Das Projekt einer „Seniorenresidenz“ in Diekirch darf nicht umgesetzt werden. Das hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden. Das Urteil bringt Ex-Bürgermeister Claude Haagen in Verlegenheit und dürfte in der Gemeinde noch für kontroverse Diskussionen sorgen.
Von Beginn an war das Bauprojekt in Diekirch umstritten. Neben dem historischen „Pensionnat Notre-Dame de Lourdes“ wollte eine private Immobilienfirma eine sogenannte „Seniorenresidenz“ bauen. Geplant waren 37 Wohneinheiten für Menschen über 60 Jahren oder mit einer körperlichen Beeinträchtigung. Ein an die Wohnungen angegliederter Pflegedienst sollte die Bewohner bei Bedarf betreuen. Reporter.lu berichtete erstmals vor mehr als zwei Jahren in einer exklusiven Recherche von den Plänen.
Problematisch an dem Vorhaben waren mehrere Aspekte, darunter die Lage. Denn laut dem allgemeinen Bebauungsplan (PAG) der Gemeinde befindet sich der geplante Standort in der Rue de l’Hôpital in einer „Zone de bâtiments et d’équipements publics“ (BEP). In dieser dürfen nur Gebäude errichtet werden, die nachweislich einen öffentlichen Nutzen erfüllen. Laut einer Verordnung von 2017 fallen darunter etwa Altenheime, Internate, Wohnungen für Studenten, Sozialwohnungen, Wohnungen für Flüchtlinge oder auch Wohnungen, die sich innerhalb von medizinischen oder paramedizinischen Strukturen befinden.
Ob die Wohnungen für Senioren, die der private Anbieter mit beträchtlichem Gewinn auf dem freien Markt verkaufen wollte, ebenfalls diese „utilité publique“ erfüllen, wurde bereits zu Beginn von Anwohnern und von der Opposition im Gemeinderat angezweifelt. Dennoch gab der damalige Bürgermeister und jetzige Minister Claude Haagen (LSAP) dem Projekt grünes Licht – die damalige Baugenehmigung war allerdings unrechtmäßig, wie die Gerichte nun in zweiter Instanz urteilten.
Baugenehmigung illegal
Der Hintergrund: Einige Anwohner hatten gegen den Bau geklagt. In erster Instanz urteilte das Verwaltungsgericht am 19. Mai 2021, dass das Projekt die Anforderungen an den öffentlichen Nutzen nicht erfülle. Demnach sei die Baugenehmigung ungültig und das Immobilienprojekt dürfe nicht ausgeführt werden. Dagegen legten die „Seniorenresidenz Diekirch s.à r.l.“ und die Gemeinde Diekirch Einspruch ein.
Damit ist die Seniorenresidenz vom Tisch und das Projekt faktisch nicht mehr realisierbar.“
Claude Thill, Bürgermeister von Diekirch
Das Verfahren wurde vor dem Verwaltungsgerichtshof neu aufgerollt. Am 11. Januar dieses Jahres verkündeten die zuständigen Richter ihr Urteil. Sie bestätigten die Entscheidung aus erster Instanz: Die Baugenehmigung für die „Seniorenresidenz“ in Diekirch hätte nicht erteilt werden dürfen, da es sich vorrangig um ein privates Immobilienprojekt handele und die angebotenen Pflegedienstleistungen höchstens als „accessoire“ betrachtet werden dürften. Das heißt im Klartext: Die „Seniorenresidenz“ gab vor, etwas zu sein, was sie nicht war und was an diesem Ort nicht gebaut werden darf.
Die anderslautende Sichtweise der federführenden Immobilienfirma wurde dabei bis zuletzt auch von den Gemeindeverantwortlichen vertreten. Zu Beginn der Kontroverse hatte der damalige Bürgermeister Claude Haagen im Gespräch mit Reporter.lu erklärt: „Auch ein Privatunternehmen kann ein Gebäude für einen öffentlichen Nutzen bauen. Sonst dürfte ja auch keine private Baufirma ein Krankenhaus bauen.“ Die Richter zerpflückten die Argumentation des Ex-Bürgermeisters nun in allen wesentlichen Punkten.
