Wie wirksam sind die Strafmaßnahmen, die der Westen wegen des Ukraine-Kriegs gegen Moskau verhängt hat? Die Sanktionen werden der russischen Volkswirtschaft eher langfristig schaden. Über die wirksamsten Schritte wird jedoch am wenigsten gesprochen.
Als Russland am 24. Februar in die Ukraine einmarschierte, machte sich Oleg auf Turbulenzen gefasst. Der leitende Angestellte einer russischen Fluggesellschaft brauchte nicht lange zu warten. Innerhalb weniger Tage hatten westliche Länder ihren Luftraum für die Flugzeuge seiner Gesellschaft gesperrt. Sie untersagten auch den Export von Flugzeugteilen und Halbleitern nach Russland: ein Problem, weil drei Viertel der zivilen Luftflotte des Landes aus den USA, Europa oder Kanada stammen und Ersatzteile für Reparaturen benötigt werden.
Viele Analysten sagten voraus, dass die Branche noch vor dem Sommer zusammenbrechen würde. Tatsächlich ist es den Fluggesellschaften gelungen, für ihre Flugzeuge ein Rotationssystem einzuführen, um wichtige Strecken offen zu halten. Aber sie werden der Schwerkraft nicht ewig trotzen können. Einige fangen an, stillgelegte Flugzeuge für Teile auszuschlachten. Oleg erwartet, dass viele Flugzeuge innerhalb von ein oder zwei Jahren nicht mehr betriebssicher sein werden.
Der verzögerte, aber gefährliche Abstieg der russischen Luftfahrt veranschaulicht die tückische Macht westlicher Sanktionen. Seit Februar haben die USA und ihre Verbündeten ein beispielloses Arsenal von Maßnahmen erlassen, um zu versuchen, die elftgrößte Wirtschaft der Welt zu schädigen. Die Hoffnung lautet: Russland soll die Kriegsbemühungen eindämmen, Bürger und Plutokraten sollen protestieren und andere Gegner (namentlich China) von ähnlichen Eskapaden abgehalten werden.
Einige Sanktionen, wie das Einfrieren der Vermögenswerte von Kreml-Freunden, sind alte Taktiken in neuer Größenordnung. Diejenigen Sanktionen, die Russland aus dem Finanzsystem isolieren sollen – der Ausschluss von Geschäftsbanken von SWIFT, einem Messaging-Netzwerk und die Immobilisierung von 300 Milliarden Dollar an Zentralbankreserven – sind neuartige und wirksame Waffen. Ein dritter Typ, umfassende Exportverbote, hatte sich bisher gegen einzelne Unternehmen und nicht gegen ein ganzes Land gerichtet.
Doch die verschiedenen Wellen von Sanktionen – die EU hat im Juli ihr siebtes Paket verabschiedet – haben die Festung Russland nicht zerstört. Während die Gaspreise in die Höhe schnellen, steigen die politischen Kosten der Sanktionen. Verliert der Westen also den Wirtschaftskrieg? Nicht wirklich. Wie in der Luftfahrtindustrie wird es einige Zeit dauern, bis sich der Schaden auswirkt. Bei Russland, einem Land mit geringer Auslandsverschuldung und enormen Devisenreserven, war es immer unwahrscheinlich, dass es einem finanziellen Infarkt erliegen würde. Selbst wenn Sanktionen am erfolgreichsten sind, wie etwa als Libyen 2003 gezwungen wurde, Massenvernichtungswaffen aufzugeben, haben die Maßnahmen Jahre gebraucht, um zu wirken.
Wenig wirksamer Kampf gegen Oligarchen
Die am wenigsten wirksamen Sanktionen sind dabei diejenigen, die die meiste Aufmerksamkeit erregt haben: die schwarze Liste von Apparatschiks, die als kremlnah gelten. World-Check, eine Datenfirma, schätzt, dass 1.455 Mitglieder der kleptokratischen Elite Russlands jetzt nicht mehr in der Lage sind, in einige oder alle westlichen Länder zu reisen oder dort auf ihren Besitz zuzugreifen, oder beides. Die eingefrorenen Vermögenswerte umfassen Bankeinlagen und gängige Wertpapiere, die auf Treuhandkonten bei westlichen Banken gehalten werden. Dazu gehören auch Must-Have-Spielzeuge der Tycoons wie Villen, Fußballvereine, Schmuck und Yachten, die von per Livestream übertragenen Polizisten in Marinas auf der ganzen Welt beschlagnahmt wurden.
