Das Ende der Episode Frank Engel zwingt die CSV zur Neuaufstellung und offenbart gleichzeitig ihre strukturelle Schwäche. Die Affäre um den scheidenden Parteichef ist nur ein Symptom für den stetigen Abstieg der letzten Luxemburger Volkspartei. Eine Analyse.

Mehrere Mitglieder, die ihren Parteivorsitzenden bei der Staatsanwaltschaft anzeigen: Eigentlich braucht es nicht mehr als diesen Sachverhalt, um die aktuelle Lage der CSV zu beschreiben. Die Affäre um den „CSV Frëndeskrees“ stürzte die nach wie vor größte Partei des Landes in eine neue und zu 100 Prozent hausgemachte Krise.

Doch das durchaus tragische Ende des wohl umstrittensten Vorsitzenden in der Geschichte der CSV ist nicht das eigentliche Problem der Partei. Die innerparteilichen Kontroversen der vergangenen zwei Jahre deuten darauf hin, dass die Krise viel tiefgreifender ist, als es die Episode um Frank Engel nahelegt.

Mit seinem erratischen Vorgehen machte sich Engel in der eigenen Partei angreifbar, doch er stellte auch immer wieder das konservative Selbstverständnis der CSV auf die Probe. Seine dezidierten Gegner in der Fraktion trugen den Macht- und Richtungskampf dagegen nur hinter den Kulissen aus. Zudem verhinderte das Parteiestablishment immer wieder eine programmatische Grundsatzdebatte. Genau dies, eine offene Debatte über den Kurs der Partei, wäre jedoch absolut notwendig.

Eine Partei ohne Macht und Kompass

Denn die CSV des Jahres 2021 erweckt mehr denn je den Eindruck einer orientierungslosen Partei. Sie ist nicht nur eine Partei ohne Macht, sondern auch eine Partei ohne Kompass. Sie hat keine eigenständige Vision, keine klaren programmatischen Unterscheidungsmerkmale zu anderen Parteien mehr. Sie lässt Motivation, Inspiration und eine innerparteiliche Dynamik vermissen. Und ihr mangelt es offenbar auch an Persönlichkeiten mit der Ambition, unbedingt etwas an dieser misslichen Lage zu ändern. Kurzum: Der CSV fehlt heutzutage alles, was eine erfolgreiche politische Partei ausmacht.

Bis zu einem gewissen Grad ist dies dadurch zu erklären, dass die einstige „ewige Regierungspartei“ seit bald acht Jahren auf kaltem Machtentzug ist. In der Opposition tut sich jede Partei schwer mit einer klaren inhaltlichen Profilierung, geschweige denn mit einer glaubwürdigen Erneuerung ihrer Führungsriege. Im Fall der CSV kommt jedoch auch eine ordentliche Portion von selbstverschuldetem Scheitern hinzu.

Die CSV-Führungsriege verhält sich immer noch wie eine (regierende) Volkspartei. Doch sie ist heute längst eine Partei unter vielen, die stetig an gesellschaftlicher Relevanz einbüßt.“

Das lässt sich leicht daran erkennen, dass keine aktuelle Führungsfigur der Partei erklären kann, wofür die CSV eigentlich steht und welche Ziele sie außer der Rückkehr in Regierungsverantwortung verfolgt. Fragt man etwa Fraktionschefin Martine Hansen nach dem inhaltlichen Kern ihrer Partei, lautet die Antwort stets: „Wir sind eine Partei der Mitte.“ Konkreter wird es selten, auch wenn man ihre Abgeordnetenkollegen befragt. Schlimmer noch: Nur die wenigsten herausragenden Protagonisten der CSV scheinen das offensichtliche Inhaltsvakuum ihrer Partei überhaupt als Problem zu erkennen.

Dabei ist dies eine durchaus berechtigte Frage: Wofür steht die CSV eigentlich? In ihrem letzten Wahlprogramm definiert sie sich als „Wertepartei“, als „Volkspartei der sozialen Mitte“, die sich für eine „gerechte Gesellschaft“ einsetzt. Etwas konkreter dekliniert sich dieser Anspruch – je nach Politikfeld – in einer Mischung aus sozialen, liberalen und konservativen Positionen. Das gilt sowohl für die Forderungen im Programm als auch für die Initiativen der vergangenen Monate im Parlament und die inhaltliche Profilierung der Führungsriege der Partei.

