Im Grundwasser-Streit von Vittel einigen sich Staat und Konzern auf eine gemeinsame Absichtserklärung. Nestlé darf weiter Wasser abpumpen, will dies aber „nachhaltiger“ tun. Umweltschützer kritisieren eine intransparente Entscheidung, an der sie nicht beteiligt wurden.
Der Weltkonzern gibt sich versöhnlich: Nestlé Waters France „begrüßt“ die neue Strategie, heißt es in einer Pressemitteilung. „Absichtserklärung der Wirtschaft und des Staates zur mengenmäßigen Wiederherstellung des Grundwasserkörpers von Vittel“, so ist ein Protokoll überschrieben, das am vergangenen Donnerstag im lothringischen Epinal unterzeichnet worden ist. Dabei ging es um nichts weniger als die Frage: Was tun gegen den sinkenden Grundwasserspiegel in Vittel?
Tatsächlich haben die Behörden in Lothringen den Interessen des Konzerns und anderer großen Verbraucher weitgehend entsprochen. Eine ursprünglich geplante Trinkwasser-Pipeline für die Bevölkerung ist freilich vom Tisch – ein klarer Erfolg für die Umweltschützer.
Eine weitere von Wasserschützern diskutierte Idee, Nestlé zumindest einzelne Pumpgebiete zu entziehen, steht allerdings nicht mehr zur Debatte. Auch die EU-Ziele eines ausgeglichenen Grundwasserspiegels bis 2021 sollen nicht eingehalten werden. Vielmehr will man die Vorgaben nun sukzessive bis Ende 2026 erreichen.
Korruptionsvorwürfe kommen vor Gericht
Nestlé unterstreicht, das Unternehmen setze seine Anstrengungen im Bereich des Wasserverbrauchs fort. „Ein nachhaltiger Wasserhaushalt“ stehe „im Zentrum“ der Überlegungen. So will die Firma im Raum Vittel nicht nur weniger Grundwasser entnehmen, sondern auch weniger aus anderen Wasserschichten abpumpen sowie den industriellen Wasserverbrauch reduzieren. Die Präfektur beglückwünscht sich selbst zu einer „neuen Dynamik bei der Wiederherstellung des Grundwasserkörpers“.
Weder Nestlé, noch die Präfektur erwähnen allerdings die für alle Seiten hochnotpeinliche anstehende Eröffnung eines Gerichtsprozesses. Nicht nur die langjährige Leiterin der örtlichen Wasserkommission, sondern auch ein von Nestlé bezuschusster Lobby-Verein stehen bald wegen „einseitiger Parteinahme“ vor dem Strafgericht in Nancy. Angestoßen von den Korruptionsbekämpfern von Anticor hatten die Ermittler selbst die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft in Paris auf den Plan gerufen.
Wasser ist eines der spannendsten Themen unserer Konsumgesellschaft.“Serge Bouly, Hydrologe
Durch gemeinsame Recherchen von Mediapart, „Frontal 21“ und REPORTER war schon ab 2018 herausgekommen, dass in Vittel lange Zeit einseitig die Interessen Nestlés vertreten wurden, die Sichtweise von Umwelt- und Verbraucherschützern dagegen kaum Berücksichtigung fand. Umso überraschender erscheint es nun, dass die jüngste Absichtserklärung nicht von zivilgesellschaftlicher Seite mitgetragen wurde.
Umweltverbände ausgeschlossen
Als Vorstandsmitglied des zuständigen regionalen Wasserschutz-Kommitees hätte Daniel Reininger bestens im Bilde sein müssen – eigentlich. Reininger, Vorsitzender des elsässischen Umweltdachverbands, erhielt das Papier jedoch erst von REPORTER, wie er selbst erklärte. „Es geht in die richtige Richtung“, lobte er dennoch die Entscheidung.
Die Unternehmen aber auch die Gemeinden und Bürger im Raum Vittel müssten nun deutlich Wasser sparen, so Reininger. Technisch und politisch sei wohl nicht mehr herauszuholen gewesen. Doch auch er kritisiert die ausgebliebene Beteiligung der Umweltschützer, schließlich seien sie es gewesen, denen dieses Abkommen zu verdanken sei.
Jean-François Fleck, Vorsitzender des örtlichen Umweltverbands, hat das Dossier von Anfang an betreut. Er findet noch deutlichere Worte als sein Straßburger Kollege. „Skandalös“ sei die Entscheidung, „schwammig“ und „intransparent“. Nestlé behalte seine Pfründe und könne nun wohl noch einige Jahre weiter zulasten der Umwelt und der Bürger abpumpen, klagt Fleck. Er will nun alle Mittel mobilisieren. Im März soll das Wasserschutz-Komitee endgültig über die neue Strategie abstimmen.
Wasser als Problem der Konsumgesellschaft
Serge Bouly, Bürgermeister der Region, Hydrologe und auch Mitglied im Komitee, positioniert sich ebenfalls klar zum Thema. „Sicher kann man einem Unternehmen nicht einfach so die einmal erteilten Pump-Genehmigungen entziehen“, räumt der Experte ein. Als Hydrologe spreche er sich jedoch prinzipiell gegen die Abfüllung von Quellwasser in Plastikflaschen ab, egal um welche Marke es sich handle. Firmen wie Nestlé Waters müssten ihr Geschäftsmodell grundlegend infrage stellen, findet er.
Doch auch Landwirte sollten ihre Praxis überdenken. Städte und Gemeinden müssten ihren Verbrauch ebenso reduzieren und zudem die vielen Lecks schließen, fordert Bouly. Außerdem sollten sie Leitungswasser in guter Qualität anbieten. Kurz: „Wasser ist eines der spannendsten Themen unserer Konsumgesellschaft.“
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