Jean Asselborn soll Außenminister bleiben. Und auch sonst geht die LSAP mit bewährter Strategie in die Koalitionsverhandlungen. Im Vergleich zu 2013 dürften sich die inhaltlichen Akzente der Sozialisten im Regierungsprogramm allerdings in Grenzen halten. Eine Analyse.
„Unsere Schmerzgrenze ist sehr niedrig, und unsere Partner wissen das auch“, bringt es ein LSAP-Politiker nach den ersten Gesprächen zur Fortführung der Dreierkoalition in der vergangenen Woche auf den Punkt. Der parteiinterne Kritiker bezieht sich damit vor allem auf die von Spitzenkandidat Etienne Schneider im Wahlkampf gezogenen „roten Linien“ der Partei. Generell ist damit aber auch die Ausgangsposition der LSAP bei diesen Koalitionsverhandlungen gemeint. Als klarer Wahlverlierer hat sie sich schnell dazu entschlossen, weiter an der Macht bleiben zu wollen. Dafür ist sie offenbar bereit, einiges zu opfern – zumindest inhaltlich.
Zwei der drei „roten Linien“ kann man dabei nämlich schon getrost zu den Akten legen. „Hände weg vom Index und von den Renten“, lautete die Devise der LSAP in den vergangenen Wochen. Da die blauen und grünen Koalitionspartner weder das eine noch das andere antasten wollen, werden beide Themen auch kaum zu Kontroversen führen. Letztlich handelt es sich bei den beiden Punkten um eine ziemlich durchschaubare Taktik der LSAP-Führung: Zwei „rote Linien“, deren Überschreitung überhaupt nicht in Gefahr waren, hat man also schon „verteidigt“, bevor die Gespräche überhaupt beginnen.
Zwei „rote Linien“ bereits vom Tisch
Bleibt noch die dritte Forderung, nämlich die Erhöhung des Netto-Mindestlohns um 100 Euro zum 1. Januar 2019. Das werde mit Sicherheit der Knackpunkt sein, heißt es aus dem Umfeld der LSAP-Verhandlungsdelegation. Falls dieser Punkt nicht Einzug in ein Koalitionsprogramm hält, brauche man sich „bei der Basis erst gar nicht blicken zu lassen“.
Dabei wird die praktische Lösung wohl auf eine Mischung aus der Erhöhung des Brutto-Mindestlohns und steuerlichen Maßnahmen hinauslaufen. In ihrem Wahlprogramm fordert die LSAP eine Erhöhung der Steuergutschrift („Crédit d’impôt“), um den sozialen Mindestlohn von der Einkommensteuer zu befreien.
Ein ‚Weiter so‘ reicht nicht aus, sonst ist die nächste Wahlniederlage bereits vorprogrammiert.“LSAP-Fraktionschef Alex Bodry
Die Details müssen aber erst noch geklärt werden. In dieser Woche finden weitere formelle Gespräche in erweiterter Runde statt. Am Dienstag lassen sich die Verhandlungsdelegationen der drei Parteien dabei zunächst von Experten aus dem Finanzministerium und anderen Verwaltungen über die finanzielle Situation des Staates aufklären. Am Donnerstag sollen zudem und anders als noch vor fünf Jahren die Sozialpartner mit am Tisch sitzen.
Personalpolitische Maximalforderungen
Auch wenn alle Beteiligten öffentlich das Gegenteil beteuern, konzentrieren sich die internen Diskussionen der Parteien in diesem frühen Stadium der Verhandlungen auch schon auf die personellen Fragen. Angesichts des Wahlsiegs von Déi Gréng dürfte jedenfalls das derzeitige Kräfteverhältnis in der Regierung zur Disposition stehen. Dass sich das Wahlergebnis auch in der Aufteilung der Ministerien widerspiegeln müsse, bemerkte auch Felix Braz (Déi Géng) am Wochenende im Interview mit „RTL“.
Aktuell stellen DP und LSAP jeweils sechs Minister und einen Staatssekretär, Déi Gréng lediglich drei Minister und einen Staatssekretär. Wie genau die Posten neu verteilt werden, hängt jedoch nicht zuletzt am Gesamt-Personalpaket, in dem auch der Parlamentsvorsitz und der nächste EU-Kommissar eine Rolle spielen werden.
Unabhängig davon gehen die Sozialisten mit der Forderung in die Verhandlungen, ihre aktuelle Anzahl an Ministern zu bewahren. Dabei soll auch schon klar sein, dass man weiter auf dem Außenministerium bestehe. Jean Asselborn sei willens, im Amt zu bleiben, und seine Partei wolle ihn auch weiter unterstützen, heißt es aus Verhandlungskreisen.
Auf Nachfrage will der amtierende Außenminister dieser Darstellung zumindest nicht widersprechen. Im Interview mit REPORTER Anfang des Jahres prophezeite der bei diesen Wahlen mit Abstand bestgewählte Politiker des Landes bereits: „Bekanntlich war es ja aber immer so, dass das persönliche Wahlresultat für alles Weitere nicht ganz unwichtig war.“
Die schwierige Frage der „Erneuerung“
Auch andere aktuelle Amtsträger – Etienne Schneider, Romain Schneider, Dan Kersch und Nicolas Schmit – sollen dem Willen der LSAP nach Teil einer neuen Regierung sein. Schmit wäre freilich auch ein Kandidat für den luxemburgischen Kommissar-Posten in Brüssel. Das war der Arbeitsminister zwar auch 2013 schon, doch weil Ex-Premier Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident wurde, musste Schmit zurückstehen.