Eine Partei ohne inhaltlichen Kern

Es war denn auch lange das Erfolgsrezept der CSV, dass sie sich nicht auf eine bestimmte Ideologie festlegen wollte. Ihr Ursprung liegt freilich in der Tradition einer „Rechtspartei“, entsprungen aus dem klassischen katholischen Milieu, dessen Protagonisten Luxemburgs Staat und Gesellschaft über viele Jahrzehnte maßgeblich prägten.

Doch das wahre Erfolgsrezept CSV lag schon früh in der bewussten Öffnung für breite Bevölkerungsschichten. In ihrer Grundsatzerklärung definierte sich die CSV 1946 als „Vereinigung von Männern und Frauen aller Schichten des Volkes, die gewillt sind, im Geist christlicher und demokratischer Überzeugung und gemeinsam mit Andersdenkenden, eine Gesellschaft der Solidarität in Freiheit, Frieden und sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen“.

In der Logik einer Volkspartei versteht die CSV sich bis heute als politische Organisation, deren Anhängerschaft in allen Bevölkerungsschichten zu finden ist. Diese „Massenintegration“, also der Anspruch, alle Bereiche und Milieus der Gesellschaft gleichermaßen anzusprechen, gilt in der Politikwissenschaft als Hauptmerkmal einer Volkspartei. „Sie vereinigen auf sich mehr als 30 Prozent der Wähler, richten ihren Appell an alle gesellschaftlichen Schichten, positionieren sich programmatisch möglichst in der Mitte, verfügen über eine solide Organisationsstruktur, binden Mitglieder und tendieren zu Pragmatismus, wenn es um die Regierungsmacht geht“, lautet etwa die Definition des deutschen Politologen Wolfgang Merkel.

Das grandiose Scheitern von Parteipräsident Frank Engel verdeutlicht bei genauerem Hinsehen, dass sich die CSV in einer Krise befindet, die über rein personelle Konflikte hinausgeht. (Foto: Martine Pinnel)

In diesem Sinne verstand sich die CSV auch lange als die Partei des Sowohl-als-auch: Sowohl für die Staatsbeamten als auch für die Angestellten aus der Privatwirtschaft. Sowohl für den „Patron“ als auch für den Arbeiter. Sowohl für den Bauer als auch für den Banker. Sowohl für die Wertkonservativen als auch für die Wirtschaftsliberalen. Bis heute spiegelt sich dieser Anspruch auch stellvertretend im Spitzenpersonal der Partei wider. Vom gelernten Mechaniker und langjährigen Gewerkschafter Marc Spautz über den promovierten Studienrat und hohen Beamten Claude Wiseler bis hin zum bürgerlich-konservativen Wirtschaftsanwalt Laurent Mosar deckt die CSV viele Milieus der Luxemburger Gesellschaft ab.

Der Anspruch einer Volkspartei hängt zentral an der Bedingung, von Zeit zu Zeit zu regieren, um die diversen Interessen der breiten Parteianhängerschaft mit konkreter politischer Gestaltung zu bedienen.“

Doch die Balance zwischen den traditionellen christlich-sozialen Flügeln ist nicht mehr die gleiche wie noch vor einigen Jahren. Seit 2013 sind die sozialen, liberalen und konservativen Strömungen verschwommen. Ein Grund dafür: Der Anspruch einer Volkspartei hängt zentral an der Bedingung, von Zeit zu Zeit zu regieren, um die diversen Interessen der breiten Parteianhängerschaft mit konkreter politischer Gestaltung zu bedienen. Seit 2013 ist die CSV dazu, zumindest auf nationaler Ebene, nicht mehr in der Lage. Dementsprechend verwässern die programmatischen Traditionen der – im klassischen Sinn – letzten Luxemburger Volkspartei.

Eine Volkspartei ohne Volk

Dabei ist die inhaltliche Flexibilität, man könnte es auch machtpolitischen Opportunismus nennen, eben auch ein Wesensmerkmal einer Volkspartei. Nur weil sie programmatisch breit aufgestellt ist, kann sie unterschiedliche soziale Milieus in ihrer Politik und in ihrer Mitgliederschaft integrieren. In der Regierung ist dies ein Erfolgsrezept zur Stimmenmaximierung. In der Opposition droht sich dieser Kitt der ganzen Volkspartei-Konstellation jedoch kontinuierlich aufzulösen.

