Luxemburg hat es geschafft, weiter zu wachsen und trotzdem den CO2-Ausstoß zu senken. Das ist die positive Erzählung, die in der Wachstumsdebatte aktuell die Runde macht. Ganz so einfach ist es aber nicht. Eine Analyse.

Luxemburg ist ein 600.000-Einwohnerstaat. Das bestätigte die Statistikbehörde Statec am Donnerstag ganz offiziell. Damit stieg die Bevölkerung in der Amtszeit der aktuellen Regierung um fast zehn Prozent. Diese symbolische Zahl wird die Wachstumsdebatte weiter anheizen.

Doch selbst grüne Regierungsmitglieder sagen, dass Luxemburg bereits den (teilweisen) Umstieg auf ein „qualitatives Wachstum“ geschafft hat. „Die Entkopplung von Bevölkerungswachstum und CO2-Ausstoß“ sei gelungen, sagte der Staatssekretär für Umwelt Camille Gira schon vor rund zwei Jahren.

Die gute Nachricht: Luxemburg erfüllt Kyoto-Ziele

Im Januar betonten Gira und Umweltministerin Carole Dieschbourg erneut eine positive Klimabilanz – trotz Wachstum. In dieser Legistlaturperiode erreiche Luxemburg seine Ziele, die das Kyto-Klimaabkommen festgelegte, heißt es auf Nachfrage aus dem Umweltministerium.

Der Statec und das „Think Tank“ Idea verbreiten eine Grafik, die dieses hoffnungsfrohe Szenario belegt. Das Bruttoinlandsprodukt legte zwischen 2005 und 2016 deutlich zu, die Bevölkerung wuchs etwas weniger schnell. Und die Kurve der Treibhausgase zeigt nach unten – der Ausstoß sank um 18 Prozent. Mit dieser Entwicklung hält Luxemburg tatsächlich 2020 das Ziel von minus 20 Prozent gegenüber 2005 ein.

Die schlechte Nachricht: Der Trend kann sich umkehren

Das größere Bild spricht allerdings eine andere Sprache. Es ist nicht so, dass Luxemburg heute weniger Treibhausgase ausstößt als je zuvor. 1998 lag der CO2-Ausstoß bei 7,6 Millionen Tonnen, also 18 Prozent unter dem Wert von 2015.

Die Entwicklung ist demnach alles andere als eine Linie, die stetig nach unten zeigt. Der Verlauf erinnert eher an Wellen. Und wenn Luxemburg aktuell in einem Wellental ist, dann gibt es durchaus Anzeichen, dass das Niveau wieder steigt.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Luxemburger Regierung einen Trend falsch einschätzt. Im Rahmen des Kyoto-Abkommens versprach die Regierung, bis 2012 die Treibhausgase um 28 Prozent zu senken. Am Ende wurde 2011 nur ein Minus von knapp acht Prozent erreicht.

Von der Stahlindustrie zum Tanktourismus

Die Regierung vertraute Ende der 1990er Jahre auf ein besonderes Phänomen: Die Stahlindustrie setzte ab 1994 auf Elektrostahlöfen. Die bis dahin in der Stahlherstellung notwendig Kohle fiel weg und damit auch gewaltige Mengen an CO2. Den Strom für die Elektroöfen kaufte die Arbed im Ausland ein und so wurden die damit verbundenen CO2-Emissionen dort verbucht und nicht hierzulande. Ein doppelter Gewinn für Luxemburg.

1990 machte die Stahlherstellung knapp die Hälfte aller CO2-Emissionen aus. Bis 1998 schrumpfte der Anteil auf ganze fünf Prozent. Das alleine hätte gereicht, um das Kyoto-Ziel zu erfüllen.

Ja, wenn nicht der Tanktourismus wäre. Mit 1,7 Millionen Tonnen CO2 trug der „Treibstoff-Export“ 1990 zu 13 Prozent der gesamten Emissionen bei. In den 1990er Jahren explodierte das Phänomen der Touristen mit Tankkanister: 2000 lag der Anteil bei knapp 37 Prozent. Der Tanktourismus verschuldete dreimal mehr Emissionen als die im Inland genutzten Fahrzeuge. Nach einem Maximum Mitte der 2000er Jahre sanken die Emissionen aus dem Tanktourismus, aber der Anteil lag 2015 weiterhin bei 37 Prozent.

Der Aufstieg des Tanktourismus hob damit die Senkung der Emissionen durch die Umstellung auf Elektrostahlöfen auf. Der einmalige Effekt verpuffte.

