Nach und nach kommen weitere Hintermänner des Cum-Ex-Skandals ans Licht. Anfang Februar wurden in Deutschland zwei Ex-Geschäftsführer einer Privatbank verhaftet. In diesem Fall führen mehrere Spuren nach Luxemburg – auch zu einem Ex-Mitarbeiter von KPMG.

„Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Bertold Brechts „Dreigroschenoper“ bot den Investoren Jérôme Lhote, Matthew Stein und Luke McGee offenbar Inspiration.

2009 übernahmen sie eine kleine Privatbank mit Sitz in Mainz. Zwischen 2012 und 2015 soll die North Channel Bank Teil eines Netzwerks gewesen sein, das Dänemark und Belgien um Millionen an Steuern betrog. Unter anderem organisiert von den drei Bankbesitzern.

Laut der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) verursachte die Gruppe in Dänemark einen Schaden von 550 Millionen Euro und nochmals 70 Millionen Euro in Belgien. Es geht um mehr als einen Verdacht: Jérôme Lhote, Matthew Stein und Luke McGee haben die Geschäfte zugegeben und sich mit den dänischen Steuerbehörden auf eine Rückzahlung von umgerechnet 210 Millionen Euro geeinigt, berichtete der dänische Fernsehsender TV2.

Doch juristisch ist die Geschichte noch nicht ausgestanden: Am 4. Februar verhafteten Beamte des Bundeskriminalamtes in Deutschland zwei frühere Geschäftsführer der Bank wegen des Verdachts auf Geldwäsche. Die Bank muss außerdem selbst einen Teil des Geldes zurückzahlen. Die neuen Geschäftsführer akzeptierten im September 2019 eine Geldbuße von 14,7 Millionen Euro, die ein dänisches Gericht verhängte. Dazu kommt eine Übereinkunft mit dem belgischen Staat, ebenfalls in Millionenhöhe, berichtete das Magazin „Knack“.

Ex-Mitarbeiter von KPMG Luxemburg beteiligt

Im Cum-Ex-Skandal taucht der Luxemburger Finanzplatz immer wieder als wichtiger Knotenpunkt auf – auch in diesem Fall. Im Juli 2009 übernimmt eine Gesellschaft aus dem US-Bundesstaat Delaware namens „Oban Holdings“ eine bestehende Luxemburger Firma und nennt sie in „Oban Luxembourg Company“ um. Der nichtssagende Name verrät allerdings nicht, dass diese „Sàrl“ zwei Monate später eine kleine Privatbank in Mainz kauft. Aus dem Bankhaus Oswald Kruber machen die New Yorker Investoren die North Channel Bank.

Jérôme Lhote und Matthew Stein besitzen weiterhin zusammen 84 Prozent von Oban Luxembourg, geht aus dem „Registre des bénéficiaires“ hervor. Der dritte Inhaber ist laut dem dänischen Rundfunk DR der US-Investor Luke McGee.

Auch gegen die Luxemburger Holding laufen Ermittlungen: Die Staatsanwaltschaft Brüssel beantragte Rechtshilfe, die von der Luxemburger Justiz ausgeführt wurde, bestätigte Sprecher Henri Eippers auf Nachfrage von REPORTER.

North Channel Bank in Mainz
Die Zentrale der North Channel Bank in Mainz. (Foto: Thomas Kohler/CC BY)

Doch es gibt auch eine persönliche Verbindung eines der Drahtzieher zu Luxemburg: Der 46-jährige Jérôme Lhote stammt aus Lothringen und begann hierzulande seine Karriere. Von 1996 bis 2001 arbeitete Jérôme Lhote als Steuerberater bei KPMG Luxemburg, gibt er auf seinem Linkedin-Profil an.

„Das hat er nicht bei uns gelernt“, sagt – mit Augenzwinkern – ein früherer Kollege, angesprochen auf Jérôme Lhotes Beteiligung am millionenschweren Steuerbetrug. Tatsächlich ließ der Franzose Luxemburg schnell hinter sich und wechselte zur KPMG-Filiale in New York. Dort lernt er Matthew Stein kennen, mit dem er ab 2006 eigene Vermögensverwaltungsfirmen in New York aufbaut.

Die Verbindung zu Luxemburg bleibt im Geschäftlichen bestehen: Jérôme Lhote und seine Businesspartner tauchen ab 2008 in mehreren Luxemburger Briefkastenfirmen auf, mit denen sie in Firmen und besonders Rückversicherer investieren.

„Das war astreiner Betrug“

Die Rolle der North Channel Bank lässt sich anhand einer Klage der dänischen Behörden vor einem Londoner Gericht nachvollziehen. Das Dokument liegt REPORTER vor. Die Mini-Bank mit damals 18 Mitarbeitern stellte Bescheinigungen für Aktiengeschäfte aus, die laut der dänischen Steuerverwaltung nie stattfanden. „Das war astreiner Betrug“, sagte eine deutsche Ermittlerin der SZ.

