Romain Schneider jonglierte die letzten fünf Jahre mit gleich drei Ressorts. Während es im Sport und der Entwicklungshilfe ruhig zuging, gab es im Sozialministerium regelmäßig Zündstoff. Doch der LSAP-Minister spielt die Spannungen herunter. Ein Porträt.

Romain Schneider sitzt gelassen am Kopf des langen Glastisches. Sein helles Hemd sticht vor dem farbenfrohen Hintergrund besonders stark hervor. Hinter ihm hängt ein gewaltiges Gemälde, die bunten, abstrakten Muster lassen eine afrikanische Herkunft vermuten. In dessen Schatten steht eine große Kommode mit Mitbringseln aus aller Welt. Statuen, Schalen und eingerahmte Abzeichen reihen sich aneinander. Neben einem goldenen Löwen steht eine afrikanische Stammesfigur. Gleich daneben, die Skulptur eines Baumes.

Ein Altar? Die Frage bringt Romain Schneider zum Lachen. Er erzählt, wie es in der Entwicklungshilfe Tradition hat, Geschenke auszutauschen. Die Kunstobjekte sind Relikte der vielen Reisen, die der Kooperationsminister und seine Vorgänger unternommen haben. Das Gemälde hat die frühere CSV-Ministerin Marie-Josée Jacobs aus dem Senegal mitgebracht.

Treffpunkt hätte genauso gut das Sozial- oder das Sportministerium sein können. Denn der LSAP-Minister leitet alle drei. Jedes seiner Büros scheint ein Spiegelbild des jeweiligen Ressorts zu sein. Im Sozialministerium, wohl das technischste, komplexeste aber auch brenzligste von Schneiders Ressorts, stehen „bloß Akten und Kodexe“. So nüchtern wie die Materie ist also auch das Büro.

Und im Sportministerium? Romain Schneider blüht sofort auf, ein breites Lächeln zieht über sein Gesicht. Enthusiastisch erzählt er vom „Maillot Jaune“ an der Wand, von den vielen Plaketten, Andenken an die großen Sportveranstaltungen, die der Sportmister besuchte. Es ist nicht schwer zu erraten, wofür sein Herz schlägt.

Fliegender Wechsel

Der Wechsel von einem Ressort zum anderen fällt Romain Schneider nicht schwer. Er ist ein Routinier. Als langjähriger Beamter bei der Arbeitsagentur ADEM hat er Erfahrung damit, sich durch verschiedene Dossiers zu wühlen. Doch Schneider kann sich auch auf seine Mitarbeiter verlassen und macht daraus auch kein Geheimnis. Es liegt ihm fern, die Lorbeeren für die Arbeit anderer zu ernten.

Zum Gespräch erscheint der LSAP-Minister ohne Notizen. Sein Pressesprecher ist zwar anwesend, hält sich aber dezent im Hintergrund. Schneider kennt seine Materie. Nicht einmal bei unangenehmen Fragen wird er stutzig, sondern bleibt stets sachlich und gefasst.

Di Leit kenne mech net. Di kennen de Mënsch Romain Schneider net.“

Romain Schneider weiß, wie der Hase läuft. Es ist nicht sein erstes Ministeramt. Bereits 2009 wurde der Wiltzer in die Regierung genannt. Damals führte er das Sport- sowie das Landwirtschaftsministerium und war delegierter Minister für Solidarwirtschaft. Davor war er Abgeordneter und Bürgermeister seiner Heimatstadt Wiltz. Ihm gefällt der direkte Kontakt mit den Bürgern, erzählt der Sozialist und ehemalige LSAP-Generalsekretär. Die Frage, welche Parteikarte er wählen sollte, stellte sich nie. „Ich komme aus einer Familie, die nicht viel hatte.“ Auch heute sei er dank seiner drei Ministerien weiterhin „nah am Bürger“, betont Schneider.

