Aufgrund falscher CO2-Werte entgingen dem Luxemburger Staat in den vergangenen Jahren über 100 Millionen Euro an Autosteuern. Nun diskutieren die Ministerien über eine Anpassung. Doch im Vorwahlkampf ist das heikel.
Guido Savi ist ein ruhiger Mensch. Er argumentiert mit Zahlen, Fakten und technischen Zwängen. Hochgewachsen, die dunkelgrauen Haare nach hinten gekämmt, akkurat gekleidet, erhebt er seine Stimme selten. Der Belgier ist Cheflobbyist der Autoindustrie in Luxemburg. Manchmal regt er sich dann doch auf: „Die Automobilbranche wird von allen Seiten attackiert – von der Presse und der Politik. Und wir verteidigen uns sehr schlecht“, sagte Savi bei einer Veranstaltung Ende Februar von Link2Fleet, einer Plattform von Fahrzeugpark-Managern.
Seit Februar 2016 vertritt Savi den belgischen Verband der Autoindustrie Febiac hierzulande und ist für „Public Affairs“ zuständig – er betreibt also Lobbyarbeit. „Die Regulierung der Autos wird immer komplexer, deshalb wollen die Autohersteller auch in Luxemburg präsent sein“, erklärt Savi im Gespräch mit REPORTER. Er versteht seine Arbeit jedoch nicht als Lobbying, sondern sieht sich als Kontaktstelle zwischen der Regierung und der Industrie. „Es ist ein Austausch“, sagt er.
Ein anschauliches Beispiel für seine Arbeit sind aktuelle Diskussionen innerhalb der Regierung, wie und wann die Autosteuer an neue Normen angepasst werden sollte. Das „Lëtzebuerger Land“ berichtete während des Autofestivals erstmals über diese Debatte. Nun geht das Tauziehen in die nächste Runde.
Zwei Ministerien, zwei Positionen
Das Thema ist sieben Monate vor den Parlamentswahlen äußerst heikel. Seit 2007 wird die Abgabe hierzulande auf der Grundlage des CO2-Ausstoßes berechnet. Im politischen Milieu gilt diese Entscheidung als einer der Sargnägel der Karriere des damaligen Umwelt- und Transportministers Lucien Lux (LSAP). Die jetzt diskutierte Reform wird ebenfalls einschneidend sein: Für ein neues Durchschnittsauto würde eine etwa 60 Prozent höhere Autosteuer fällig werden.
Ich fände es eine Katastrophe, die Verbraucher rückwirkend zu bestrafen.“Nachhaltigkeitsminister François Bausch
Der Hintergrund ist, dass die EU etappenweise einen neuen Abgastest einführt, die sogenannte „Worldwide harmonized Light-duty vehicles Test Procedure“, kurz WLTP. Die EU will damit verlässlichere Werte erhalten, um so die Klimaziele zu bestimmen. Nachhaltigskeits- und Infrastrukturminister François Bausch (Déi Gréng) will ab dem 1.September 2019 die Berechnung der Autosteuer auf diesen Test umstellen, sagt er im Gespräch mit REPORTER. „Es ist noch nicht endgültig festgelegt, aber dieses Datum würde ich vorziehen“, so Bausch.
Besitzer von bereits zugelassenen Autos wären von dieser Änderung nicht betroffen, sie würden weiter nach dem CO2-Wert besteuert, der in den Zulassungspapieren steht. „Ich fände es eine Katastrophe, die Verbraucher rückwirkend zu bestrafen“, erklärt Bausch. Die parallelen Besteuerungssysteme wären auch von recht kurzer Dauer: „Da die Autoflotte hierzulande alle sieben Jahre erneuert wird, wäre 2026 demnach kein Auto mehr in Luxemburg auf der Straße, das nach den alten Werten besteuert wird“, so der Nachhaltigkeitsminister.
