14 Jahre in der Regierung und noch lange nicht fertig: Außenminister Jean Asselborn spricht im Interview mit REPORTER über seine Skepsis bei Reformen der EU-Institutionen, den Umgang mit Kritik und Druck aus dem Ausland und den anstehenden Wahlkampf.

Samstagabend, kurz vor 19 Uhr. Wer ein Interview mit Luxemburgs Chefdiplomaten führen will, muss manchmal flexibel sein.

Jean Asselborn lädt in sein Ministerium. Hier, im geschichtsträchtigen früheren Justizpalast in der Altstadt, hat er sich sein kleines Reich geschaffen. In seinem Büro im Erdgeschoss posiert er kurz für ein Porträtfoto und spricht über die Agenda des bevorstehenden Staatsbesuchs in Frankreich. Kurz verweist er noch darauf, dass genau hier, neben seinem Schreibtisch der Sonnenkönig Louis XIV. Ende des 17. Jahrhunderts für ein paar Tage genächtigt haben soll. Schließlich nimmt er in seinem Bürostuhl Platz: „Daje, da leeë mer las.“

Bilanz ziehen über seine schon seit 2004 anhaltende Amtszeit will Asselborn nicht. „Wen interessiert das?“, fragt er rhetorisch zu Beginn des Interviews. Und ohnehin habe er dazu alles bereits in seiner Ansprache im Parlament in der vergangenen Woche erzählt. Am liebsten wolle er über die „weltpolitische Aktualität“ sprechen. Nahostkonflikt, Syrien, Trump, Flüchtlingskrise, Solidaritätskrise in der EU – mit diesen Themen ist der Außenminister in den ausländischen (vornehmlich den deutschen) Medien omnipräsent.

Um von ihm etwas über luxemburgische Politik zu erfahren oder gar bis zur Person Jean Asselborn vorzudringen, bedarf es dagegen an Hartnäckigkeit. „Wen interessiert schon, was der Asselborn nach den Wahlen macht?“ Noch so eine rhetorisch anmutende Frage, die jedoch vermuten lässt, dass „der Asselborn“ genau weiß, wie er Gespräche dorthin lenkt, wo es ihm am liebsten ist. Am Ende spricht er dann aber doch ein wenig über Luxemburg und sich selbst. Und über sein als angespannt geltendes Verhältnis zu Etienne Schneider. Und ganz kurz auch über Viviane Reding. Aber der Reihe nach.

 

Ich bin der Außenminister von Luxemburg, das allein hilft dabei, mit beiden Füßen auf dem Boden zu bleiben.
Jean Asselborn

 

Jean Asselborn, am Montag beginnt der Staatsbesuch in Paris. Wie ist das Verhältnis zum großen Nachbarn?

Wie haben eine fast einzigartige historische Verbindung zu Frankreich. Politisch, aber auch durch die besondere kulturelle Nähe. Dazu stehen wir natürlich in einem Dialog über Dinge, die gehen und nicht gehen. Es gibt natürlich auch Fragen, bei denen man weiter auseinander liegt.

Was geht nicht?

Natürlich die Frage unseres Finanzplatzes und der Interessen, die sich daraus für uns ergeben. Das beschränkt sich ja auch nicht auf Frankreich. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mit unserer Politik einigen Ländern auf die Füße getreten sind. Seit 2012 mussten wir hier total gegensteuern. Schon vor Luxleaks mussten wir einsehen, dass wir beim Bankgeheimnis und bei unserem System von Steuerrulings umdenken müssen. Ich bin stolz, Teil einer Regierung zu sein, die gegengesteuert hat. Dass unsere Partner darauf pochen, dass wir diese Richtung beibehalten, ist aber auch verständlich.

Und doch gab es diese Tage wieder Kritik aus Brüssel. Stichwort: „aggressive Steuerplanung“ …

Wenn man den Bericht der Kommission liest, dann relativiert sich die Kritik von Kommissar Pierre Moscovici für mich doch wesentlich. Vieles ist unternommen worden und es werden weitere Initiativen eingeleitet. Wir sind auf dem richtigen Weg.

Ihre Kabinettskollegen Premier Xavier Bettel und Finanzminister Pierre Gramegna sehen das anscheinend nicht so entspannt …

Ich bin Außenminister. Für alle Details und Spitzfindigkeiten unserer Steuerpolitik bin ich nicht zuständig. Und ich habe Ihnen meine Meinung dazu gesagt.