Für den eventuell verbleibenden sechsten Ministerposten ist hinter den Kulissen bereits die nicht auf Anhieb wiedergewählte Süd-Abgeordnete Taina Bofferding im Gespräch. Sie wäre allein gewissermaßen die Verkörperung der allseits geforderten „Erneuerung“ der Partei sowie der Garant dafür, dass die LSAP nicht ausschließlich ältere Männer als Minister nominiert.

Sollte sich die LSAP mit ihrer Forderung durchsetzen, wäre das ein wichtiges Argument für die Fortführung der Koalition bei der eigenen Basis. Sechs oder sieben Kabinettsmitglieder bedeutet auch ebenso viele Nachrücker im Parlament, die dann allesamt aus persönlichem Interesse bei der Basis für den Eintritt in diese Regierung werben werden.
Damit könnte das Kabinett aber letztlich noch zahlreicher ausfallen als in der vergangenen Legislaturperiode. Schon 2013 stieg die Anzahl der Regierungsmitglieder im Vergleich zu früheren Koalitionen deutlich an. Blau-Rot-Grün ernannte 18 Kabinettsmitglieder (15 Minister, drei Staatssekretäre). Schwarz-Rot kam dagegen sowohl von 2004 bis 2009 als auch von 2009 bis 2013 mit 15 Regierungsmitgliedern aus. In der letzten CSV-DP-Koalition von 1999 bis 2004 umfasste das Kabinett 14 Mitglieder.
In jedem Fall haben die Sozialisten ein Personalproblem, das nicht einfach zu lösen ist. Die altgedienten Parteigranden wollen nicht freiwillig weichen. Keine Frau wurde auf Anhieb ins Parlament gewählt. Und die jüngere Generation drängte sich bisher auch nicht als Kraft der Erneuerung auf, an der kein Weg vorbeiführt. Stattdessen wird in der Partei eine Kompromisslösung diskutiert, wonach zumindest ein neues Gesicht in die Regierung aufsteigen und der Rest der Erneuerung eher an der Partei- und Fraktionsspitze vollzogen werden soll.
Arbeitszeiten und andere Kontroversen
Noch schwieriger dürften die Verhandlungen indes bei den inhaltlichen Forderungen der Sozialisten werden. Die wirklichen Knackpunkte, die der LSAP-Basis nach den Koalitionsverhandlungen zu schaffen machen könnten, liegen abseits der besagten „roten Linien“. Vor allem die Programmpunkte zur Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 38 Stunden und zur Erhöhung der gesetzlichen Urlaubstage im Privatsektor um eine Woche sind mit dem liberalen Koalitionspartner wohl nicht zu machen.
LSAP-Spitzenmann Etienne Schneider begriff die Forderungen im Wahlkampf bereits pragmatisch als „Verhandlungsmasse“. Dass die LSAP-Führung ihre bei der eigenen Klientel populären Hauptforderungen aus dem Wahlprogramm nicht umsetzen können wird, wäre für viele Parteimitglieder zwar keine Überraschung. Doch die Verteilung der durch die Digitalisierung erzielten Produktionsgewinne wird nicht nur die jetzt beginnenden Verhandlungen, sondern auch das sozialistische Programm weiter prägen.
Die LSAP muss weiter die soziale Komponente in dieser Koalition sein.“LSAP-Fraktionschef Alex Bodry
Der alte und wahrscheinlich neue Premier Xavier Bettel (DP) hat bereits mehrmals betont, dass eine gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit mit seiner Partei nicht zu machen sei. Und auch Felix Braz (Déi Gréng) sagte am Wochenende bei „RTL“, dass seine Partei zwar bereit sei, diese Debatte zu führen. Doch erteilte er auch ziemlich deutlich der Idee eine Absage, dass man „eine Antwort“ finden könne, die für alle Unternehmen gelten soll.
Ein weiteres Kernstück des LSAP-Programms ist die Einführung des „Tiers payant généralisé“. Auch hier sind die Chancen gering, dass man sich aus der elektoral geschwächten Position heraus gegen die Koalitionspartner durchsetzen kann. Auch Déi Gréng wollen das sogenannte Drittzahlsystem zwar „schrittweise“ einführen. Die DP will die Debatte dagegen „ergebnisoffen“ führen und schreckt eher vor einer Konfrontation mit der organisierten Ärzteschaft zurück. In der LSAP rechnet man insgeheim sogar damit, dass die Liberalen ihnen das Gesundheitsressort streitig machen könnten.
