Luxemburg war in seinen Beziehungen mit China lange sehr blauäugig. Doch das politische Risiko steigt angesichts des wachsenden Misstrauens der EU gegenüber Peking. Die Regierung entkommt der Trendwende nicht und plant die Einführung einer nationalen Investitionskontrolle.

„Wir haben unsere Türen nie verschlossen. Wir versuchen nie, chinesische Investitionen in Luxemburg zu verhindern. Das Gegenteil ist der Fall. Wir kommen nach China, um Investoren zu finden, die Luxemburg als ihre europäische Zentrale, als ihr Tor zu Europa nutzen wollen“, sagte der damalige Wirtschaftsminister und Vizepremier Etienne Schneider (LSAP) dem chinesischen Staatssender CTGN im August 2018.

Wie so oft sprach Etienne Schneider das aus, was andere Minister nur denken. Es ging um die „Belt and Road“-Initiative – besser bekannt als „Neue Seidenstraße“ – und Luxemburgs Unterstützung für das Lieblingsprojekt von Chinas Staatspräsident Xi Jinping. „Ich werde Ihnen nicht sagen, welches Land, aber es war ein sehr großes Land, das wirklich nicht wollte, dass wir Teil dieser Initiative werden. Aber das war uns egal, weil wir mit unseren chinesischen Partnern sehr gute Erfahrungen machen“, sagte Schneider.

Die Botschaft des damaligen Vizepremiers kam in Peking an. Sieben Monate später unterzeichneten China und Luxemburg ein Memorandum of Understanding (MoU) zur „Belt and Road“-Initiative (BRI). Die Luxemburger Regierung hält dieses Abkommen bis heute geheim: vor den Bürgern, den Abgeordneten und Journalisten. Reporter.lu konnte das Dokument dennoch einsehen. Der Inhalt ist bezeichnend für die Beziehungen zwischen China und Luxemburg. Peking errang einen diplomatischen Erfolg, indem mit dem Großherzogtum ein weiteres Mitglied der Europäischen Union das machtstrategische Projekt unterstützte. Im Gegenzug erhielt Luxemburg denkbar wenig: Plattitüden über eine verbesserte Kooperation und einen warmen Händedruck.

„Ausverkauf“ in Luxemburg, Skepsis anderswo

Bezeichnend ist ebenfalls, dass nach Luxemburg kein weiteres EU-Land mehr sich der chinesischen Initiative formell anschloss. Es wirkt, als ob das Großherzogtum den Anschluss an seine europäischen Partner verloren hätte und alleine in eine andere Richtung preschte. „Der Trend wendete sich ab 2017, 2018. Zuvor standen die EU-Länder im Wettbewerb um chinesische Investoren. Seitdem sind viele Staaten deutlich vorsichtiger geworden“, sagt der China-Experte Frans-Paul van der Putten. Für den Forscher des Clingendael-Institut für internationale Beziehungen in Den Haag war die Übernahme des deutschen Roboterentwicklers Kuka durch ein chinesisches Unternehmen 2016 ein Schlüsselmoment. Die Stimmung kippte in Deutschland.

Nach dem Einstieg der Chinesen bei Cargolux 2014 ging der „Ausverkauf“ in Luxemburg dagegen weiter. 2018 wurde die chinesische „Legend Holdings“ Mehrheitsaktionärin der Luxemburger Traditionsbank BIL. Im gleichen Jahr unterstützte die Regierung, dass der Staatskonzern China Southern Power Grid (CSG) sich zu knapp einem Viertel an Encevo beteiligte – dem Mutterhaus von Enovos und Creos. Als damals zuständiger Minister überging Etienne Schneider alle Bedenken der Öffentlichkeit und des grünen Koalitionspartners. Die Irritation in Deutschland ließ ihn kalt. Encevo gehören auch in Deutschland Strom- und Gasnetze. Die Bundesregierung hatte den Einstieg eines chinesischen Konzerns beim Netzbetreiber 50Hertz kurz zuvor verhindert. In Belgien scheiterte die Beteiligung eines chinesischen Investors am Stromunternehmen Eandis 2016 an einer Warnung des belgischen Geheimdienstes.

