Der Konzern China Southern Power Grid hält seit kurzem ein Viertel der Anteile an Encevo, dem Mutterhaus von Enovos und Creos. Damit ist ein chinesischer Staatskonzern wesentlich am Luxemburger Strom- und Gasnetz beteiligt. Die Gründe bleiben umstritten.
Der Staatskonzern China Southern Power Grid (CSG) hält seit Ende November exakt 24,92 Prozent der Anteile von Encevo. Zum ersten Mal ist an Encevo damit nicht ein Energiekonzern oder ein Investor aus einem der Nachbarländer beteiligt, sondern ein Staatsunternehmen aus einem Drittland.
Als der französische Investmentfonds Ardian Ende Juli den Verkauf seiner Anteile an den chinesischen Konzern ankündigte, war die Überraschung in der Luxemburger Öffentlichkeit groß. Nun ist die Transaktion endgültig abgeschlossen. Im Encevo-Verwaltungsrat hat CSG drei Posten besetzt, darunter jenen des ersten Vizepräsidenten. Auch beim Tochterunternehmen Enovos ist der chinesische Konzern inzwischen im Verwaltungsrat präsent.
Doch viele Fragen bleiben offen. In Deutschland und Belgien schritten Behörden ein, um zu verhindern, dass ein chinesischer Staatskonzern sich in Stromnetze einkauft – unter anderem wegen Risiken für die nationale Sicherheit. Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) wiegelte ähnliche Bedenken etwa von CSV und Déi Lénk ab. Der Staat verzichtete auf sein Vorkaufsrecht. Dabei war der Verkauf an die Chinesen auch in der Koalition umstritten. Der neue Energieminister Claude Turmes (déi Gréng) zählte zu den schärfsten Kritikern.
Warum ein chinesischer Konzern bei Encevo einsteigt
Die Atmosphäre um den Verkauf war aufgeheizt, auch aufgrund eines zeitlichen Zufalls. Ardian teilte am 31. Juli mit, seine Encevo-Anteile an den chinesischen Konzern CSG verkaufen zu wollen. Wenige Tage zuvor hatte der deutsche Wirtschaftsminister die Investition eines anderen chinesischen Staatskonzerns beim deutschen Netzbetreiber 50Hertz verhindert.
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Ganz anders klang die Einschätzung von Etienne Schneider: Man sei froh, dass mit CSG ein „industrieller Partner“ bei Encevo einsteige, der helfen könne, weitere Märkte zu erschließen und neue Technologien zu entwickeln.
Der Encevo-Generaldirektor war in den vergangenen Wochen in China, um mehr über die Sichtweisen des neuen Aktionärs zu erfahren. „Luxemburg ist für CSG interessant, weil es ein Energiemarkt ist, der weiter wächst. Das ist in Europa nicht selbstverständlich“, erklärt Claude Seywert im Gespräch mit REPORTER.
Außerdem sei der Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung in Folge der Rifkin-Strategie von Bedeutung. Letztlich geht es aber auch um ein übergeordnetes Interesse: „Der Aktionär will verstehen, wie der europäische Energiemarkt über die Grenzen hinweg funktioniert“, so Seywert.
Die neuen Vertreter im Verwaltungsrat
Der Staatskonzern CSG hält seine Beteiligung über seine internationale Investmentplattform in Hong Kong: China Southern Power Grid International (HK) Co. Der Finanzdirektor dieser Holding, Li Sun, ist seit Mitte November erster Vizepräsident des Encevo-Verwaltungsrates. CSG hat außerdem Ji Changqing, Generaldirektor von Laos Tha No.1 Electric Power Co. nominiert. Er sitzt ebenfalls im Verwaltungsrat der Tochtergesellschaft Enovos. Und schließlich der dritte Vertreter des chinesischen Aktionärs ist Stefan Grützmacher, früherer Chef des Berliner Energieversorgers Gasag.
Luxemburg als Knotenpunkt
Dafür war der Staatskonzern offenbar bereit, deutlich mehr zu zahlen, als sich Ardian ursprünglich erwartete. Laut Informationen der Nachrichtenagentur Reuters zahlte CSG 400 Millionen Euro. Anfang des Jahres hatte Reuters berichtet, dass Ardian mit einem Erlös von 300 Millionen Euro rechne. Die Chinesen setzten sich gegen Angebote des Versicherungskonzerns Allianz und dem niederländischen Investmentfonds DIF durch, so die Agentur.
Tatsächlich ist Encevo für China auch aus geografischen Gründen eine lohnende Investition. Das Unternehmen ist sehr präsent im Saarland und in Rheinland-Pfalz und hat auch über Enovos Großkunden in Frankreich und Belgien. Dazu kommt, dass das Tochterunternehmen Creos ein kleines Juwel birgt. Über die frühere Sotel-Leitung besitzt der Netzbetreiber eine Anbindung an das belgische Netz. Über Luxemburg führt damit die einzige direkte Verbindung zwischen Belgien und Deutschland, Europas wichtigstem Strommarkt.
