Die LSAP fordert eine Debatte über Steuergerechtigkeit und bringt die Wiedereinführung der Vermögensteuer ins Spiel – eine Steuer, die die Partei vor 15 Jahren in der Regierung abgeschafft hatte. Die Erfolgsaussichten des neuen sozialistischen Kurses sind allerdings gering.
„Wenn ich höre, wie Leute sich darüber aufregen, dass durch diese Maßnahmen eventuell Ausländer ihr Kapital in Luxemburg anlegen, dann kann ich nur staunen“, sagte Luc Frieden am 20. Dezember 2005 im Parlament. „Wir leben seit 30 Jahren von Ausländern, die ihr Geld nach Luxemburg bringen. Deshalb können wir hier eine Sozialpolitik machen und Infrastrukturen bauen, die kein anderes Land fertigbringt.“
Die Worte klingen wie eine ungewöhnlich ehrliche Rechtfertigung des Luxemburger Erfolgsmodells, die auch heute noch ihre Gültigkeit hat. Der Anlass ist aus heutiger Sicht allerdings ebenso bemerkenswert. Denn an diesem Tag debattierten die Abgeordneten die Abschaffung der Vermögensteuer für Privatpersonen.
Knapp 15 Jahre später verläuft die politische Debatte über die Ursprünge des Wohlstands im Land nicht mehr ganz so offen. Doch ob Schwarz-Rot oder Blau-Rot-Grün: Die Begründung des ehemaligen Finanzministers hat wenig an Aktualität verloren. Nur nichts beschließen, was den Kapitalfluss in das Großherzogtum bremsen oder dem hiesigen Finanzplatz ansatzweise schaden könnte, so lautet auch im Jahre 2020 die politische Devise.
Das Comeback einer alten Debatte
Einer, der diese finanzpolitische Einheitsfront von Rechts bis Mitte-Links aufbrechen wollte, wurde denn auch schnell zurechtgestutzt. Erbschaftssteuer, Vermögensteuer, Finanztransaktionssteuer (…) : Im Interview mit REPORTER hatte CSV-Präsident Frank Engel eine Reihe von Maßnahmen gefordert, die zu mehr Steuergerechtigkeit im Land führen sollten. Führende Politiker seiner eigenen Partei pfiffen den Vorsitzenden prompt zurück. Und auch die Regierungsparteien erteilten den Forderungen eine mehr oder weniger klare Absage.
Im Detail legte Engels Vorstoß bei Blau-Rot-Grün aber durchaus ideologische Differenzen offen. Die DP lehnt jegliche Mehrbesteuerung von Wohlhabenden ab und äußert sich seitdem selbst bei Maßnahmen, die im Koalitionsprogramm stehen („Stock options“, Besteuerung von Immobilien-Spezialfonds), zurückhaltend. Déi Gréng wollen sich der Debatte zwar nicht verschließen, formulieren aber selbst keine neuen Forderungen in der Steuerpolitik. Nur die LSAP nahm die Vorlage des CSV-Vorsitzenden an und sprach sich vorsichtig für eine „Diskussion“ über die Wiedereinführung der Vermögensteuer aus.
Apropos „Steuergerechtigkeit“ …
Dabei befanden sich die Sozialisten schon 2005 in einer misslichen politischen Lage. Als Regierungspartei trugen sie damals die Abschaffung der Vermögensteuer bei gleichzeitiger Einführung einer Quellensteuer auf Zinserträge geschlossen mit. Von der Konkurrenz im Parlament und den Gewerkschaften musste die LSAP sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie damit für mehr Ungerechtigkeit im Steuersystem sorge. Der Begriff „Steuergerechtigkeit“ wurde in der Debatte im Dezember 2005 inflationär gebraucht und sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern der später verabschiedeten Reform für sich in Anspruch genommen.
D’Steierverwaltung huet zu Lëtzebuerg keng Méiglechkeet, fir ze kontrolléieren, wat deen Eenzelnen effektiv huet.“Ben Fayot, früherer LSAP-Fraktionschef im Jahre 2005
Den Schritt zur gesetzlichen Abschaffung der „impôt sur la fortune pour les personnes privées“ verteidigte die damalige LSAP mit pragmatischen Argumenten. Die Steuer erfasse bei weitem nicht alle Vermögenswerte, insbesondere Immobilien, die Bemessungsgrundlage sei zu eng, und durch das Bankgeheimnis (auch für Gebietsansässige) hätte man sich der Besteuerung ohnehin leicht entziehen können, hieß es etwa von Ben Fayot in der parlamentarischen Debatte. „D’Steierverwaltung huet zu Lëtzebuerg keng Méiglechkeet, fir ze kontrolléieren, wat deen Eenzelnen effektiv huet“, so der damalige Fraktionsvorsitzende der LSAP und Vater des heutigen Wirtschaftsministers.