Ein entsprechender Gesetzesentwurf könne noch vor dem Sommer in die Prozedur gehen, hofft Bausch. Doch das Finanzministerium will davon nichts wissen. Dort heißt es auf Nachfrage von REPORTER, eine gemeinsame Arbeitsgruppe habe vergangenes Jahr beschlossen, die WLTP-Werte vorerst außer Acht zu lassen und was die Besteuerung betrifft, beim aktuell gültigen Abgastest zu bleiben. Diese Position des Finanzministeriums hat natürlich den Vorteil, dieses heiße Eisen der nächsten Regierung zu überlassen.
In der Chamber hat unterdessen niemand das Thema auf dem Schirm. Die Präsidentin der Nachhaltigkeitskommission Josée Lorsché (Déi Gréng) sagte REPORTER, Steuern seien in ihrem Ausschuss grundsätzlich kein Thema. Auch der Präsident der Finanzkommission Eugène Berger (DP) wusste auf Nachfrage hin nichts von einem solchen Dossier.
2018, 2019 oder 2020
Konfrontiert mit den Plänen Bauschs wird der sonst so gelassene Lobbyist Guido Savi nervös. Er dachte eigentlich, die Sache sei erledigt. Ende Februar sagte Savi noch selbstbewusst, er habe beide Ministerien überzeugt, die Übergangsfrist bis 2020 oder gar 2021 auszudehnen. „Es kann keine Rede davon sein, dass Herr Savi mich überzeugt hat“, sagt dagegen Minister François Bausch auf Nachfrage. In den nächsten Wochen ist ein Treffen zwischen dem Ministerium und der Autobranche angesetzt, um die Frage nochmals zu erörtern.
Die Luxemburger Autobranche will schlagkräftiger werden
Die Luxemburger Automobilbranche schließt ihre Reihen, um etwa auf das „exzessive Diesel-Bashing“ (dixit Savi) zu reagieren. Aus dem bisher informellen Zusammenschluss „House of Automobile“ (HoA) wird in den nächsten Wochen offiziell ein Dachverband. „Die Statuten der Asbl werden gerade fertig gestellt“, erklärt Savi. Im September 2016 gründeten die beiden Verbände der Autohändler und Werkstätten Adal und Fégarlux die Plattform zusammen mit Mobiz, dem Vertreter der Autovermieter und Leasingfirmen. Vierter im Bunde ist Febiac, der belgisch-luxemburgische Verband der Autohersteller und Importeure.
Die deutsche Bundesregierung war weniger zögerlich: Im Juni 2017 trat ein Gesetz in Kraft, das vorsieht, die Kfz-Steuer bereits diesen September für neu zugelassene Autos an die WLTP-Tests anzupassen. In Luxemburg störte das Autofestival den Kalender. „Im Prinzip werden die während des Festivals bestellten Autos im Mai oder Juni geliefert. Doch bei Verzögerungen wäre das Stichdatum im September gefährlich nahe gerückt“, erklärt Frank Lentz von der Fégarlux.
2018 ist ein Übergangsjahr für die Einführung des neuen Abgastests, erklären die Experten des Nachhaltigkeitsministeriums. Ab September muss laut EU-Regeln für alle neuen Autos die Messnorm WLTP angewandt werden, um den CO2-Ausstoß festzulegen. Bis September 2019 dürfen die Händler allerdings Autos, die bereits auf Lager sind, weiter verkaufen, auch wenn sie keinen WLTP-Test bestanden haben. „Eine spätere Einführung hat keine Folgen für die Klimaziele Luxemburg“, betont Bausch.
Ich muss mich als Verbraucher eben informieren, welches Auto ich kaufe.“Nachhaltigkeitsminister François Bausch
Die EU-Richtlinie lässt den Mitgliedsstaaten demnach einen Zeitrahmen bis 2020, um den WLTP-Test einzuführen. Mit dem Stichdatum September 2019 wäre Luxemburg im hinteren Mittelfeld, zwischen Deutschland und Österreich. Die Alpenrepublik passt die Steuer erst 2020 an. Allerdings sind noch nicht in allen Mitgliedsstaaten die Würfel gefallen. Der europäische Autoverband ACEA wird sich diesen Mittwoch mit der Frage befassen, sagt Guido Savi. Er vertritt Luxemburg in dieser mächtigen Brüsseler Autolobby.
