Grundsteuer, Klimaschutz, Individualisierung: Das sollen laut Franz Fayot die Prioritäten der anstehenden Steuerreform sein. Im Gespräch mit REPORTER spricht der Parteichef der LSAP über schmerzhafte Maßnahmen, unsinnige Steuernischen und die Grenzen sozialistischer Politik in Luxemburg.
Interview: Christoph Bumb
Herr Fayot, Erhöhung des Mindestlohns, ein zusätzlicher Urlaubstag, ein neuer Feiertag: Drei Kernforderungen der LSAP wurden bereits umgesetzt. Kann sich Ihre Partei nun zurücklehnen?
Das waren wichtige Maßnahmen, aber es mangelt uns nicht an weiteren Akzenten. Das gilt nicht nur für jene Ressorts, in denen wir den Minister stellen, wie zum Beispiel in der Gesundheits- oder Arbeitsmarktpolitik. Auch beim zentralen Thema Wohnungsbau hat sich diese Regierung einen Plan gegeben, der einige Punkte aus unserem Wahlprogramm aufgenommen hat. Ich denke etwa an Maßnahmen, um neues Bauland, aber auch um leerstehenden Wohnungsraum zu mobilisieren. Dazu gehört die Reform der Grundsteuer, die einen Anreiz für mehr Angebot an Wohnraum schaffen soll. Ebenso soll der Staat mehr Land aufkaufen und verstärkt selbst bauen. Das geht alles in die Richtung, die wir als LSAP schon länger fordern.
Stichwort Grundsteuer: Die Reform wurde auch schon vor fünf Jahren angekündigt. Warum kommt man hier nicht so recht voran?
Es ist ein komplexes Dossier. Das liegt etwa daran, dass wir uns bei der Bewertung von Grundstücken und Immobilien zum Teil noch an Zahlen aus den 1940er Jahren orientieren. Hinzu kommt, dass mit dem Finanz- und dem Innenministerium mehrere Verwaltungen an den Vorbereitungen beteiligt sind. Auch das Ministerium für Wohnungsbau soll eine wichtige Rolle spielen, da die Grundsteuer zum Teil den Effekt einer Besteuerung von leerem Wohnraum übernehmen soll.
Der Weg von staatlichen Anreizen, mit denen man niemandem so richtig wehtut, hat bisher nicht die gewünschte Wirkung gezeigt.“
Neben den technischen Fragen ist es aber natürlich auch politisch ein heißes Eisen. Wenn man sagt, dass die Grundsteuer ein wirksames Lenkungsinstrument sein soll, dann muss sie zwangsläufig höher ausfallen als bisher. Komplexer wird es auch, weil wir im Rahmen der ganzen Steuerreform Ausgleichsmaßnahmen planen, um die Menschen, die über die Grundsteuer stärker belastet werden, über die Einkommensteuer wieder zu entlasten. Das gilt vor allem für Haushalte, die nur über eine einzige Eigentumswohnung verfügen.
Jetzt gibt es aber auch einige Menschen im Land, die mehrere Grundstücke und Immobilien besitzen. Warum brauchen diese Personen eine Steuerentlastung als Ausgleich? Muss man nicht ehrlich sagen, dass es bei der Reform auch Verlierer geben wird?
Man kann nicht ewig eine Politik machen, bei der es nur Gewinner gibt. Dann macht man nämlich irgendwann überhaupt keine Politik mehr. Anders lässt sich die Gesellschaft nur schwer verändern. Allerdings geht es bei der Grundsteuer nicht darum, dass der Staat oder die Gemeinden unbedingt mehr Geld einnehmen. Sie soll einen Lenkungseffekt entwickeln, um die Krise auf dem Wohnungsmarkt in den Griff zu bekommen. Diese Krise lässt sich nur eindämmen, wenn es mehr Angebot gibt. Wenn mehr gebaut wird und damit irgendwann die Preise nicht mehr so rasant ansteigen.
Wohnen ist kein Luxus und kein reines Spekulationsobjekt, sondern ein Menschenrecht. Dieser Grundsatz sollte unsere Politik leiten.“
Es gibt Instrumente, mit denen wir dieser Krise und auch der Spekulation mit Immobilien entgegenwirken können. Der Weg von staatlichen Anreizen, mit denen man niemandem so richtig wehtut, hat bisher nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. Der andere Weg sind Steuern, mit denen man die Entwicklung vielleicht besser in die richtige Richtung lenken kann. Dazu gehört die Grundsteuer, davon bin ich überzeugt. Wohnen ist kein Luxus und kein reines Spekulationsobjekt, sondern ein Menschenrecht. Dieser Grundsatz sollte unsere Politik leiten.
