Sechs von 751 Abgeordneten vertreten in Europa die Belange Luxemburgs – und die Interessen ihrer jeweiligen Partei. Die Arbeit der Parlamentarier gibt Aufschluss darüber, welchen Einfluss einzelne Kandidaten nach den Europawahlen überhaupt ausüben können.

„Am Anfang ist man verloren“, beschreibt Mady Delvaux (LSAP) den Einstieg ins Europäische Parlament. „Wenn man noch keine Erfahrung im Parlament hat, braucht man ein bis zwei Jahre, um sich zurecht zu finden“, schätzt auch Christophe Hansen (CSV). Kontakte knüpfen, Verbündete suchen, sich in unterschiedliche Themen und Gesetzesprojekte einarbeiten. All das kostet Zeit, Einsatz und Geduld.

Welche Rolle die Abgeordneten während ihrer Amtszeit einnehmen, hängt maßgeblich damit zusammen, in welchen Ausschüssen sie tagen und an welchen Gesetzen sie mitschreiben. Während etwa Charles Goerens (DP) im Entwicklungsausschuss die Instrumente der EU-Entwicklungshilfe mitgestaltet hat, trieb Claude Turmes (déi Gréng) im Industrieausschuss die EU-Energiewende voran.

An welchen Gesetzen man mitfeilen kann, bestimmt in erster Linie die Fraktion. Den großen Fraktionen, wie etwa der EVP, stehen mehr Posten in den Ausschüssen und Berichte zur Verfügung wie kleineren Gruppen. Große nationale Delegationen werden zuerst bedient. Wiedergewählte Abgeordnete haben zudem Vorrang vor Neuzugängen.

Ein luxemburgischer Politiker, der sich in einem bestimmten Bereich einbringen möchte, muss sich seinen Platz im entsprechenden Ausschuss bei seiner Fraktion erst einmal aushandeln. Bei den Grünen ist es nicht ungewöhnlich, dass Kandidaten bereits vor den Wahlen ihre Beziehungen spielen lassen, um ihre Chancen auf einen Platz in der gewünschten Kommission zu vergrößern. Spätestens bei der ersten Fraktionssitzung müssen die Politiker aller Couleur klar stellen, wo sie mitmischen wollen.

Nationale Interessen und persönlicher Einsatz

Für Luxemburgs Parlamentarier ist es besonders wichtig, nah an jenen Dossiers zu sein, die eine direkte Auswirkung auf das Großherzogtum haben. Christophe Hansen zählt dazu etwa Landwirtschaft, Umwelt, Industrie und Energie, Binnenmarkt und Verbraucherschutz. Die Finanzkommission gehört zudem zu jenen Ausschüssen, in denen Luxemburger gerne vertreten sein wollen. „Wir müssen zusehen, dass wir diese Ausschüsse so gut wie möglich abdecken“, so der Co-Spitzenkandidat der CSV.

Ich lasse mich nicht verbiegen. Aber wenn wir in wichtigen Punkten anders stimmen, dann müssen wir das vorher mitteilen.“Charles Goerens, DP

„Ausschüsse sind besonders spannend, wenn es um wirkliche Macht in der Gesetzgebung geht“, ergänzt Mady Delvaux. Einfluss nehmen auf Gesetze und Bestimmungen können die Parlamentarier nur über Berichte und Änderungsvorschläge. „Wer viele Vorschläge macht, hat bessere Karten, um an Berichte zu kommen oder Redezeit im Plenum zu ergattern“, so Christophe Hansen.

Der CSV-Politiker rühmt sich damit, bereits am zweiten Tag im Parlament seinen ersten Antrag eingereicht zu haben. Es ging um strengere Vorgaben bei der Reduzierung von Einwegplastik. „Ich war noch nicht einmal im System freigeschaltet“. Wieso es doch klappte? Als ehemaliger parlamentarischer Mitarbeiter der CSV-Abgeordneten Astrid Lulling wusste Hansen, wie er seinen Vorschlag auf dem Papierweg einreichen konnte.