Oligarchen ins Visier zu nehmen, ist ein attraktiver Ansatz für Regierungen, die nachweisen müssen, dass sie etwas tun. Dagegen bleiben Russland nur wenige direkte Vergeltungsmöglichkeiten. Westliche Tycoons besitzen dort kaum etwas. Viele amerikanische und europäische Firmen haben ihre russischen Investitionen bereits abgeschrieben. Dementsprechend streben westliche Vollstreckungsbehörden nach größeren Befugnissen, um die Fabergé-Eier aufzuspüren. Das US-Justizministerium will mithilfe von Anti-Mafia-Gesetzen die beschlagnahmten Vermögenswerte liquidieren und den Erlös der Ukraine zukommen lassen. Die EU schlägt vor, die Verletzung von Sanktionen zu einem Straftatbestand zu machen, was die Durchsetzung im gesamten westlichen Block verschärfen würde.

Doch die meisten der vom Westen ins Visier genommenen Vermögenswerte schlüpfen am Ende durch das Netz. Anders Aslund, ein ehemaliger Berater der russischen und der ukrainischen Regierung, meint, dass bisher nur 50 von 400 Milliarden Dollar an Offshore-Vermögen, die auf dem Papier blockiert sind, eingefroren wurden. Oligarchen haben einige ihrer Offshore-Schätze hinter bis zu 30 verschiedenen Arten von Briefkastenfirmen versteckt, die auf den Kaiman-Inseln, Jersey und anderen Steuerparadiesen eingetragen sind. Andere behalten den Zugriff auf Vermögenswerte, die sie angeblich nicht mehr kontrollieren, indem sie das Eigentum an Verwandte übertragen oder sich von Strohmännern vertreten lassen.
Inzwischen wird die Durchsetzung dieser Sanktionen den privaten Verwahrern dieser Vermögenswerte überlassen, von Schweizer Vermögensverwaltern bis hin zu Yachthäfen in St. Tropez, denen oft die Mittel oder die Lust fehlen, all dies eingehender zu überprüfen. Große Banken weigern sich oft, Gelder im Namen verdächtiger Unternehmen zu bewegen, wenn sich herausstellt, dass sie zu mindestens 25 Prozent von ausgewiesenen Russen kontrolliert werden. Kleinere Fintech- und Kryptofirmen sind jedoch weniger gewissenhaft; Unternehmen, die physische Vermögenswerte überwachen sollen, wie Hafenmanager, sind im Allgemeinen ahnungslos. Eine ähnliche Diskrepanz besteht zwischen den Gerichtsbarkeiten. Die USA haben kürzlich die Schweiz und die Vereinigten Arabischen Emirate getadelt, wo Dutzende Privatjets in russischem Besitz in der Wüste stationiert sind, weil sie nicht genug getan hätten, um Sanktionshinterzieher zu ermitteln.
Es ist nicht klar, ob das Einfrieren solcher Vermögenswerte viel dazu beiträgt, die russische Wirtschaft zu schwächen. Die meisten Oligarchen haben wenig politischen Einfluss. Ein ehemaliger ukrainischer Energieminister meint sogar, dass Russlands Präsident Wladimir Putin ziemlich glücklich darüber sei, dass sie nun niedriger eingestuft werden. Bisher sind die Bemühungen, Vermögenswerte zu beschlagnahmen und den Erlös an die Ukraine zu überweisen, recht erfolglos geblieben.
