Cannabis hat den Ruf, eine weiche Droge zu sein. Die Legalisierungspläne der Regierung sind in diesem Sinne folgerichtig. Doch der psychoaktive THC-Gehalt im Gras steigt seit Jahren. Die gesundheitlichen Risiken sind laut Experten aber umstritten.
Das Ergebnis überrascht selbst den eingefleischten Experten. „Das Gras hat einen THC-Gehalt von durchschnittlich 25 Prozent“, sagt Jean-Nico Pierre nach der Auswertung von zwei Cannabis-Proben. „Früher lag dieser Wert bei acht bis zehn Prozent.“ Pierre ist Leiter der Jugend- an Drogenhellef und hat täglich mit Cannabis-Konsum zu tun. Wie stark Gras mittlerweile tatsächlich ist, erstaunt ihn aber.
THC ist jenes Molekül im Gras, das psychoaktiv wirkt, also „high“ macht. Je mehr davon im Cannabis ist, desto intensiver der Effekt. Die beiden hochdosierten Proben, die von der Jugend- an Drogenhellef im Staatslaboratorium eingereicht worden sind, stammen von zwei Jugendlichen.
Gras ist demnach heute stärker denn je, wurde aber auch noch nie so viel konsumiert. Laut Weltdrogenbericht der Vereinten Nationen kiffen weltweit rund 183 Millionen Menschen. Gras gilt als die am meisten konsumierte illegale Droge – international aber auch auf nationaler Ebene. Es wird zunehmend enttabusiert und legalisiert, hat immer noch den Ruf, lediglich eine weiche Droge zu sein. Der Umgang mit Gras wird immer offener – Gefahren gilt es laut Experten dennoch nicht kleinzureden.
Der Rausch wird intensiver, die Folgen drastischer
In Luxemburg liegt die Zahl der Bürger, die Cannabis schon einmal konsumiert haben, mit 23,3 Prozent über dem EU-Durchschnitt*. Und auch der THC-Wert im Cannabis ist hierzulande hoch. Wie aus dem National Drug Report hervorgeht, lag der Maximal-Wert im Jahr 2016 bei 34,9 Prozent. Der Durchschnittswert allerdings bei 10,9.
Dass die THC-Substanz in Europa kontinuierlich steigt, geht auch aus einer Studie der Universität Bath und dem Kings College London hervor. Die Forscher werteten die Daten der Europäischen Beratungsstelle für Drogen und Drogensucht für die 28-Mitgliedsstaaten aus und fanden heraus, dass der THC-Gehalt in Cannabisharz (Haschisch) von acht Prozent im Jahr 2006 auf mehr als 17 Prozent im Jahr 2016 stieg. THC in den psychoaktiven Pflanzenteilen von Cannabis (Gras oder Marihuana) stieg im selben Zeitraum von fünf auf mehr als zehn Prozent.
Parallel zum hochkonzentrierten THC geht der CBD-Gehalt im Cannabis aber zurück. Dabei soll das Cannabidiol die Wirkung der Rausch-Substanz THC mindern. Geht es zurück, wirkt THC automatisch intensiver. „Wir haben heute Produkte auf dem Markt mit besonders viel THC und nur noch wenig CBD“, bestätigt der Addiktologe, Dr. Claude Bollendorff. „Und das hat natürlich seine Auswirkungen auf den Konsumenten.“
Es zeigt sich: Mit dem starken Gras werden auch seine Folgen drastischer. Denn es gibt Hinweise darauf, dass eine Hochdosis-THC das Risiko für chronische Psychosen erhöht. 2015 zeigte eine Studie der britischen Lancet Psychiatry, dass Personen, die Cannabis mit einem hohen THC-Gehalt konsumierten, ein deutlich höheres Psychoserisiko aufwiesen als Personen, die kein oder ein schwächeres Gras zu sich nahmen.
