Der Fall von Carole Dieschbourg beschäftigt weiterhin das Parlament. Die Grünen wollen ihre Ex-Ministerin schützen und machen sich damit angreifbar. Die anderen Parteien – inklusive Koalitionspartner – versuchen hingegen, die politische Affäre hinter sich zu lassen.

Um zu verstehen, warum die Affäre um Carole Dieschbourg immer noch nicht ausgestanden ist, muss man notgedrungen etwas weiter zurückblicken. „Ech packen dat net“, erklärte die Umweltministerin vor ihren Parteikollegen in einer emotional aufgeladenen Sitzung. Gegen 10 Uhr fiel die Entscheidung: Sie wolle zurücktreten.

Eigentlich sollte die Parteispitze an diesem 22. April die im Anschluss stattfindende Kabinettsitzung vorbereiten. Stattdessen ging es jedoch vor allem um einen Brief der Staatsanwaltschaft. Die Strafverfolgungsbehörde hatte einen Tag zuvor ihr Dossier über die Untersuchungen zur sogenannten „Gaardenhaischen“-Affäre an das Parlament weitergereicht. Laut Verfassung muss zuerst die Abgeordnetenkammer über eine mögliche Anklage gegen die Ministerin entscheiden.

Offenbar war Carole Dieschbourg sich ihrer Lage anfangs aber nicht bewusst. Zwei Stunden vor der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz erklärte die Umweltministerin noch per Pressemitteilung, dass das Parlament lediglich über die Aufhebung ihrer Immunität entscheiden müsse. Obwohl die Ministerin zuvor mit Parteikollegen darüber redete, wurde die Mitteilung in Eigenregie zusammen mit ihren Beamten verfasst. „Das war in einer ersten Phase eine Fehlinterpretation“, sagte nun Vizepremier François Bausch (Déi Gréng) gegenüber dem „Tageblatt“ über die Einschätzung der Beamten. Es sollte nicht die letzte „Fehlinterpretation“ bleiben.

Das Fehlkalkül einer Partei

Erst während der Sitzung der Parteioberen wurde Carole Dieschbourg bewusst, was das Schreiben der Staatsanwaltschaft wirklich bedeutet. Dem Wunsch der scheidenden Umweltministerin, einer öffentlichen Auseinandersetzung zu entgehen, wollte das Parlament offenbar nicht folgen. Gleich nach dem Rücktritt versuchten die Abgeordneten zu klären, in wessen Zuständigkeitsbereich die Ermittlungen gegen Carole Dieschbourg fallen sollen. Über das Wochenende nach Dieschbourgs Rückzug wurde deshalb der wissenschaftliche Dienst des Parlaments damit beauftragt, ein Gutachten zur strafrechtlichen Verantwortung von Ministern zu erstellen.

Am späten Sonntagabend verschickte Generalsekretär Laurent Scheeck das Dokument an den Vorstand des Parlaments. Das Gutachten war im Kernpunkt eindeutig: Bevor die Untersuchungen weitergeführt werden könnten, müsse das Parlament die Rolle der Staatsanwaltschaft übernehmen. Dies gelte auch für Ex-Minister.

Haben wir vielleicht zu schnell geschossen?“Djuna Bernard, Co-Vorsitzende von Déi Gréng

In einer zweiten E-Mail erklärte der Generalsekretär des Parlaments, die Mitglieder der „Conférence des Présidents“ hätten ab Montagmorgen Zugang zum Ermittlungsdossier. Die Einsicht in die Unterlagen sei jedoch nur unter strengen Auflagen möglich. Die Abgeordneten durften etwa keine Kopie oder Fotos von den Dokumenten machen. Entschieden wurde dies nur vom Generalsekretariat. „Aufgrund des Gutachtens, der Aussagen von Generalstaatsanwältin Martine Solovieff und den Anfragen der Abgeordneten haben wir den Zugang zu den Akten freigegeben“, erklärt Laurent Scheeck auf Nachfrage von Reporter.lu. Zuvor habe er Martine Solovieff per Telefon zur Sitzung des Vorstands am Montagabend eingeladen. Diese habe bereits zu dem Zeitpunkt erklärt, die Abgeordneten müssten Einsicht erhalten. „Ich habe dabei kein Problem gesehen“, so der Generalsekretär.

Nach der Sitzung am Montagabend beschloss das Parlament offiziell, sich der Sache anzunehmen. Per Resolution sollte die Kriminalpolizei damit beauftragt werden, Carole Dieschbourg zu verhören. Die Hoffnung der ehemaligen Umweltministerin, mit ihrer Rücktrittserklärung einer Auseinandersetzung im Parlament zuvorzukommen, ist somit zumindest zum Teil nicht in Erfüllung gegangen. Die öffentliche Debatte war nicht zu vermeiden, immerhin muss Carole Dieschbourg wohl nicht mehr selbst daran teilnehmen und von den Abgeordneten verhört werden. Für ihre Parteifreunde reichte dies offenbar nicht aus.