Sie haben in einem Interview in den vergangenen Tagen gesagt: „Die Kommission sollte ein intensiveres Gespräch mit kleineren EU-Ländern wie Luxemburg suchen, bevor öffentlich Kritik geäußert wird…“ Zum einen wurde dieses Gespräch im Vorfeld nachweislich gesucht. Zum anderen…

Ich glaube, ich weiß was jetzt kommt … (schmunzelt)

… Zum anderen erinnert es auch an so manche Aussage von Ihnen, mit denen Sie EU-Partner öffentlich kritisieren. Stehen Sie auch in „intensiven Gesprächen“ mit Kurz, Orban und Co. bevor Sie sie öffentlich als Populisten und Diktatoren betiteln?

Ich habe, und da gibt es Zeugen, im Ministerrat der EU fünf Mal, zehn Mal, 20 Mal diese Fälle angesprochen, und zwar in Anwesenheit der Vertreter der betreffenden Staaten. Auch bei anderen Gelegenheiten. Man kann mir wahrlich nicht vorwerfen, dass ich sprach- und tatenlos zuschaue und dann einfach mal öffentlich herumpöbele. Irgendwann ist man aber an einem Punkt angelangt, wo man die Dinge beim Namen nennen muss. Wenn die demokratischen Werte nicht respektiert werden; wenn es in einem Land Richter gibt, die nicht unabhängig entscheiden können; wenn es Staaten gibt, die sich der Solidarität in der EU verweigern, dann laufen wir Gefahr, dass etwas zerbricht, das wir nicht mehr reparieren können.

Jean Asselborn (LSAP) ist seit 2004 Außenminister des Großherzogtums Luxemburg. Davor war er zwanzig Jahre Abgeordneter im Parlament und von 1982 bis 2004 Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Steinfort. (Foto: Matic Zorman)

Ein Vorschlag zur „Reparation“ der EU kam von Frankreichs Präsident Macron in seiner Rede an der Sorbonne. Im Parlament haben Sie sich eher skeptisch geäußert, was größere Reformen der EU betrifft. Warum?

Ich bin nicht generell und nicht bei allem skeptisch. Alles, was den Europäischen Währungsfonds und die budgetären Fragen betrifft, kann man als Luxemburger Regierung mittragen. Damit meine ich nicht einen eigenen Haushalt der Eurozone, aber durchaus mehr Mittel, um Investitionen im Raum der Euroländer zu stimulieren. Wir müssen aber auch deutlich sagen, was nicht machbar ist. So etwa ein europäischer Finanzminister. Dass die Staaten in nächster Zeit weitere Budgetkompetenzen auf die EU-Ebene übertragen, ist nicht realistisch. Das muss man den Leuten auch so sagen. Was eventuell möglich wäre, ist ein finanz- und wirtschaftspolitischer Koordinator, ähnlich wie der „Hohe Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik“. Das wäre aber auch angesichts der aktuellen Lage in der EU das höchste der Gefühle. Generell bin ich skeptisch, was institutionelle Reformen betrifft. Europa fehlt es nicht an neuen Institutionen, sondern an Solidarität und einer gemeinsamen Seele.

Viviane Reding ist in europapolitischen Fragen keine Referenz.Jean Asselborn

Hinter den Kulissen scheint der Druck aus Paris in Finanz- und Steuerdossiers, auch im Kontext des Brexit, doch wieder zu steigen. Was setzt Luxemburg dem entgegen?

Ich kenne diesen Druck aus Erfahrung. Er kommt auch nicht nur, aber doch oft genug von unseren französischen Freunden. Es ist doch so: Wir sind ein kleines Land, das einen bombastischen Finanzplatz aufgebaut hat, dessen wirtschaftlicher Einfluss ja in keinem Verhältnis zur Größe unseres Landes steht. Mit der Stahlindustrie war es schon ähnlich. Das führt seit jeher zu kritischen Diskussionen mit europäischen Partnern. Wie gesagt. Wir sind keine heiligen Messdiener. Wir haben auch unsere Hintergedanken. Wir haben in diesen Diskussionen kaum Alliierte. Außer unseren Argumenten. Eines dieser Argumente beim Post-Brexit-Prozess ist zum Beispiel, dass es ja niemandem in Europa nutzt, wenn Banken und Finanzdienstleistungen am Ende ganz aus der EU verschwinden. Da hat niemand etwas davon. Ich will jetzt nicht dieses komische Wort dafür benutzen… Sie kennen es aber…

„Level playing field“…?

Es stammt jedenfalls nicht von mir. Unsere Position lautet: Wir müssen Verhältnisse schaffen, bei denen Luxemburg und Europa am Ende nicht zu den Verlierern gehören.