Finanztransaktionen lassen Umwege offen
Finanzielle Maßnahmen, die zweite Art von Sanktionen, zielen dagegen auf die Nervenzentren der russischen Wirtschaft: kommerzielle Kreditgeber und die Zentralbank. Erstere sind seit der Invasion je nach Größe und Nähe zum Kreml mit einer Staffelung von Verboten konfrontiert. Kapitalmarktsanktionen der milderen Art hindern westliche Investoren daran, Anleihen oder Aktien von 19 russischen Banken zu kaufen oder zu verkaufen. Zehn Kreditgeber, darunter die beiden finanzkräftigsten, wurden aus SWIFT verbannt, das mehr als 11.000 Banken weltweit für grenzüberschreitende Zahlungen nutzen. 26 von ihnen können internationale Überweisungen in US-Dollar nicht mehr ausführen, nachdem die Vereinigten Staaten ihren eigenen Banken verboten haben, ihnen die Dienste von sogenannten Korrespondenzbanken anzubieten.
Solche Maßnahmen zeigen Wirkung. Recherchen von Stefan Goldbach und Kollegen bei der Deutschen Bundesbank zeigen, dass die schnellen Sanktionen zwischen dem 1. Februar und dem 30. April einen nahezu vollständigen Zusammenbruch der Geldtransfers zwischen den ausgeschlossenen russischen Banken und der deutschen Filiale von Target 2, dem System zur Verrechnung von Zahlungen zwischen Banken der Eurozone, verursacht haben. Alternativen zu SWIFT, wie z.B. Telex, sind umständlich und langsam. Verbote von Korrespondenzbanken sind ebenfalls wirkungsvoll. Der Dollar wird nicht nur direkt zur Abwicklung von etwa 40 Prozent des grenzüberschreitenden Handels verwendet, sondern dient auch als Zwischenstation bei vielen Transaktionen mit zweitrangigen Währungen. Jetzt muss Russland manchmal auf den Tauschhandel zurückgreifen, eine umständliche und riskante Option.
Finanzsanktionen konnten die meisten Zahlungen jedoch nicht stoppen. Die Banken, die Europas umfangreiche Käufe von russischen Energieträgern abwickeln, insbesondere die Gazprombank, dürfen weiterhin SWIFT benutzen. Ein Großteil des Rests wird legal über kleinere Banken geleitet, die mit dem Netzwerk verbunden bleiben. Ohne Dollar auszukommen ist dagegen schwieriger. Indien, das seit Februar große Mengen von russischem Öl bezieht, sucht immer noch nach einer praktikablen Möglichkeit, es in Rupien zu bezahlen. Aber ein Anstieg des Zahlungsvolumens, das von Mai bis Juli über CIPS, Chinas einheimisches SWIFT, abgewickelt wird, deutet darauf hin, dass China mehr Glück hat. Das Handelsvolumen im Yuan-Rubel-Paar an der Moskauer Börse hat in letzter Zeit neue Rekorde aufgestellt.

Das Einfrieren der Reserven der Zentralbank von Russland (CBR) im Westen, die etwa der Hälfte ihres Gesamtbestands von 600 Milliarden US-Dollar entsprechen, hatte ähnlich gemischte Ergebnisse. Innerhalb weniger Stunden nach Bekanntgabe der Maßnahme brach der Wert des Rubels gegenüber dem Dollar, den die Zentralbank nicht mehr verteidigen konnte, um mehr als 30 Prozent ein. Als die CBR die Zinssätze von 9,5 auf 20 Prozent anhob, um den Rückgang zu stoppen, verknappte sich die inländische Kreditvergabe, was die Nachfrage beeinträchtigte und Russland in eine Rezession trieb. Im Juni zwangen die Sanktionen Russland auch zu seinem ersten großen Auslandsschuldenausfall seit mehr als einem Jahrhundert, nachdem es die Zentralbank daran gehindert hatte, Zahlungen in Höhe von 100 Millionen US-Dollar an Anleihegläubiger auszuführen.
Doch es dauerte nur wenige Wochen, bis sich der Rubel erholte, was es der CBR ermöglichte, die Zinsen am 25. Juli auf acht Prozent zu senken. Der offizielle Wechselkurs entspricht jedenfalls nicht der wahren Nachfrage nach der Währung. Kapitalverkehrskontrollen, die erstmals nach dem Einfrieren der CBR-Reserven eingeführt wurden, bleiben weitgehend bestehen. Aber es gibt immer noch einen Makel im ursprünglichen Plan des Westens. Während die ausländischen Dollar- und Euroreserven der CBR weiterhin tabu sind, verdient Russland dank seiner riesigen Öl- und Gasexporte jeden Tag frische harte Währung. Dies bedeutet, dass es keine Kredite aufnehmen muss, was einen Ausfall weitgehend wirkungslos macht.
