Mit Stolz auf die Regierungsbilanz und einem Programm des „sozialen Fortschritts“ will die LSAP die Wahlen meistern. Doch die angestrebte Machterhaltung ist nicht die Lösung, sondern ein Symptom der Krise von Luxemburgs Sozialdemokratie. Eine Analyse.
„Ech ginn iech Rendezvous den 20. Oktober owes fir ze feieren, wann d’LSAP de Premierminister stellt“: Der Satz von Etienne Schneider, rausposaunt auf dem Wahlparteitag der LSAP im Juli 2013, ist mittlerweile legendär. Nur Schneider hatte damals die Chuzpe, als ausdrücklicher Anwärter für die Juncker-Nachfolge in das Rennen der vorgezogenen Neuwahlen vor fünf Jahren zu gehen. Dass er sein Versprechen an die Genossen letztlich nicht einhielt, ist dabei zweitrangig. Was zählte, war die Signalwirkung und der Tabubruch. Alles andere ist bei den meisten Menschen im Land ohnehin schon wieder vergessen.
Schneiders Satz war allerdings kein spontaner Anflug von Größenwahn, sondern Ausdruck einer ganz bewussten Strategie. Nur in einer Dreierkoalition hatte die LSAP nach dem Bruch der schwarz-roten Koalition 2013 eine realistische Chance, an der Regierung zu bleiben. Nur durch die Konfrontation mit der CSV konnte man die parteiintern gefürchtete Wahlniederlage noch abwenden oder zumindest in Grenzen halten, so zumindest die Legende.
Fünf Jahre später sind die Sozialisten in einer ähnlichen Situation, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Ähnlich, weil das übergeordnete Ziel der LSAP das Verbleiben in der Regierung ist. Anders, weil dieses Mal ein offenes Bekenntnis zur Dreierkoalition nicht die richtige Wahlstrategie zu sein scheint. Dies ist wohl auch der Hauptgrund für den Vorstoß von Fraktionschef Alex Bodry, wonach die regierende Koalition aktuell über kein gemeinsames Projekt mehr verfüge. Damals wie heute übertünchen die Strategie und der alles überragende Machtwille allerdings die andauernde Krise der luxemburgischen Sozialdemokratie.
Machterhaltung als oberstes Ziel
Ob 2013 oder 2018: Der LSAP geht es vor allem darum, an der Macht zu bleiben. Mittlerweile könnte dieses für politische Parteien nicht allzu unübliche Ziel aber zum Problem werden. Denn in den vergangenen 40 Jahren waren die Sozialisten nur zwei Mal (1979-1984 und 1999-2004) nicht an der Regierung beteiligt. Rechnet man bis zum Jahre 1974 zurück, wird die LSAP mit den Wahlen in diesem Jahr genauso lang an der Macht gewesen sein wie die „ewige Regierungspartei“ CSV.
Dieses Erbe wirkt sich natürlich auf die Chancen bei den kommenden Parlamentswahlen am 14. Oktober aus. Eine Partei, die ständig an der Regierung war, kann nur schwer für Erneuerung stehen. Noch schwerer kann sie glaubwürdig für grundsätzliche Reformen eintreten, ohne ihre eigene lange Regierungsbilanz kritisch in Frage zu stellen.
Ich sage das ganz deutlich: Es gibt kein blau-rot-grünes Projekt mehr. Das wird vor allem in dieser Phase deutlich, wo sich die drei Parteien jeweils wieder auf ihr Kerngeschäft und ihre eigenen Programme besinnen.“LSAP-Fraktionschef Alex Bodry
So liest sich das Wahlprogramm der Sozialisten denn auch weitgehend als Manifest des „Weiter so“. Nicht im Sinn eines gesellschaftlichen Konservatismus, aber doch im Sinn eines Festhaltens am luxemburgischen Wirtschafts- und Sozialmodell, das man mit allen Vorzügen und Exzessen über die vergangenen Jahrzehnte maßgeblich aufgebaut und verteidigt hat. Den „Sozialstaat zu stärken und langfristig abzusichern“, dafür zu sorgen, „dass niemand auf der Strecke bleibt“, heißt denn auch die Devise.
