Trotz Wohnungskrise stehen überall im Land ganze Häuser leer. Um dagegen vorzugehen, fehlt es den Gemeinden oft nicht nur an politischem Willen, sondern auch an wirksamen Instrumenten. Ein Beispiel aus Esch/Alzette ist symptomatisch für ein nationales Problem.

„Die beiden Häuser links neben unserem werden seit Jahren nicht genutzt, genauso wenig wie das Restaurant gegenüber und die darüber liegenden Appartements im ersten und zweiten Stock“, erzählen Djo und Norbert. Mindestens die Hälfte des Wohnraums in der Straße stehe leer, schätzt das Ehepaar, das seit über zwei Jahrzehnten in einer kleinen Straße in Esch/Alzette, mitten im Bahnhofsviertel, wohnt. Eigentlich mögen sie ihr Viertel im Stadtkern, wo sich verschiedene Lebensstile mischen und die Geschäftswelt nach einer langen Durststrecke wieder etwas aufzublühen scheint.

„Das liegt vor allem an unternehmerischen Privatinitiativen“, sagt Norbert. Ein Blick in die wenige Schritte entfernt liegende Avenue de la Gare reicht aus. Die Tische der Patisserie Kill stehen direkt neben jenen der Epicerie Eden. Auf den einen liegen weiße Tischdecken mit sorgfältig gefalteten Servietten und verzierten Kännchen. Auf den anderen stapeln sich überfüllte Gemüsekisten. Gemütliches Kaffeetrinken, das sich in der traditionsreichen Konditorei so ähnlich bereits vor 75 Jahren abspielte, trifft auf reges Treiben, Gemüse-Abwiegen und großzügiges Geld-Abrunden im Anfang des Jahres eröffneten Obst- und Gemüseladen. Der Duft von frisch gemahlenem Filterkaffee vermischt sich mit dem eingelegter Oliven.

Durchmischung der Stadtviertel

„Die Epicerie hat Leben ins Viertel gebracht, aber natürlich nur zu ihren Öffnungszeiten“, sagt Norbert. „Wenn Investitionen in die Geschäftswelt nicht mit einer proaktiven Wohnungspolitik Hand in Hand gehen, dann sterben die Viertel trotzdem aus“, betont er. „Wir brauchen eine Durchmischung der Einwohner.“

Norbert wünscht sich eine stärkere Präsenz der Gemeinde im Hinblick auf die Wohnungspolitik. „Warum steht hier so viel leer? Warum geht die Gemeinde nicht an den Leerstand heran? Sie könnten doch mieten oder auch kaufen und dann wieder vermieten? Wir finden es traurig, dass unsere Straße so unbewohnt, so leblos ist“, sagt der in Esch unterrichtende Lehrer.

Leerstehende Wohnungen und Häuser sind ein absolutes ‚No Go‘, wenn ein Land sich in einer Wohnungskrise befindet.“Thierry Lagoda, Bürgermeister von Beckerich

Das Ehepaar hatte 2018, kurze Zeit nachdem Georges Mischo Bürgermeister von Esch/Alzette geworden war, einen Brief an den CSV-Politiker geschickt, um ihn auf den Leerstand im Viertel hinzuweisen. „Die Durchmischung der Einwohner ist nach wie vor einer der wichtigsten Schlüssel, um die Lebensqualität und letztlich das Ansehen der Innenstadt zu verbessern“, schreiben die beiden etwa darin. „Wir bewohnen unser Haus seit 1995. Wir würden gerne weitere Jahre in dem Viertel leben.“ Von der Gemeinde hat das Ehepaar bis heute keine Antwort erhalten.

„Für Gemeinden ist es nicht so einfach, gegen Leerstand vorzugehen“, sagt Tom Becker, Urbanismusforscher an der Universität Luxemburg. Ein einheitliches Muster, warum Häuser nicht genutzt werden, sei nicht zu erkennen, deshalb gebe es auch keine allgemeingültige Lösung. „Manche Häuser stehen leer, weil die Besitzer ins Altersheim gezogen sind, andere, weil das Geld für Renovierungsarbeiten fehlt, und wiederum andere sind reine Spekulationsobjekte“, zählt der Forscher einige Gründe auf.

Steuer auf Leerstand in der Praxis

Natürlich sieht auch er die Politik in der Pflicht, in diesem Bereich etwas zu unternehmen. „Die Gemeinde sollte die Gründe für den Leerstand prüfen, um auf die Besitzer zuzugehen und gemeinsam Lösungen zu finden“, sagt er. Er spricht in diesem Zusammenhang allerdings von einer Gratwanderung. „Eine Gemeinde muss die richtige Balance finden, damit die Durchmischung der Viertel auch funktioniert. Alles wahllos aufzukaufen, das macht keinen Sinn“, so der Urbanismusforscher.

