Déi Gréng wollen weiter regieren und auf ihrer Arbeit der letzten fünf Jahre aufbauen. Doch in ihrem Wahlprogramm vermeiden sie Debatten und bieten kaum konkrete Antworten auf die Gretchenfrage des Wahlkampfs: Wie hast Du’s mit dem Wachstum?
Zwischen Audi-Händler und anderen mittelständischen Betrieben liegt die Junglinster Mehrzweckhalle mit riesigem Parkplatz. Vor der Tür wehen grüne Fahnen und parken drei Fahrräder. Ein heißer Samstagvormittag, alle bis auf Felix Braz haben aufs Sakko verzichtet. Es tagt der Wahlkongress der Grünen.
Die Partei ist zum ersten Mal in ihrer 35-jährigen Geschichte Teil einer Regierung und hat offensichtlich daran Gefallen gefunden. „Wir haben in fünf Jahren mehr umgesetzt als in 30 Jahren Opposition. Wir wollen eine Verlängerung unseres Vertrags für weitere fünf Jahre“, sagte Parteipräsident Christian Kmiotek ohne Scheu. Ganz nach der münteferingischen Maxime: Opposition ist Mist.
„Luxemburg – ein Land am Limit“
Doch die Grünen stehen zum ersten Mal vor dem Dilemma einer Regierungspartei: Einerseits müssen sie irgendwie erklären, dass die Lage schlimm ist und nur sie die richtigen Lösungen haben. Andererseits versuchen die grünen Minister die Bilanz ihrer Arbeit möglichst positiv darzustellen.
Ein Beispiel ist der Klimaschutz. Dazu heißt es: „Bei der nationalen CO2-Bilanz (konnte) erstmals ein erkennbarer Rückgang der Emissionen verzeichnet werden.“ Das ist im besten Fall beschönigend und im schlimmsten naiv. Denn der Rückgang hat nichts mit politischen Entscheidungen zu tun, sondern mit dem Schließen des Twinerg-Kraftwerks und einem zeitweiligen Rückgang beim Tanktourismus. Ein erneutes Steigen der Emissionen ist wahrscheinlich.
Wachstum wird das Thema des Wahlkampfs sein.“Christian Kmiotek
Neben wenig begründetem Optimismus enthält das Programm auch eine gesunde Dosis Alarmismus: „Luxemburg – ein Land am Limit“ lautet der Titel der Einleitung. Das „enorme Wachstum“ führe zu verstopften Straßen sowie knappen und teureren Wohnungen. Doch Gott sei Dank gibt es das Mobilitätskonzept „Modu 2.0“. Nachhaltigkeits- und Infrastrukturminister François Bausch meinte, nun müsse dieser Fahrplan umgesetzt werden – mit dem „richtigen Piloten im Cockpit“ (damit meinte er sich) und nicht mit einem „Zauderer“ (damit meinte er wohl den früheren CSV-Ressortminister Claude Wiseler).
„Well mir eist Land gär hunn“
„Wachstum wird das Thema des Wahlkampfs sein“, sagte Kmiotek bei der Vorstellung des Wahlslogans knapp zwei Wochen zuvor. Und tatsächlich zieht sich die Wachstumsfrage wie ein roter Faden durch das Programm. „Für uns ist die Wachstumsdebatte der Versuch, Luxemburgs Entwicklungsfähigkeit zu erhalten. Für andere ist es der Versuch über den Umweg dieser Debatte, die Grenzen zu schließen – für Einwohner und Grenzgänger“, erklärte der grüne Spitzenkandidat im Süden, Felix Braz mit dem impliziten Haken gegen den „Wee 2050“.
In diesem Punkt ist das grüne Wahlprogramm glasklar: Sie sind nicht gegen weiteres Bevölkerungswachstum. Luxemburg sei ein Immigrationsland – „unsere Offenheit nach außen war und ist unsere Stärke, und die möchten wir uns erhalten“.