Die Schließung eines Kraftwerks und ihre Folgen

Die sinkenden Emissionen haben einen zweiten Grund, der genauso einmalig ist: 2016 schloss das Gas- und Dampfkraftwerk Twinerg in Esch-Raemerich endgültig. Auch seine Geschichte hat mit der Stahlindustrie zu tun: Das Ziel war, dass das Kraftwerk den Strom für die drei Elektrostahlwerke liefert. Die Energie sollte im Land produziert statt importiert werden.

Das erste und einzige Kraftwerk des Landes wirkte sich deutlich auf die Klimabilanz aus. Ab 2002 war die Twinerg für knapp zehn Prozent des CO2-Ausstoßes des Landes verantwortlich (siehe den Teil Energieerzeugung in der Grafik). Doch ab 2011 kaufte ArcelorMittal der Twinerg kaum noch Strom ab und das Kraftwerk verlor seine Existenzberechtigung. Der Niedergang der Twinerg half Luxemburg jedoch seine Emissionen wieder zu senken. Zwischen dem Höhepunkt der Stromproduktion 2006 und dem letzten Betriebsjahr 2015 sanken die Emissionen immerhin um etwa 0,85 Millionen Tonnen CO2.

Das gilt aber eben nur, weil die Klimaabkommen bestimmen, dass der Tanktourismus zwar dem Luxemburger Konto angelastet wird, aber nicht die Stromimporte der Stahlindustrie. Dabei machen letztere knapp ein Viertel des gesamten Luxemburger Stromverbrauchs aus.

Die Umweltverwaltung machte sich die Mühe, das tatsächlich in Luxemburg ausgestoßene CO2 auszurechnen – sprich minus Tanktourismus und plus Stromimporte. Das Ergebnis: Der CO2-Ausstoß lag 2015 – nach dem Ende der Twinerg – 1,6 Millionen Tonnen über dem Wert nach internationalen Vorgaben. Das Argument, dass es unfair sei, Luxemburg die Emissionen aus dem hierzulande getanktem aber anderso verfahrenen Sprit anzulasten, ist demnach fragwürdig.

Klimaschutz per Zufallsprinzip

Bei ihrer weitgehend positiven Klimabilanz verschweigt die Regierung demnach einen wichtigen Faktor: Politische Entscheidungen spielten dabei keine Rolle. „Die abnehmenden Emissionen seit 2012 sind hauptsächlich dem progressiven Abschalten des Twinerg-Kraftwerks und langsam sinkenden Verkäufen von Treibstoffen geschuldet“, heißt es dann auch in einem Bericht der Umweltverwaltung und des Nachhaltigkeitsministeriums von April 2017.

Tatsächlich sieht die Regierung selbst die Gefahr, dass der CO2-Ausstoß wieder steigen wird. Im November 2016 gaben Dieschbourg und Gira an, 2018 könnte Luxemburg seine Klimaziele noch knapp erfüllen. Ohne weitere Gegenmaßnahmen würden die Emissionen bis 2020 bei etwa 8,5 Millionen Tonnen konstant bleiben. 2020 könnten sie dann allerdings auf 8,6 Millionen Tonnen steigen.

Abwarten … kurz vor den Wahlen

Die exakten Zahlen zu den Emissionen 2017 sowie Tendenzen für laufende Jahr lägen noch nicht vor, heißt es aus dem Umweltministerium. „Deshalb können wir momentan noch nichts Abschließendes sagen, welche Maßnahmen noch in dieser Legislaturperiode nötig sind“, so ein Sprecher auf die Frage, was im Dossier Tanktourismus geplant ist.

Im Wohnungsbau und beim Energieverbrauch gebe es eine „gewisse“ Entkopplung zwischen Wachstum und CO2-Emissionen. Das gelte aber nicht für den Transport und die Landwirtschaft, so das Umweltministerium.

Gerade der Transport birgt Risiken. 2017 stieg der CO2-Ausstoß der neuen Autos wieder an, sagt Nachhaltigkeitsminister François Bausch (Déi Gréng). Neue Testverfahren liefern realistischere Werte zur Klimaschädlichkeit und lassen die bilanzierten Emissionen steigen. In einem Land, wo der Transportsektor zwei Drittel des gesamten CO2-Ausstoßes ausmacht, kann das bittere Folgen haben. Und den Traum der Entkopplung platzen lassen.