Die Bürger sind mit Schneiders Politik aber nicht immer einverstanden. Als Sozialminister musste er in den letzten Jahren an mehreren Fronten kämpfen. Pflegereform, Tiers Payant, Krankenschein-Regelung, Streiks in den Pflegeheimen … Kaum eines von Schneiders Unterfangen verlief wie geplant. Nicht immer machte der Minister eine gute Figur. Manchmal musste sein Berater Albilio Fernandes eingreifen und die Wogen glätten. Bei den vielen Missverständnissen um die begleiteten Einkäufe (Courses Sorties) etwa musste Fernandes immer wieder für Klarheit zu sorgen und die Sachlage erklären.

Ärger um die Pflegeversicherung

Die Pflegereform zieht sich wie ein rotes Tuch durch Schneiders Ministeramt. Dabei ist es seine einzige große Reform als Sozialminister. Als Schneider das Amt übernahm sahen die Zahlen schlecht aus. Das Modell der Pflegekasse stünde kurz vor dem Kollaps, nach 2015 würden die Ausgaben die Einnahmen überschreiten, offenbarte 2013 die Generalinspektion der Sozialversicherung (IGSS).

Die ersten Sparmaßnahmen kamen sogleich mit dem Zukunftspaket. Die Pflegereform, die eigentlich schon unter der CSV-LSAP Koalition anstand, sollte das Problem endgültig lösen.

Wenn 4.000 Leute unzufrieden sind, ist das verhältnismäßig wenig. Doch für diese Menschen geht es um fundamentale Probleme.“

Vielen missfiel das. „Vorsicht, Explosionsgefahr“, warnte etwa die Wochenzeitung „d’Lëtzebuerger Land“ kurz bevor der Sozialminister seinen Plan vorstellen wollte. Schneiders ruhiges Auftreten steht in starkem Kontrast zu den hitzigen Debatten um sein Gesetzesprojekt. Die Gewerkschaften und Verbände standen mit dem Minister auf Kriegsfuß. Der Mensch stünde bei Schneiders Herangehensweise nicht im Vordergrund, warf ihm etwa OGBL-Vertreter Carlos Pereira vor. Es ist ein Vorwurf, der dem Sozialminister nicht nur einmal gemacht wurde. Auch LCGB-Präsident Patrick Dury warf dem Minister bereits mehrmals vor, dass ihm die Menschen „scheißegal“ seien.

Diese Anschuldigungen lassen Schneider nicht kalt. „Di Leit kenne mech net. Di kennen de Mënsch Romain Schneider net“, entrüstet sich der Minister. „Ech gi meng Dossieren all perséinlech un.“

Von der Reform zur Gesetzesänderung

Das Sozialministerium sei ein problematisches Ressort, erläutert Schneider. Die Dossiers seien besonders technisch, doch „die Bürger spüren alles sofort.“ Über 800.000 Versicherte fallen unter die Sozialversicherung, rechnet man die Grenzgänger mit ein. „Wenn da 4.000 Leute unzufrieden sind, ist das verhältnismäßig wenig. Doch für diese Menschen geht es um fundamentale Probleme.“

So geschehen bei der Pflegereform. Über drei Jahre brauchte es bis zur Verabschiedung. Sollte sie eigentlich Geld einsparen, zeichnet sich heute das Gegenteil ab. Das sei kein Problem, winkt Schneider ab. Denn die Konjunkturlage ist gut. Die Zahl der Pflegeempfänger ist nicht so drastisch angestiegen, wie es die IGSS vorausgesagt hatte.

Bahnbrechende Veränderungen sucht man im Gesetzestext vergebens. Wohl auch deswegen erschien dem Staatsrat der Begriff „Reform“ zu radikal. Er forderte in seiner Einschätzung vom Januar 2017 vom Begriff abzusehen und vielmehr von einer Gesetzesänderung zu sprechen. Die Gewerkschaften hätten bevorzugt, Schneider hätte ganz davon abgelassen.