Der grüne Opfermythos

Als der Verfassungsexperte Luc Heuschling eine Neuinterpretation der beiden entsprechenden Verfassungsartikel vorlegte, forderten die Grünen, den Experten im Parlament anzuhören. Laut dem Rechtsprofessor könne das Parlament nämlich auch entscheiden, im Fall von Carole Dieschbourg nicht zuständig zu sein, weil die Verfassung keine klare Antwort auf die Frage gibt, ob die Artikel auch auf ehemalige Minister anzuwenden seien. Auch könnten die Abgeordneten schlicht auf eine Anklage verzichten oder ein Gesetz einbringen, das die Prozedur klarer regeln soll.

„Haben wir vielleicht zu schnell geschossen?“, fragt nun Djuna Bernard (Déi Gréng) im Gespräch mit Reporter.lu. Ihre Partei wolle sicherstellen, keinen Fehler zu begehen, so die offizielle Position. Damit reagierten die Grünen jedoch deutlich zu spät. Die Entscheidung, die Ermittlungen aufzunehmen, wurde bereits in der gemeinsamen Sitzung mit der Generalstaatsanwältin am 25. April beschlossen. Doch die Einladung an Luc Heuschling kam erst zehn Tage später, nachdem das gesamte Parlament bereits Zugang zu den Akten hatte.

Die Parteiführung von Déi Gréng präsentierte zwar schnell einen Ministerin-Ersatz, macht sich in der Aufarbeitung der Dieschbourg-Affäre jedoch politisch angreifbar. (Foto: Mike Zenari)

Generalstaatsanwältin Martine Solovieff habe keinen Zweifel an der Zuständigkeit des Parlaments zugelassen, deshalb hätten die Grünen die Entscheidung zu dem Zeitpunkt mitgetragen, so Djuna Bernard. Die Äußerungen des Verfassungsexperten Luc Heuschling haben nun allerdings der Partei die Möglichkeit gegeben, diese Entscheidung infrage zu stellen. Dabei geht es offensichtlich auch darum, einer Parteifreundin Rückendeckung zu geben.

Das Vorgehen von Déi Gréng passt zum gesamten Umgang mit der Causa „Gaardenhaischen“. Seit Beginn der Affäre sah Carole Dieschbourg sich als Opfer der Opposition, die ihr einen unfairen Prozess machen wolle. Bis zuletzt unterstrich die ehemalige Umweltministerin, sich persönlich nichts vorzuwerfen zu haben. Ihr Rücktritt sei deshalb auch kein Schuldeingeständnis. „Ich verstehe, dass Carole Dieschbourg nicht Opfer einer Prozedur aus dem 19. Jahrhundert werden möchte“, sagte deshalb auch François Bausch in einer ersten Reaktion nach dem Rücktritt.

Kein Weg führt am Parlament vorbei

Bis heute versuchen die Grünen, Carole Dieschbourgs Rückzug aus der Politik so sanft wie möglich zu gestalten. Dabei führen sie vor allem das Argument der Verteidigungsrechte der ehemaligen Ministerin an. „Es darf hier nicht um politische Spielereien gehen. Es geht uns ganz klar um die Rechtsstaatlichkeit und die Prinzipien der Demokratie“, sagte Josée Lorsché gegenüber „Radio 100,7“.

Die eigenen Verfehlungen der Ministerin im Umgang mit den unterschiedlichen Affären werden dabei allerdings gekonnt ausgeblendet. Dazu passt auch die Tatsache, dass Carole Dieschbourg mit etwas Vorsprung über den Brief der Staatsanwaltschaft an die Abgeordnetenkammer informiert war. Wie „Radio 100,7“ am Mittwoch berichtete, sei die Ex-Ministerin von ihrer Partei- und Kabinettskollegin Sam Tanson über den Lauf der Dinge in Kenntnis gesetzt worden – und das, bevor alle Abgeordneten über das Schreiben informiert wurden.

Die Einladung des Verfassungsexperten stellt nicht infrage, was wir bisher beschlossen haben.“Mars Di Bartolomeo, LSAP-Abgeordneter

Dabei erhärtet sich der Eindruck, dass die Grünen durch ihr Krisenmanagement die Affäre noch größer machten, als sie ohnehin schon war. Der Versuch, die Verantwortung erneut auf die Staatsanwaltschaft abzuwälzen oder gar den ganzen Prozess zu stoppen, hat jedoch wenig Erfolgschancen. „Die Einladung des Verfassungsexperten stellt nicht infrage, was wir bisher beschlossen haben“, sagt Mars Di Bartolomeo (LSAP) im Gespräch mit Reporter.lu. Die Koalitionspartner haben sich in der rezenten Sitzung des Parlamentsvorstands zwar nicht gegen die Anfrage der Grünen ausgesprochen. Die Koalitionsräson überwog. Dennoch bestätigen mehrere Quellen übereinstimmend, dass führende Parlamentarier von LSAP und DP nicht besonders erfreut über das Vorgehen der Grünen seien.