Können Sie heute definitiv sagen, dass es in dieser Legislaturperiode zur Reform der Grundsteuer kommt?
Ja, denn die Grundsteuer wird ein Bestandteil der großen Steuerreform. Ich gehe davon aus, dass sie sogar ein Kernstück davon sein wird.
Ein weiteres Kernstück soll die Individualisierung der Einkommensteuer sein. Warum ist die Abschaffung der Steuerklassen eigentlich so ein wichtiges Ziel der Koalition und Ihrer Partei?
Weil wir ein Steuermodell anstreben, das neutral gegenüber der Wahl des Lebens- und Familienmodells der Bürger ist. Verheiratete werden durch das bestehende System stark begünstigt. Und noch stärker jene Haushalte, die von einem einzigen Einkommen getragen werden. Dieses „Ehegatten-Splitting“ stammt aus einer anderen Zeit. Heute entspricht es nicht mehr der Realität der Gesellschaft. Wir sind jedenfalls der Auffassung, dass die Bürger nicht mehr nach dieser Logik besteuert werden sollen, weil es heute sehr unterschiedliche Familienmodelle gibt.
Wir sind ein Land, in dem Eigentum sehr geringfügig besteuert wird. Das ist mittlerweile in der DNA der Bevölkerung tief verankert.“
Viel wichtiger ist es, Menschen zu unterstützen, die in finanzielle Not geraten können. Das trifft für Alleinerziehende zu, aber auch generell für Geringverdiener. Deshalb wollen wir als LSAP, dass man auch hier mit der Steuerreform weitere Anpassungen vornimmt. Ich denke zum Beispiel an das Instrument des Steuerkredits, das sich schon bei der Reform von 2016 als wirksam und sozial selektiv herausgestellt hat. Aber auch bei der Steuertabelle lässt sich ganz sicher noch etwas für jene Menschen tun, denen am Ende des Monats nicht viel übrig bleibt.
Manche Experten zweifeln aber daran, dass eine solche Reform der Steuerklassen in einem Schritt zu machen ist. Der ehemalige Direktor der Steuerverwaltung, Guy Heintz, meint zudem, dass eine solch radikale Reform für den Staat nicht finanzierbar wäre …
Im Regierungsprogramm ist in der Tat von Übergangsphasen die Rede. Zudem wird es für Verheiratete, die aktuell nach der Steuerklasse 2 besteuert werden, bestimmte Kompensationsmaßnahmen geben. Das Ziel ist jedoch klar: Die aktuellen Steuerklassen sollen verschwinden. Jetzt beginnt die Vorbereitungsphase von Beamten im Finanzministerium. Da wird die Frage der Finanzierbarkeit sicher eine herausragende Rolle spielen. Die Diskussionen dürften aber bereits im kommenden Jahr auf die politische Ebene ausgeweitet werden.

Die LSAP hat sich 2016 durchgesetzt mit einer – wenn auch abgeschwächten – „Reichensteuer“. Warum war eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes 2018 nicht mehr Teil des Wahlprogramms?
Das stimmt. Der Hauptgrund ist, dass dies in der aktuellen Konstellation der Dreierkoalition schwierig umzusetzen ist. Auch wenn die DP sich mittlerweile das Soziale groß auf die Fahnen schreibt, bleibt sie eine wirtschaftsliberale Partei mit ganz bestimmten Interessen, die auch bei solchen Verhandlungen zum Vorschein kommen. Das Prinzip, dass die breiteren Schultern mehr Steuerlast tragen sollen, ist für uns aber nach wie vor richtig. Ich bin jedoch auch der Meinung, dass es ganz andere und wirksamere Mittel zur gerechteren Umverteilung der Steuerlasten gibt. Dazu gehört die Balance zwischen der Besteuerung von Privatpersonen und Unternehmen und eine höhere Besteuerung von Immobilieneigentum.
Unabhängig von der Besteuerung von Arbeit stehen in Ihrem Programm wenige Dinge, vor denen sich die Reichen im Land fürchten müssten. Keine Erbschaftssteuer, keine Vermögensteuer, keine höhere Besteuerung von Dividenden oder anderen Kapitalerträgen …
Das liegt daran, dass diese Forderungen innerhalb der Partei nicht konsensfähig sind …
Welche Kräfte in der LSAP sind denn dagegen?