Noch ist es nur eine Leitung und das Interesse auf belgischer Seite hält sich in Grenzen. Eine weitere Doppelleitung über Bascharage ins belgische Aubange soll 2022 fertiggestellt werden. Auch eine Anbindung an das französische Netz wäre technisch möglich, schrieb etwa das „Luxemburger Wort“.
Luxemburg als europäischer Knotenpunkt würde hervorragend in Pekings Strategie passen, ein weltumspannendes Stromnetz zu erreichen. China will die bisher oft kaum verknüpften Netze mit einander verbinden – unter seiner Leitung, wie die „Financial Times“ berichtet.
Ein industrieller Partner
Auf der Gegenseite sieht CEO Claude Seywert drei Felder, in denen Encevo von seinem neuen Aktionär lernen könne. „CSG betreibt das zweitgrößte Stromnetz weltweit und forscht intensiv zur Steuerung der Netze“, erklärt er. Da diese Technologie ortsunabhängig sei, könne Creos von diesen Erkenntnissen profitieren.

Ein weiteres Feld ist die Elektromobilität. „In Shenzhen sind fast alle Taxis und Busse elektrobetrieben. Entsprechend riesig sind die Ladestationen“, berichtet Seywert von seiner Reise. In China habe man damit mehr Erfahrung als in Europa. Das gleiche gilt für das dritte Feld, nämlich den Einsatz von Batterien im Netz, um etwa die sehr unregelmäßige Produktion aus erneuerbaren Quellen auszugleichen. Konkrete Projekte zum Austausch mit CSG gebe es allerdings noch keine, so der CEO.
„Kein Risiko“
Die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Aktionär könnte also durchaus Vorteile haben. Doch die Nachteile spielt der Wirtschaftsminister herunter. Auf das deutsche Beispiel 50Hertz angesprochen, meinte Schneider im Interview mit Radio 100,7, dass Luxemburg eine andere Haltung gegenüber chinesischen Investoren habe als große Nachbarländer, die ihre traditionelle Industrie schützen wollten. „Bei uns ist es so, dass unsere Industrie, unser Finanzplatz immer davon gelebt hat, eine sehr offene Wirtschaft zu sein“, so Schneider weiter.
Außerdem sehe er „kein Risiko“ beim Verkauf an die Chinesen, betonte Schneider Anfang August. Der Staat kontrolliere Encevo mehrheitlich. Tatsächlich hält der Staat zusammen mit der öffentlichen Investitionsbank SNCI, der Sparkasse, Post und der Stadt Luxemburg knapp zwei Drittel der Anteile.
Trotzdem ist Schneider in diesem Punkt liberaler als sein Vorgänger Jeannot Krecké (LSAP). „Warum habe ich die Enovos nie an die Börse genommen? Wenn man an der Börse ist, kann man nicht mehr kontrollieren, wer einsteigen darf und wer nicht“, so Krecké im Interview mit der Zeitschrift „Forum“ 2012.
Koalitionsinterner Zwist
Der Koalitionspartner Déi Gréng fand Schneiders Argumente wenig stichhaltig. „Der chinesische Staat versucht systematisch in den europäischen Energiemarkt einzudringen“, schrieb der grüne Abgeordnete Gérard Anzia in einer parlamentarischen Anfrage Anfang August. Er fragte konkret, ob der Staat sein Vorkaufsrecht nutzen wolle und ob eine Strategie bestehe, China aus dem Energiemarkt fernzuhalten.
Laut Informationen von REPORTER war der damalige Staatssekretär und heutige Energieminister Claude Turmes hinter den Kulissen aktiv, um den Verkauf an die Chinesen zu stoppen. Eine Anfrage von REPORTER zum Dossier Encevo ließ Turmes bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Die Zeit drängte im Sommer, denn die anderen Encevo-Aktionäre hatten nach der offiziellen Mitteilung Ardians Ende Juli lediglich 20 Tage Zeit, um ein Gegenangebot zu machen. Dazu kam es nicht.
Etienne Schneider stellte in seiner Antwort an Anzia klar, dass der Staat nie vorhatte, von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen. Für die knapp 25 Prozent hätte der Staat „etwa“ 534 Millionen Euro ausgeben müssen, so der Wirtschaftsminister. „Ich sehe nicht ein, warum der Staat so viel Geld ausgeben sollte, um schließlich kaum einen Mehrwert zu bekommen“, schrieb Schneider.
Staat könnte Kontrolle über Creos übernehmen
Keinen Mehrwert hätte eine komplette Nationalisierung laut Schneider, weil der Staat jederzeit die Kontrolle über das Stromnetz übernehmen könne. Tatsächlich enthält der Creos-Aktionärspakt einen sogenannten „Call“. Das heißt, der Staat kann jederzeit Encevo dessen 75 Prozent am Netzbetreiber abkaufen. Die Gefahr einer Kontrolle des Luxemburger Stromnetzes durch einen ausländischen Investor sei damit quasi null, so Schneider.
