Wer ist Jean Asselborn? Die Biografie „Merde alors!“ der Autorin Margaretha Kopeinig liefert Luxemburger Lesern kaum neue Erkenntnisse. Das Buch ist Chronik und Hommage zugleich. Es liest sich wie eine Heiligsprechung, die dem komplexen Phänomen Asselborn nicht gerecht wird.

Dienstältester Außenminister der EU, volksnaher Politiker und engagierter Kämpfer für Frieden, Humanität und Solidarität: Für diese mittlerweile übliche Personenbeschreibung braucht man eigentlich nur wenige Worte. Im Buch „Merde alors! Jean Asselborn – eine politische Biografie“ werden dieser einseitigen Darstellung des Luxemburger Außenministers über 200 Seiten gewidmet.

Zugegeben: Diese Kritik aus Luxemburger Perspektive ist nicht ganz fair. Für Leser, die die Vita des Urgesteins der Luxemburger Politik nicht längst aus dem Effeff kennen, enthält die Biografie eine durchaus detaillierte Schilderung von Asselborns Lebensweg und den großen Debatten in seiner bisherigen Zeit als Chefdiplomat. Doch bereits hier endet der Mehrwert des Buches. Denn über die rein biografische Erzählung hinaus zeichnet sich das Werk der österreichischen Autorin Margaretha Kopeinig vor allem durch eines aus: eine selbst für Luxemburger beeindruckende Nähe zum Protagonisten, die von der Einleitung bis zur Danksagung gegenwärtig ist.

Eine große, einseitige Heldenerzählung

Gleich zu Beginn wird dem Leser erklärt, dass Asselborns „Ansehen“, seine „klare Haltung“ und „nicht zuletzt sein Sinn für Humor“ ihn nicht nur unter Kollegen, „sondern auch unter zahlreichen Medienvertretern“ beliebt mache. Nach der Lektüre des Buches ist klar: Die Autorin, die selbst lange Brüssel-Korrespondentin der Tageszeitung „Kurier“ war, gehört zu den Bewunderern des „charismatischen und beliebten“ Politikers. Allerdings hat Kopeinig mittlerweile die Seiten gewechselt. Seit März 2019, also lange vor der Veröffentlichung der Biografie, arbeitet die Ex-Journalistin als Beraterin von Hans Peter Doskozil, dem sozialdemokratischen Landeshauptmann des Burgenlandes.

Was Jean Asselborn in der Öffentlichkeit so sympathisch und bei seinen Gesprächspartnern so beliebt macht, ist seine Liebe zu den Menschen.“Margaretha Kopeinig in „Merde alors!“

Dies allein kann den konsequent unkritischen Ton des Buches aber kaum erklären. Jean Asselborn als „mitreißender Charismatiker“, mit „seinem grenzenlosen Glauben an die Kraft der europäischen Idee“, „seiner umfassenden Wärme und Herzlichkeit“: Diese einseitige Sicht des Politikers und Menschen Asselborn wird in den 14 Kapiteln der Biografie durch nichts getrübt. Als „politische Biografie“ angekündigt, handelt es sich eher um eine große Heldenerzählung. Allein das wäre noch nicht mal problematisch, wenn man denn auch nur ansatzweise die Kehrseite des eigenen Helden, seine Schwächen und Versäumnisse, also die kontroversen und kritikwürdigen Aspekte, die es in jedem Politikerleben gibt, beleuchten würde.

Eine Lebensgeschichte fast ohne Brüche

„Merde alors!“ kommt allerdings nahezu ohne biografische Brüche aus. Nur an einer Stelle der Biografie kann die Autorin fast nicht anders. Im Kapitel „Aller Anfang ist schwer“ beschreibt sie durchaus prägnant, mit welchen Zweifeln Asselborn bei der Übernahme des Außenministeriums in Medien, Parteien und der Regierungsverwaltung konfrontiert wurde. Viele Beamte im Ministerium seien damals überzeugt gewesen, dass der ehemalige Steinforter Bürgermeister „den Herausforderungen des Amtes nicht gewachsen“ sei, schreibt Kopeinig. Diese treffende Analyse dient jedoch nur dazu, Asselborns Image als etwas ungehobelten, aber durch und durch bodenständigen und sympathischen „Self made Politiker“ zu untermauern.

Die Grundthese des Buches lautet: Jean Asselborn ist ein Politiker mit Herz und Seele, der sich für das Gute in der Welt einsetzt. Zitat: „Was Jean Asselborn in der Öffentlichkeit so sympathisch und bei seinen Gesprächspartnern so beliebt macht, ist seine Liebe zu den Menschen.“ Dieser oberflächlich-kitschige Befund des Humanismus soll der charakterliche Kern des Luxemburgers sein, der sich auf all seine politischen Überzeugungen auswirke. „Er setzt sich für Flüchtlinge, Arme, sozial Schwache und Benachteiligte sowie Opfer autoritärer Regime ein“, so die Heldensaga.

Die Kehrseiten des „Monsieur Klartext“

Problematisch ist an solchen Aussagen nicht, dass sie komplett falsch wären. Doch sie sind, zumindest wenn man die Biografie analytisch durchdringen will, nur eine Facette des Phänomens Asselborn. Denn bei aller humanistischer Rhetorik könnte man sich als kritischer Beobachter dann doch die Frage stellen, was Jean Asselborn in seiner langen und weiter andauernden Karriere denn wirklich politisch erreicht hat. Wenn der Sozialdemokrat tatsächlich eine derart „zentrale Rolle im Kreis der 27-EU-Außenminister“ spielt, wie Kopeinig schreibt, dann müssten sich seine Überzeugungen mittlerweile doch auch in der europäischen Politik nachvollziehbar und belegbar niedergeschlagen haben.

