Kooperationspolitik gilt in Luxemburg als wenig kontrovers. International steht die traditionelle Entwicklungshilfe jedoch auf der Kippe. Sie droht zu einem reinen Instrument der Migrationspolitik zu werden. Die neue Ministerin Paulette Lenert steht vor einer diplomatischen Bewährungsprobe.

Es gibt nur wenige Politikbereiche, in denen in Luxemburg so viel Einvernehmen herrscht wie in der Entwicklungshilfe. International gilt das Großherzogtum als Musterbeispiel und zuverlässiger Partner. Während die meisten Staaten nicht einmal die von den Vereinten Nationen geforderten 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Entwicklungshilfe mobilisieren, gibt Luxemburg seit Jahren rund ein Prozent für Entwicklungshilfe aus. Kritisiert wird das kaum – nicht einmal von den Oppositionsparteien.

Es scheint also, als komme auf die neue Kooperationsministerin Paulette Lenert (LSAP) wenig Arbeit zu. Schließlich konnte ihr Parteikollege Romain Schneider das Ressort neben dem konfliktgeladenen Sozialministerium (und dem Sport) führen. Die neue LSAP-Ministerin hat es da einfacher. Sie führt neben der Kooperation lediglich den Verbraucherschutz – und den managte der ehemalige Landwirtschaftsminister Fernand Etgen (DP) bisher eher als Nebenressort. Doch unabhängig vom Arbeitsaufwand kommen auf die neue Ministerin einige Herausforderungen zu.

Neue Ausrichtung der EU-Entwicklungspolitik

Zusammenarbeit mit ausgewählten Partnerländern, Multilateralismus, die Konzentration auf wenige Themenbereiche, eine großzügige Unterstützung der Nichtregierungsorganisationen: Luxemburgs Entwicklungspolitik zeichnet sich durch eine traditionelle Mischung der politischen Ansätze aus. An dieser Herangehensweise wird sich wohl wenig ändern. Zumal Romain Schneider erst im September eine neue Strategie vorgestellt hat, die dieses Modell nochmals unterstreicht.

Doch bereits in der Verteidigung der eigenen Strategie liegt eine Herausforderung. Denn auf internationaler Ebene steht das Großherzogtum mit seinem wertebasierten Ansatz zunehmend alleine da. Die neue Ministerin wird insbesondere ihre diplomatischen Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen. Und zwar schnell.

Seit Monaten wird etwa im EU-Rat der mehrjährige Finanzrahmen 2020-2027 (MFR) verhandelt. Den Kommissionsvorschlag bezeichnen die Brüsseler Nichtregierungsorganisationen als „schockierend.“ Sorgen macht ihnen das Kapitel 6: „Neighbourhood and the World“, in das auch die EU-Entwicklungskooperation integriert ist. Im Text zeigt sich das Ausmaß des Wandels, den die EU-Kooperationspolitik zurzeit durchläuft.

Worum geht es? Im Fokus steht nicht mehr die Armutsbekämpfung, sondern zunehmend die Verfolgung eigennütziger Ziele: Allen voran Migrationsbekämpfung und die innere Sicherheit. „Immer mehr Gelder, die eigentlich für Entwicklungshilfe vorgesehen sind, fließen in die Migration“, kritisiert der EU-Spezialist des NGO-Verbandes Oxfam Jeroen Kwakkenbos. Es ist ein Trend, der sich schon länger bemerkbar macht. Romain Schneider hat diese Entwicklung im EU-Rat stets kritisiert, konnte sich aber wenig Gehör verschaffen. Paulette Lenert wird es als „Neue“ in der Riege der Kooperationsminister noch schwerer haben.

Luxemburger Verhandlungsgeschick gefragt

„Romain Schneider hat eine fertige Strategie vorgestellt. Nun ist es meine Aufgabe, sie umzusetzen“, so Paulette Lenert im Gespräch mit REPORTER. Mit inhaltlichen Statements zum EU-Finanzrahmen hält sich die neue Amtsinhaberin noch zurück. „Es ist ein sehr komplexes Dossier in das ich mich erst noch einarbeiten muss.“ Viel Zeit bleibt ihr dazu nicht.

Dass das Kapitel zur Entwicklungshilfe im neuen Regierungsprogramm auf den ersten Blick wie eine Aufwertung der Kooperationspolitik wirkt, kann jedenfalls nicht schaden. „La coopération au développement est devenue un élément essentiel de la politique étrangère du Luxembourg“, heißt es im blau-rot-grünen Koalitionsabkommen. Auch wenn das Kapitel zur Entwicklungspolitik keine neuen Ansätze erkennen lässt, pocht der Text auf eine wertebasierte Politik, bei dem die Armutsbekämpfung im Mittelpunkt steht.

Auf europäischer Ebene wird Paulette Lenert mit dieser Philosophie keinen leichten Stand haben. Will sie aber das Luxemburger Modell glaubwürdig verkaufen, wird sie sich zumindest klar positionieren müssen. Denn die Luxemburger Strategie für Entwicklungshilfe liest sich fast wie ein Gegenentwurf zur aktuellen EU-Politik. Kampf gegen Armut, „Gender“ und eine inklusive Regierungsführung gehören für Luxemburg zu den Prioritäten. Genau diese Elemente sind aus dem EU-Entwurf jedoch verschwunden. Nur auf Druck mancher Mitgliedstaaten und des EU-Parlamentes wurde zumindest die Armutsbekämpfung wieder ausdrücklich aufgegriffen.

