Was war los in der EU? Und was hat das alles mit Luxemburg zu tun? Charlotte Wirth blickt aus Brüssel auf die politischen und medialen Top-Themen der vergangenen Wochen zurück. Dieses Mal: Brüssel zieht Bilanz zur Migrationskontrolle und Oxfam erklärt Luxemburg zur Steueroase.
Am Mittwoch zog die EU-Kommission Bilanz, vier Jahre nach der „Migrationskrise“. Wenig überraschend beschrieb der zuständige Kommissar Dimitris Avramopoulus die EU-Migrationspolitik als Erfolg. „Die Krisenzeiten sind vorbei“ und „unsere Außengrenzen sind besser geschützt denn je“, verkündete der griechische Kommissar. Nun gelte es, neue Migrationsströme einzudämmen.
Die Zahl der Menschen nimmt ab, die von Libyen aus über das Mittelmeer nach Italien gelangen. Auch der Druck auf Griechenland sinkt dank des EU-Türkei Abkommens. Doch der Migrationsfluss verschiebt sich auf die westliche Mittelmeerroute: Aus Marokko kommen die Migranten über die Meerenge von Gibraltar nach Spanien. Laut dem Migrationsbüro (IOM) hat sich die Zahl der Ankünfte in Spanien im Vergleich zum letzten Jahr verdoppelt.
Vermehrte Zusammenarbeit mit Marokko
Die EU antwortet auf diese Zahlen wie gewohnt mit einer verstärkten Kooperation mit Drittstaaten. Nimmt man das Beispiel Libyens ist eine solche Zusammenarbeit schließlich – rein zahlenmäßig – erfolgsversprechend.
Faced with the most severe refugee crisis the world has seen since the Second World War, we managed to bring about a step change in migration management and border protection.
See our #MigrationEU achievements ↓ pic.twitter.com/ioADSe3iCm— European Commission 🇪🇺 (@EU_Commission) March 6, 2019
„Wir müssen unsere Beziehung zu Marokko verstärken“, betonte Avramopoulos am Mittwoch. Der nordafrikanische Staat soll helfen, Grenzüberschreitungen zu verhindern und Migranten aus Europa fernzuhalten. Das klappe bereits jetzt sehr gut, lobt Avramopoulos die neue Partnerschaft, die es nun zu vertiefen gelte. 140 Millionen Euro hat Brüssel dafür freigestellt.
Schattenseiten weiterhin wenig thematisiert
Was die EU-Kommission bei ihrer Bilanzkonferenz ausgelassen hat, sind die Schattenseiten solcher Deals. Die desaströsen Zustände in Libyen, die überfüllten Lager auf den griechischen Inseln, die proportionale Zunahme von Todesfällen im Mittelmeer … All diese Themen wurden bei der Bilanz lediglich beiläufig erwähnt. Um entsprechender Kritik zu trotzen, hat die Kommission derweil mehrere „Mythbuster“ zusammengestellt. Diese lassen jedoch vermuten, dass Imagepflege der EU wichtiger ist als Menschenrechte.
“The EU doesn’t care about what happens in Libya”
“Europe is funding authoritarian regimes“…
FALSE! 🚫
Find out the truth of the European Agenda on #MigrationEU ↓ pic.twitter.com/QBdrYyiq1l— European Commission 🇪🇺 (@EU_Commission) March 6, 2019
Auch Dimitris Avramopoulos versicherte letzte Woche, dass die EU alles tue, um die Lage der Migranten zu verbessern, die im Bürgerkriegsland Libyen gestrandet sind. Dass nicht einmal das UN-Flüchtlingswerk oder das Migrationsbüro IOM Zugang zu jenen Lagern haben, die nicht unter der Kontrolle der Regierung der nationalen Einheit stehen, ließ der griechische Kommissar unerwähnt.
Die problematischen Zustände in den Lagern auf den griechischen Hotspots schreibt Avramopoulos derweil den griechischen Autoritäten zu, die die Asyl- und Rückführungsprozeduren beschleunigen müssten. Somit schiebt die Kommission jegliche Verantwortung von sich.
Finanzielle Anreize und politischer Einfluss
Auch Marokko ist in punkto Schutz der Menschenrechte übrigens alles andere als unproblematisch – und Knackpunkt ist nicht nur der Westsaharakonflikt, bei dem die EU im Rahmen von Handelsdeals mit dem Königreich schon mal ein Auge zugedrückt hat.
Die Bilanz des nordafrikanischen Staates im Umgang mit Migranten ist ebenfalls schlecht. Die Verlagerung der EU-Grenzkontrolle nach Marokko beschert dem Königreich womöglich vor allem eines: Finanzielle Anreize und politischen Einfluss. Migranten sind ein Pfand aus dem Grenzstaaten Profit schlagen, formulierte es etwa Ruben Andersson im Gespräch mit REPORTER.
Nichtsdestotrotz unterstützten die EU-Innen- und Justizminister am Donnerstag den Plan, vermehrt mit nordafrikanischen Staaten zusammenzuarbeiten. Nur in dem man das „Migrationsproblem löst“, könne man die Sicherheit in Europa gewährleisten, drückte es die rumänische Innenministerin Carmen Daniela Dan aus. Über eine gemeinsame Asylpolitik konnte man sich hingegen im Rat weiterhin nicht einigen.