„Wir wollen den Bürgern helfen, sich in der schnellen Welt und der Globalisierung besser zurechtzufinden“, sagte Umweltministerin Carole Dieschbourg. Man wolle den „Boden“ schützen, denn dies sei die Grundlage, um die Beziehungen zwischen Menschen und Natur aber auch zwischen Menschen zu kitten. Es gelte das „Doheem“ vor dem Turbokapitalismus zu schützen, drückte es der Co-Präsident der jungen Grünen Meris Sehovic in der Zeitschrift „forum“ aus. Dieses Schutzbedürfnis der heimischen Scholle drückt sich auch im Wahlslogan „Zukunft, Zesummenhalt, gutt Liewen. Well mir eist Land gär hunn“ aus.
„Anstelle eines wilden Wachstums wollen wir eine intelligente und zukunftsfähige Weiterentwicklung dieses Landes“, formulierte François Bausch es etwas technokratischer. Doch das Wachstum an sich stellen die Grünen nicht in Frage, es soll aber „umweltverträglich“ sein.
Ernstfall Tanktourismus
Doch beim offensichtlichsten Ressourcenproblem Luxemburgs – dem Tanktourismus – kneifen Déi Gréng. Zur Erinnerung: Der Transport ist für knapp Zweidrittel der schädlichen Klimagase in Luxemburg verantwortlich und der CO2-Ausstoß der Autos stieg 2017 zum ersten Mal wieder an. Doch im Wahlprogramm heißt es windelweich: „Die finanziellen und volkswirtschaftlichen Risiken des Tanktourismus wurden erkannt und berechnet. Jetzt gilt es daraus auch die Konsequenzen mutig zu ziehen.“
Der Tanktourismus müsse „mittelfristig“ verringert werden und die öffentlichen Finanzen weniger abhängig von diesen Einnahmen und jenen aus dem Tabakverkauf werden, heißt es weiter. Doch welche Konsequenzen den Grünen vorschweben, bleibt dem Wähler verborgen. Und das obwohl die Tanktourismusstudie seit anderthalb Jahren vorliegt. Geht es darum, den Diesel höher zu besteuern? Wenn ja, wann und wie schnell? Wird die Autosteuer erhöht?
Zwar heißt es im Text, dass die Grünen 100 Prozent Elektromobilität erreichen wollen und demnach mit fossilen Brennstoffen fahrende Autos verschwinden sollen. Doch auch hier gibt es keinen Zeitplan, sondern nur den Hinweis, dass Luxemburg sich im europäischen Spitzenfeld befinde, was Elektro- und Hybridautos angehe. Das klingt gut, aber nur ein Prozent der Privatautos in Luxemburg fallen in diese Kategorie, zeigen Zahlen des Statec.
Dass es auch anders geht, zeigen die deutschen Grünen: „Ab 2030 sollen nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden“, hieß es in deren Programm für die Bundestagswahlen 2017. In der Luxemburger Rifkin-Strategie wird gar 2025 als Zieldatum zurückbehalten. Und auch Déi Lénk äußern sich konkret in ihrem Wahlprogramm: Sie wollen „die Besteuerung von Diesel-Kraftstoffen schrittweise erhöhen, um die Luftqualität zu verbessern und progressiv aus dem Tanktourismus auszusteigen“.
Radikale Grundsatzerklärung, lauwarmes Wahlprogramm
Was die Wachstumsfrage betrifft, wollen die Grünen vor allem viel prüfen und diskutieren. Die Luxemburger müssten gemeinsam über Konsumstile und Gesellschaftsziele entscheiden. Das Bruttosozialprodukt soll als Messlatte für das Wohlergehen Luxemburgs durch andere „statistische Kennzahlen“ ersetzt werden, die den „sozialen und ökologischen Wohlstand“ erfassen.