Es sind nicht bestimmte Kräfte. Vielmehr liegt es meiner Meinung nach darin, dass solche Fragen vor Wahlen nicht in der angemessenen Tiefe diskutiert werden. Dass wir fundamentale Positionen breiter und tiefgründiger diskutieren müssen, gehört jedenfalls zu meinen Zielen als Parteivorsitzender. Die Frage eines gerechteren Steuersystems gehört ganz sicher dazu.
Der Trend, dass extrem reiche Menschen extrem wenig Steuern zahlen müssen, muss gestoppt werden.“
Liegt es nicht eher daran, dass auch in der LSAP und unter ihren Wählern viele Menschen sind, die vom aktuellen System profitieren?
Das ist sicher nicht falsch. Wir sind ein Land, in dem Eigentum sehr geringfügig besteuert wird. Das ist mittlerweile in der DNA der Bevölkerung tief verankert. Deshalb sind Maßnahmen wie eine Erbschaftssteuer in direkter Linie oder eine höhere Besteuerung von Vermögen im Volk sehr unbeliebt, und längst nicht nur bei Wohlhabenden. Dieser Überlegung kann sich auch unsere Partei nicht entziehen. Selbst Déi Lénk sind in diesen Fragen in ihrem Wahlprogramm im europäischen Vergleich sehr zaghaft. Das zeigt, dass es solche Forderungen in Luxemburg schwer haben.
Wie kann man sonst im Steuersystem mehr Gerechtigkeit schaffen?
Es gibt andere Ansatzpunkte, zum Beispiel das Stopfen von bestimmten Schlupflöchern. Ich denke da etwa an spezialisierte Immobilienfonds, mit deren Hilfe Investoren ihre Steuerlast neutralisieren können. Auch Regime wie die „Stock options“ sind aus Gründen der Gerechtigkeit nicht mehr haltbar. Deshalb wollen wir das System reformieren. Der Trend, dass extrem reiche Menschen extrem wenig Steuern zahlen müssen, muss gestoppt werden. Das sind Arrangements, die früher auch mit Unterstützung meiner Partei auf den Weg gebracht wurden, die man heute aber nicht mehr akzeptieren kann. Das sind nur zwei Beispiele, wie man beim Anspruch von sozialer Gerechtigkeit im Steuersystem ganz konkret vorankommen könnte.
Es kann nicht sein, dass wir quasi jedem Manager, der für ein paar Jahre ins Land kommt, direkt ein massives Steuergeschenk machen.“
Sie sagen, die „Stock options“ sollen reformiert werden. Also nicht abgeschafft?
In der aktuellen Form soll das System abgeschafft werden. Dann kann man aber über eine gesetzlich regulierte, gerechtere und sinnvollere Alternative nachdenken. Das gilt zum Beispiel für Menschen, die mit ihrem Betrieb ein wirkliches Risiko eingehen und deren Beteiligung daran ein Mehrwert für das Land bedeutet. Es kann aber nicht sein, dass wir quasi jedem Manager, der für ein paar Jahre ins Land kommt, direkt ein massives Steuergeschenk machen.
Wenn man Ihnen zuhört, bekommt man den Eindruck, dass sich Luxemburgs Sozialisten seit jeher schwer tun mit linker Politik …
All das gehört zu einer komplizierten Diskussion in einem Land mit einem großen Finanzplatz, das viele wohlhabende Leute aus rein steuerlichen Gründen anzieht. Sei es, um ihr Vermögen zu parken oder, um selbst Einwohner zu werden, weil sie dann in mehrerer Hinsicht von unserem günstigen Steuersystem profitieren. An diesem System hängt mittlerweile eine ganze Industrie, die unserem Land seinen Wohlstand ermöglicht hat. Deshalb ist die Diskussion über steuerliche Anpassungen so schwierig.
Sie sprechen von „steuerlichen Gründen“, von einem „günstigen Steuersystem“. Man könnte es auch anders nennen: Ist Luxemburg Ihrer Meinung nach ein Steuerparadies?
Wenn man der OECD glaubt, sind wir kein Steuerparadies mehr. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Fortschritte gemacht. Wir haben den automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen eingeführt und halten alle internationalen Standards der Transparenz ein. Das war zwar nur auf internationalen Druck hin möglich, aber es ist trotzdem passiert. Vor 2013 waren wir noch viel näher an einer Realität, die man Steuerparadies nennen kann.
