Luxemburgs Regierung hält sich in der Frage der EU-Sanktionen gegen Russland bisher bedeckt. Dabei zeigt sich: Es mangelt nicht nur an politischem Willen. Vielmehr erschweren die für den Finanzplatz typischen Firmenstrukturen eine wirksame Umsetzung.

Mitte April 2010: Im Puschkin-Museum in Moskau sitzen 350 luxemburgische und russische Geschäftsleute, um dem Seminar „Luxembourg – The Business Hub in Europe“ beizuwohnen. Der damalige Wirtschaftsminister Jeannot Krecké, Botschafter Gaston Stronck und Erbgroßherzog Guillaume sind ins Herz der russischen Hauptstadt gekommen, um die Vorteile des Luxemburger Standorts anzupreisen. Höhepunkt der Visite ist die Unterzeichnung  eines „Memorandum of Understanding“ zwischen „Luxembourg for Finance“ und seinem russischen Gegenstück „Mosfinagency“. Schwerpunkte: „Austausch von Informationen über Bank- und Finanzdienstleistungen“ sowie das „Vereinfachen von Kontakten zwischen Gesellschaften“.

Die Botschaft war klar: Russisches Kapital sollte nach Luxemburg fließen, die Investoren sollten sich am besten gleich im Großherzogtum niederlassen. Wirtschaftsminister Jeannot Krecké erklärte dem „Tageblatt“ vor der Moskaureise, dass die Finanzwelt russischem Kapital nun viel offener gegenüber stehe. Die Leitlinie Luxemburgs formulierte der LSAP-Politiker damals in einem prägnanten Satz: „An Geopolitik hat ein kleines Land wie Luxemburg kein Interesse.“

Der gegenseitige Austausch auf höchstem Niveau riss in den folgenden Jahren nicht ab. Hochrangige Besuche wie jene von Jean-Claude Juncker und Etienne Schneider 2012 in Moskau, die offizielle Staatsvisite von Großherzog Henri anno 2013 sowie zuletzt im Jahr 2019 der Empfang des damaligen russischen Premiers Dmitri Medwedew in Luxemburg führten zu einer Vertiefung dieser wirtschaftlichen Beziehungen.

Die Holdings des Mikhail Fridman

Der beiderseitige Wunsch erfüllte sich: Russische Banken und Unternehmen siedelten sich in Luxemburg an. Und auch die Oligarchen kamen. Einer von ihnen ist Mikhail Fridman. Weniger als ein Jahr nach besagtem Seminar in Moskau, im Februar 2011, wurde am Boulevard de la Foire in Limpertsberg eine Gesellschaft eingetragen, deren Hauptaktionär der einflussreiche russische Unternehmer ist. Die Holding „PCO Holdco II“ hat einen Vermögenswert von mehr als 315 Millionen US-Dollar.

Heute steht Mikhail Fridman, der mit einem geschätzten Privatvermögen von 12,1 Milliarden Dollar als einer der reichsten Russen gilt, auf den europäischen Sanktionslisten. Zwar äußerte sich der Oligarch mittlerweile kritisch zur russischen Invasion in der Ukraine. Dennoch zählt ihn die Europäische Kommission „zu den wichtigsten russischen Finanziers und Unterstützern des inneren Kreises von Putin“. Die von ihm gegründete „Alfa-Bank“ ist die größte Privatbank in Russland und spielt damit eine wesentliche Rolle für die russische Volkswirtschaft.

Der 57-jährige Mikhail Fridman gehört zu den bekanntesten russischen Oligarchen. Seinen Wohnsitz hat er in London. (Foto: Krysja / Shutterstock.com)

Laut Recherchen von Reporter.lu hat kein anderer sanktionierter Oligarch so eine bedeutende Präsenz in Luxemburg wie Mikhail Fridman. Hierzulande hält der Unternehmer mehr als 13,5 Milliarden Euro an Vermögenswerten in über 67 Gesellschaften. Darunter die Beteiligungsgesellschaft „LetterOne“, deren Hauptsitz in Luxemburg ist. Der Unternehmer gründete die Firma 2013. Das Kapital dazu stammte aus dem Verkauf seiner Anteile an der Firma „TNK-BP“ an den mächtigen staatlichen Ölkonzern „Rosneft“. Weitere in Luxemburg ansässige Firmen von Mikhail Fridman und seinen Partnern gehören zu den Flaggschiffen des Imperiums der „Alfa-Group“. Hinzu kommen Holdinggesellschaften, die Anteile an russischen und europäischen Unternehmen sowie Banken halten.

Rücktritte und eingefrorene Vermögenswerte

Die Luxemburger Gesellschaften sind wichtige Glieder in der Kette von Beteiligungsfirmen des russischen Oligarchen. LetterOne hält beispielsweise 33 Prozent am deutschen Gas- und Ölkonzern „Wintershall DEA“, der bis vor Kurzem noch an der „Nordstream 2“-Pipeline beteiligt war – seine Geschäfte mit Russland nun aber zum größten Teil abgebrochen hat. Auch die Telekommunikationsfirma „Veon“ in den Niederlanden, die zu 48 Prozent LetterOne gehört, ist bereits auf Distanz gegangen. Mikhail Fridman zog sich daraufhin aus dem Verwaltungsrat der Firma zurück. Auch in Luxemburg gab es Rücktritte – von Mikhail Fridman und seinen Partnern, aber auch von hier ansässigen Mitgliedern des Verwaltungsrats.