„Merde alors! Jean Asselborn – eine politische Biografie“ wurde im Czernin-Verlag herausgegeben. Die Autorin Margaretha Kopeinig schrieb bereits Biografien über Martin Schulz („Vom Buchhändler zum Mann für Europa“) und Jean-Claude Juncker („Der Europäer“). – Foto: Czernin Verlag

Dass Jean Asselborn sich als Außenminister eines kleinen Landes stets erlauben kann, in deutschen Talkshows „Klartext zu reden“, seine rhetorischen Ergüsse aber nahezu immer ohne realpolitische Folgen bleiben, gehört nämlich auch zur Wahrheit. Kritisch betrachtet hat Asselborn ein wiederkehrendes Glaubwürdigkeitsproblem. Ein aktuelles Beispiel sind die Grenzschließungen im Corona-Lockdown, vor denen Asselborn zwar stets leidenschaftlich gewarnt hatte, die er aber nicht verhindern konnte. Gleiches gilt für Asselborns Hang, die Verantwortung über die Aufnahme und Integration von Asylbewerbern, die auch in Luxemburg nicht immer allzu human abläuft, seinen Kabinettskollegen zu überlassen.

Zur Untermauerung dieser Facetten hätte man in Luxemburg und im Ausland durchaus Gesprächspartner finden können. Stattdessen lässt die Autorin die Kritik am lupenreinen Humanisten Asselborn stets nur durch seine ausgesprochenen politischen Gegner, wie den ehemaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini, zu Wort kommen. Es ist in diesem Sinn auch nur konsequent, dass es Asselborns berühmte Replik an Salvini „Merde alors!“ zum Titel des Buches schaffte.

Fehlende journalistisch-kritische Distanz

Doch inhaltliche Kritik an Asselborns Politik lässt sich nicht nur durch die rechtspopulistische Brille formulieren. Sie ist auch sachlich, und damit journalistisch, geboten. So etwa, dass der „Solidaritätsfanatiker“ als Regierungsmitglied seit 2004 eine Mitverantwortung an Luxemburgs internationaler Steuerpolitik nicht glaubwürdig abstreiten kann. Oder, dass der „Pazifist“ Asselborn den Bürgerkrieg in Libyen 2011 als „Völkermord“ bezeichnet hatte, um eine militärische Intervention zu rechtfertigen. Oder auch bezüglich Luxemburgs diskreter Beteiligung am Drohnenkrieg der USA. „Eine Analyse der Verantwortlichkeiten wäre an dieser Stelle angebracht“, formulierte es auch Michel Delage in seiner Rezension von „Merde alors!“ für „Radio 100,7“.

Jean Asselborn wird als Humanist und vermeintlicher Kämpfer für Frieden und Solidarität auch von vielen Journalisten bewundert – dieses Phänomen treibt die Biografie „Merde alors!“ allerdings auf die Spitze. (Foto: EU2016NL/Martijn Beekman)

Andererseits ist Margaretha Kopeinig nicht die einzige ausländische Journalistin, die dem Charme von Luxemburgs Langzeitaußenminister erliegt, indem sie jegliche kritische Distanz vermissen lässt. Jüngst widmete etwa „Der Spiegel“ ihm ein Porträt, in dem Asselborn mit gehöriger Portion Pathos als „Der letzte Europäer“ bezeichnet wurde. „In den vergangenen fünf Jahren war er stets eine Stimme der Humanität“, heißt es auch dort im gleichen tendenziösen Ton, der sich auch in der im Sommer erschienenen Biografie wiederfindet.

Nur keine Kritik, nur kein schlechtes Wort über ihn verlieren: Viele Texte über Jean Asselborn, vor allem im deutschsprachigen Raum, lesen sich fast schon wie Nachrufe. Doch in diesem Fall ist der Protagonist nicht nur lebendig und topfit, er denkt auch gar nicht ans Aufhören. Deshalb kann man sich begründete Kritik an seiner Person und seinem politischen Wirken erlauben, erst recht als Journalist.

Heiligsprechung in Amt und Würden

Allerdings legen die Spiegel-Reporter in ihrem Text dann doch den Finger in eine Wunde. Sie werfen die Frage auf, warum der heute 71-Jährige bei den nächsten Wahlen 2023 noch einmal antreten will. Und berichten davon, dass Asselborn vor Jahren einmal das Buch „Höhenrausch“ des inzwischen verstorbenen Journalisten Jürgen Leinemann geschenkt bekommen habe. „Es handelt von der Sucht der Politiker nach Aufmerksamkeit und von der Unfähigkeit, aus dem Amt zu scheiden“, erklären die Autoren. Asselborn habe es jedoch „nur bis zur Hälfte gelesen“.

Genau das wäre denn auch weiteres Potenzial für eine kritischere Betrachtung des Phänomens Jean Asselborn in einer Biografie gewesen. Warum kann er nicht loslassen? Warum hält er sich fast schon für unersetzlich? Wie süchtig ist er nach Macht, Aufmerksamkeit und Wichtigkeit?

Vielleicht liegt es ja daran, dass der durchaus zur Selbstkritik fähige Luxemburger Außenminister mittlerweile glaubt, was seine zahlreichen Bewunderer unter den Journalisten im In- und Ausland so über ihn schreiben. Normalerweise wird man erst im Jenseits zum Heiligen gesprochen. Die meisten Schreiber haben Asselborn jedoch schon heute als Märtyrer im Kampf gegen das Böse in der Welt verewigt.


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