Negativeffekte, aber kein Abhängigkeitsrisiko
Bisher sind die Zusammenhänge zwischen Cannabis-Konsum und Psychosen aber nicht eindeutig geklärt. Das macht auch eine Aufklärung in dem Bereich schwierig. Vor allem auch deshalb, weil Cannabis beliebt ist. Sowohl bei Erwachsenen als auch bei Jugendlichen. „Manche Menschen wollen immer extremere bewusstseinserweiternde Erfahrungen erleben. Je stärker der THC-Gehalt im Cannabis, desto stärker der Effekt“, resümiert Bob Zeimet, Sozialpädagoge bei der Croix Rouge.
Der Pädagoge jedoch warnt vor den Folgeschäden von hochgezüchtetem Cannabis: „Die Gefahr erhöht sich signifikativ und kann irreversible Folgeschäden in Form von Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, drogenindizierten Psychosen oder im schlimmsten Fall Schizophrenien herbeiführen.“
Dabei macht es zwar nicht körperlich abhängig, Konsumenten können aber eine ausgeprägte psychische Abhängigkeit entwickeln. „Es wird immer gesagt, dass der THC-Gehalt im Gras steigt, um die Konsumenten abhängig zu machen“, erklärt der Addiktologe Dr. Claude Bollendorff das Phänomen des steigenden THC-Gehalts. „Dass das funktioniert, halte ich aber für unwahrscheinlich. Viele Konsumenten, die Cannabis rauchen, werden nicht vom Gras, sondern vom Nikotin, das sie untermischen, abhängig“, erklärt der Arzt.
Jugendliche eher in Gefahr als Erwachsene
Er sagt auch, dass Cannabis bei Erwachsenen kaum Suchtpotenzial und Nebenwirkungen entfaltet. Psychosen wie Schizophrenie und Paranoia oder Gedächtnisschwund und Konzentrationsstörungen würden vor allem bei jungen Konsumenten auftauchen, deren Gehirn noch nicht vollständig entwickelt ist.
Erwachsene würden eher kurzzeitig Angst- oder Verwirrtheitszustände entwickeln, weil sie die hohe THC-Dosis nicht gewohnt seien.
Und auch bei Jugendlichen liegt es nicht notgedrungen am Cannabis selbst, dass sie abhängig werden. Nicht jeder, der die Substanz raucht, entwickelt automatisch ein Suchtverhalten. „Bei der Entstehung von Suchtstörungen bedarf es einer multifaktoriellen Betrachtungsweise. Die der Person, der Umwelt und der Droge zugrunde liegenden Faktoren, beispielsweise in Form von Schutz- oder Risikofaktoren, sind ausschlaggebend für eine eventuelle Entstehung einer Abhängigkeit“, so Bob Zeimet.
Ob, wie und bei wem genau Cannabis gefährlich wirkt, lässt sich demnach nur schwer feststellen. Studien zum Thema sind bis dato schwer zu finden. „Die Studien, die es gibt, gehen in alle Richtungen“, so Jean-Nico Pierre. „Natürlich können sich Psychosen entfalten. Vor allem ein hoher THC-Gehalt löst sie schneller und intensiver aus“, so der Experte.
„Cannabis wird immer noch verteufelt“
Was aber feststeht: Wer für psychotische Krankheiten veranlagt ist, entwickelt diese früher, wenn er Cannabis konsumiert. „Sie können bis zu fünf bis zehn Jahre früher ausgelöst werden“, sagt Dr. Bollendorff.
Interessant ist auch ein Fallbeispiel aus einem Artikel des „New Yorker“. Es scheint die These des Luxemburger Addiktologen zu wiederlegen, dass Erwachsene weniger von Paranoia, Schizophrenie oder Warnvorstellungen betroffen sind. Im Artikel beschreibt ein amerikanischer Psychiater, dass er immer häufiger von erwachsenen Patienten der bürgerlichen Mittelschicht, sogenannten „middle-class professionals“ aufgesucht wird, weil sie eben Symptome dieser Krankheitsbilder aufweisen.