„Projekt ist vom Tisch“
Auf die Folgen des Urteils für das Bauvorhaben angesprochen, erklärt der neue Bürgermeister von Diekirch, Claude Thill (LSAP): „Damit ist die Seniorenresidenz vom Tisch und das Projekt faktisch nicht mehr realisierbar.“ Einen Fehler des Schöffenrats und seines Vorgängers Claude Haagen will dessen Amtsnachfolger jedoch nicht einräumen: „Nach dem Wissensstand von damals sind wir davon ausgegangen, dass die Seniorenresidenz gebaut werden darf. Das ist jetzt natürlich nicht mehr so.“
Zusätzliche Brisanz erhält das Urteil durch ein weiteres Bauvorhaben in Diekirch. In direkter Nachbarschaft zur geplanten „Seniorenresidenz“ entsteht nämlich derzeit die neue Maison relais der Gemeinde. Hinter beiden Projekten stehen dieselben Entwickler: die Immobilienagentur „Immo Weydert & Welter s.à r.l.“. Der Bau der Maison relais ist über eine Konvention geregelt. Die Gemeinde verpflichtet sich dabei, die Betreuungsstruktur für die kommenden 25 Jahre zu mieten – monatliche Kosten: 112.000 Euro.
Bereits bei Baubeginn mutmaßten Oppositionspolitiker im Gemeinderat, dass die damalige Ausschreibung ausdrücklich auf das Projekt und die ausführende Firma zugeschnitten gewesen sei. Hinzu kommen diverse Formfehler sowie mutmaßliche Verstöße gegen Denkmalschutz- und Umweltauflagen, über die Reporter.lu bereits berichtete.

Mögliche Folgen des Urteils für die Maison relais schließt Claude Thill indes zu diesem Zeitpunkt aus: „Die Gemeinde hat einen Vertrag mit einer privaten Firma abgeschlossen und wird diesen auch weiterhin respektieren.“ Dennoch habe er für diese Woche einen Termin mit der betreffenden Gesellschaft vereinbart, um über die Folgen des Urteils zu beraten, so der Bürgermeister im Gespräch mit Reporter.lu.
„Immo Weydert & Welter s.à r.l.“ ließ eine Anfrage von Reporter.lu unbeantwortet. Auch der ehemalige Bürgermeister von Diekirch, Claude Haagen, wollte sich nicht zu dem Urteil äußern: „Ich kommentiere keine Dossiers aus Diekirch mehr. Der neue Bürgermeister hat das Urteil kommentiert und wir sind da einer Meinung.“
Maison relais und andere Fragen
Die Immobiliengesellschaft wirbt indes auf ihrer Webseite weiter mit der „Seniorenresidenz Diekirch“. Von den 37 geplanten Einheiten werden dabei lediglich fünf als noch verfügbar angezeigt. Alle anderen seien bereits „reserviert“, so die Angaben. Unklar ist dabei, wie viele Interessenten bereits ein finanzielles Engagement für die Wohnungen eingegangen sind. Laut der Werbebroschüre der Immobiliengesellschaft wurde für eine Zwei-Zimmer-Wohnung der stattliche Preis von rund 900.000 Euro angegeben.
Ich kommentiere keine Dossiers aus Diekirch mehr.“Claude Haagen, ehemaliger Bürgermeister
Rechtliche Auseinandersetzungen sind dabei nichts Neues für die Unternehmer hinter der „Seniorenresidenz Diekirch“. Bereits 2018 hatte der Dachverband der Pflegeeinrichtungen Copas gegen einen Werbespot der „Immobilière Weydert S.A.“ geklagt. Grund für die Klage war die Darstellung von Altenheimen in dem Spot als wahlweise dunkle Orte, in denen Bewohner weitestgehend sich selbst überlassen werden. Dem gegenüber: neue, moderne Wohnungen in „Seniorenresidenzen“. Eine Darstellung, die die Copas als herabwürdigend gegenüber Altenheimen empfand. Die Klage wurde jedoch abgewiesen, mit der Begründung, dass potenzielle Kunden eine solch „karikaturale“ Darstellung eines Altenheims unmöglich ernst nehmen könnten.
Ohne die Projekte der Firma direkt zu nennen, kritisierte auch Familienministerin Corinne Cahen (DP) die Vorgehensweise. Besonders die Nutzung des Begriffs „logement encadré“ – eigentlich ein klar definierter Begriff – sorgte dabei für Unmut bei der Ministerin. Diese unrechtmäßige Nutzung des Begriffs könne zu Verwirrung und Gutgläubigkeit bei älteren Personen führen, die damit zum Wohnungskauf angeregt würden, hieß es damals aus dem Ministerium.
Seitdem beschreibt die Firma ihre Immobilienprojekte nicht mehr als „logements encadrés“ sondern als „logements adaptés“ – ein Begriff, der nicht rechtlich geschützt ist. Bisher hat die „Immobilière Weydert S.A.“ mehrere Seniorenresidenzen in Luxemburg errichtet, unter anderem in Kehlen, Mertzig und Berdorf. Bewohner der „Seniorenresidenz“ in Mertzig zogen dabei gegenüber Reporter.lu ein eindeutiges Fazit über den Umzug in die angeblich an ihre Bedürfnisse angepasste Wohnung: „Wir sind hier alle übers Ohr gehauen worden.“