Die CSV hat zwar immer noch den Anspruch, die Massen zu integrieren. Doch in der Wirklichkeit laufen ihr die Wählerinnen und Wähler kontinuierlich davon.“

Die CSV-Führungsriege verhält sich allerdings immer noch wie eine (regierende) Volkspartei. Doch sie ist heute längst eine Partei unter vielen, die stetig an gesellschaftlicher Relevanz einbüßt. Als „catch-all-party“, als politische Organisation, die Staat und Gesellschaft in nahezu all ihren Facetten prägte und deshalb in diversen Milieus attraktiv war, erlebte sie unter Jean-Claude Juncker ihren Zenit. Spätestens seit dem Machtverlust von 2013 befindet sie sich im schleichenden Niedergang und ist zur postmodernen Allerweltspartei verkommen. Die CSV ist eine Gruppierung, die sich reflexartig und wider die Wirklichkeit der gewandelten Parteienlandschaft immer noch als Volkspartei präsentiert – gewissermaßen eine Volkspartei ohne Volk.

Das Ende der Ära Jean-Claude Juncker stürzte die CSV in eine tiefe Sinnkrise und zwingt die Partei letztlich dazu, sich von ihrer glorreichen Vergangenheit zu lösen. (Foto: CSV)

So hat die CSV zwar immer noch den idealistischen Anspruch, die Massen zu integrieren. Doch in der harten Wirklichkeit laufen ihr die Wählerinnen und Wähler kontinuierlich davon. Bei den Nationalwahlen 2013 erreichte sie noch über 33 Prozent der Stimmen, 2018 nur noch knapp 28 Prozent. Bei den Europawahlen 2019 wurde die CSV mit landesweiten 21,1 Prozent nur noch die zweitstärkste Partei hinter der DP. In den Umfragen lagen die Christsozialen zuletzt (Ende 2020) bei 25,7 Prozent. Mit der Aussicht, nur noch knapp ein Viertel der Wählergunst zu gewinnen, lässt sich der Volkspartei-Nimbus nicht mehr aufrechterhalten.

Es ist auch kein Wunder, dass Grüne und Liberale sich zur größten Konkurrenz für die CSV entwickelt haben. Machtpolitisch imitieren vor allem die Liberalen die ehemals ewige Regierungspartei. Die Partei von Premierminister Xavier Bettel spricht mittlerweile einen Teil jener Wählerschichten an, die früher aus pragmatischen Gründen CSV gewählt hätten. Nicht zuletzt für all jene Bürgerinnen und Bürger, die sich von der Wahl einer Regierungspartei die Verteidigung ihrer materiellen Interessen erhoffen, ist die DP eine realistische Alternative.

Eine Partei ohne sichtbaren Nachwuchs

Die strukturelle politische Schwäche der CSV spiegelt sich zudem in einem akuten Mangel an neuen, unverbrauchten Gesichtern wider. Die Fraktion versammelt zwar einige erfahrene Parlamentarier, Bürgermeister und Ex-Minister. Diese scheinen jedoch in vielen Fällen keine erkennbaren politischen Ambitionen mehr zu hegen – also außer dem Ziel, noch eine Weile Abgeordnete und Bürgermeister zu bleiben. Für die Wählerschaft ist diese Ansammlung von Opportunisten und machtmüden Ehemaligen offensichtlich keine allzu attraktive Perspektive.

Nachwuchspolitiker, die eine glaubwürdige Erneuerung der Partei verkörpern könnten, sind dagegen rar. Das liegt einerseits durchaus daran, dass viele der „Alten“ ihre Plätze im Parlament nicht freiwillig räumen wollen. Doch dazu kommt, dass sich die wenigen Jüngeren, die eigentlich für eine Führungsrolle prädestiniert sind, nicht als Hoffnungsträger aufdrängen. Selbst jene, die sich eigentlich nur trauen müssten, schwimmen im Strom der Inhalts- und Visionsarmut mit und haben sich frühzeitig an die offizielle Parteilinie angepasst.