Dem Bericht zufolge haben die Patientenakten einen gemeinsamen Nenner: Die Betroffenen geben alle an, lediglich Cannabis konsumiert zu haben – und keine härteren Drogen. Einen wissenschaftlichen Beleg dafür gibt es allerdings nicht. Und auch Claude Bollendorff zeigt sich vorsichtig: „Man darf nicht vergessen, dass wir uns erst jetzt langsam aber sicher dem Thema Cannabis öffnen. Es gibt viele Berichte, die Cannabis immer noch verteufeln.“
Cannabis ist demnach komplex. Und Cannabis kann viel. Es kann Schmerzen lindern und als Medikament bei chronischen Krankheiten helfen, es kann aber genauso gut psychische Krankheiten fördern. Wie es wirkt und was es mit dem Menschen macht, ist dabei aber sehr individuell. Seine Wirkung hängt nicht nur vom THC-Gehalt ab, sondern auch vom sozialen Umfeld eines Menschen und letztendlich seiner Genetik.
Eine Regulierung löst nicht jedes Problem
In Luxemburg soll Cannabis demnächst für den Freizeitgebrauch legalisiert werden. Wann genau, steht ebenso wenig fest, wie der Plan, nach dem die Regulierung umgesetzt werden soll. Der Text im Regierungsabkommen ist vage. Nur so viel scheint sicher zu sein: Für den Anbau, die Abgabe, den Konsum und den Besitz soll ein gesetzlicher Rahmen ausgearbeitet werden.
In der Gesundheitskommission stellte der neue Gesundheitsminister Etienne Schneider erste Schritte vor. In einer ersten Phase wird der Cannabis-Konsum in Luxemburg aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Danach soll in einer zweiten Phase die Regulierung starten.
Die angestrebte Regulierung könnte auch dabei helfen, den THC-Gehalt im Gras wieder zu reduzieren. „Wir müssen uns fragen, wie hoch der THC-Gehalt im Cannabis sein soll, das wir verkaufen und konsumieren wollen“, meint Jean-Nico Pierre. Er sieht die Regulierung als eine Chance an, die Drogenprobleme in Luxemburg zu kanalisieren. „Jetzt kommt alles auf den Tisch und das Thema kann neu aufgearbeitet werden“, sagt er zuversichtlich.
Es sei jetzt der Moment, die Weichen für einen besseren Umgang mit Cannabis und mit Drogen allgemein zu stellen. „Bei der Legalisierung muss der Staat alles übernehmen. Vom Anbau über den Verkauf und die Kontrolle bis hin zu einer Forschung in dem Bereich.“
Der Schwarzmarkt bleibt
Das Gute an einer staatlichen Regulierung: Cannabis wird entmystifiziert und enttabusiert. Und es nimmt vielleicht den Reiz bei Jugendlichen, etwas Verbotenes zu tun. Eine Legalisierung kann aber nicht alle Probleme lösen.
Ein gewisser Schwarzmarkt wird immer bestehen bleiben. „Es wird wohl immer eine Marge für Dealer geben“, meint auch Jean-Nico Pierre. „Und sei es nur, dass sie Gras mit einem höheren THC-Gehalt anbieten, als es erlaubt ist.“ Er sieht das Problem, wie es heute beim Alkohol besteht. Es wird zwar beim Umgang mit Cannabis neben Freiheiten auch gesetzlich festgelegte Grenzen geben. Es wird aber auch immer Menschen geben, die disese Grenzen überschreiten – sowohl Erwachsene als auch Jugendliche.
*In einer ersten Version dieses Artikels wurde geschrieben, dass 23,3 Prozent der Bürger ein Leben lang Cannabis konsumieren. Richtig ist, dass 23,3 Prozent schon einmal im Leben mit Cannabis in Kontakt gekommen sind.
Lesen Sie mehr zum Thema