LetterOne selbst bestätigte Reporter.lu gegenüber, dass die Vermögenswerte von Mikhail Fridman sowie die seines Geschäftspartners und Putin-Vertrauten Pjotr Aven eingefroren seien. Auf die Frage, ob auf LetterOne vom Finanzministerium oder anderen luxemburgischen Behörden Druck ausgeübt worden sei, antwortet der Sprecher Joshua Hardie: „Dies war eine Entscheidung des Verwaltungsrats und der Aktieninhaber.“ Weiter betont der „Director of Corporate Affairs“: „LetterOne ist nicht sanktioniert und wird auch nicht versuchen, Ausnahmen vom Sanktionsregime zu erwirken.“

Was bedeutet das Einfrieren von Vermögenswerten praktisch? Weder Mikhail Fridman noch Pjotr Aven können ihre Anteile verkaufen oder daraus Dividenden erzielen. Ob dies auch bei den anderen Strukturen der Fall ist, ist zu diesem Zeitpunkt unklar. Entsprechende Anfragen von Reporter.lu wollten die anderen Gesellschaften nicht kommentieren.

Am Dienstag setzte die EU zwei weitere „Alfa-Group“-Aktionäre auf die Sanktionsliste: German Khan und Alexey Kuzmichev. In der Begründung wird explizit auf ihre Nähe zu Fridman aber auch Wladimir Putin verwiesen. Am 7. März waren Khan und Kuzmichev bereits von ihren Verwaltungsratsposten bei LetterOne zurückgetreten.

Schwierige Umsetzung, fehlende Auskünfte

Das Beispiel der Gesellschaften von Mikhail Fridman zeigt allerdings: Luxemburg steht bei der Sanktionspolitik vor einem hausgemachten Problem. Während es verhältnismäßig einfach ist, Villen, Jachten und Privatjets einzufrieren oder zu beschlagnahmen, ist dies bei Firmen und Firmenanteilen weitaus schwieriger.

Der Unterschied zwischen Beschlagnahmen und Einfrieren von Vermögen ist zudem praktisch von großer Bedeutung. Oft ist das Einfrieren nur ein erster Schritt, erklärt Floris Alexander, ein auf internationale Finanzkriminalität spezialisierter Anwalt, gegenüber Reporter.lu. „Die Autoritäten werden eine Person, eine Gesellschaft, oder Vermögenswerte zuerst sanktionieren und erst dann entscheiden, ob sie weiter vorgehen und beschlagnahmen. Dies geht oft nicht ohne das Einverständnis von Gerichten.“

Das Finanzministerium, das beim Umsetzen der Sanktionen die Führung hat, gibt sich zu dem Thema auffällig bedeckt. Die Behörden selbst frieren keine Vermögenswerte ein, sondern kontrollieren nur, dass dies auch geschieht, so die Leitlinie. Dabei wird vor allem auf das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure des Sektors, unter anderem die Finanzaufsicht CSSF, aber auch die Steuerbehörde und die „Cellule de Renseignement financier“ gesetzt. Ein kürzlich im Parlament eingebrachter Gesetzentwurf soll ein interinstitutionelles Komitee schaffen, das die Einhaltung der Sanktionen kontrollieren soll.

Das Finanzministerium will bisher – anders als etwa in Belgien – keine Auskünfte über die Höhe der eingefrorenen Vermögenswerte geben. Auch von Beschlagnahmungen ist keine Rede. „Durch das Einfrieren seitens der Verwaltungen soll verhindert werden, dass eine benannte Person oder Geschäftseinheit eingefrorene Gelder und wirtschaftliche Ressourcen nutzt oder Transaktionen durchführt“, erläutert ein Sprecher des Finanzministeriums auf Nachfrage von Reporter.lu lediglich die Prozedur. Außerdem solle so „verhindert werden, dass Gelder und Ressourcen der betroffenen Person oder Geschäftseinheit zur Verfügung gestellt werden“.

Mögliche „Breitenwirkung“ für Finanzsektor

Zudem arbeite man mit der neuen „Freeze and Seize“-Taskforce der Europäischen Kommission zusammen, heißt es vom Finanzministerium. Mit den niederländischen Kollegen, deren zuständige Ministerin vor Kurzem vorgeschlagen hatte, auch Finanzdienstleister in die Sanktionen einzubeziehen, stehe man im Austausch. Gleichzeitig verweist das luxemburgische Ministerium darauf, dass Finanzdienstleister sich vorsehen sollten, wenn sie mit sanktionierten Personen oder Gesellschaften zusammenarbeiten: „Es ist wichtig, zu verstehen, dass die aktuellen Sanktionen ein Umgehungsverbot enthalten“, so der Sprecher des Finanzministeriums. „Das heißt beispielsweise, dass zwischengeschaltete Dienstleister in der EU sich strafbar machen, wenn sie sanktionierten Personen oder Geschäftseinheiten dabei helfen, Sanktionen zu umgehen.“

Weiter will sich die Regierung jedoch nicht zum Ausmaß der Sanktionen in Luxemburg äußern. Finanzministerin Yuriko Backes (DP) gab sich in dieser Frage im Interview mit „Radio 100,7“ am Montag sehr verhalten, begrüßte aber die freiwilligen Initiativen aus dem Finanzsektor. Auch institutionelle Akteure wie CSSF-Direktor Claude Marx oder die Zentralbank schätzen die Risiken für den Finanzplatz bewusst gering ein.