Die Kritik lautet ja aber, dass die aktuelle Regierung nicht gut aufgestellt sei, um dem Druck in Europa standzuhalten. Die EU-Abgeordnete Viviane Reding (CSV) sagte jüngst, dass Luxemburg in Brüssel kein Gewicht mehr habe und sich immer wieder über den Tisch ziehen lasse. War damit nur das Staats- und Finanzministerium gemeint oder fühlen Sie sich auch angesprochen?

Ich sage dazu nur einen Satz: Viviane Reding ist in europapolitischen Fragen keine Referenz.

Sie fühlen sich also angesprochen?

Nein.

Ein Beispiel dafür, wie sich Luxemburgs Argumente und Druckmittel in Grenzen halten, ist ja das Dossier Cattenom. Steht die Frage noch auf der bilateralen Tagesordnung?

Ich kann mich erinnern, dass wir schon einmal weiter waren. Unter Präsident François Hollande gab es zumindest zaghafte Anzeichen, dass die französische Regierung die älteren AKWs wie Cattenom oder Fessenheim auslaufen lassen könnte. Seitdem ist allerdings wenig geschehen. Man muss so realistisch sein, dass Frankreich noch lange auf Atomkraft setzen wird. Uns bleibt nur, dass wir gemeinsam mit unseren deutschen Partnern in dieser Frage nicht lockerlassen. Außenpolitik ist zwar Realpolitik, aber es geht hier dennoch um die Sorgen vieler Menschen. Wir werden das im Rahmen der Staatsvisite, und auch danach immer wieder, ansprechen. Illusionen sollten wir uns aber keine machen.

Wenn wir unsere Arbeit gut machen, dann können wir vielleicht ein kleines Bisschen dazu beitragen, dass die Welt besser wird.Jean Asselborn

Sie sind seit knapp 14 Jahren Außenminister. Machen Sie sich heute weniger Illusionen?

Ich bin noch immer der gleiche. Ich bin der Außenminister von Luxemburg, das allein hilft dabei, mit beiden Füßen auf dem Boden zu bleiben. Wenn wir unsere Arbeit gut machen, dann können wir vielleicht ein kleines Bisschen dazu beitragen, dass die Welt besser wird. Unser Einfluss ist zwar klein. Aber zu sagen, er wäre inexistent, wäre auch falsch. Was sich verändert hat, ist der Grad an Hoffnung in der internationalen Politik. Ich bin kein Fatalist, aber ich sehe, was in der Welt passiert. Die Hoffnung ist zwar noch da, aber sie ist sicherlich kleiner geworden.

Sie sehen auch deshalb, was in der Welt passiert, weil Sie dauernd unterwegs sind in dieser Welt. Manche Politiker behaupten, Sie würden mehr reisen als es überhaupt nötig wäre. Woher kommt der Eindruck?

Ich habe das schon einmal gesagt: Der Platz des Försters ist im Wald. Er könnte auch vom Büro aus über das Geschehen im Wald lesen und referieren. Dann würde er aber bei weitem nicht so viel wissen. Also ehrlich. Das ist doch alles Quatsch. Ich mache die Arbeit, so wie ich sie für richtig halte. Und dazu gehört, dass man vor Ort ist und mit den Menschen spricht – sei es in Berlin oder Paris, in Libyen oder im Irak, oder in Armenien oder Georgien, wo ich nächste Woche bin. Das ist letztlich nicht anders als in der nationalen oder der kommunalen Politik. Man kann nur etwas bewegen, wenn man mit den Menschen unmittelbar in Kontakt kommt.

Zur Realität Ihres Jobs gehört aber doch auch, dass Sie sehr selten im heimischen Ministerrat präsent sind. Hat das nur mit dem Reisen zu tun oder auch damit, dass Ihr Interesse an der Innenpolitik nicht mehr so ausgeprägt ist wie früher?

Ich war jetzt als Minister, wir haben das mal ausgerechnet, in fast 125 Staaten. Das mache ich ja nicht zum Spaß. Dazu kommt, dass ich auch Immigrationsminister bin. Das fällt vielleicht öffentlich nicht so auf. Aber das nimmt auch Zeit in Anspruch, ich würde sagen fast 50 Prozent meiner Zeit. Und da geht es noch mehr um Schicksale von Menschen, die von staatlichen Entscheidungen direkt abhängen. Das Interesse für Innenpolitik ist eine Sache. Das Erledigen meines Jobs eine andere. Mit der Entscheidung Außenminister zu werden, muss man in Kauf nehmen, dass man nicht mehr bei allen innenpolitischen Themen mitsprechen, und ja, auch nicht immer beim Treffen des Kabinetts dabei sein kann. Das ist so. Und dafür brauche ich mich auch nicht zu entschuldigen. Ich fühle mich nicht unwohl in dieser Regierung.