Noch strengere Grenzkontrollen, eine Vertiefung der Partnerschaften mit Drittstaaten, eine gemeinsame Asylprozedur … Es gibt noch viel zu tun in punkto Migrationskontrolle, schlussfolgerten sowohl der EU-Migrationskommissar, als auch die EU-Innenminister tags darauf. Eins wurde bei der Darlegung dieser Ambitionen jedenfalls klar: Der Schutz von Menschenrechten steht auf dieser To-Do Liste weit unten.
Spätfolgen von Luxleaks
Noch am Dienstag freute sich Finanzminister Pierre Gramegna, dass Luxemburg von der EU-Kommission für die Maßnahmen gegen Steuervermeidung gelobt wurde. Doch am Donnerstag sah das wieder anders aus: Die EU-Kommission leitete eine Untersuchung von Luxemburgs Besteuerung des Nahrungsmittel-und Verpackungsunternehmens Huhtamäki ein. Luxemburg habe dem finnischen Unternehmen einen steuerlichen Vorteil beschafft, lautet der Vorwurf aus Brüssel: Dabei geht es insbesondere darum, dass Huhtamäki fiktive Zinszahlungen auf zinslosen Darlehen von seiner Besteuerungsgrundlage abziehen konnte. Luxemburg habe keine unrechtmäßigen Staatsbeihilfen erteilt, kommentierte das Finanzministerium sogleich die Entscheidung der Kommission.
Das Ruling für Huhtamäki war durch Luxleaks öffentlich geworden. Ein Fakt, den die Kommission extra hervorhob. Denn das internationale Journalistenkonsortium ICIJ hatte Brüssel offen kritisiert, weil bisher kein Luxleaks-Ruling zu einer Untersuchung geführt habe. Auch hier spielte die Imagepflege vor den Europawahlen offenbar eine Rolle.
Schwarze Listen und Luxemburg
Zudem gab es eine weitere Steuerstudie bei der Luxemburg schlecht abschneidet: Die Nichtregierungsorganisation Oxfam hat eine eigene schwarze Liste der Steueroasen aufgestellt. Der Hintergrund: Die EU-Liste über „nicht kooperative Steuergebiete“ wurde im Dezember 2017 als Reaktion auf die Panama- und Paradise Papers-Enthüllungen eingeführt. 17 Staaten, darunter etwa Tunesien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain, haben die vereinbarten Standards für gute Regierungsführung im Steuerbereich nicht eingehalten, lautete damals das Urteil Brüssels.
New @Oxfam analysis shows 5 EU countries fail their own tax haven criteria:
1⃣ Cyprus 🇨🇾
2⃣ Ireland 🇮🇪
3⃣ Luxembourg 🇱🇺
4⃣ Malta 🇲🇹
5⃣ The Netherlands 🇳🇱Dear 🇪🇺 EU governments, please take action against #taxhavens inside the EU. Full report ➡️ https://t.co/pOpBNROJrn pic.twitter.com/KNiVWpRypx
— Florian Oel (@florianoel) March 7, 2019
Während die EU-Finanzminister am Dienstag eine überarbeitete Liste vorstellen, hat Oxfam eine eigene Überprüfung vorgenommen. Darin kritisiert die Nichtregierungsorganisation die inkonsequente Anwendung der Kriterien. Darüber hinaus hat Oxfam die Kriterien auch auf die Mitgliedstaaten angewendet. Die Schlussfolgerung: Neben Zypern, Irland, Malta und den Niederlanden gehöre auch das Großherzogtum auf die Liste der Steueroasen. Die Oxfam-Studie stützt sich auf Eurostat-Daten von 2017.
Luxemburg habe die Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidung minimal umgesetzt und würde weiterhin Holdings- und Investmentfonds anziehen, kritisiert der Autor der Studie Johan Langerock im Gespräch mit REPORTER. Als Beispiel führt Langerock insbesondere das Verhältnis zwischen Auslandsdirektinvestitionen – also Geldflüssen von Konzernen nach Luxemburg – und dem Bruttoinlandsprodukt an: In Luxemburg machen diese Investitionen etwa 8.000 Prozent des BIP aus.
Langerock bemängelt außerdem, Luxemburg konzentriere sich nun vermehrt auf Patentboxen. Über dieses Instrument können Konzerne ihre Lizenz- und Patentrechte auf Tochtergesellschaften übertragen. Dadurch werden ihre Einnahmen deutlich niedriger besteuert. Oxfam erwähnt allerdings nicht, dass die „alte“ Luxemburger Patentbox 2021 ausläuft. Die reformierte Regelung ist so streng, dass sie kaum zum Steuersparen dienen kann.
Die Liste der Steueroasen ist übrigens nicht die einzige Liste, bei der es in Brüssel hoch her ging. Letzte Woche hat der EU-Rat einstimmig den EU-Kommissionsentwurf einer Schwarzen Liste gegen Geldwäsche abgelehnt. Während die EU-Mitgliedsstaaten insbesondere die Methodik der Kommission kritisieren, vermuten Kritiker, dass Lobbyarbeit hinter dem Widerspruch der EU-Mitglieder steckt.