Öl und Gas bleiben russisches Druckmittel
Übrig bleiben die Handelsbeschränkungen, eine weitere zweischneidige Option. Maßnahmen zur Eindämmung der Ölexporteinnahmen Russlands, die letztes Jahr 36 Prozent seines Staatshaushalts ausmachten, haben mehr Aufmerksamkeit erhalten, als sie verdienen. Die USA importieren kein russisches Öl mehr, aber sie hatten bisher schon recht wenig gekauft. Die EU hat sich verpflichtet, im Dezember den Kauf von Offshore-Rohöl aus Russland und von raffiniertem Erdöl im Februar einzustellen. Sie kauft bereits etwas weniger: insgesamt 2,4 Millionen Barrel pro Tag (bpd) im Juli gegenüber 2,9 Millionen vor dem Krieg. Die meisten dieser Barrel werden jedoch von Indien und China abgenommen, wenn auch mit einem Abschlag von etwa 25 US-Dollar im Vergleich zum Preis von Brent-Rohöl, der globalen Benchmark, der derzeit bei 101 US-Dollar liegt. Für russisches Gas, das schwerer zu ersetzen ist und weniger als zehn Prozent der Einnahmen des Kremls ausmacht, ist zudem kein Embargo geplant.
Ob Russland jetzt weniger verdient als ohne Sanktionen, ist fraglich. Rystad Energy, ein Beratungsunternehmen, geht davon aus, dass es aufgrund des Rabatts in diesem Jahr bei einem potenziellen Gesamtvolumen von 295 Milliarden US-Dollar bis zu 85 Milliarden an Öl- und Gassteuereinnahmen verlieren wird. Andererseits ist es zum Teil ein drohendes westliches Embargo, das die globalen Ölpreise auf einem so hohen Niveau gehalten hat. Capital Economics, ein weiteres Beratungsunternehmen, schätzt, dass Russland sein Öl seit Februar zu einem durchschnittlichen Preis von 85 US-Dollar pro Barrel verkauft hat, also um 90 Prozent teurer als in der Zeit seit 2014. Und entgegen früheren Erwartungen exportiert Russland weiterhin fast so viel Erdöl wie in den letzten Jahren.
Könnte sich das ändern, wenn das Einfuhrverbot der EU in den nächsten Monaten in Kraft tritt? Es wird schwierig sein, neue Käufer für die 2,4 Millionen bpd zu finden, die vom westlichen Block nicht abgenommen werden. Darüber hinaus wird es EU- und britischen Versicherern, die den Öltransportmarkt dominieren, ab dem 31. Dezember untersagt, Tanker mit russischer Fracht zu versichern. Das könnte sich als großes Hindernis erweisen. Viele Häfen und Kanäle lassen Schiffe möglicherweise nicht passieren, wenn das Risiko von Ölverschmutzungen nicht abgedeckt ist. Reid l’Anson von Kpler, einem Datenunternehmen, glaubt, dass solche Probleme Russland dazu zwingen werden, die Produktion bis Ende 2022 um 1,1 Millionen bpd zu drosseln, was etwa 14 Prozent der Exporte des letzten Jahres entspricht.
Es wird jedoch bereits in Betracht gezogen, dass Europa seine Verbote aussetzen könnte, wenn sich der Winter als zu hart erweist. Rohstoffhändler glauben, dass es bei solchen Rabatten immer Käufer geben werde. China und Indien können sich selbst versichern; Russland hat angekündigt, eine Rückversicherung anzubieten. Wenn die Ölexporte wirklich zurückgehen, ist der Markt so eng, dass die Preise steigen könnten, was die Auswirkungen zunichte machen würde. Die USA haben dies erkannt und versuchen ihre Verbündeten davon zu überzeugen, eine Preisobergrenze für russisches Öl einzuführen – was sich als schwierig durchzusetzen erweisen könnte. Zwielichtige Händler in Bahrain oder Dubai könnten sich auf illegale Weise größere Kontingente sichern. Russland könnte sich rächen, indem es Öl für kurze Zeit zurückhält, einen Preisanstieg provoziert und Druck auf den Westen ausübt, diese Maßnahme zurückzuziehen.