Hoffnungen auf „soziale“ Steuerreform
Stattdessen setzen die Sozialisten ihre Hoffnungen dem Vernehmen nach stärker in eine neue Steuerreform. Durch eine weitere Entlastung von mittleren und niedrigen Einkommen könnte man der Basis eine Regierungsbeteiligung in der Tat schmackhaft machen. Darüber hinaus droht der Partei jedoch auch in der Steuerpolitik bei wichtigen Forderungen aus dem Wahlprogramm der Misserfolg. Zu einer wesentlichen Politik der Umverteilung wird es wie in den vergangenen Jahren wohl nicht kommen.
Stichwort Unternehmenssteuer: Schon in der vergangenen Legislaturperiode stimmte die LSAP einer Absenkung der Betriebsbesteuerung zu. Dieses Mal dürfte der Druck seitens der DP in diesem Punkt noch einmal ansteigen. Laut ihrem Programm wollen die Sozialisten zwar der „ungleichen Besteuerung von Arbeit und Kapital entgegenwirken“. Doch die Bilanz der vergangenen drei Legislaturperioden zeigt, dass die LSAP bisher nicht imstande war, an dieser Stelle zu liefern. Gleiches gilt für die von der LSAP geforderte Finanztransaktionssteuer, deren Einführung von der DP kategorisch abgelehnt wird.
Ähnlich schwierig ist die Verhandlungsposition beim Thema „Stock options“. Sozialisten und Grüne fordern eine Abschaffung des Regimes, das laut LSAP-Fraktionschef Alex Bodry gegen die Verfassung verstößt. Die DP sieht dagegen über die kürzliche Reform hinaus keinen weiteren Handlungsbedarf. Möglich wäre durchaus ein blau-rot-grüner Kompromiss, wonach die Regelung auslaufen oder gesetzlich angepasst werden könnte.
LSAP als „soziale Komponente“ der Koalition
Dass es viel Verhandlungsspielraum für die Umsetzung der sozialistischen Kernforderungen gibt, wagen auch manche Strategen in der LSAP zu bezweifeln. Die beiden Koalitionspartner werden zwar darauf achten, dass die Sozialisten nicht leer ausgehen. Doch die Dynamik des Wahlresultats spielt eher den Grünen und deren Forderungen nach einer stärker ökologischen Ausrichtung des Koalitionsprogramms in die Karten. Die „sozialistische Handschrift“, mit der sich die LSAP-Führung nach den Verhandlungen von 2013 rühmte, wird dieses Mal wohl wesentlich blasser ausfallen.
„Die LSAP muss weiter die soziale Komponente in dieser Koalition sein“, sagt dagegen Alex Bodry. Dafür werde man in der Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und weiteren Sozialpolitik die eigenen Standpunkte standfest vertreten. Doch auch in der Wohnungsbaupolitik müsse es „neue Ansätze und eine neue Dynamik“ geben, so der LSAP-Fraktionschef im Gespräch mit REPORTER.
All diese Debatten werde man jedoch in einer „offenen und rationalen Weise“ führen, so Bodry weiter. Die Verhandlungen seien „inhaltlich vielleicht etwas schwieriger“ als vor fünf Jahren. Andererseits verbinde die Koalitionspartner im Gegensatz zu 2013 jetzt bereits eine gemeinsame Bilanz und ein hohes zwischenmenschliches Vertrauen. Es herrsche jedenfalls bei allen Beteiligten ein „ungebrochener Wille, um eine Einigung zu erzielen“.
Vermeidung als Verhandlungsstrategie
Die Strategie der LSAP in den Verhandlungen besteht aber nicht zuletzt darin, zumindest innerhalb der Partei als das „soziale Gewissen“ dieser Koalition wahrgenommen zu werden. Schon 2013 hat die LSAP laut eigener Darstellung ihrer Spitzenleute bestimmte Forderungen der DP, etwa zur Verschärfung der Rentenreform oder zur Liberalisierung des Gesundheitssystems, verhindert. Demnach könnte es auch schon als Erfolg gewertet werden, wenn gewisse Punkte im Koalitionsprogramm bewusst offen gelassen werden.
Auch 2013 wurden zentrale Reformen von Blau-Rot-Grün nicht im Koalitionsprogramm angekündigt bzw. konkret untermauert. Die Steuerreform von 2016 basiert etwa auf späteren Verhandlungen der drei Koalitionspartner. Darin konnten sich letztlich alle drei Parteien mehr oder weniger wiederfinden. Ein ähnlicher Plan könnte auch dieses Mal aufgehen.
Das Problem: Diese gefühlten Verhandlungserfolge haben die jüngste Wahlniederlage nicht verhindert. Die LSAP wird offensichtlich von immer weniger Wählern als Garant einer sozialdemokratischen Politik angesehen. Ob sich dieser Eindruck durch den Gang in die Opposition verändern könnte, sei dahingestellt. Doch die seit 2004 ununterbrochene Regierungszeit der Sozialisten hat der Partei nachweislich nicht genutzt.
Das Wahlresultat sei „nicht zu beschönigen“, doch es verpflichte auch dazu, die eigenen Ideale nicht für eine Regierungsbeteiligung aufzugeben, sagt Alex Bodry. „Ein ‚Weiter so‘ reicht nicht aus, sonst ist die nächste Wahlniederlage bereits vorprogrammiert.“