Ausbau des Sozialstaats als Programm
Um das eigene soziale Profil zu schärfen, setzt die LSAP auf klassische populäre Forderungen. Der Mindestlohn soll um 100 Euro netto erhöht, die gesetzliche Arbeitszeit von 40 auf 38 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich gesenkt und die Mindestanzahl von jährlichen Urlaubstagen im Privatsektor bis 2023 von fünf auf sechs Wochen angehoben werden. Ebenso sollen das Kindergeld ab 2019 strukturell erhöht, der „tiers payant généralisé“ eingeführt und Alleinerzieher steuerlich entlastet werden. Und noch einiges mehr. Wie diese Maßnahmen finanziert werden sollen, verraten die Autoren des Programms freilich nicht.
Betrachtet man die sozialpolitischen Forderungen in ihrer Gesamtheit, stellen sich zudem zwei grundsätzliche Fragen: Warum hat man die Maßnahmen in den vergangenen 14 Jahren ununterbrochener Regierungsbeteiligung nicht schon umgesetzt? Oder anders: Mit wem wollen die Sozialisten ihr Programm des konsequenten Sozialstaatsausbaus verwirklichen? Weder mit der CSV noch mit der DP sind in dieser Hinsicht große Sprünge zu erwarten.
Ein Beispiel dafür ist das von der LSAP schon lange geforderte und immer wieder in die Wahlprogramme geschriebene Ende „der ungleichen Besteuerung von Arbeit und Kapital“. Auch vor den Wahlen 2013 wollte man Kapitaleinkünfte wie Dividenden oder Veräußerungsgewinne stärker besteuern. In den Verhandlungen zur blau-rot-grünen Steuerreform setzten sich die Genossen damit allerdings nicht durch. Auch die „Reichensteuer“ wurde wesentlich abgeschwächt. Dafür knickten sie bei der von den Liberalen geforderten Senkung der Körperschaftssteuer ein.
„Wuert gehalen“ reicht wohl nicht
Dennoch geht die LSAP in ihrem Wahlprogramm in manchen Punkten weiter als früher. Man könnte die sozialistischen Forderungen als Wunschliste von Wahlgeschenken abtun. Für die LSAP ist es jedoch mehr. Das deutliche soziale Profil ihres neuen Programms ist für die kriselnde einstige Volkspartei längerfristig wohl die einzige Überlebenschance.
Eigentlich müsste doch die Bilanz der vergangenen Legislaturperiode – zumindest der zweiten Hälfte – für ein gutes Wahlergebnis reichen, heißt es in der Parteiführung. Eigentlich hat die LSAP der Dreierkoalition in vielen Bereichen ihren Stempel aufgedrückt. Eigentlich haben sich ihre bewährten Minister nicht allzu viel vorzuwerfen. Eigentlich hat sie, um es mit dem Wahlkampfspruch der Parteistrategen zu sagen, bei einigen umgesetzten Maßnahmen „Wuert gehalen“. Ja, eigentlich…
Wir haben es zwar geschafft, die sozialen Errungenschaften in Luxemburg zu verteidigen. Doch auch wir haben den Geist der Austeritätspolitik auf EU-Ebene letztlich mitgetragen.“Parlamentspräsident Mars Di Bartolomeo
Die Bilanz der letzten fünf Jahre allein wird an den Wahlurnen jedoch keine Wunder bewirken. Zumal die Krise der Partei viel tiefer sitzt als es die Bilanz einer Regierung oder die Analyse eines Wahlprogramms abbilden könnte.
Tatsächlich plagt die LSAP das gleiche Problem wie andere sozialdemokratische Parteien in Europa auch. Sie wird bis heute mitverantwortlich für fortbestehende Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft und nicht zuletzt für die Politik in der Finanzkrise gemacht. Auch wenn manche Sprecher wie Außenminister Jean Asselborn oder Arbeitsminister Nicolas Schmit nicht müde werden, die europäische Solidarität wortgewaltig zu beschwören, hat auch die LSAP die rigide Politik der EU-Staaten in der Eurokrise mitgetragen.