Zur Encevo-Gruppe gehören die Stromnetze von Creos und der Energieversorger Enovos. Bedenken aufgrund des Einflusses des chinesischen Aktionärs ließ der frühere Wirtschaftsminister Etienne Schneider nicht gelten. Im Ausland sieht man das anders. (Foto: Christian Peckels)

Demnach wuchs in den Nachbarländern die Skepsis im Umgang mit China. Vor allem das politische Risiko einer zu großen Abhängigkeit gegenüber der erwachenden Großmacht sorgte für ein Umdenken. Deutschland warb zusammen mit Italien und Frankreich für eine schärfere Kontrolle chinesischer Investoren.

„Keine naiven Freihändler“

„Lassen Sie es mich ein für alle Mal sagen: Wir sind keine naiven Freihändler. Europa muss immer seine strategischen Interessen verteidigen“, sagte der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker 2017 in Reaktion auf diese Debatte. Brüssel schlug einen EU-Mechanismus zum Screening von Beteiligungen vor, der seit Oktober 2020 endgültig in Kraft ist. Er soll der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, Investitionen in sensiblen Branchen zu „filtern“ und sich dazu auszutauschen. „Wir brauchen Kontrolle über die Ankäufe ausländischer Unternehmen, die auf Europas strategische Güter abzielen“, so Jean-Claude Juncker anlässlich der Annahme der Verordnung im April 2019.

Der Status quo war zum Vorteil Chinas. Chinesische Unternehmen konnten in Europa ohne weitere Einschränkungen investieren.“Frans-Paul van der Putten, Clingendael-Institut

Seit Oktober sollen die Mitgliedstaaten Informationen über geplante ausländische Investitionen untereinander und mit Brüssel austauschen, falls diese einen Einfluss auf die Sicherheit der Länder oder der EU haben. In Luxemburg steht das noch aus: „Seit 2019 arbeitet eine Arbeitsgruppe mit Mitgliedern verschiedener Ministerien daran, die nötigen Strukturen für diese Kooperation zu schaffen“, heißt es auf Nachfrage aus dem Außenministerium. Die Verordnung sieht außerdem vor, dass die Mitgliedstaaten nationale Regeln zur Überprüfung von Investoren einführen können. Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien aber auch Malta und Dänemark haben der Kommission entsprechende Gesetze und Verordnungen gemeldet. Die Luxemburger Regierung arbeitet an einem Gesetzentwurf, der einen „nationalen Kontrollmechanismus für ausländische Direktinvestitionen in Luxemburger Gesellschaften“ einführen soll, bestätigt das Außenministerium. Der Text solle „demnächst“ in die legislative Prozedur gehen.

Härterer Kurs erzwingt Zugeständnisse von Peking

Die Investitionskontrolle gilt für alle außereuropäischen Länder, aber China steht im Fokus. Auf den ersten Blick scheint es also widersprüchlich zu sein, dass die EU sich am 30. Dezember mit Peking auf ein Investitionsabkommen verständigt hat. Europäische Unternehmen erhalten einen vereinfachten Zugang zum chinesischen Markt.

Die Luxemburger Regierung erwartet sich viel von diesem Text. „Im Bereich der Finanzdienstleistungen verpflichtet sich China durch das Investitionsabkommen die Branche weiter zu liberalisieren und mit der Öffnung weiter voranzuschreiten. So werden zum Beispiel Obergrenzen für ausländische Beteiligungen im Bankwesen, beim Handel mit Wertpapieren und Versicherungen und für die Vermögensverwaltung abgeschafft. Für einen Finanzplatz wie Luxemburg ist die Stärkung von Wettbewerbsgleichheit durch ein derartiges Abkommen wichtig“, heißt es auf Nachfrage aus dem Finanzministerium.