Eine der 67 Luxemburger Gesellschaften von Mikhail Fridman, die „ABH Holdings“, hat ihren Sitz am hauptstädtischen Boulevard Prince Henri. (Foto: Mike Zenari)

Selbst wenn es stimmen sollte, dass Luxemburg nicht besonders schwer von den Sanktionen betroffen sein sollte, könnte sich diese Situation schnell ändern. Ein Insider des Bankensektors, mit dem Reporter.lu unter Wahrung der Vertraulichkeit sprach, warnt nämlich vor einer „erheblichen Breitenwirkung für Luxemburgs Standort“. Demnach würden früher oder später nicht nur die Banken von der Umsetzung der Sanktionen betroffen sein, sondern auch jene Finanzdienstleister, die sich auf russische Kundschaft spezialisiert haben. So gab die Anwaltskanzlei „Arendt & Medernach“ kürzlich bekannt, ihre Büros in Moskau geschlossen zu haben und keine neuen Mandate aus Russland anzunehmen. Auch die Versicherungsbranche werde unter den Sanktionen zu leiden haben, so der Insider. Zudem werde im Ausland, besonders in Frankreich, ganz genau beobachtet, wie Luxemburg bei der Umsetzung der EU-Sanktionen vorgeht. Der Druck der europäischen Partner könnte sich in den kommenden Wochen noch erhöhen.

Sanktionen als komplizierte Angelegenheit

Zur Luxemburger Verantwortung gehört jedenfalls: Viele Oligarchen benutzten das Großherzogtum, um komplexe Firmenstrukturierungen durchzuführen. Das macht das Sanktionieren schwieriger. Auch die alternativen Finanzanlagen mit ihren speziellen Kommanditgesellschaften (SCSP) könnten zum Problem werden. Diese Strukturen sind nicht unter der Kontrolle der Finanzaufsicht CSSF und müssen keine detaillierten Jahresberichte vorlegen. In den Strukturen, an denen Mikhail Fridman in Luxemburg beteiligt ist, finden sich neun solcher Gesellschaften.

Die Art, wie Mikhail Fridman sein Vermögen verteilte, ist für die Umsetzung von Sanktionen ebenfalls problematisch. In keiner seiner Luxemburger Gesellschaften hält er Anteile von mehr als 50 Prozent – meist liegen seine Beteiligungen knapp unter 40 Prozent. Somit fällt er nicht unter die Kriterien des „Guide de bonne conduite“, den das Finanzministerium für das Umsetzen der Sanktionen herausgegeben hat. Dieser sieht – im Einklang mit der europäischen Regelung – Personen nur als sanktionierbar an, wenn sie 50 Prozent oder mehr Anteile halten.

Für den Experten Floris Alexander ist dies ein schwieriger Punkt, der auch unvorhersehbare Risiken bergen kann: „Konfiszieren oder Einfrieren von Anteilen einer Firma ist unheimlich kompliziert, wenn es mehrere Anteilseigner gibt“, erklärt der niederländische Jurist. „Im internationalen Gewohnheitsrecht herrscht die Trennung zwischen der Firma und den Personen, die sie besitzen oder führen, vor. Eine Firma kann folglich auch in Konkurs gehen, wenn das Einfrieren oder Beschlagnahmen von Anteilen eines Inhabers zu einem Ausverkauf der Aktien durch die anderen Inhaber führt.“

Kein Outsourcing vorgesehen

Neben den praktischen Schwierigkeiten stellt sich noch die Frage, ob das Finanzministerium personell gut genug aufgestellt ist, um die Strafmaßnahmen gegen sanktionierte Personen und deren Gesellschaften zu kontrollieren. Auf Nachfrage von Reporter.lu ist die Rede von einem „speziellen Team, das sich mit Fragen der Umsetzung von Finanzsanktionsakten befasst und das in der Lage ist, sowohl Meldungen als Genehmigungsanträge zu bearbeiten.“ Wie viele Beamte dieses Team umfasst, wollte das Finanzministerium nicht sagen.

Das Ministerium stehe allerdings in engem Kontakt mit den Teams anderer zuständiger Ministerien sowie mit den Aufsichtsbehörden. Momentan sei auch nicht vorgesehen, sich Hilfe aus dem Privatsektor zu holen: „Es handelt sich hierbei um hoheitsrechtliche Befugnisse. Das ist nicht die Art von Tätigkeit, die man auslagern würde“, heißt es aus dem Ministerium.


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