Eine Partei mit Krisenverantwortung
„Wir haben es zwar geschafft, die sozialen Errungenschaften in Luxemburg zu verteidigen. Doch auch wir haben den Geist der Austeritätspolitik auf EU-Ebene letztlich mitgetragen“, sagte Parlamentspräsident und Ex-LSAP-Minister Mars Di Bartolomeo unlängst im Interview mit REPORTER. Den sozialdemokratischen Parteien werde dies viel schwieriger verziehen als anderen politischen Kräften.
Dazu gesellt sich das Grundproblem, dass die treue, traditionelle Wählerbasis der Sozialdemokraten kleiner wird. Das Arbeitermilieu schwindet und ein beträchtlicher Teil verfügt ohnehin nicht über das Wahlrecht bei Parlamentswahlen. Die Gesellschaft insgesamt ist vielfältiger und politisch beweglicher als noch in der Hochzeit der Sozialisten in den 1980er Jahren. Die linke Konkurrenz durch die Grünen tat ihr übriges.

Dass die Sozialdemokratie auch in Luxemburg in der Krise steckt, ist dabei kein spektakulärer Befund. Die Entwicklung der Wahlresultate spricht für sich. In den 1980er Jahren lagen die Sozialisten nach der Anzahl von Abgeordneten noch auf Augenhöhe mit der CSV. In der langen Regierungszeit seitdem schrumpften die Mandate dann sukzessive von 21 (1984) auf einen historischen Tiefpunkt von 13 Abgeordneten zur Jahrtausendwende. 1999 war das schlechteste Resultat in der Nachkriegsgeschichte der Partei. Auf diesem Niveau befindet man sich noch heute. Der Trend in den Umfragen zeigt indes konstant weiter nach unten.
Die rezente Entwicklung verheißt ebenso nichts Gutes. Bei den Europawahlen 2014 musste die LSAP Einbußen von fast acht Prozent hinnehmen. Bei den Gemeindewahlen hagelte es auch etliche Niederlagen. Besonders das Debakel, also der Realitäts- und folgende Machtverlust in Esch/Alzette ließ in der Parteizentrale die Alarmglocken läuten – allerdings nur für kurze Zeit.
Ausgerechnet Etienne Schneider
Im laufenden Wahlkampf treten die Genossen so auf, als ob nichts geschehen wäre. Die schlechten Nachrichten und Perspektiven werden von den Parteioberen schöngeredet, die Kritik von der linken und jungen Parteibasis weitgehend ignoriert. Bis auf Weiteres setzt man bei den Wahlen alle Hoffnungen auf die bewährten Zugpferde und Stimmenfänger im Süden wie Jean Asselborn, Mars Di Bartolomeo oder Alex Bodry. Wenn es noch einmal gut geht, dürfte auch 2023 die Erhaltung der Macht das oberste Ziel bleiben. Wenn nicht, könnte die Stunde der großen Erneuerung schlagen, die allerdings ebenso gewisse Risiken birgt, nicht zuletzt das längerfristige Drücken der Oppositionsbank.
Eine Partei in der Krise? Die Verkörperung dieser „Augen-zu-und-durch“-Strategie ist Etienne Schneider. Ausgerechnet Schneider ist das Aushängeschild dieser LSAP, die sich wieder auf ihre programmatischen Wurzeln besinnen will. Pünktlich zum Wahlkampf entdeckt der ideologiefreie Vize- und Fast-Premier regelmäßig sein soziales Gewissen.
Wie es einige Genossen hinter vorgehaltener Hand äußern, ist Schneider nicht wirklich der Wunschkandidat der Basis. 2013, als es darum ging, die CSV zu stürzen und ein progressives Gesellschaftsprojekt umzusetzen, war er zwar der Richtige. Längerfristig wünschen sich viele aber wieder „einen Sozialdemokraten aus Überzeugung“ als Spitzenkandidat, wie es ein Parteimitglied des Gewerkschaftsflügels ausdrückt.
Kein Spitzenkandidat, nicht Jacques Poos, nicht Robert Goebbels, nicht ich, und auch nicht Etienne Schneider, konnte die Partei nach Belieben dominieren. Das ist auch gut so.“Außenminister Jean Asselborn
In seiner Rede auf dem Parteitag im Limpertsberger Tramschapp vor zwei Wochen gab Schneider jedoch durchaus glaubwürdig den sozialistischen Wahlkämpfer. Die LSAP sei die Partei des sozialen Fortschritts, der Gerechtigkeit im Großen wie im Kleinen, ein „Lobbyist für die Schwächsten in der Gesellschaft“, so der Wirtschaftsminister.