Savis Hauptargument ist, dass Autobesitzer diskriminiert werden, wenn sie kurz vor oder nach dem Stichdatum 2018 oder 2019 für das gleiche Modell eine unterschiedliche Steuer zahlen. Das hält François Bausch für abwegig: „Ich muss mich als Verbraucher eben informieren, welches Auto ich kaufe.“
Autos stoßen 42 Prozent mehr CO2 aus
Der Grund, warum eine Anpassung der Steuer notwendig wird, hängt mit einer bitteren Erfahrung zusammen, die viele Autofahrer gemacht haben. In den Hochglanzbroschüren der Hersteller und in den Zulassungspapieren stehen Angaben zum Verbrauch und zum CO2-Ausstoß, die nichts mit der Realität zu tun haben. Der Grund: Diese Werte werden bei standardisierten Fahrtests im Labor ermittelt. Die Lücken dieses Verfahren nutzte die Industrie ausgiebig. Das wurde spätestens bei Dieselskandal offensichtlich.
Auf der Straße stoßen neue Autos heute im Schnitt 42 Prozent mehr CO2 aus, als in den Zulassungspapieren steht. Das zeigt eine Studie der Umweltorganisation ICCT. Die Diskrepanz wurde jedes Jahr größer. 2010 lag der Unterschied zwischen Labor und Realität noch bei knapp 20 Prozent. Die Testwerte für Hybridautos betragen gar nur die Hälfte von dem tatsächliche Ausstoß, so die Studie.
Dem Staat entgingen 110 Millionen Euro
Um diese Kluft zumindest ansatzweise zu schließen, beschloss die EU die in den Labors genutzte Testnorm zu ersetzen. Der sogenannte NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) – auf Englisch NEDC – wird schrittweise abgeschafft. Sowohl die Autobranche als auch die Regierung begrüßen diese Umstellung, da bei den WLTP-Tests deutlich realistischere Werte herauskommen.
Die alten Tests täuschten zwar den Autokäufer, aber sie hatten einen netten Nebeneffekt: Die unrealistisch tiefen CO2-Werte drückten die Autosteuer, deren Berechnung sich danach richtet. Deshalb sind dem Luxemburger Staat in den Jahren 2010 bis 2016 etwa 110 Millionen Euro entgangen, schätzt eine am Samstag veröffentlichte Studie der EU-Grünen. Zum Vergleich: Die vier Kilometer Tramstrecke von der Luxexpo zum Flughafen Findel werden 99 Millionen Euro kosten.
Allein für 2016 beziffert die Studie die Einbußen für Luxemburg auf 27 Millionen Euro. Der Schaden entspräche demnach 100 Prozent der Einnahmen, denn 2017 sammelte der Staat lediglich 25,6 Millionen Euro an Autosteuern ein. Laut den Berechnungen der EU-Grünen 2016 sind elf EU-Ländern insgesamt über 10 Milliarden Euro entgangen.
Noch gibt es kaum Ergebnisse aus WLTP-Tests
Für die Autobesitzer droht nun das böse Erwachen: Wird dasselbe Auto nach dem dem alten NEFZ- und WLTP-Verfahren getestet, dann liegt der CO2-Wert im Schnitt bei letzterem 20 Prozent höher, erklärt Guido Savi. Damit fällt auch die Autosteuer höher aus. Ein Rechenbeispiel: Neuwagen stoßen in Luxemburg im Durchschnitt 126 Gramm CO2 pro Kilometer aus, gemessen nach NEFZ. Dieser Wert entspricht etwa einem VW Golf mit Dieselmotor und 150 PS. Folgt man der Einschätzung der Febiac, dass dieser Wert durch das WLTP-Testverfahren um 20 Prozent steigt, dann würden aus 126 demnach 151 Gramm CO2. Aus der aktuellen Autosteuer von 102 Euro würden in diesem Szenario 163 Euro, also 60 Prozent mehr. Bei einem SUV wie dem BMW X3 mit 190 PS würde die Autosteuer von 140 auf 214 Euro steigen.