Doch das ist eine Möglichkeit im Konjunktiv. Denn der Staat müsste Encevo die Creos-Anteile zum Marktpreis abkaufen – und damit erst die Hunderte Millionen Euro für diesen Kauf haben. Dazu kommt die diplomatische Verstimmung Chinas, wenn es darum ginge, den Staatskonzern CSG hinauszudrängen. Als die britische Regierung das Investment eines chinesischen Konzerns im Atomkraftwerk Hinkley Point prüfte, warnte der chinesische Botschafter unmissverständlich, dass dies ein Vertrauensbruch sei und die britisch-chinesischen Beziehungen an einem „Wendepunkt“ stünden.
Die Hypothese reicht allerdings noch weiter: Würde eine Luxemburger Regierung diesen Bruch wagen, angesichts chinesischer Aktionäre bei Cargolux und BIL sowie der wichtigen Präsenz chinesischer Banken?
Die „magischen“ 25 Prozent
Ein weiteres Argument Schneiders: In Luxemburg braucht es mindestens 33 Prozent der Anteile, um eine Sperrminorität zu bilden. CSG könne sich demnach nicht in das Tagesgeschäft von Encevo einmischen oder hohe Posten im Unternehmen besetzen.
Der Gewissheit des Wirtschaftsministers trauten jedoch offenbar nicht alle. Denn Ardian verkaufte nicht seine gesamten Anteile. Der französischen Fonds besaß 25,48 Prozent, doch CSG erwarb lediglich 24,92 Prozent. Ardian hält also weiterhin 0,6 Prozent der Encevo-Anteile.
Das bestätigt der Encevo-Generaldirektor gegenüber REPORTER. „25 Prozent sind immer eine magische Hürde, auch wenn das in Luxemburg im Gegensatz zu anderen Ländern egal ist“, erklärt Seywert den teilweisen Verkauf.
Unter dem Radar
Trotzdem wirft das Unterschreiten der 25-Prozent-Hürde Fragen auf. Das gilt insbesondere in Bezug auf die Encevo-Aktivitäten in Deutschland, wo der luxemburgische Konzern 60 Prozent seines Umsatzes erwirtschaftet. Dort sind die Tochterunternehmen in vielen Fällen an kommunalen Strom- und Gasunternehmen beteiligt – ein ausgesprochen politisches Geschäftsfeld.
Warum Ardian seine Anteile nicht vollständig verkaufte, ließ das Unternehmen gegenüber REPORTER bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Ein Grund könnte sein, dass der Verkauf unter dem Radar der deutschen Investorenkontrolle ablaufen sollte. Das Außenwirtschaftsrecht sieht eine Überprüfung von Investitionen vor, wenn sie 25 Prozent der Anteile übersteigen. Wie aus Kreisen des Verkäufers zu erfahren war, sei das aber nicht der Grund. Da Encevo ein Luxemburger Unternehmen sei, würden die deutschen Regeln schlicht nicht greifen.
Dennoch sorgte der Erwerb durch CSG in den deutschen Medien für reichlich Aufmerksamkeit. Der generelle Eindruck: Über den Umweg von Luxemburg kauft sich China ins deutsche Netz ein.
CSG ist aber offenbar bemüht, mit der Einbindung eines bekannten Namens Vertrauen bei den Kunden im Saarland und in Rheinland-Pfalz aufzubauen. Der Konzern ernannte mit Stefan Grützmacher den früheren Chef des Berliner Energieversorgers Gasag zu einem der drei Vertreter im Verwaltungsrat von Encevo. Auch im Aufsichtsgremium von Enovos ist Grützmacher vertreten.
Wenig Begeisterung im Saarland
In der saarländischen Landesregierung zeigt man sich dennoch verschnupft. Auf die Frage von REPORTER, ob die zuständigen Luxemburger Stellen vor dem Verkauf mit der Landesregierung Kontakt aufgenommen hätten, heißt es knapp: „Die Geschäftsführungen der Enovos Deutschland und der Creos Deutschland haben die saarländische Landesregierung über die Transaktion unterrichtet.“ Etienne Schneider hielt demnach ein Gespräch mit den saarländischen Kollegen offenbar nicht für nötig.
Dabei ist der Luxemburger Konzern ein wichtiger Akteur im Saarland. Encevo entstand 2009 aus der Fusion der Cegedel, Soteg und Saar Ferngas – damals unter dem Namen Enovos International. Von 2010 bis zu seinem Wechsel in die Regierung im Februar 2012 war Etienne Schneider Präsident des Verwaltungsrats von Enovos International SA sowie der Enovos Deutschland AG.
Das Unternehmen ist sehr präsent im Saarland. Erst 2017 kaufte Encevo ein 450 Kilometer langes Stromnetz in dem Bundesland, das zuvor dem Energieunternehmen Steag gehörte. Im September sprach sich Schneider dafür aus, dass Encevo beim saarländischen Energieversorger VSE einsteigen solle.
Eine direkte Bewertung des Kaufs von Encevo-Anteile durch CSG vermeidet das saarländische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr. Nur soviel: Es sei von „besonderer Bedeutung“, dass die Entscheidungskompetenzen und die Beschäftigung der deutschen Encevo-Töchter „perspektivisch abgesichert“ seien. Begeisterung klingt anders.