Die nächste Legislaturperiode werde man dafür nutzen, endlich die „Schere zwischen Arm und Reich“ zu schließen, so Schneider weiter. Wohlgemerkt, die nächste Legislaturperiode. Ebenso in der nächsten Legislaturperiode wolle man das Wohnungsbau-Ressort „selbst in die Hand nehmen“. Dem Vizepremier schwebt ein „Super-Ministerium“, bestehend aus dem Innenministerium, der Landesplanung und dem Wohnungsbau vor. Immer wieder spricht Schneider so, als ob seine Partei ein Dauerabo auf die Regierungsbeteiligung hätte.
Wahlkämpfer und Wachstumsprediger
Richtig leidenschaftlich wird der Spitzenkandidat aber immer dann, wenn es um die Wachstumsfrage geht. Wachstum sei für ihn gleichbedeutend mit Fortschritt. Von den üblichen beschönigenden Adjektiven wie „nachhaltig“, „schonend“ oder „qualitativ“ hält Schneider nicht viel. Dem oft von seinen Genossen als „Liberaler“ geschmähten Minister geht es um das gute, alte, allheilende Wirtschaftswachstum. Allerdings mit dem sozialdemokratisch korrekten Hinweis: „Wer leidet am meisten unter gebremstem Wachstum?“ Wer weniger Wachstum wolle, gefährde jedenfalls Arbeitsplätze und die soziale Sicherheit im Land, predigt der Wahlkämpfer Schneider.
Schneider spricht auch über Renten, Gesundheit, Pflege, Bildung, Transport – ein Thema, das ihm weniger in den Sinn kommt, ist dagegen die Umweltpolitik. Nicht nur, dass er sich ständig an der zuständigen Ressortministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) reibt. Er spricht das Thema in seinen Reden meistens noch nicht einmal an. Da hilft auch die Tatsache nichts, dass die LSAP mit Pascal Husting den ehemaligen Programmdirektor von Greenpeace International zum Wahlkampfmanager berufen hat. Das grüne Bewusstsein scheint auch bis zu den Wahlen nicht mehr auf den roten Spitzenkandidaten abzufärben.
Regierungsbeteiligung als Rettungsanker
Apropos abfärben. Was bei dem außerordentlichen Parteitag der LSAP ebenso deutlich wird: Schneider ist kein Asselborn. Zwar spenden die Parteimitglieder ihrem unangefochtenen Spitzenkandidaten viel Beifall. Doch Begeisterungsstürme entfacht der politische Ziehsohn von Ex-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké nicht. Dagegen genügt allein schon die Erwähnung von Jean Asselborn, um den Saal beben zu lassen. Bei der leidenschaftlichen Rede des Außenministers über die schwindende Solidarität in der EU-Flüchtlingspolitik zum Schluss der Veranstaltung haben dann einige Genossen gar Tränen in den Augen.
Diese Gefahr besteht bei Etienne Schneiders Reden nicht. Der machtbewusste Vizepremier hat die Partei 2013 gekapert und will sie so schnell nicht mehr freilassen. Der joviale Pragmatiker wird von seinen Parteifreunden zwar geachtet, aber nicht geliebt. Sie alle vereint indes die Hoffnung, dass es auch nach diesen Wahlen noch einmal reicht. Dass die LSAP sich noch ein weiteres Mal in Regierungsverantwortung rettet. Jene, die auf die andauernden Krisensymptome hinweisen und sich auch eine Erneuerung in der Opposition vorstellen können, werden parteiintern geächtet.
Die LSAP als Regierungspartei: Damit wären die allermeisten Mitglieder schon zufrieden. Auch nach diesen Wahlen wieder. Das weiß auch Etienne Schneider. Dieses Mal verzichtet er vorsichtshalber aber darauf, seinen Genossen eine Feier nach dem Wahltag zu versprechen – und sei es nur für den Fall, dass die Partei weiter den Vizepremier stellt.