Die Vermögensteuer war übrigens ein Erbe des im Zweiten Weltkrieg von den deutschen Besatzern eingeführten Steuersystems. Sie war Teil der ominösen „Reichsabgabenordnung“ von 1940. Wie Ben Fayot bei der Debatte ebenso betonte: Luxemburgs Steuersystem basiere zwar bis heute auf der Abgabenordnung, die Verwaltung habe sich jedoch nie die nötigen Mittel zur Fahndung nach Steuerhinterziehern gegeben, welche ihr durch die Abgabenordnung in Artikel 175 ausdrücklich gewährt werden. Das sei besonders bei der (Nicht-)Besteuerung von Vermögen ein Problem.
Reaktion auf Bitten des Finanzplatzes
Die politische Lösung dieses Problems lautete damals jedoch nicht, den Steuersatz anzuheben, die Bemessungsgrundlage auf alle Vermögenswerte auszudehnen oder der Steuerverwaltung eine effektive Fahndung zu ermöglichen. Im Gegenteil stimmten die LSAP-Abgeordneten letztlich zu, die Vermögensteuer komplett abzuschaffen.
Für die Abschaffung waren auch der Koalitionspartner CSV und die damalige Oppositionspartei DP. Dagegen waren die ADR und Déi Gréng. Für die Grünen hielt der damalige Fraktionschef François Bausch ein leidenschaftliches Plädoyer und schloss damit, dass seine Partei diesen „Betrug“ nicht mittragen könne.
Wir leben seit 30 Jahren von Ausländern, die ihr Geld nach Luxemburg bringen. Deshalb können wir hier eine Sozialpolitik machen und Infrastrukturen bauen, die kein anderes Land fertigbringt.“Luc Frieden, ehemaliger Finanzminister im Jahre 2005
Dennoch erhielt die Gesetzesänderung mit 48-12 eine überwältigende Mehrheit in der Abgeordnetenkammer. Im damaligen Bericht der Finanzkommission wird die Reform zudem offen als Antwort auf eine „Nachfrage“ des Bankensektors bezeichnet. „Le projet de loi répond de la sorte à une demande de la communauté bancaire luxembourgeoise qui souhaite rendre encore plus attrayant le système luxembourgeois des impôts directs dans un environnement doté déjà de règles fiscales avantageuses au niveau des droits de succession.“
Keine Erbschaftssteuer, keine Vermögensteuer: Neben den diversen fiskalischen Vorteilen für Unternehmen begriff die Politik also auch die Steuerbefreiung von großen Vermögen als Kriterium für die „Attraktivität“ des Finanzplatzes. Schon damals befürworteten mehrere Abgeordnete offen eine Politik, die sich die Attraktion von Superreichen, sogenannten „High-net-worth individuals“ zum Ziel setzte. 15 Jahre später ist zwar das Bankgeheimnis für Nicht-Gebietsansässige verschwunden. Doch der Ansatz, mit steuerlichen Argumenten vermögende Privatkunden nach Luxemburg zu ziehen, ist der gleiche geblieben.
LSAP will „kluge Besteuerung von Vermögen“
Ein weiteres Argument für die Abschaffung der Vermögensteuer war 2005 übrigens die geringe Summe, die diese Steuer in die Staatskasse spülte. Der Steuerausfall wurde damals auf knapp zwölf Millionen Euro pro Jahr beziffert. Dennoch hat die LSAP jetzt ausgerechnet diese Steuer als Reaktion auf die von Frank Engel angestoßene Gerechtigkeitsdebatte wieder für sich entdeckt. Yves Cruchten, der Parteichef der Sozialisten, fordert im Gespräch mit REPORTER eine „kluge Besteuerung von Vermögen“ im Land.
Was er damit meint, deckt sich im Grunde mit der Problemdiagnose der LSAP aus dem vorletzten Jahrzehnt. Die damals abgeschaffte Vermögensteuer sei mit einem Satz von 0,5 Prozent zu niedrig gewesen. Das Bankgeheimnis habe zudem dazu geführt, dass so manches Vermögen verschleiert werden konnte. Allerdings zieht Cruchten eine andere Konsequenz aus dieser Analyse als seine Vorgänger in der Partei. Er spricht sich dafür aus, das Thema Vermögensteuer wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
Ich bin der Meinung, dass wir Gesetze machen sollten, deren Einhaltung auch kontrolliert werden kann. Das gilt besonders in Steuerfragen.“Yves Cruchten, Parteipräsident der LSAP
Konkret stellt sich der LSAP-Vorsitzende eine Steuer vor, die „nicht nur symbolisch“ ist, also höher ausfallen müsse als vor 2005. Erhoben würde diese auf das Reinvermögen eines Steuerpflichtigen, also sowohl Geld und Finanzanlagen als auch auf sonstiges privates Eigentum. Um dieses Vermögen überhaupt zu ermitteln, spricht sich Cruchten auch für eine Aufhebung des Bankgeheimnisses für Gebietsansässige aus. Diese Forderung hatte der LSAP-Präsident bereits in der RTL-Diskussionsrunde „Kloertext“ formuliert.
