4,267 Milliarden Euro allein in Luxemburg: Die Umsetzung der Russland-Sanktionen scheint voranzukommen. Trotzdem bleiben viele Fragen offen. Das neueste Sanktionspaket der EU offenbart zudem einen fragwürdigen Öl-Deal, der über Luxemburg lief.

Also doch keine 1.100 Personen und 90 Gesellschaften, die in Luxemburg sanktioniert wurden. Vor gut einer Woche verschickte das Finanzministerium eine missverständliche Pressemitteilung. Darin wurde der letzte Stand der Sanktionen gegen russisches Kapital in Luxemburg bekannt gegeben. Die Zahlen, bei denen man meinen konnte, sie würden sich auf das Großherzogtum beziehen, gingen jedoch tatsächlich aus der gesamten Liste der EU-Sanktionen hervor, die am 3. Juni noch einmal ausgeweitet wurde.

In Luxemburg allein wurden demnach insgesamt 21 Personen und 119 Gesellschaften ausfindig gemacht, deren Vermögenswerte eingefroren wurden. Dies bestätigte das Finanzministerium gegenüber Reporter.lu. Eine Anfrage im Sinne des Transparenzgesetzes, um die Liste der identifizierten Gesellschaften einsehen zu können, blieb bis Redaktionsschluss aber noch unbeantwortet.

Die EU schätzt die Anzahl der sogenannten Oligarchen unter den 1.100 von ihr sanktionierten Personen auf 30. Die meisten sind Politiker aus Russlands Marionettenstaaten auf ukrainischem Boden oder in den besetzten Gebieten, Propagandisten und Militärs – wie etwa die von Wladimir Putin dekorierte Einheit, die für das Massaker in Butscha verantwortlich ist. Unter den 21 Personen, die das luxemburgische Ministerium angibt, konnte Reporter.lu 16 Oligarchen ausmachen.

Zahlen mit wenig Aussagekraft

Ob die eingefrorenen 4,267 Milliarden Euro denn jetzt als viel oder wenig anzusehen sind, ist eine Frage der Perspektive. Sieht man sich die Benelux-Länder an, so liegt Belgien fast unerreichbar vorne mit 200 Milliarden Euro – von denen aber nur 2,7 Milliarden wirklich Vermögenswerte darstellen. Der Rest betrifft blockierte Finanztransaktionen, die wohl größtenteils auf das Konto der Clearinggesellschaft „Euroclear“ gehen. Auch in Luxemburg wurden Finanztransaktionen bei „Clearstream“ verhindert. Welchen Anteil dies an den eingefrorenen Milliarden hat, ist bisher jedoch unklar.

Wer Sanktionen verhängt, will seinen Gegner dazu zwingen, sein Benehmen zu ändern. Bei Russland ist das derzeit nicht der Fall.“
Floris Alexander, Experte für Finanzkriminalität

In den Niederlanden, wo es zwar keine Clearinggesellschaft gibt, aber ein starkes Finanzzentrum, sind die Zahlen hingegen ernüchternd: Lediglich 640 Millionen Euro wurden blockiert. Auch andere Länder, deren Wirtschaft eng mit Russland verbunden ist, wie etwa Österreich, tun sich schwer mit dem Umsetzen der Sanktionen. In der Alpenrepublik sind es lediglich 254 Millionen, die eingefroren wurden. In Deutschland sind es zumindest bereits 4,8 Milliarden, wie Finanzminister Christian Lindner (FDP) kürzlich mitteilte. Aus Frankreich gibt es Zahlen aus dem Monat April, die besagen, dass bereits Vermögenswerte in einem Umfang von 23,6 Milliarden Euro eingefroren wurden.

Insgesamt ist die Zahlenlage aber spärlich und verwirrend. Nur der „Irish Times“ gelang es bis jetzt, ein internes EU-Dokument zugespielt zu bekommen, in dem ein Überblick über die eingefrorenen Zahlen für verschiedene Länder enthalten ist – Luxemburg fehlt allerdings auf der Liste.