Vor allem die Verfassungsexperten in den Reihen der Koalitionspartner sehen die Äußerungen von Luc Heuschling kritisch. Wenn weder das Parlament noch die Staatsanwaltschaft sich als kompetent erklärt, könnte es zu einer kompletten Blockade kommen, schrieb etwa Alex Bodry (LSAP) in einem Post auf Twitter. Der ehemalige Abgeordnete, der mittlerweile Mitglied des Staatsrats ist, übt als ehemaliger Architekt der Verfassungsreform nach wie vor wesentlichen Einfluss in seiner Partei aus.

Die Zeit wird knapp

Ausgerechnet das Beharren auf den von den Grünen angeführten Rechtsprinzipien könnte die Affäre unnötig in die Länge ziehen. Zur Erinnerung: Carole Dieschbourg ging es mit ihrem Rücktritt in erster Linie darum, die öffentliche Debatte zu vermeiden und als normale Bürgerin verhört werden zu können. Die geplante Verabschiedung einer Resolution durch das Parlament sollte genau dies ermöglichen. Allerdings müsste das Parlament dann zu einem späteren Zeitpunkt darüber befinden, ob Anklage gegen die Ex-Ministerin erhoben wird.

Eigentlich sollte ihr Rücktritt ein Befreiungsschlag auf ganzer Linie sein. Doch nun geht die politische Auseinandersetzung um Carole Dieschbourg in die nächste Runde. (Foto: Eric Engel)

Indem die Grünen nun indirekt den gesamten Prozess infrage stellen, wird die Zeit hierfür knapp. Luc Heuschling soll erst nächste Woche von den Abgeordneten befragt werden. Danach bleiben dem Parlament nicht einmal zwei Monate, um noch vor der Sommerpause die Kriminalpolizei mit dem Verhör zu beauftragen und über die Anklage zu entscheiden. Dabei ist nicht einmal ausgeschlossen, ob nicht noch weitere Experten gehört werden sollten. Djuna Bernard könnte sich etwa vorstellen, auch Professor Stefan Braum, Strafrechtsexperte der Universität Luxemburg, einzuladen, um prozedurale Fragen zu klären. Wird dem Wunsch der Grünen gefolgt, ist eine Verlängerung über die Sommerpause hinaus nicht ausgeschlossen.

Dabei sind die Argumente, auf die Verteidigungsrechte von Carole Dieschbourg zu achten, nicht von der Hand zu weisen. In Belgien landeten ähnliche Vorfälle aus diesem Grund vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Allerdings hätten diese Bedenken bereits vor Beginn der Prozedur im Parlament geklärt werden müssen.

Strategen um Joëlle Welfring

Die Affäre um Carole Dieschbourg steht indes im starken Widerspruch zur Ernennung der neuen Umweltministerin. Die Parteistrategen haben sich nach dem Rücktritt von Carole Dieschbourg wohl in erster Linie um die Neubesetzung des Umweltministeriums gekümmert und weniger um die Folgen im Parlament.

Am Wochenende nach dem Rücktritt haben François Bausch, Claude Turmes und Carole Dieschbourg zusammen auf die designierte Nachfolgerin Joëlle Welfring eingewirkt. Die frühere Direktorin der Umweltverwaltung erbat sich jedoch Bedenkzeit. Wie es aus parteinahen Kreisen heißt, wollte sie den Posten nur unter der Bedingung einer konsequenten Umorganisation des Ministeriums annehmen. Dazu zählt nicht zuletzt die Möglichkeit, verschiedene Posten mit vertrauten Mitarbeitern zu besetzen.

Die Entscheidungsträger der Grünen willigten ein. Im Umweltministerium könnten demnach durchaus die richtigen Schlüsse aus der Affäre gezogen werden. Somit könnten auch eine Reihe von Beamten, die von manchen Akteuren für den Fall von Carole Dieschbourg mitverantwortlich gemacht werden, auf dem ministeriellen Abstellgleis landen. Angesichts des parlamentarischen Hickhacks ist nicht auszuschließen, dass dies schneller umgesetzt wird als die Klärung der Frage, ob und wann die Justiz in der „Gaardenhaischen“-Affäre ihre Arbeit machen darf.


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