Für den Experten Frans-Paul van der Putten hängen Kontrolle und Abkommen zusammen: „Der Status quo war zum Vorteil Chinas. Chinesische Unternehmen konnten in Europa ohne weitere Einschränkungen investieren.“ Dass sich das nun durch die Verordnung von 2019 ändern wird, sei für Peking ein Anreiz gewesen, das Investitionsabkommen abzuschließen, meint der Niederländer.

Wandel durch Handel?

Das Timing des Abkommens sorgte seit Jahresbeginn für eine heftige Debatte. Das Team des US-Präsidenten Joe Biden warnte die EU noch vor dessen Amtsübernahme vor diesem Schritt. Für China ist die Übereinkunft wichtig, um eine geeinte US-EU-Handelsfront zu vermeiden.

Umstritten ist das Abkommen mit China aber auch, weil sich Peking in den vergangenen Monaten noch autoritärer zeigte. Die Demokratiebewegung in Hong Kong merzt Peking konsequent aus. Die brutale Unterdrückung und Ausbeutung der muslimischen Minderheit der Uiguren dringt mit immer hässlicheren Details an die Weltöffentlichkeit. Im November stoppten die chinesischen Behörden den Börsengang von Ant Financial (Alipay), einem von Luxemburg umworbenen Finanzdienstleister. Der Schritt gilt als Vergeltung dafür, dass der Gründer des Mutterkonzerns Alibaba, Jack Ma, die chinesische Führung öffentlich kritisiert hatte.

Wir sind uns natürlich bewusst, dass China nicht nur ein Partner ist, sondern gleichzeitig ein Konkurrent.“Außenminister Jean Asselborn

Anfang Januar drohte Peking inländischen und ausländischen Firmen, die im Handel Sanktionen anderer Länder umsetzen. Das betrifft etwa Maßnahmen der USA gegen chinesische Offizielle, die an der Verfolgung der Demokratiebewegung in Hong Kong beteiligt sind. Die Drohung richtet sich aber auch gegen westliche Länder, die Unternehmen verpflichten wollen, Zwangsarbeit der Uiguren in Lieferketten zu unterbinden. Die chinesische Führung nimmt dabei bewusst schweren wirtschaftlichen Schaden in Kauf. Das Durchsetzen machtpolitischer Ziele steht unumstritten an erster Stelle. Indirekt könnte sich das auch auf den Luxemburger Finanzplatz auswirken. Alipay sollte von hier aus den EU-Markt abdecken. Doch die Zukunft des gesamten Konzerns ist aktuell unklar. „Wandel durch Handel“ hieß die Strategie vieler europäischer Länder in Bezug auf China. Gerade Deutschland vertraute darauf, dass eine stärkere Einbindung Chinas in die Weltwirtschaft zu einer politischen Öffnung führen und die autoritären Tendenzen abschwächen würde. Diese Hoffnung bezeichnen Experten inzwischen als illusorisch.

Das Fehlen einer Strategie

„Wir sind uns natürlich bewusst, dass China nicht nur ein Partner ist, sondern gleichzeitig ein Konkurrent, der andere Werte und eine andere Vision der Weltordnung hat als wir“, sagte Jean Asselborn (LSAP) in seiner Deklaration zur Außenpolitik im vergangenen Dezember. Luxemburg spreche regelmäßig auf bi- und multilateraler Ebene die „ganz beunruhigende Situation der Menschenrechte in Xinjiang und in Hong Kong“ an, so der Außenminister. Ob die restliche Regierung das genauso sieht, ist zumindest fraglich. Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) verhinderte laut einem Bericht des „Lëtzebuerger Land“ in letzter Minute, dass der Staatsbetrieb Post sein 5G-Mobilfunknetz mit Material des chinesischen Konzerns Huawei aufbaute. Sowohl in Brüssel als auch in Washington besteht die Sorge, dass der chinesische Geheimdienst sich eine Hintertür in die 5G-Ausrüstung von Huawei gesichert habe oder sichern könnte.