Die Kritik an dem Hin und Her nimmt er gelassen. Das Projekt wäre „im Dialog“ ausgearbeitet worden, erklärt er. „Dialog“, ein Begriff den Schneider immer wieder in den Mund nimmt, dabei werfen ihm die Gewerkschaften einen Mangel an eben diesem vor. Schneider ergänzt, er will die Sachen mit Ruhe angehen. Es nütze keinem, „die Dossiers zu politisieren.“

Das Courses-Sorties-Debakel

Doch dieser Dialog verlief stockend. Und politisch waren die Dossiers sowieso. Es ging um die Begleitung von Pflegeempfängern bei ihren Einkäufen, die Courses-Sorties, die es im geänderten Text so nicht mehr gab. Sie fielen von nun an unter die „gardes en groupe“. Die wütenden Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten; die Tageszeitungen veröffentlichten herzzerreißende Berichte von Menschen, denen die begleiteten Einkäufe genommen wurden. Die Gewerkschaften aber auch der Dachverband der Pflegedienstleister COPAS machten Druck. Letzterer wollte die neuen Regelungen von vorneherein nicht hinnehmen.

Ich sehe die Courses-Sorties immer noch im Kontext der sozialen Isolierung und da gibt es bessere Aktivitäten“

Schneider gab dem Druck nach. Er revidierte sein Gesetz, führte die Courses-Sorties kurz vor der Sommerpause wieder ein. „Eingeknickt“ sei er, titelte das „Luxemburger Wort“. Fest steht, es war kein Rückzug aus Überzeugung. „Ich sehe die Courses-Sorties immer noch im Kontext der sozialen Isolierung und da gibt es bessere Aktivitäten“, moniert der Sozialminister. Doch: „Dee Punkt ass esou perséinlech, datt der als Politiker keen Argument hutt fir do dergéint ze goen.“ Romain Schneider ist kein Narr. Er weiß genau, wie wichtig es vor den Wahlen ist, die Wogen zu glätten.

Sein Projekt hinterlässt für viele einen faden Beigeschmack. Umso besser, dass Schneider, der bis heute seinen Wiltzer Dialekt nicht abgelegt hat, im Norden eine starke Wählerbasis hat.

Foto: Eric Engel

Kehrtwende beim Tiers Payant

Dabei war die Pflegereform nur eines von vielen Dossiers, bei denen Schneider in die Kritik geriet. Besonders beim Ärzteverband AMMD steht der Sozialminister auf der schwarzen Liste. Schneider würde seinem Amt nicht gerecht werden; er sei unfähig, die Probleme des hiesigen Krankenversicherungssystems „in einem konstruktiven Dialog mit einer kritischen AMMD zu lösen“, schrieben die Vertreter des Ärzteverbands Philippe Wilmes und Alain Schmit im August im „Land“.

Auch hier scheint jegliche Kommunikation zu scheitern. Schneiders Dialogbereitschaft eckt entweder an oder sie ist doch nicht so groß, wie der Sozialist glauben lassen will. Spätestens mit der Debatte um die direkte Abrechnung von medizinischen Leistungen, dem „Tiers payant généralisé“, machte er sich den Ärzteverband zum Feind. Die AMMD drohte, sich mit allen Mitteln gegen den Vorschlag zu wehren. Damit hatte Schneider nicht gerechnet.

Es ist im Interview das einzige Mal, dass er kurz innehält und sich die Antwort überlegt. „Ich dachte, dafür gebe es eine breite Akzeptanz.“ Die Petition, die die Diskussion auslöste, sammelte über 7.000 Unterstützer. Schneiders Drohung, er würde den Tiers payant notfalls per Gesetz durchsetzen, verlief im Sand. Bevor er die Ärzteschaft vollends auf die Palme bringt, schreibt er den Tiers payant lieber ins Wahlprogramm.

Dabei geht es den Ärzten vor allem um die veraltete Gebührenverordnung, die noch in dieser Legislaturperiode überarbeitet werden sollte. Doch die Reform verläuft nur schleppend. Eine Übergangslösung gibt es nicht. Inzwischen boykottiert die AMMD die Nomenklaturkommission. Seit letzter Woche rechnen die Ärzte vermehrt Leistungen ab, die von der Gesundheitskasse (CNS) nicht zurückerstattet werden, um die Patienten gegen die Kasse aufzubringen, meldete das „Land“.