Eine soziale und ökologische Politik geht Hand in Hand, wenn man denn wie wir als LSAP für beide Aspekte glaubwürdig eintreten will.“
Heute sind wir immer noch ein Finanzplatz. Da liegt es in der Natur der Sache, dass es viele Leute und Unternehmen aus steuerlichen Gründen hierher zieht. Doch der Finanzplatz basiert heute auf viel akzeptableren, weniger verschwiegenen Bereichen, als dies früher der Fall war. Die Zeiten des wasserfesten Bankgeheimnisses sind definitiv vorbei. Doch das Prinzip, dass Luxemburg in einem wesentlichen Maß von ausländischem Kapital lebt, stimmt natürlich immer noch.
Das Image des Steuerparadieses hängt auch an der Tradition von Briefkastenfirmen. Die Regierung will deshalb Unternehmen mit mehr wirtschaftlicher Substanz anlocken. Gleichzeitig droht Luxemburg, mit zunehmender Steuerharmonisierung einen großen Teil seines Geschäftsmodells einzubüßen und leidet unter Wachstumsschmerzen. Lässt sich dieses Dilemma lösen?
Es zeigt sich, dass auch hier etwas in Bewegung ist. Wenn Unternehmen, die vorher nur eine Soparfi (eine steuerlich attraktive Finanzbeteiligungsgesellschaft, Anm. d. Red.) oder eine IP Box (ein Mittel zur Steueroptimierung via Patente, Marken oder Urheberrechte, Anm. d. Red.) hatten, plötzlich Büros oder Fabriken bauen, hat das sicher mit dieser Entwicklung zu tun. Da entstehen natürlich wieder neue Diskussionen über die Umwelt oder andere Grenzen des Wirtschaftswachstums. Bis heute stellen die Soparfi aber weiterhin einen beträchtlichen Teil des Luxemburger Modells dar. Für Luxemburg ist es eine riesige Herausforderung, dieses schwindende Geschäftsmodell angesichts der fortschreitenden Steuerharmonisierung auf EU- und OECD-Ebene zu kompensieren. Letztlich wissen wir alle aber nicht, ob und in welcher Form das aktuelle Modell diesen Wandel überstehen wird.

Ein Ziel dieser Regierung ist auch mehr Klimaschutz. Inwiefern spielt das bei den besagten Diskussionen zur Steuerreform eine Rolle?
Ich gebe zu, dass die Abschnitte über die ökologischen Facetten der Steuerreform im Regierungsprogramm etwas vage sind. Da werden wir mittlerweile etwas von den Ereignissen überholt. Der Klimawandel ist eine wahrhaftige Klimakrise. Wir müssten eigentlich viel radikaler handeln, als wir es zu tun gedenken. Selbst der Finanzminister bemerkte kürzlich, dass sich für Luxemburg zur Erreichung seiner Klimaziele über die Abgabenerhöhung bei Diesel und Benzin hinaus weitere Anpassungen aufdrängen. Damit ist die Tür für eine stärkere Besteuerung von Emissionen definitiv geöffnet.
Man kann nicht ewig eine Politik machen, bei der es nur Gewinner gibt. Dann macht man nämlich irgendwann überhaupt keine Politik mehr.“
Uns als LSAP ist es wichtig, dass eine ökologische Steuerreform einen sozialen Ausgleich beinhaltet. Dafür gibt es bereits interessante Modelle, etwa in der Schweiz oder in Skandinavien. Darüber hinaus sollten wir uns am Verursacherprinzip orientieren. Das heißt auch, dass die pauschale Besteuerung von Kraftstoff vielleicht nicht die wirksamste Methode ist. Wie ich es schon einmal vorgeschlagen habe, sollten wir zum Beispiel über eine höhere Besteuerung von besonders umweltschädlichen Autos beim Ankauf nachdenken.
Apropos Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit: Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, die Einführung des Gratis-Transport als „soziale Maßnahme“ zu verkaufen?
Ja, es ist schon etwas komisch, dass ausgerechnet die Grünen, die vor den Wahlen noch gegen diese Maßnahme waren, mit dieser Begründung kommen. Das zeigt die große politische Flexibilität der Grünen, die übrigens bei der letzten Steuerreform 2016 fast keine Vorschläge für eine ökologische Steuerreform in die Diskussion mit einbrachten. In einem Punkt liegen wir aber sicher auf einer Linie: Wir müssen es unbedingt schaffen, neben der Einführung des Gratis-Transports die Qualität der öffentlichen Verkehrsmittel zu verbessern. Eine soziale und ökologische Politik geht Hand in Hand, wenn man denn wie wir als LSAP für beide Aspekte glaubwürdig eintreten will.
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