Die EU tappt weiter im Dunkeln

Auf Nachfrage von Reporter.lu erklärt eine Sprecherin der Europäischen Kommission: „Die Informationen, die wir veröffentlichen, hängen viel von dem ab, was wir von den Mitgliedstaaten erhalten. Wir versuchen so transparent wie möglich zu sein und ermutigen die Mitgliedstaaten, auf politischer wie auf technischer Ebene, ihre Informationen zügig und regelmäßig mit der Kommission und der Task Force zu teilen.“

Der EU stünden bisher folgende Informationen zur Verfügung, so die Kommission: Zehn Milliarden Euro Vermögenswerte von russischen Oligarchen und 23 Milliarden Euro eingefrorene Reserven der russischen Zentralbank, von der auch 196 Milliarden Euro an Transaktionen blockiert sind.

Auch gibt es Verwirrung darüber, was die Sanktionen eigentlich bedeuten. Dass die EU ihre Task Force „Freeze and Seize“ genannt hat, ist dabei nicht unbedingt förderlich. Denn zwischen Einfrieren und Beschlagnahmen gibt es große Unterschiede. Einfrieren heißt lediglich, dass die Vermögenswerte dem Besitzer nicht mehr zur Verfügung stehen, er sie aber immer noch besitzt. Eine eingefrorene Villa kann demnach noch bewohnt, aber nicht mehr vermietet oder verkauft werden.

Das Gleiche gilt für Firmenanteile, an denen der Besitzer keine Dividenden mehr verdienen darf. Beschlagnahmen, verkaufen und den Profit in die Staatskasse fließen lassen, ist ein ganz anderes Prozedere. Und viele EU-Länder sind nicht bereit, diesen Schritt zu gehen, aus formalrechtlichen Gründen. Polen zum Beispiel müsste für solche Beschlagnahmungen seine Verfassung ändern. Auch Luxemburg wird diese rote Linie wohl kaum überschreiten.

Russisches Bankensterben in Luxemburg

Wie steht Luxemburg mit seiner Sanktionspolitik also nun da? Ein Insider, mit dem Reporter.lu unter Wahrung seiner Anonymität sprach, sieht noch viel Verbesserungspotenzial. Sicher gebe es Länder, in denen es noch schlechter laufe, aber wenn sogar die Schweiz 6,2 Milliarden eingefroren hat, sollte man sich doch eher daran orientieren. Der Experte gibt zudem zu bedenken: „Es ist absolut nicht auszuschließen, dass eine Reihe Vermögenswerte so gut versteckt sind, dass sie nie gefunden werden können.“

Zudem seien die russischen Finanzinstitutionen, die noch in Luxemburg verbleiben, in einer prekären Lage: „Wenn AFK Sistema sanktioniert wird, ist das Unternehmen morgen nichts mehr wert“, so der Insider zum Konglomerat des Oligarchen Wladimir Evtushenkov, dessen Holding in Luxemburg angesiedelt ist. Auch die Banken, wie der luxemburgische Ableger der „RCB Bank“, die bis vor den Sanktionen der russischen Staatsbank „VTB“ gehörte und dann einen zypriotischen Fonds als Teilhaber einwechselte, sind betroffen.

Auf ihrer Webseite bestätigt die Bank, dass sie seit dem 15. Juni keine Kunden mehr bedient – und sich aus dem Bankgeschäft zurückziehen will. Der Hintergrund: Wie das „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ (OCCRP) berichtete, hat die Europäische Zentralbank dem Teilhaberwechsel nicht zugestimmt. Informationen von Reporter.lu zufolge nimmt auch die „East-West United Bank“, die älteste russische Bank in Luxemburg, keine neuen Kunden mehr an. Nur noch die „Gazprombank“ ist weiterhin funktionstüchtig; nicht zuletzt, weil sie die Anlaufstelle für europäische Staaten beim Gaseinkauf ist.