Politisches Profil und Durchsetzungskraft

Während jedes Ausschussmitglied Änderungsvorschläge einbringen kann, sieht es bei Berichten anders aus. Hier kommt es auf Profil und Erfahrung, aber auch auf die Durchsetzungskraft der Kandidaten an. Und darauf, welchen Draht sie zum Koordinator ihrer Fraktion haben, der die Berichte verteilt.

Dass Claude Turmes etwa auf gleich drei wichtigen Energiedossiers arbeiten konnte, lag an seinem Profil. „Die Expertise in einem Themenbereich ist äußerst wichtig. Turmes galt als anerkannter Energie-Experte“, erinnert sich sein ehemaliger Büroleiter Meris Sehovic. Gleichzeitig hatte Turmes als Koordinator für die Grünen im Energieausschusses Vorrang.

Als Christophe Hansen für Viviane Reding ins Parlament einzog, hat er sich bereits im Vorfeld in die anstehenden Texte eingearbeitet. Im Handelsausschuss konnte er dann etwa ein ganzes Dossier zusammenstellen, in dem er darlegte, wieso er der bessere Schattenberichterstatter für den Handelsdeal mit Japan sei.

In der Regel gilt aber: Neue Abgeordnete müssen sich erst einmal mit kleineren Berichten zufriedengeben. „Es ist wichtig, dass man präsent ist und zeigt, dass man sich in den Dossiers gut auskennt“, sagt Mady Delvaux.

Strategie, Druck und Fraktionsmobbing

Bei der Ausarbeitung ihres Berichts, etwa zu einem Gesetzesvorschlag, müssen die Abgeordneten mehrere Interessen gleichzeitig bedienen. Auf der einen Seite gilt es, die eigenen Ideen durchzusetzen. Daneben müssen sie Rücksicht auf die nationalen Interessen sowie Vorgaben ihrer Fraktion nehmen.

Auf der anderen Seite müssen sie kompromissbereit sein, damit andere Fraktionen den Bericht mittragen. „Das EU-Parlament ist wohl das einzige Parlament, in dem die Mehrheiten ständig wechseln. In der Regel muss man nicht die eigene Fraktion, sondern die anderen Gruppen überzeugen“, betont Meris Sehovic, einer der Spitzenkandidaten von „Déi Gréng“ bei den anstehenden Europawahlen.

Ein italienischer Abgeordneter hat einmal mit der EVP gestimmt. Den haben wir gemobbt.“Mady Delvaux, LSAP

„Es ist ein permanenter Kampf“, findet auch Delvaux. Besonders dann, wenn sich die Berichterstatter nicht auf Kompromisse einigen können. „Dann redet man auch schon einzeln mit den Leuten, damit sie für den eigenen Vorschlag stimmen.“

Nur wenn er im Ausschuss akzeptiert wird, kommt ein Bericht ins Plenum. Selten stimmen Fraktionsmitglieder im Ausschuss gegen die Vorschläge eines Kollegen. „Ein italienischer Abgeordneter hat einmal mit der EVP gestimmt. Den haben wir gemobbt“, erinnert sich Mady Delvaux.

Strenger Fraktionszwang ist die Ausnahme

In der Regel herrscht bei den Abstimmungen aber kein strikter Fraktionszwang. Insbesondere im Plenum können die Abgeordneten auch gegen die Fraktionslinie stimmen. „Wer soll das denn kontrollieren“, fragt Delvaux. „Ich lasse mich nicht verbiegen. Aber wenn wir in wichtigen Punkten anders stimmen, dann müssen wir das vorher mitteilen“, sagt auch Charles Goerens. So wird es auch innerhalb der EVP und bei den Grünen gehandhabt. Wobei Sehovic klarstellt: „Die Grünen stimmen sehr homogen und zu 90 Prozent mit der Fraktion.“

Oft sprechen sich die Luxemburger Abgeordneten auch untereinander ab. Die CSV-Abgeordneten erstellen zudem alternative Stimmlisten. Trotz der Toleranz: Stimmt ein Abgeordneter zu oft gegen die Fraktion, könnte er gewisse Folgen spüren, etwa in dem er keine Berichte mehr zugeteilt bekommt.