Die Hoffnungen des Verkehrsministers François Bausch auf eine Zugverbindung zwischen Zhengdu und Luxemburg wurden enttäuscht – trotz des großes Aufwands. (Foto: MMTP)

Im Fall Huawei wich die Regierung von der Doktrin der offenen Türen ab. Doch selbst bei ausgelegtem rotem Teppich sind die Resultate ernüchternd. Der grüne Verkehrsminister und Vizepremier François Bausch räumte im Januar in einer Antwort auf eine parlamentarische Frage ein, dass es keine direkte Frachtzugverbindung zwischen Luxemburg und China geben werde. 2019 gab es einen „Testzug“ zwischen dem Hub Bettemburg-Düdelingen und dem chinesischen Zhengdu. Letztlich entschied sich die chinesische Seite aber für deutsche Frachtterminals.

Die nackten Zahlen sind ebenfalls nicht überzeugend. Bei den Direktinvestitionen von und nach Luxemburg zählt laut Daten des Internationalen Währungsfonds zwar Hong Kong zu den 20 wichtigsten Partnern, doch nicht das Festland China. Diese Zahlen sind stark durch den Finanzplatz beeinflusst. Sogar bei den Exportzahlen hat China die gleiche Bedeutung für die hiesige Wirtschaft wie etwa Schweden oder Österreich.

Eingeklemmt zwischen geostrategischen Interessen

Ernüchterung ist dabei ein genereller Trend. Das Europäische Parlament schätzte Ende Januar die Zusammenarbeit mit China an der „Neuen Seidenstraße“ als „bislang nur mäßig erfolgreich“ ein. Es solle zwar eine Kooperation geben, aber nur falls das den politischen Zusammenhalt der EU und ihre Grundprinzipien nicht gefährde. „Brutales Vorgehen“ gegen Drittländer sei ebenfalls nicht akzeptabel.

Auch die USA werden den politischen Preis guter Beziehungen mit China für Luxemburg in die Höhe treiben. Unter Präsident Joe Biden wird der harte Kurs wahrscheinlich weitergehen. Einen Vorgeschmack gab der neue Außenminister Antony Blinken, als er die Einschätzung seines Vorgängers bestätigte, dass China einen „Genozid“ an den Uiguren begehe.

„Das politische Risiko in den Beziehungen zu China ist deutlich gestiegen. Was die Länder davon haben, ist aber nicht so klar“, fasst der Experte Frans-Paul van der Putten die Lage zusammen. Gleichzeitig ist Luxemburg besonders gefährdet, falls die USA und China vollends auf Konfrontationskurs gehen sollten. Wie viel diplomatischer Spielraum bleibt, wenn chinesische Staatsunternehmen wesentlichen Einfluss bei Encevo und Cargolux haben?

Lässt Luxemburg seine Tür für China offen, droht ernsthaft Streit mit dem strategisch und wirtschaftlich deutlich wichtigeren Partner USA. Schließt sich die Tür auch nur einen Spalt, wird das in Peking alles andere als positiv aufgenommen werden. Klar ist aber vor allem eins: „Egal“ – wie es Etienne Schneider formulierte – wird es Blau-Rot-Grün künftig nicht mehr sein, wie ihr Umwerben Chinas unter den demokratischen Partnerstaaten aufgenommen wird.

Das Februar-Heft von „forum“

Dieser Artikel erscheint parallel im Februar-Heft der Zeitschrift „forum“ als Teil eines Dossiers.

In der Ausgabe beschäftigen sich die Autorinnen und Autoren mit der desaströsen Lage der Menschenrechte in China sowie den chinesisch-luxemburgischen Wirtschaftsbeziehungen.

Einen Schwerpunkt legt das in Kooperation mit der „Action des chrétiens pour l’abolition de la torture (ACAT)“ realisierte Dossier auf die Lage der Uiguren. Das Heft ist ab sofort im Kiosk erhältlich und kann auf forum.lu bestellt werden.


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