Der CSV ist das soziale Fundament ihres Selbstverständnisses als Volkspartei abhanden gekommen. Ihre Öffnung für andere Wählerschichten wird also in Zukunft auf einem weitaus tieferen elektoralen Niveau stattfinden.“

Serge Wilmes ist wohl das beste Beispiel dafür. Der Abgeordnete und Erste Schöffe der Hauptstadt scheiterte 2019 zwar bei der Wahl zum Parteichef knapp an Frank Engel. Seitdem war er formal aber immer noch in einer guten Ausgangsposition, um ein herausragendes Amt in der CSV zu bekleiden. Es war wohl noch nie so einfach wie in den vergangenen Wochen, die Führung der größten Partei des Landes zu übernehmen. Doch der 38-Jährige hat sich aus der nationalpolitischen Debatte mittlerweile komplett zurückgezogen.

Ein weiterer Kandidat für einen innerparteilichen Aufstieg ist Christophe Hansen. Dafür muss der Abgeordnete im Europäischen Parlament und wahrscheinliche neue CSV-Generalsekretär sich aber über kurz oder lang in der Nationalpolitik wiederfinden. Andere Vertreter der jüngeren Generation, die vor allem als Mandatsträger in den Gemeinden zu finden sind, verfügen dagegen noch nicht über genügend Erfahrung, um den Schritt in die erste Reihe zu wagen.

Eine Partei in der Transitionsphase

Bis sich das ändert, bleibt es allerdings bei der Diagnose einer ziemlich rat- und orientierungslosen Partei. Verantwortlich dafür sind vor allem jene, die seit dem Machtverlust von 2013 die Führung von Partei und Fraktion innehaben. Ausgerechnet einer aus dieser Reihe, Ex-Fraktionschef und Ex-Spitzenkandidat Claude Wiseler, soll die Partei nun in ruhigeres Fahrwasser führen. Der 61-Jährige hat sich seit dem Ausbruch der Pandemie wieder als sichtbares Sprachrohr der CSV-Opposition profiliert. Ob er 2023 auch als Spitzenkandidat zur Verfügung steht, ist noch nicht ausgemacht.

Aus alt mach neu: Claude Wiseler soll die Lage der CSV als Parteivorsitzender beruhigen und den Weg für eine wahrhaftige Erneuerung freimachen. So lautet zumindest der offizielle Plan. (Foto: Matic Zorman)

In der Post-Engel-Ära gilt Claude Wiseler als pragmatischer Konsenskandidat, der nicht nur Partei und Fraktion versöhnen, sondern auch den Übergang zu einer wahrhaftigen Erneuerung einleiten könnte. In der Öffentlichkeit dürfte er aber nicht als Signal des Aufbruchs wahrgenommen werden – im Gegenteil.

Dass der erfahrene Spitzenpolitiker, der für die CSV außer dem Parteivorsitz schon so ziemlich alle erdenklichen Ämter der Luxemburger Politik innehatte, sich zur Übernahme der Präsidentschaft überreden ließ, ist realpolitisch nachvollziehbar. Doch es verdeutlicht auch den akuten Mangel an Spitzenpersonal, das sich diese Rolle überhaupt zumutet, was wiederum ein schlechtes Zeichen für eine selbst ernannte Volkspartei ist.

Zudem bekräftigt die Personalie den Eindruck der akuten Inhaltsarmut. Um sich dieses Eindrucks zu vergewissern, muss man sich nur noch einmal das Wahlprogramm von 2018 durchlesen. Der „Plang fir Lëtzebuerg“, der letztlich keiner war, ist gewissermaßen die Dokumentation des ideellen und programmatischen Vakuums, das die Partei bis heute prägt. Andererseits könnte das Dokument in den kommenden Jahren auch als Mahnmal für die selbstverschuldete politische Unmündigkeit der CSV dienen.

Eine Partei als europäisches Auslaufmodell

Bei allen hausgemachten Fehlern und Versäumnissen ist die CSV jedoch nicht alleine an ihrem schleichenden Niedergang schuld. Der Abstieg der christlich-sozialen Volkspartei reiht sich nämlich durchaus in einen europäischen Trend ein.

Wenn man es genau nimmt, dann ist die Zeit der klassischen Volksparteien ohnehin schon lange vorbei. Von Journalisten und Politologen wird „das Ende der Volksparteien“ schon seit Jahrzehnten beschworen. Zunächst bezog sich dieser Befund auf den Niedergang der Sozialdemokratie in Europa. Doch heute ist auch die Übermacht der Mitte-Rechts-Variante, also der christdemokratischen Parteien, Geschichte. Nur die wenigsten Mitglieder der Europäischen Volkspartei (EVP) erreichen in ihren Ländern noch Wahlergebnisse von über 30 Prozent und erfüllen auch soziologisch noch die traditionelle Definition einer Volkspartei.