Die US-Behörden warnen davor, zu glauben, dass mit dem WLTP-Test die Tricksereien enden“.EU-Abgeordneter Claude Turmes
Noch ist das allerdings eine theoretische Rechnung. Je nach Automodell kann der Unterschied mehr oder weniger stark ausfallen. Das Luxemburger Nachhaltigkeitsministerium geht davon aus, dass die WLTP-Werte zwischen vier und 20 Prozent über den aktuellen liegen. Es fehlt noch an verlässlichen Daten: „Wir verfügen bisher über wenig Tests, die den WLTP-Wert bereits angeben“, sagt Dina Freitas vom ACL. Die Hersteller testen zwar bereits nach der neuen Messnorm, doch da die Modelle noch nicht verkauft werden, sind die Werte auch nicht öffentlich, erklärt Savi.
Selbst das neue WLTP-Testverfahren löst das Problem nicht. „Die US-Behörden warnen davor, zu glauben, dass damit die Tricksereien enden“, erzählt der EU-Abgeordnete Claude Turmes (Déi Gréng). Das Europaparlament fordere deshalb, die Abgase während des Fahrens auf der Straße zu testen – sogenannte „real world driving emission tests“ (RDE), wie es in den USA üblich ist. Laut der Umweltorganisation ICCT könnte dieser Schritt die Diskrepanz zwischen Realität und Tests auf 10 Prozent begrenzen.
Seit 2017 werden solche Messungen unter realen Bedingungen eingesetzt, um die Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte zu kontrollieren. In einem Brief an die EU-Kommission setzte sich Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) zusammen mit ihren Kollegen aus sechs weiteren Mitgliedsstaaten ebenfalls für die RDE-Tests ein.
Eine wirkungslose Steuer
Doch selbst realitätsnähere Abgaswerte helfen wenig, wenn die Steuer kaum Einfluss auf das Verhalten der Autokäufer hat. Und da läuft einiges schief: 2017 stieg der CO2-Ausstoß der neuen Autos wieder an, sagt Bausch. Das hat zwei Gründe: Die Luxemburger kaufen immer mehr SUVs, die schwerer sind und deshalb mehr verbrauchen. Außerdem steigt der Anteil der Benziner, die technisch bedingt mehr CO2 ausstoßen als ein Dieselauto. Bereits 2016 lag der Schnitt von in Luxemburg gekauften Autos bei 126 Gramm CO2 pro Kilometer. Das war deutlich mehr als der EU-Durchschnitt von 118 Gramm.
Sowohl für den ACL als auch für Nachhaltigkeitsminister Bausch ist eins unbestritten: Die Autosteuer entspricht heute ganz klar nicht dem Verursacherprinzip („polluer-payeur“). „Die Steuer bleibt ungerecht, weil es egal ist, wie viel ich fahre“, meint Bausch. Im Ministerium laufen tatsächlich erste Überlegungen künftig die Autosteuer nach gefahrenen Kilometern zu berechnen. Spätestens wenn es keine Verbrennungsmotoren mehr gibt, fällt das Kriterium des CO2-Wertes weg, denn ein Elektroauto emittiert kein Treibhausgas.
Heute gilt noch: Wer mehr fährt muss auch öfters tanken. Statt auf eine kilometerbasierte Steuer zu setzen, könnte der Staat auch die Akzisen auf Benzin und Diesel erhöhen. „Der Spritpreis wäre der richtige Weg“, meint jedenfalls Bausch. Ihm schwebt eine europäische Harmonisierung vor. Wenn es um Preise an der Pumpe geht, werden grüne Politiker auch ohne Lobbydruck vorsichtig. Man kann die Spritpreise erst erhöhen, wenn die Infrastruktur für Alternativen wie Elektroautos und öffentlichen Transport steht, sagt Claude Turmes. Guido Savi wird es freuen.