Kein russisches Einlenken in Sicht

Bei alldem stellt sich die Frage, ob und wie wirksam die Sanktionen eigentlich sind. „Die 4,267 Milliarden Euro, die Luxemburg blockiert hat, sind nicht viel und vor allem nicht genug“, meint der auf Finanzkriminalität spezialisierte Anwalt Floris Alexander im Gespräch mit Reporter.lu. „Wer Sanktionen verhängt, will seinen Gegner dazu zwingen, sein Benehmen zu ändern. Bei Russland ist das derzeit nicht der Fall. Der Rubel hat sich erholt und Wladimir Putin hat genug Reserven, um Europa unter Druck zu setzen.“

Floris Alexander befürchtet, dass der Druck der Inflation auf die europäische Bevölkerung so stark wird, dass viele den Nutzen der Sanktionen anzweifeln werden. Hingegen blieb der Druck der russischen Bevölkerung auf die Regierung, den Krieg zu beenden, bisher aus. Zwar sind der „Moscow Times“ zufolge zwei Drittel der russischen Regionen in der Rezession angekommen und auch die Arbeitslosigkeit steigt, aber für eine offene Revolte gegen den Kreml gibt es weiterhin keine Anzeichen.

So bleibt Europa und auch Luxemburg nur, das neueste sechste EU-Sanktionspaket gegen die Russische Föderation, das am 3. Juni verabschiedet wurde, kompromisslos umzusetzen. Und sich bewusst zu werden, wie eng man noch bis vor Kurzem mit dem autoritären Staat und Aggressor im Ukrainekonflikt kooperierte.

Rekord-Öl-Deal über Luxemburg

Diesen Umstand verdeutlicht auch das Beispiel Eduard Khudainatov. Der kürzlich sanktionierte Oligarch kennt Wladimir Putin bereits seit seiner ersten Wahlkampagne im Jahr 2000, an der er mithalf. Später stieg er an die Spitze des staatlichen Ölkonzerns „Rosneft“ auf, wo er gute Beziehungen zum heutigen CEO, Igor Sechin, aufbaute. Nach seinem Abgang bei Rosneft gründete der Unternehmer 2013 seine eigene Ölfirma „NNK“.

Im selben Jahr tauchen auch seine beiden luxemburgischen Firmen „Dako Energy Investments“ und „Violet Investments“ auf. Während Letztere als Vehikel für ein Joint-Venture mit dem spanischen Ölmulti „Repsol“ diente, war „Dako Energy Investments“ Schauplatz eines Milliardendeals mit Rosneft. Eduard Khudainatov verkaufte 2020 über seine luxemburgische Holding Ölfelder auf der Taymyr-Halbinsel in Nordsibirien für elf Milliarden Dollar an seinen ehemaligen staatlichen Arbeitgeber.

Laut dem „Warsaw Institute“ war diese auch für russische Verhältnisse rekordverdächtige Transaktion alles andere als ein fairer Deal: Die Ölfelder, die Rosneft kaufte, und die, die NNK im Tausch erhielt, seien weit unter ihrem realen Preis gehandelt worden. Laut dem letzten Geschäftsbericht liegen in der luxemburgischen Holding immer noch Vermögenswerte von 1,3 Milliarden Dollar.

Dabei konnte Eduard Khudainatov bereits Erfahrungen mit Sanktionen sammeln. Von 2017 bis 2020 stand NNK unter US-Sanktionen. Die Vereinigten Staaten beschuldigten die Firma, Nordkorea beim Umgehen von Sanktionen geholfen zu haben. Diese Sanktionen wurden dann vor zwei Jahren aufgehoben. Auch wird Eduard Khudainatov verdächtigt, Beziehungen zur russischen Mafia zu pflegen, wie die „Deutsche Welle“ bereits 2017 berichtete. Und er soll als Strohmann für Super-Jachten gedient haben, die mit Wladimir Putin in Verbindung stehen.

Dies alles war bekannt. Warum dann trotzdem eine Firma wie „PwC Luxembourg“ den Auftrag annahm, für den Oligarchen zu arbeiten, wird ihr Geheimnis bleiben. Auf wiederholte Nachfrage von Reporter.lu hieß es lediglich: „We do not comment this.“


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