich haben wir auch das bedacht. Die Berechnung des neuen Tarifs ist ausgeglichen, fundiert und geht natürlich über die Idee hinaus, dass man einfach einen Kompromiss zwischen den Forderungen beider Parteien finden muss. Die CNS hat selbstverständlich die Finanzen im Blick, aber auch mögliche Folgen auf andere Berufszweige und Behandlungen, die in Zukunft von ihr übernommen werden könnten. Sie wollte wohl auch keinen Schneeballeffekt erzeugen. Für mich war wichtig, dass die Patienten eine Perspektive erhalten, ihre Kosten erstattet werden und auch, dass wir jetzt keine weitere Zeit verlieren.

Demokratie kann man so oder so sehen. Die einen verstehen darunter das, die anderen etwas anderes.“

Gibt es in dieser Angelegenheit vielleicht etwas, was Sie enttäuscht hat?

Enttäuscht? Hmm… Für mich hat einfach alles zu lange gedauert. Die Politik hat ja bereits 2015 den gesetzlichen Rahmen geschaffen. Da denken die Leute natürlich: Gut, dann werden meine Kosten jetzt bald erstattet. Das war ja die politische Botschaft des damaligen Gesetzes. Und dann hat es einfach enorm lange gedauert. Sieben, acht Jahre später war noch immer keine Regelung zur Erstattung da. Das versteht ja niemand. Deshalb war für mich von Anfang an klar, dass ich diese Frage zügig klären will.

Claude Haagen ist seit Januar 2022 Minister für Landwirtschaft und soziale Sicherheit. Beim heiklen Dossier um die Erstattung der Psychotherapie-Kosten warf der 60-jährige LSAP-Politiker schnell sein politisches Gewicht in die Waagschale. (Foto: Mike Zenari)

Daraus folgt ja aber auch eine gewisse politische Verantwortung Ihrer Vorgänger, die das Problem nicht zügig lösen konnten oder wollten …

Also, das Ziel war ja trotz allem immer, dass es zwischen den Parteien zu einer Vereinbarung kommt. Unser Ziel war nie, dass es keine Einigung gibt und die Politik entscheiden kann. Sonst wäre es ja einfach: Der Minister hat die unbegrenzte Vollmacht, setzt mit dem Parlament den Tarif und den gesetzlichen Rahmen fest und fertig …

Genau dieses Vorgehen wird Ihnen jetzt aber vorgeworfen …

Ich habe jetzt noch nicht viele Telefonanrufe erhalten, von Leuten, die mir da irgendetwas vorwerfen. Weder von Patienten noch von der Fapsylux …

Vielleicht erhalten Sie aber demnächst Anrufe von Leuten, denen die Demokratie am Herzen liegt …

Wissen Sie, Demokratie kann man so oder so sehen. Die einen verstehen darunter das, die anderen etwas anderes (lacht)

Das ist eine politische Entscheidung, hinter der ich stehe und für die ich auch die Verantwortung übernehme.“

Der Staatsrat ist aber unmissverständlich in dieser Frage. Ihre Vorgehensweise würde den gesetzlichen Rahmen überschreiten und verstoße gegen die Verfassung. Das ist ja aber schon eine fundamentale Kritik …

Erstens denke ich nicht, dass ich hier gegen die Verfassung verstoßen habe. Die Argumentation des Staatsrates verstehe ich so: Wenn eine der Parteien oder eine Drittpartei klagen würde, dann könnte es sein, dass die Festlegung des Tarifschlüssels juristisch nicht einwandfrei gewesen wäre. Zweitens haben wir dem Gutachten des Staatsrates natürlich Rechnung getragen. Wir haben rückwirkend zum 1. Februar eine Anpassung des „Code de la sécurité sociale“ vorgeschlagen. Mehr können wir jetzt nicht tun.

Bis diese Änderung im Parlament verabschiedet wird, wird es aber noch einige Monate dauern. Bis dahin besteht aber immer noch das Risiko, das der Staatsrat kritisiert. Zum Beispiel könnte ein Psychotherapeut, der bisher mehr als die 144 Euro für eine Sitzung verrechnet hat, rechtlich gegen die Entscheidung vorgehen und ein Gericht könnte die neue Regelung kippen. Das würde bedeuten: Von heute auf morgen würde die Psychotherapie plötzlich nicht mehr erstattet werden …

Ich sehe diese Gefahr ehrlich gesagt nicht. Für mich steht wie gesagt das Wohl der Patienten im Vordergrund. Gesundheit darf keine Frage des Geldbeutels sein. Das ist eine politische Entscheidung, hinter der ich stehe und für die ich auch die Verantwortung übernehme. Damit habe ich gar kein Problem.