Multiple Herausforderungen stehen bevor

„Luxemburg kann sich gegen diesen gefährlichen Trend stellen und eine Koalition mit anderen willigen Mitgliedstaaten bilden“, wünscht sich deswegen Jonathan Beger von World Vision. Der Experte für den mehrjährigen Finanzrahmen der EU kritisiert die Kehrtwende in der europäischen Entwicklungshilfe scharf. Doch Luxemburgs mögliche Verbündete werden rar. Mit Großbritannien, das in Verhandlungen zur EU-Entwicklungspolitik oft eine ähnliche Position einnahm, kann die luxemburgische Regierung nämlich nicht mehr rechnen.

Zudem hält sich das Gewicht des Großherzogtums in internationalen Verhandlungen natürlich in Grenzen. Luxemburg mag ein großzügiger Geber sein, ein großer Geber ist das Großherzogtum in absoluten Zahlen dennoch nicht. Ministerin Paulette Lenert müsste also schnell neue Partner finden. Hinzu kommt, dass sich die entwicklungspolitische Strategie in die Verhandlung um Luxemburgs geplante Kandidatur für die Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat einreihen muss.

Und auch die Uhr für die Umsetzung der UN-Entwicklungsziele tickt: Stichdatum ist 2030. Im EU-Vorschlag finden sich diese Ziele laut Kritikern nicht ausreichend wieder. „Jetzt ist der letzte Moment, um auf diese Werten zu bestehen. Dies ist der letzte EU-Finanzplan, der uns noch zu einer Implementierung der globalen Entwicklungsziele führen kann“, drängt Jonathan Beger.

Humanitäre Hilfe unter Druck

Die Entwicklungshilfe ist aber nicht das einzige Problemdossier, das auf die LSAP-Politikerin zukommen dürfte. „Es wird so viel humanitäre Hilfe gebraucht, wie nie zuvor“, sagt etwa Frédéric Haupert von CARE Luxemburg. „Wenn unsere Projekte aufhören, sterben Menschen.“ 134 Millionen Menschen sind zur Zeit weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesen, schätzt die UN. „Es wird soviel finanzielle Unterstützung gebraucht wie nie zuvor“, schreibt das UN-Organ für humanitäre Angelegenheiten UNOCHA.

Doch die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen wird immer schwieriger, wie Luxemburger NGOs bestätigen. „Das internationale humanitäre Recht wird heute geradezu verhöhnt“, warnt etwa Paul Delaunois, Generaldirektor von MSF Luxemburg.

Nicht nur werden Hilfseinrichtungen zu Zielscheiben. Die humanitäre Hilfe wird darüber hinaus zunehmend kriminalisiert – auch in Europa. Im Mittelmeer wurden in den letzten Monaten immer wieder Hilfsboote beschlagnahmt. In Ungarn wurde erst kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das sich ausdrücklich gegen Flüchtlingshelfer richtet.

Widerstände und eigene Überzeugungen

Die Luxemburger Akteure erwarten sich demnach eine stärkere Unterstützung durch die Regierung. Sie fordern, dass sich die neue Ministerin auch gegen diesen Trend stemmt. Luxemburg soll zumindest eine klare politische Position vertreten, um glaubwürdig zu bleiben.

Dazu muss sich Paulette Lenert einmal mehr bei multilateralen Verhandlungen durchsetzen. Der Trend ist eine Sache, doch vor allem hat Luxemburg es mit Staaten zu tun, die aktiv Widerstand gegen eine humanitärere Ausrichtung der EU-Politiken leisten. Allen voran Italien. Die italienische Justiz ermittelt derzeit zum Beispiel gegen MSF und SOS Méditerranée und hat deren Rettungsboot „Aquarius“ beschlagnahmt. Die Beziehungen zu Italien in Migrationsfragen sind bereits jetzt angespannt. Dafür brauchte es im Grunde auch kein „Merde alors“ des Außenministers.

Auch in den Verhandlungen um den mehrjährigen Finanzrahmen der EU ist die humanitäre Hilfe ein weiterer Knackpunkt: Aus Verhandlungskreisen ist zu vernehmen, dass das Budget für die humanitäre Hilfe gekürzt werden soll. Im EU-Budget für 2019 wurden zumindest keine zusätzlichen Gelder mobilisiert.

Paulette Lenert nimmt ihr neues Amt demnach in einem Moment an, in dem Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe vor einem grundlegenden Wandel stehen. Ausschlaggebend wird ihr Einsatz in internationalen Verhandlungen womöglich nicht sein, aber vielleicht richtungsweisend. Luxemburgs Einfluss auf der Weltbühne ist zwar überschaubar. Es könnte aber dazu beitragen, das eigene Verständnis von Kooperationspolitik als eigenständiges Politikfeld auch auf europäischem und internationalem Terrain zu verteidigen. Die Kooperationspolitik als essentielles Element der Außenpolitik: Nichts anderes haben DP, LSAP und Déi Gréng in ihrem neuen Programm angekündigt.

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