Exportkontrollen entfalten stärkste Wirkung
Die wirksamsten Sanktionen werden dagegen am wenigsten diskutiert, nämlich Exportkontrollen. In aufeinander folgenden Maßnahmenpaketen seit Februar haben westliche Regierungen eine Reihe einheimischer Industrien dazu verpflichtet, vor dem Verkauf nach Russland Lizenzen zu beantragen, und diese werden selten erteilt. Die Beschränkungen gehen weit über „Dual-Use“-Produkte hinaus – solche mit sowohl militärischen als auch kommerziellen Anwendungen, wie Drohnen und Laser – und umfassen auch hochentwickelte Produkte wie Chips, Computer, Software und Energieausrüstung. Sie betreffen außerdem Low-Tech-Güter wie Chemikalien und Rohstoffe, die normalerweise nur beschränkt werden, wenn sie für den Iran oder Nordkorea bestimmt sind.
Die Breitenwirkung solcher Sanktionen ist bemerkenswert. Besonders tückisch ist hier die US-amerikanische „Foreign Direct Product Rule“ (FDPR), die die Kontrollen nicht nur auf Produkte ausdehnt, die in den Vereinigten Staaten hergestellt werden, sondern auch auf ausländische Produkte, die mit US-Software und -Tools hergestellt werden oder US-amerikanische Inputs enthalten. Als die Vereinigten Staaten 2020 mit der FDPR Pionierarbeit leisteten, um zu verhindern, dass Huawei, ein chinesischer Telekommunikationsriese, den es der Spionage verdächtigte, hochentwickelte Halbleiter erwarb, bestraften sie das Unternehmen, obwohl die Werke in den USA nur 15 Prozent der weltweiten Chipherstellungskapazität ausmachten. Diesmal behauptet die US-Regierung, dass die weltweiten Chip-Exporte nach Russland im Vergleich zum Vorjahr um 90 Prozent zurückgegangen seien.
Das sind schlechte Nachrichten für das verarbeitende Gewerbe Russlands, das importierte Vorleistungen benötigt. Wladimir Putin hat seit 2014 hart daran gearbeitet, das russische Finanzsystem gegen westliche Sanktionen abzuschirmen – indem er seinen Handel vom Dollar abkoppelt, seine Zentralbankreserven diversifiziert und einheimische Zahlungsnetzwerke entwickelt. Doch das gilt eben nicht für die Industrie des Landes, die bis zum Kriegsbeginn in die Welthandelsordnung integriert blieb, wenn auch weniger als andere Länder.

In russischen Waffen wurden Chips und andere elektronische Komponenten von 70 verschiedenen US-amerikanischen und europäischen Firmen gefunden. Andere Branchen, vom Bergbau bis zum Transportwesen, benötigen ausländische Teile und Know-how, um Wartungsarbeiten durchzuführen. Ein deutscher Lieferant der Moskauer U-Bahn rechnet damit, dass das Netz innerhalb eines Monats gestört und nach drei Monaten lahmgelegt wäre, wenn er den Service einstellen würde. Russland braucht außerdem innovative Soft- und Hardware, um neue Produkte zu entwickeln, von der Unterhaltungselektronik bis hin zu Elektroautos.
Einige Auswirkungen sind bereits jetzt sichtbar, obwohl die Exportkontrollen erst spät einsetzten (die meisten hatten eine Vorlaufzeit von ein bis drei Monaten). Die Produktionsleistung ging zwischen Dezember und Juni um sieben Prozent zurück, angeführt von der Automobilindustrie (minus 90 Prozent), gefolgt von der Pharmaindustrie (minus 25 Prozent) und der Elektroindustrie (minus 15 Prozent). Im Mai lockerte Russland etwa die Sicherheitsstandards, um die Produktion von Autos ohne Airbags und Antiblockiersystem zu ermöglichen.