Der Anwalt der Fapsylux spricht in diesem Zusammenhang von einem Machtmissbrauch („Abus de pouvoir“) Ihrerseits. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Ich sehe hier keinen Machtmissbrauch. Ich habe lediglich eine Entscheidung getroffen, nachdem sich die Verhandlungspartner schon zum zweiten Mal im Schlichtungsverfahren nicht einig wurden.

Und dann haben Sie gesagt, und ich zitiere: „Et geet elo duer“…

Da hab ich gesagt: Jetzt reicht es. Ich hätte das Dossier auch an den „Conseil supérieur“ (de la sécurité sociale, die CSSS, Anm. der Red.) geben können. Und wenn dieser zum Schluss gekommen wäre, dass er dafür nicht zuständig ist, dann wäre das Ganze wieder auf meinem Tisch gelandet. Irgendwann muss aber jemand eine Entscheidung treffen.

Claude Haagen hat „kein Problem“, als Minister politische Verantwortung zu übernehmen, und macht einen entspannten Eindruck. Nachdem er auf Kontroversen aus seiner Zeit als Bürgermeister von Diekirch angesprochen wird, kippt jedoch die Stimmung. (Foto: Mike Zenari)

Ein anderes Thema: Wir befinden uns in einem Superwahljahr. Gegen Ihren Parteikollegen Fränk Arndt, Bürgermeister von Wiltz, laufen Ermittlungen der Justiz. Im Raum stehen mögliche Bestechung, unlautere Einflussnahme und Vorteilsannahme im Amt. Dennoch will er bei den Gemeindewahlen wieder antreten. Könnte das Ihrer Partei schaden?

Dazu will ich mich nicht äußern.

Generell gefragt: Sie waren selbst lange Bürgermeister von Diekirch. Wenn man Bürgermeister war und nach dieser Amtszeit ein anderes politisches Mandat ausübt, inwiefern ist man Ihrer Ansicht nach auch danach noch verantwortlich für Dinge, die in der eigenen Amtszeit entschieden wurden?

Noch einmal, bitte …

Ich formuliere die Frage anders: Wenn man Bürgermeister war und irgendwann nicht mehr Bürgermeister ist …

Ja … Dann habe ich ja Entscheidungen getroffen in dieser Zeit …

Und sind Sie dann der Meinung, dass man auch später noch zur Rechenschaft gezogen werden kann und dass man auch dann noch Verantwortung übernehmen muss?

Ja, warum sollte man nicht? Warum sollte man das nicht tun?

Ich frage das, weil Sie sich weigern, seitdem Sie Minister sind, Fragen zu Ihrer Zeit als Bürgermeister von Diekirch zu beantworten …

Ich sage auch jetzt nichts dazu. Was hat das denn mit meiner Verantwortung als Bürgermeister zu tun?

Ich bin jetzt auch sehr nett und gebe Ihnen eine Antwort darauf.“

Wenn in Ihrer Amtszeit Sachen schiefgelaufen sind oder kontrovers sind, dann gehört es doch zur Rechenschaftspflicht, dass Sie als früherer politisch Verantwortlicher dazu Stellung beziehen. Dass Sie auch Fragen von Journalisten zulassen und beantworten …

Hören Sie zu. Ich wusste ja, dass diese Fragen wahrscheinlich kommen werden. Ich bin jetzt auch sehr nett und gebe Ihnen eine Antwort darauf. Ich halte mich aber an ein Prinzip: Ich äußere mich nicht zu Vorgängen in der Gemeinde Diekirch, weil dort heute andere Personen politische Verantwortung tragen. Dann lese ich natürlich in der Presse über eine Baugenehmigung, die für nichtig erklärt wird … Okay … Ich bin nicht und werde auch nicht der einzige Bürgermeister sein, bei dem mal eine Baugenehmigung annulliert wird. Ich werde mich aber nicht zu den Details äußern.