Den Rest erledigt die Technik. Die Grünen setzen vor allem auf Energieeffizienz und den möglichst geringen Verbrauch von Ressourcen, um die Wachstumsfolgen im Griff zu behalten. Auf der Grundlage eines Antrags von Claude Turmes stimmten die Parteimitglieder dafür, einen einheitlichen Mindestpreis für CO2-Emissionen zwischen Luxemburg und seinen Nachbarländern einzuführen. So soll die Industrie einen finanziellen Anreiz haben, weniger klimaschädliche Gase auszustoßen.
Können wir uns auf Innovationen verlassen, um die ökologischen Probleme zu lösen bzw. mit ihren Auswirkungen umzugehen?“Bündnis 90/Die Grünen
Damit setzen sich die Grünen von anderen Parteien ab. Und trotzdem muss man ihre Vorschläge auch an der eigenen Grundsatzerklärung messen. Und da fällt ein wesentlicher Unterschied auf: Neben dem Effizienzgedanken taucht nämlich im 2013 verabschiedeten Prinzipientext der Begriff der „suffizienten Lebensweise“ auf. Dieser Ansatz fehlt jedoch im Wahlprogramm.
Das ist deshalb relevant, weil der Begriff mit seiner Kritik an der Konsumgesellschaft ganz klar dem Lager der Wachstumskritiker zuzuordnen ist bzw. jenen, die sich für eine Gesellschaft ohne Wachstum einsetzen. Oder „Spinner“, wie der LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider sie wenig feinfühlig nennt.
„Grünes“ Wachstum als Ziel
Auch hier ist der Blick über die Mosel interessant. Die bundesdeutschen Grünen arbeiten an einem neuen Grundsatzprogramm. Die Debatte läuft noch, aber die aufgeworfenen „neuen Fragen zur Ökologie“ sind interessant: „Müssen wir uns als Menschen selbst begrenzen, um die Natur zu bewahren und ökologisch nachhaltig zu handeln? Können wir uns auf Innovationen verlassen, um die ökologischen Probleme zu lösen bzw. mit ihren Auswirkungen umzugehen? Brauchen wir eine Wirtschaftsordnung ohne Wachstum?“
Diese Fragen fanden keinen Niederschlag im Wahlprogramm von Déi Gréng. Die Luxemburger Grünen sprechen lieber von „grüner Ökonomie“ und „ökologischer Modernisierung“ – beides Konzepte, die in Gremien wie der OECD ersonnen wurden, um Wirtschaftswachstum und Umweltschutz in Einklang zu bringen. Um es drastisch auszudrücken: Suffizienz ist, wenn man Fahrrad fährt. Effizienz ist, wenn man den elektrobetriebenen SUV wählt.
Die laue Position von Déi Gréng stört auch ihre Verbündeten beim Mouvement écologique. Die aktuelle Koalition habe keine gesellschaftliche Umorientierung angestoßen, kritisierte die Umweltbewegung. Der Wachstumdebatte fehle es an Tiefe.
Die Kröten, die zu schlucken sind
Der Mouvéco kritisiert vor allem, dass es nicht zu einer nachhaltigen Steuerreform gekommen ist. Sprich: Dass die Regierung es versäumte, über die Besteuerung den Ressourcenverbrauch zu lenken. Obwohl es im Regierungsprogramm von 2013 klare Verweise auf die ökologischen Anforderungen einer Steuerreform gab, blieb ein solcher Umbau aus. Aus grüner Sicht ist das sicherlich der größte Rückschlag ihrer ersten Regierungsbeteiligung. Doch vielleicht klappt es ja diesmal: Die Grünen übernahmen die entsprechende Passage aus dem Wahlprogramm von 2013 per Copy-and-Paste in das neue Programm.