Die Börsengeschäfte seien alle fingiert gewesen, stellte bereits 2014 ein KPMG-Bericht im Auftrag der deutschen Finanzaufsicht Bafin fest. Die Gruppe rund um die North Channel Bank gab vor, mehr Aktien von bestimmten dänischen Unternehmen zu besitzen, als überhaupt im Umlauf waren, heißt es in der Klage.

Sie hatten beschlossen, mein Modell zu kopieren.“Cum-Ex-Drahtzieher Sanjay Shah

Eine Schlüsselrolle in diesem Betrugsschema spielten amerikanische Ein-Personen-Pensionsfonds, die unter bestimmten Bedingungen von Steuern auf Dividenden befreit sind. Hunderte dieser Pensionsfonds kontrollierten Jérôme Lhote und Matthew Stein über Mittelsmänner, so der Vorwurf.

North Channel war eine von drei Gesellschaften, die die Gruppe nutzte, um die mutmaßlich gefälschten Bescheinigungen auszustellen. Diese Dokumente brauchte es, damit die dänische Verwaltung insgesamt knapp 400 Millionen Euro an vorgeblich beglichenen Steuern „zurückzahlte“.

Das kopierte Betrugsmodell

Doch die New Yorker Gruppe hatte das System nicht erfunden. Ein Netzwerk rund um die Vermögensverwaltungsfirma Argre Management war ursprünglich Kunde des Cum-Ex-Drahtziehers Sanjay Shah und dessen Investmentfonds Solo Capital. Neben Jérôme Lhote, Matthew Stein und Luke McGee zählten auch die New Yorker Richard Markowitz und John van Merkensteijn zu dieser fünfköpfigen Gruppe, berichtet DR.

„Ende 2013 wurden fünf Mitglieder meines Kernteams von meinem amerikanischen Hauptkunden abgeworben“, schrieb Shah 2018 in einem handschriftlichen Dokument, das REPORTER einsehen konnte. „Sie hatten beschlossen, mein Modell zu kopieren“, so Shah weiter.

Zwei dieser fünf hatten Sanjay Shah geholfen, seine Luxemburger Gesellschaften einzurichten, mit denen er laut Recherchen von REPORTER den Luxemburger Staat um zehn Millionen Euro betrogen haben soll. Hinweise, dass die Gruppe um Jérôme Lhote und Matthew Stein ebenfalls hierzulande einen Steuerschaden anrichtete, gibt es bisher nicht.

Ihre Rolle in diesem Teil des Cum-Ex-Skandals wurde erst im September durch gemeinsame Recherchen der SZ, TV2, der dänischen Zeitung „Politiken“ und „Knack“ enthüllt. Selbst in der Klage der dänischen Steuerverwaltung tauchen die beiden Bankbesitzer nicht auf.

Jérôme Lhote, Matthew Stein und Luke McGee einigten sich mit den dänischen Behörden auf eine Rückzahlung. Richard Markowitz und John van Merkensteijn verweigerten dies dagegen, weil Dänemark ihnen keinen Schutz vor strafrechtlichen Konsequenzen zusicherte, berichtete DR. Die dänische Steuerverwaltung klagte deshalb gegen die beiden Amerikaner vor einem Gericht in New York aufgrund eines Betrugs von mindestens 120 Millionen US-Dollar.

Ein Neuanfang für die Mainzer Bank

Im Juni 2017 wurde der Verdacht gegen die North Channel Bank öffentlich: Ermittler durchsuchten die Geschäftsräume der Bank sowie des Firmengeflechts zwischen ihr und der Luxemburger Holding. Zeitgleich schränkte die Bafin die Einflussmöglichkeiten von Jérôme Lhote und Matthew Stein bei der Bank ein. Die neuen Geschäftsführer suchen jetzt einen Käufer für das Mainzer Finanzinstitut, berichtete das „Handelsblatt“.

Der Verkauf wird wohl auch über die Luxemburger Holding Oban abgewickelt werden. Die Ermittlungen und Geldbußen scheinen bisher spurlos an der Briefkastenfirma vorbei gegangen zu sein. Zwar verweist der Jahresbericht 2018 auf eine eventuelle Steuernachzahlung an die deutschen Behörden von maximal 1,5 Millionen Euro. Doch mit Kapitalreserven von insgesamt knapp 15 Millionen Euro ist das für die Holding ein annehmbarer Betrag.


REPORTER recherchiert weiter zu den Verbindungen zwischen der Cum-Ex-Affäre und dem Luxemburger Finanzplatz. Wenn Sie Informationen zu diesen Geschäften haben, erreichen Sie unseren Reporter Laurent Schmit per E-Mail (öffentlicher Schlüssel) oder über den sicheren Messenger Threema (ID: XJ8W8WWK). Alle Hinweise unterliegen dem Quellenschutz.


Lesen Sie mehr zum Thema