In der Defensive

Doch auch hier gibt sich Schneider entweder besonders diplomatisch oder er ist ausgesprochen naiv und optimistisch. Die Differenzen scheinen an Schneider abzuprallen. Nicht nur betont er, der Ärzteverband sei weiterhin am Verhandlungstisch willkommen. Er erzählt auch, er würde das Sozialministerium gerne nochmals übernehmen, würde er wiedergewählt werden. „Ich komme mit allen Partnern gut klar.“ So sehr sei er nicht angeeckt. Nicht einmal mit der AMMD.

Angesichts der Lage erscheint der Satz fast wie eine Realitätsverweigerung. Doch Schneider ist ein Profi, der die Feuer vor dem 14. Oktober bestmöglich löschen will.

So heikel die fünf Jahre am Kopf des Sozialministeriums waren, so ruhig verlief es in den beiden anderen Ressorts. Sport und Kooperation gelten als sichere Bank, als Freizeitressorts. So wird schon mal gescherzt, was Schneider denn an seinen Nachmittagen so mache.

Vielleicht deswegen geht der Routinier, auf die beiden Ressorts angesprochen, erst einmal in die Defensive. Etwa bei der Kooperationspolitik. Natürlich hätte Luxemburgs Entwicklungspolitik ein positives Image, jedoch brauche es klare Strategien. Der LSAP-Minister gilt Vertretern von Nichtregierungsorganisationen als verlässlicher Partner. Seine neue Strategie zur Entwicklungshilfe, die gerade erst vom Staatsrat angenommen wurde und kommende Woche bei den Kooperationsassisen vorgestellt wird, findet unter NGOs breite Zustimmung.

Auf europäischer Bühne wird der Sozialist jedoch immer mehr zum Außenseiter. Er wehrt sich gegen eine Vermischung von Entwicklungshilfe und Migrationspolitik. Durchsetzen konnte er sich im EU-Rat mit dieser Einstellung in letzter Zeit nicht mehr. An seiner Linie hält er aber fest.

„Le jour de la gloire …“

Schneiders Herz aber schlägt für den Sport. Als ehemaliger Fußballer kennt er den „Vestiairesgeroch.“ Die Zeiten, in denen der Minister voll im Training stand, sind vorbei. Seine Passion aber bleibt: „Hätte mir jemand als junger Sportler gesagt, dass ich einmal Sportminister werde … da ging ein Traum in Erfüllung.“

Dabei blüht Schneider besonders dann auf, wenn er bei den großen Momenten des Sports an vorderster Front stehen kann. Im letzten Jahrzehnt – Schneider war unter der CSV-LSAP-Koalition bereits Sportminister – hat er zwar den Sport professionalisiert. Er hat aber keine großen Reformen in die Wege gebracht. Das Stadium-Projekt zum Beispiel hat er von seinem Vorgänger geerbt. Er stellt den Bau, der nun endlich begonnen hat, im Gespräch nicht als großen Eigenerfolg dar.

Hätte mir jemand als junger Sportler gesagt, dass ich einmal Sportminister werde… da ging ein Traum in Erfüllung.“

Hier geht der sonst so sachliche und berechnende Politiker ganz in seiner Rolle auf. Er reist zu Sportveranstaltungen, steht in der vordersten Reihe, wenn die Luxemburger Talente Erfolge feiern. Seine Freude drückt er manchmal auf etwas unbeholfene Art und Weise aus. Als Luxemburg in der WM-Qualifikation 0-0 gegen Frankreich spielte, entfuhr es Schneider: „Le jour de la gloire est arrivé …“ Der gelassene Routinier wird zum aufgeregten Buben.

Ministeriumskarussell

Er wollte unbedingt das Sportministerium behalten, gibt Schneider grinsend zu. Das sorgte 2013 für Unruhe bei der Regierungsbildung. Schneider wollte den Sport, komme was wolle. Die Landwirtschaft musste er dafür aufgeben. Aber „in einer Koalition muss man halt Kompromisse machen“, kommentiert er die etwas willkürlich wirkende Postenverteilung.

Sein Büro mit den Trophäen und Andenken, den Trikots der Tour de France und der Special Olympics schnappt ihm keiner so schnell weg, sollte er bei der nächsten Regierungsbildung noch dabei sein. Auch wenn er an jedem seiner drei Ressorts etwas Gutes findet – der Sport spielt in einer anderen Liga.