Ein wichtiger Punkt sei zudem die personelle Aufstockung der Steuerverwaltung. „Ich bin der Meinung, dass wir Gesetze machen sollten, deren Einhaltung auch kontrolliert werden kann. Das gilt besonders in Steuerfragen“, so Yves Cruchten.
Dan Kersch gibt eigener Partei eine Absage
Allerdings gibt der LSAP-Parteichef von sich aus zu bedenken, dass es beim Thema Vermögensteuer innerhalb der Dreierkoalition keinen Konsens gebe. Auch Cruchtens Parteikollege, Vizepremier Dan Kersch, hatte im Interview mit dem „Luxemburger Wort“ betont, dass die LSAP ein „verlässlicher Partner“ sei. Die Einführung einer Vermögensteuer stehe nicht im Koalitionsprogramm und sei demnach in dieser Legislaturperiode „nicht akut“. Dazu erteilt der Arbeitsminister auch einer anderen Idee eine klare Absage: „Eine Erbschaftssteuer in direkter Linie ist nicht der richtige Weg. Darüber herrscht in der Partei breiter Konsens.“
Auch wenn der Vizepremier damit schon Fakten schafft, will die LSAP-Fraktion erst noch diskutieren – oder zumindest öffentlich diesen Anschein erwecken. Im Parlament hat sie deshalb eine Orientierungsdebatte zur Steuergerechtigkeit beantragt. Konkret will die Partei über Vermögen-, Erbschafts-, Finanztransaktions- und Digitalsteuer sowie die Eindämmung von Steuerhinterziehung debattieren. Die Debatte könnte allerdings noch einige Wochen auf sich warten lassen. Die Parteien im Parlament haben sich nämlich darauf verständigt, zunächst einen Bericht erstellen zu lassen, der die wichtigsten Zahlen und Fakten aus den relevanten Ministerien beinhaltet.
Unterdessen verweist Yves Cruchten aber auf andere Maßnahmen, die innerhalb der Koalition mehrheitsfähig seien. Er meint etwa die Reform der Grundsteuer, die zwar schon seit zwei Jahrzehnten diskutiert wird, aber laut Cruchten im Rahmen der Vorbereitungen der Steuerreform „auf der Zielgeraden“ sei. Auch bei der Reform der „Stock options“ und einer höheren Besteuerung der „Fonds d’investissement spécialisés“ (FIS) äußert er sich zuversichtlich, dass beide Punkte aus dem Koalitionsprogramm zügig umgesetzt werden könnten.
Vorstoß von Frank Engel belebt die Debatte
Bei allen weiteren Fragen weist der Parteichef der Sozialisten aber darauf hin, dass man zunächst die finanziellen Auswirkungen der andauernden Corona-Krise beziffern müsse. Eine Diskussion über Steuergerechtigkeit müsse „natürlich den budgetären und ökonomischen Realitäten Rechnung tragen“. Von den anstehenden Debatten über den Staatshaushalt 2021 erhofft sich Yves Cruchten an dieser Stelle mehr Klarheit.
Als LSAP sind wir nicht unzufrieden, dass Frank Engel diese Themen angestoßen hat, weil die dahinter stehenden Fragen sich tatsächlich stellen.“Yves Cruchten, Parteipräsident der LSAP
Was die breitere Debatte über Steuergerechtigkeit betrifft, räumt der Sozialist auch ein, dass es dazu ohne den Vorstoß von CSV-Parteichef Frank Engel wohl nicht so schnell gekommen wäre. „Als LSAP sind wir nicht unzufrieden, dass Frank Engel diese Themen angestoßen hat, weil die dahinter stehenden Fragen sich tatsächlich stellen“, so der LSAP-Präsident. Bereits Anfang 2019 hatte Cruchtens Vorgänger im Amt des Parteichefs, der heutige Wirtschaftsminister Franz Fayot, die Wiedereinführung einer Vermögensteuer ins Spiel gebracht. Bis auf mehrere Medienberichte verlief dieser Vorstoß damals aber schnell im Sand.
Da vor allem die DP eine höhere Besteuerung des Reichtums konsequent ablehnt, könnte dem jetzigen Vorstoß der Sozialisten das gleiche Schicksal drohen. Auf die Positionen seiner Koalitionspartner angesprochen, betont Cruchten, dass er als Parteichef nur für die LSAP sprechen könne. Seine Partei stehe selbstverständlich weiter zur Koalition und ihrem Programm. Sie werde aber wie in der Vergangenheit weiter eigene Positionen formulieren. Diese werde man zur Not auch im kommenden Wahlkampf ins Programm schreiben.
Konkret heißt das: Ohne sich groß darüber äußern zu müssen, hat die DP den neuen sozialistischen Kurs also schon verhindert. Ob eine Vermögensteuer jemals zur „roten Linie“ erklärt wird, an der in Zukunft eine Regierungsbeteiligung der LSAP scheitern könnte, ist zudem höchst fraglich. Bis jene Partei, die vor 15 Jahren in der Regierung die Vermögensteuer abschaffte, in eine Position kommt, in der sie ebenjene Steuer wieder einführen könnte, wird es jedenfalls noch etwas dauern.
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