Diekircher Affären

Der Fall der „Seniorenresidenz“, über den Reporter.lu 2019 exklusiv berichtete, sorgte über Diekirch hinaus für Furore: Im Januar 2022 urteilte der Verwaltungsgerichtshof, dass die Immobilie im Ortskern nicht gebaut werden darf, da dort laut allgemeinem Bebauungsplan nur Einrichtungen von öffentlichem Nutzen erlaubt sind. Der private Immobilienmakler hinter dem Projekt hatte aber die Wohnungen für ältere und behinderte Menschen auf dem freien Markt verkaufen wollen. Derselbe Unternehmer ist auch verantwortlich für das Projekt einer Betreuungseinrichtung für Kinder in unmittelbarer Nähe zur „Seniorenresidenz“-Parzelle. Dort soll er das „Pensionnat Notre-Dame de Lourdes“ zu einer „Maison relais“ umbauen und diese später für jährlich 1.345.000 Euro an die Stadt vermieten. Eine Kaufoption ist ebenfalls vorgesehen – für mindestens 15,9 Millionen Euro. Beide Kontroversen fallen in die Amtszeit von Claude Haagen.

Es geht ja aber nicht nur um eine Baugenehmigung. Es geht auch um einen Vertrag, der zwischen der Gemeinde und einem Bauunternehmen unterschrieben wurde, dessen Inhalt kontrovers diskutiert wurde und weiter wird. Zum Beispiel geht es auch um den Bau einer „Maison relais“ und außergewöhnlich hohe Mietkosten …

Dann müssen Sie nochmal einen Blick in Ihr Dossier werfen …

Das haben wir. Sie müssten das Dossier ja aber noch besser kennen als wir Journalisten …

Ich äußere mich nicht dazu. Ich bin ehrlich gesagt nur etwas baff über die Fragen.

„Ich kommentiere keine Dossiers aus Diekirch mehr“, lautete bisher die Position des ehemaligen „Député-Maire“. Im Interview mit Reporter.lu macht Claude Haagen eine Ausnahme, reagiert aber merklich gereizt auf entsprechende Fragen. (Foto: Mike Zenari)

Sie verstehen ja aber, dass es für Journalisten, und damit auch für die Öffentlichkeit, schwer ist, ein solches Dossier in allen Facetten zu verstehen, wenn der Hauptverantwortliche sich dazu nicht äußern will …

Also, zunächst bin ich nicht der Hauptverantwortliche, das ist der ganze Gemeinderat. Und es ist auch ganz normal, dass es unterschiedliche Formen gibt, wie man Bauprojekte in einer Gemeinde angehen kann. Der Mietkauf ist eine der Möglichkeiten. Das habe ich auch nicht erfunden. Wo liegt denn da das Problem?

Ein Problem könnte in den hohen Kosten liegen. Die Gemeinde hat sich beim Maison-relais-Projekt zu Mietkosten in Höhe von 112.000 Euro monatlich verpflichtet …

Oh, keine Ahnung … (lacht) Also ehrlich … Dann müssen Sie sich den Vertrag anschauen …

Das haben wir …

Und wie wurde der Vertrag denn verabschiedet?

Der Gemeinderat, in dem Ihre Partei die absolute Mehrheit hat, hat dafür gestimmt …

Als einzige Partei? Na, dann war das ja eine gute Entscheidung. (lacht)

Ich habe in diesem Dossier wirklich nichts zu verstecken.“

Es geht hier aber hier um ein großes Projekt ….

Also ganz im Ernst: Der Gemeinderat legt fest, unter welchen Umständen und zu welchen Bedingungen die Gemeinde ein Bauprojekt startet, ein Gebäude kauft oder anmietet. Wir sprechen hier über baufähige Grundstücke, im Gegensatz zu Grünzonen. Als politischer Verantwortlicher haben Sie da verschiedene Möglichkeiten. Wenn Sie über eine Schule verfügen und daneben eine Erweiterung bauen wollen, dann müssen Sie eben an die Flächen kommen. Oder Sie bauen woanders und schauen, was der ganze Transport kostet und wie zufrieden die Menschen damit sind, wenn hier eine Schule steht und dort eine, und dort, und so weiter.

Der Ursprung des Projekts, von dem Sie sprechen, war eine Ausschreibung, um eben an geeignete Flächen zu kommen und an dem besagten Standort eine Maison relais oder eine Kindertagesstätte zu bauen. Man kann als Gemeinde nur die Grundstücke kaufen, die zum Verkauf stehen. So ging das los. Mehr sage ich dazu jetzt nicht. Ich habe in diesem Dossier wirklich nichts zu verstecken.


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