Ein Mangel an Hightech-Ausrüstung hat zudem Russlands 5G-Einführung behindert. Die Cloud-Computing-Champions des Landes wie Yandex oder die Sberbank als Kreditgeber haben Mühe, ihre Datenzentren zu erweitern. Der Chipmangel behindert die Ausgabe neuer Plastikkarten von MIR, dem inländischen Zahlungssystem. Ein Mangel an spezialisierten Schiffen könnte Russlands Bohrpläne für die Arktis behindern; ein Mangel an ausländischer Technologie und Know-how könnte sogar die traditionelle Öl- und Gasförderung beeinträchtigen. Auch Grundstoffindustrien wie der Abbau und die Veredelung von Metallerzen sind eingebrochen.
Eine langsame, zermürbende Auszehrung
Doch Russland versucht sich zu wehren. Zunächst nutzte es den nicht autorisierten grauen Markt, um sensible westliche Technologie und Militärausrüstung zu beziehen, oft von Wiederverkäufern in Asien und Afrika. Im Juni ging es noch weiter, indem es „Parallel-Importe“ legalisierte und es russischen Firmen ermöglichte, Waren wie Server und Telefone ohne Zustimmung des Markeninhabers einzuführen. Artem Starosiek von Molfar, einem ukrainischen Nachrichtendienst, sagt, es habe einen Boom im „Kreditkartentourismus“ gegeben, da Reiseveranstalter, die einst Covid-Impfstoffreisen für Russen organisierten, diese nun einfliegen, um von Visa ausgestellte Karten in Usbekistan zu kaufen. Der Handel zwischen westlichen Ländern und Russlands Nachbarn wie Georgien und Kasachstan hat seit der Invasion rapide zugenommen.
Dennoch ist es für eine ganze Volkswirtschaft schwierig, mit Schmuggelwaren zu wirtschaften, besonders wenn einige davon überall knapp sind. Chinesische Firmen, die normalerweise ein Viertel der russischen Importe liefern, helfen nur langsam, da auch sie befürchten, den Zugang zu wichtigen westlichen Teilen zu verlieren. Sogar Huawei hat seine Verbindungen zu Russland eingeschränkt. Die Engpässe werden daher andauern, wobei sich ihre Auswirkungen im Laufe der Zeit verstärken, da der Verschleiß seinen Tribut fordert und sich der Verfall von einer Branche zur nächsten ausbreitet. Das Ergebnis wird eine langsame, zermürbende Auszehrung der russischen Wirtschaft sein.
Dieser Verfall wird durch die weniger greifbaren Auswirkungen der Sanktionen noch verstärkt. Konstantin Sonin von der University of Chicago geht davon aus, dass seit der Invasion mehrere hunderttausend Russen – viele von ihnen hochqualifiziert – das Land verlassen haben. Laut Wissenschaftlern der Yale University haben auch mehr als 1.200 ausländische Firmen ihren Rückzug bekanntgegeben. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert, dass die Wachstumsrate des Landes in den Jahren 2025-26 um etwa die Hälfte abnehmen wird, verglichen mit Schätzungen von vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges. Solange die USA und ihre Verbündeten ihre Sanktionen aufrechterhalten, werden Russlands industrielles Rückgrat, seine intellektuelle Kraft und seine internationalen Verbindungen Schaden nehmen. Seine Zukunft wird von sinkender Produktivität, geringer Innovation und struktureller Inflation geprägt sein. Die Ökonomen lagen falsch, als sie einen sofortigen Crash vorhersagten. Was Russland stattdessen bevorsteht, ist ein One-Way-Ticket ins Nirgendwo.
* Dieser Artikel basiert auf einem Originaltext aus dem „Economist“, den Reporter.lu im Rahmen einer Syndizierungspartnerschaft veröffentlicht.
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From The Economist, translated by Hermann J. Bumb, published under licence. The original article, in English, can be found on www.economist.com.