Wie schon 2013 tritt Jean Asselborn bei den kommenden Parlamentswahlen am 14. Oktober 2018 nicht als nationaler Spitzenkandidat der LSAP an, führt aber die Kandidatenliste seiner Partei im Südbezirk an. (Foto: Matic Zorman)

Jetzt bei den Wahlen führen Sie zusätzlich aber die LSAP-Liste im Süden an. Mit welcher Botschaft werden Sie für die Bilanz der Regierung werben?

Diese Regierung hat einiges erreicht. Die Finanzkrise wurde dauerhaft überwunden. Unsere Wirtschaft wurde weiter diversifiziert und steht gut da. Die Sozialsysteme sind gesund und die Arbeitslosigkeit liegt unter sechs Prozent. Das alles kann sich sehen lassen.

Dennoch gibt es zwei große Themenfelder, die uns Sorgen bereiten. Das Problem beim Wohnungsbau hat auch diese Regierung nicht in den Griff bekommen. Meine Meinung ist, dass eine nächste Regierung ganz neue Wege gehen muss. Wir müssen vielleicht ganz neue Städte bauen. Das Problem liegt ja in den hohen Grundstückpreisen. Das könnte man in einer großen gemeinsamen Anstrengung mit den Gemeinden umgehen. Der zweite Punkt ist die Integration. Hier muss mehr passieren. Das Referendum war in diesem Sinn kein Fehler an sich. Der Fehler war, dass die Regierung von oben herab gesagt hat, was die Lösung sein soll. Man hätte die Leute über einen längeren Zeitraum einbinden und fragen müssen, wie sie sich eine bessere politische Integration von Ausländern vorstellen. Zu sagen „Das ist die Lösung, und da stimmen wir jetzt in drei Monaten drüber ab“, war der falsche Weg.

Kein Spitzenkandidat konnte die Partei nach Belieben dominieren. Das ist auch gut so.Jean Asselborn

Wenn die Bilanz gut und gewissermaßen sozialdemokratisch geprägt ist, warum profitiert die LSAP nicht mehr davon?

Die Sozialdemokratie steht überall in Europa unter Druck, und wird dennoch gebraucht. Davon bin ich überzeugt. Ich wüsste auch nicht, was die LSAP, außer den genannten beiden Versäumnissen der ganzen Regierung, grundsätzlich falsch gemacht hätte. Als Partei haben wir natürlich eine Tradition, im offenen Kanal miteinander zu kommunizieren. Die geforderte Erneuerung ist auch längst im Gange, man muss sich nur die jetzt verabschiedeten Wahllisten anschauen. Wir haben aber auch eine traditionelle Allergie gegen Führungsfiguren, die nach außen als Streit rüberkommen kann. Kein Spitzenkandidat, nicht Jacques Poos, nicht Robert Goebbels, nicht ich, und auch nicht Etienne Schneider, konnte die Partei nach Belieben dominieren. Das ist auch gut so.

Apropos: Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Etienne Schneider?

Wir sind beide Mitglied in einer Regierung und in der gleichen Partei.

Mehr nicht?

Wir beide waren 2013 in einer Situation, die hinlänglich bekannt ist. Heute bin ich nicht unter denen, die auf nationaler Ebene die Hauptrolle spielen wollen. Wir haben einen nationalen Spitzenkandidaten, den ich voll und ganz unterstütze.

Sind Sie weiter Kandidat für die Regierung?

Ich gehe mit in die Wahlen, damit meine Partei gut abschneidet. Wenn wir das erreichen, dann stehen wir wie in der Vergangenheit gemeinsam für die Regierung zur Verfügung. Alles Weitere ist nicht an mir zu entscheiden. Ich bin Mitglied einer Partei, der ich sehr viel zu verdanken habe. Ohne meine Partei wäre ich niemals 14 Jahre Außenminister gewesen. Das vergesse ich nicht. Bekanntlich war es ja aber immer so, dass das persönliche Wahlresultat für alles Weitere nicht ganz unwichtig war.

Vielleicht passt ja auch hier die Passage aus dem Schluss Ihrer Rede im Parlament, „it always seems impossible until it’s done“?

Ja, so können wir das stehen lassen.