De François Bausch hätt an der Oppositioun Nee zu Ceta gesot.“Greenpeace
Gerade in Sachen Steuerreform konnten sich die Grünen nicht durchsetzen. In den Verhandlungen hätten sie konkrete Vorschläge zur Vermeidung des Armutsrisikos von Alleinerziehenden, zum Abschaffen der Steuervorteile für Managerboni („stock options“) und zur Besteuerung des Mindestlohns vorgelegt, sagte Kmiotek am Samstag vor dem Wahlkongress. Doch gerade von seiten der LSAP habe es keine Unterstützung gegeben.
Zerreissprobe Ceta
Doch diese konkreten Vorschläge fehlen im Wahlprogramm. Die „stock options“ wollen die Grünen „progressiv zurückführen“. Ob das einer Abschaffung gleichkommt, ist wohl Verhandlungsmasse für etwaige Koalitonsverhandlungen. Doch was die Alleinerziehenden und Mindestlohnempfänger angeht, heißt knapp: Man wolle die Steuerreform „gegebenenfalls nachbessern“.
Die Episode der Steuerreform zeigt jedoch auch die schwierigen Seiten des Regierens, so sehr Déi Gréng wieder Teil eines Kabinetts sein wollten. Die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens Ceta war eine Zerreissprobe für die Partei. Déi Gréng stimmten dem Abkommen in der Koalition zu und riefen parallel zu Demos gegen Ceta auf. Greenpeace Luxemburg übte Druck aus: „De François Bausch hätt an der Oppositioun Nee zu Ceta gesot“.
Parteien müssen sondierungsfähig bleiben.“Robert Habeck
Vor den Wahlen im Oktober wollen die Grünen das heiße Thema nicht wieder anfassen. Ceta findet keine Erwähnung im Programm, obwohl die Luxemburger Ratifizierung des Abkommens noch aussteht. Vor der Bundestagswahl lehnten die deutschen Grünen ab, Ceta in seiner jetzigen Form endgültig anzunehmen. Ihre Luxemburger Kollegen beschränken sich auf die Forderung nach einem „fairen Welthandel“. Sie nennen konkrete Bedingungen, aber kein Abkommen beim Namen.
Maximal koalitionsfähig
Aus den Inhalten des Wahlprogramms lässt sich bereits herauslesen, welche Ressorts die Grünen wollen. Außenpolitik und Finanzen gehören offensichtlich nicht dazu, denn diese Themen werden kurz und knapp abgehandelt. Ein Hinweis darauf, wie sich Luxemburg zu Fragen wie Brexit oder die Reform der Eurozone positionnieren sollte, sucht man vergeblich. „Langfristig ausgeglichene öffentliche Finanzen“ heißt ein Unterkapitel. Doch was das heißt und wie Déi Gréng dieses Ziel erreichen wollen, wird ebenfalls nicht ausgeführt. Wie bereits in der Koalitionsarbeit der letzten fünf Jahre beschränken die Grünen sich weitgehend auf ihre (vermeintlichen) Kernthemen: Umweltschutz und Mobilität.
Als Déi Gréng im Juni sich selbst und das 35-jährige Bestehen ihrer Partei feierte, machte ihnen der Bundesvorsitzender der deutschen Grünen und Oberrealo Robert Habeck Mut: Bei einer Regierungsbeteiligung gebe es die Spannung zwischen Idealen und Pragmatismus. Doch beide Pole seien keine Widersprüche, sondern eher Gegensätze, die sich bedingen. „Parteien müssen profiliert kämpfen, sonst sind sie grau. Trotzdem müssen sie sondierungsfähig bleiben“, so Habeck weiter.
Diese Lektion haben die Grünen offensichtlich verinnerlicht. Sie bleiben ihrem Programm von 2013 treu und doch wurden alle Ecken und Kanten entfernt. Parteipräsident Kmiotek bezeichnete das Wahlprogramm als „solide Verhandlungsbasis“ für Koalitionsverhandlungen. Und vergaß dabei, dass erst noch die Wähler überzeugt werden müssen.