Auch innerhalb der EVP komme es schon mal zu unangenehmen Bemerkungen, so Christophe Hansen. Etwa als die CSV-Politiker bei der Abstimmung über die Festlegung von CO2-Emissionswerten für Autos für strenge Grenzwerte stimmten. Die luxemburgische Vertretung in Brüssel hatte alle sechs Abgeordneten darum gebeten, sich für ambitiöse Ziele einzusetzen.

Die nationalen Interessen berücksichtigen

Die Politiker müssen demnach nicht nur die Interessen ihrer Partei und Fraktion, sondern auch die nationalen Interessen berücksichtigen. „Es herrscht ein regelmäßiger Kontakt zwischen den Assistenten und der Ständigen Vertretung“, so Meris Sehovic. Die Ständige Vertretung Luxemburgs bei der EU – die Luxemburgs Regierung in Brüssel vertritt – mische sich zwar wenig ein, und wenn, dann vor allem in Finanzfragen. Seit die Grünen in der Regierung sind, ist die Vertretung aber auch in Umwelt-und Klimafragen aktiver geworden, bestätigt ein Mitarbeiter.

Mady Delvaux kritisiert allerdings, dass die Vertretung oft zu spät eingreife. „Oft kontaktieren sie uns erst, wenn die Abstimmung ins Plenum kommt. Aber da sind unsere sechs Stimmen meistens nicht entscheidend. „Die Vertretung müsste eigentlich bereits eingreifen, wenn die Dossiers noch in den Ausschüssen diskutiert werden“, sagt die scheidende Parlamentarierin. Dies passiere allerdings selten. „Wenn, dann bei Themen, die den Bankenverband (ABBL) betreffen. Das liegt aber daran, dass dieser die Vertretung früher darauf aufmerksam macht.“

Präsident eines Ausschusses zu werden oder Vizepräsident des Parlamentes zu werden, ist fast unmöglich.“Christophe Hansen

Nur einmal habe ein Regierungsmitglied persönlich interveniert, heißt es von den Abgeordneten: Vor der Abstimmung über die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme hat der damalige Arbeitsminister Nicolas Schmit (LSAP) versucht, die sechs Abgeordneten davon zu überzeugen, gegen den Vorschlag zu stimmen. „Wir haben aber trotzdem nicht so gestimmt, wie er wollte“, erinnert sich Delvaux. Der Beschluss, der Luxemburg rund 60 Millionen jährlich gekostet hätte, wurde schließlich vom Rat gekippt.

Erfahrung ist unabdingbar

Das System, nach dem im Parlament die Posten verteilt werden, macht es kleinen Delegationen wie Luxemburg sehr schwer, wichtige Positionen einzunehmen. „Präsident eines Ausschusses oder Vizepräsident des Parlamentes zu werden, ist fast unmöglich“, bedauert Christophe Hansen.

Das bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass die Abgeordneten lediglich auf der Reservebank sitzen. Claude Turmes, Charles Goerens und Frank Engel etwa fungierten als Koordinatoren für ihre Fraktion in ihren jeweiligen Ausschüssen. Mady Delvaux war Vize-Präsidentin des Rechtsausschusses. Und die CSV-Abgeordnete Astrid Lulling schaffte sogar den Aufstieg zur Quästorin. Als solche wurde sie mit den Verwaltungsaufgaben betraut, die die Abgeordneten direkt betreffen. Und sie war Mitglied in der Konferenz der Präsidenten.

Generell gilt: Beziehungen, Fraktionszugehörigkeit, Fleiß und Strategie entscheiden drüber, welchen Fußabdruck die Luxemburger Politiker in Brüssel und Straßburg hinterlassen.