Über die Gründe lässt sich mutmaßen und streiten. Doch auch ein Blick auf Luxemburg zeigt, dass das Angebot der christdemokratischen Programmatik für viele Wählerinnen und Wähler immer weniger attraktiv ist. Der allmächtige CSV-Staat ist ebenso passé wie die Übermacht des katholischen Konservatismus gegenüber anderen Milieus oder Ideologien. Der CSV ist das soziale Fundament ihres Selbstverständnisses als Volkspartei abhanden gekommen. Ihre Öffnung für andere Wählerschichten wird also in Zukunft auf einem wesentlich tieferen elektoralen Niveau stattfinden.

Eine Volkspartei ohne Volk, ohne Macht, ohne Kompass: In der Opposition werden die strukturellen Schwächen der einstigen „ewigen Regierungspartei“ immer offensichtlicher. (Foto: CSV-Fraktion)

Dass weite Teile des Wahlvolks nicht mehr einem bestimmten Milieu oder einer Ideologie verhaftet zu sein scheinen, ist dabei keine allzu neue Feststellung. Das gilt nicht nur für das katholisch-konservative, sondern auch für das gewerkschaftliche oder das moderne bürgerliche Milieu. Die Milieuzugehörigkeit nimmt ab und in ähnlichem Maß steigt auch im Großherzogtum die Fragmentierung der Parteienlandschaft, wie sie in den meisten europäischen Staaten schon zur Normalität gehört. Die Parteien der politischen Mitte verstehen sich zwar nach wie vor als „catch-all“-Parteien, doch die Wahlberechtigten lassen sich nicht mehr so leicht einfangen und noch schwerer dauerhaft an eine bestimmte Partei binden.

Hinzu kommt die Besonderheit des luxemburgischen Wahlsystems, das einen über Parteigrenzen respektierten „Übervater“ wie Jean-Claude Juncker und damit die ganze CSV über Jahre hinweg begünstigte. Eine Partei, der es an charismatischen und glaubwürdigen Führungsfiguren mangelt, hat in einem stark personalisierten Verhältniswahlrecht wie in Luxemburg dagegen ein (neues) strukturelles Problem.

Eine Partei, die sich mit Wandel schwertut

All diese Facetten der Krise einer Volkspartei sind nicht unbedingt neu. Doch sie stellen besonders die CSV vor Probleme. Denn die Christsozialen hängen an ihren überkommenen Traditionen und scheuen den Wandel stärker als andere Parteien. Dabei kommt ein Festhalten am Mythos der Volkspartei für sie einem Leben in der Vergangenheit gleich. Will die CSV noch relevant bleiben, muss sie sich neu erfinden. Sie muss die Oppositionsrolle ernst nehmen, ihre Basis zur Teilhabe motivieren und sich an die neue, diversifizierte Parteienwelt anpassen. Nicht zuletzt muss sie Themen besetzen, die von der Konkurrenz der Regierungsparteien links (oder rechts, oder sonstwo) liegen gelassen werden.

Auch wenn seine Amtszeit grandios scheiterte, war der scheidende Vorsitzende zumindest in Sachen Problemdiagnose keine Fehlbesetzung. „Wir müssen feststellen, dass wir mitten in der Gesellschaft an Boden verloren haben“, sagte Frank Engel vor rund zwei Jahren im Interview mit Reporter.lu. „Davon profitieren vor allem DP und Déi Gréng. Blau und Grün kommen nicht nur modern, nett und dynamisch daher. Sie scheinen die Lebenswirklichkeiten vieler Bürger besser zu kennen und zu erkennen als wir.“

Auch andere innerhalb der CSV haben die vielfältigen Probleme der eigenen Partei längst erkannt. Schwerer ist freilich die Therapiemethode für die multiplen Beschwerden einer früheren Volkspartei, die selbst in einer präzedenzlosen Krisensituation wie der Pandemie zum Regieren nicht mehr gebraucht wird. Vielleicht sollte die CSV aber genau an diesem Punkt zuerst ansetzen und sich von dem hehren Ziel, unbedingt „Volkspartei“ sein zu wollen, verabschieden. Ohne den Anspruch, die CSV von früher zu sein, klappt es vielleicht tatsächlich eines Tages mit der viel beschworenen Erneuerung. Einsicht ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung.


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