Der Steuer auf Leerstand und brachliegende Grundstücke steht der Forscher mit einer gewissen Skepsis gegenüber. „Viele Gemeinden schrecken vor dieser Steuer zurück, weil sie nicht populär ist“, sagt Tom Becker. „Und wenn sie tatsächlich wirken soll, dann müsste sie substanziell erhöht werden.“

Seit das Gesetz über den ersten „Pacte Logement“ am 1. November 2008 in Kraft trat, können Gemeinden eine Steuer auf leerstehende Wohnungen und ungenutztes Bauland einführen. Laut Gesetz gelten Häuser oder Wohnungen als „leer“, wenn sie seit 18 Monaten unbewohnt sind. „Ungenutzt“ ist Bauland, wenn drei Jahre nach seiner Ausweisung als solches noch immer nicht auf dem Grundstück gebaut wird.

Die Umsetzung der momentan vorgesehenen Steuer hat sich in der Praxis als nicht so einfach erwiesen.“Ein Sprecher des Innenministeriums

Auf Nachfrage von Reporter.lu teilt das Innenministerium mit, dass bis heute nur acht Gemeinden – Beckerich, Diekirch, Echternach, Esch/Alzette, Esch/Sauer, Redingen/Attert, Roeser und Winseler  – eine solche Steuer überhaupt eingeführt haben. Bei den meisten dieser Gemeinden bleibt es aber bei einem Brief, der die Besitzer auf ebendiese hinweist. Die Steuer wirklich einziehen, das machen bis heute nur zwei Gemeinden: Winseler und Beckerich.

Für die große Mehrheit der Luxemburger Gemeinden scheint die Steuer kein wirksames wohnungspolitisches Instrument zu sein. „Die Umsetzung der momentan vorgesehenen Steuer hat sich in der Praxis als nicht so einfach erwiesen“, schreibt das Innenministerium auf Nachfrage von Reporter.lu. Die anstehende Reform der Grundsteuer solle neue Anreize für Vermieter schaffen, ihre leerstehenden Wohnungen und Häuser Mietern zur Verfügung zu stellen.

Gemeinde Beckerich macht es vor

Thierry Lagoda, Bürgermeister der 2.500-Einwohner-Gemeinde Beckerich, sieht das anders. Seine Gemeinde geht dank der Steuer auf Leerstand seit zehn Jahren aktiv gegen ungenutzten Wohnraum vor und plant, die Steuer in naher Zukunft noch substanziell zu erhöhen. „Leerstehende Wohnungen und Häuser sind ein absolutes ‚No Go‘, wenn ein Land sich in einer Wohnungskrise befindet“, sagt der Gemeindepolitiker.

In der kleinen Westgemeinde wurde die Steuer bereits 2012 unter dem damaligen Bürgermeister Camille Gira eingeführt. Sie habe in erster Linie dazu geführt, dass sich „die Menschen überhaupt Gedanken machten und sensibilisiert wurden“, sagt Thierry Lagoda. „Wir haben den Leerstand in unserer Gemeinde bis heute halbiert, von 20 auf 10 Immobilien“, sagt er. Den Erfolg sieht er nicht an der Steuer allein, sondern vor allem darin, Besitzern Möglichkeiten aufzuzeigen.

Seine Gemeinde arbeite deshalb eng mit der sozialen Immobilienagentur des Redinger Kantons, „Haus care“, zusammen. Das interkommunale Syndikat funktioniert in etwa wie die nationale „Agence immobiliére sociale“ (AIS). Die Agentur fungiert als Vermittler zwischen Besitzer und potenziellem Mieter, ist für die Instandhaltung und den reibungslosen Ablauf der Vermietung verantwortlich. „Das nimmt den Besitzern Bedenken und gibt ihnen Sicherheit“, sagt Thierry Lagoda. „Bei uns funktioniert das sehr gut.“

Technische Gründe und unklare Definitionen

„Natürlich muss es solch eine Steuer geben“, sagt auch der Präsident der Escher LSAP. „Wenn Menschen mit leerstehenden Häusern 15 Prozent Mehrwert erwirtschaften, dann muss das besteuert werden. Und zwar ordentlich“, so Steve Faltz im Gespräch mit Reporter.lu.

„Wir waren eine der ersten Gemeinden, die die Steuer eingeführt hat, aber bis heute wird sie nicht angewendet“, teilt die Presseabteilung der Stadt Esch auf Nachfrage mit. Das liege vor allem an „technischen Gründen“ und einer „unklaren Definition der Gesetzgebung“. Die Gemeinde führe auch keine Liste mit leerstehenden Häusern und Wohnungen, könne deshalb auch nicht sagen, wie viele sich davon bereits in Gemeindebesitz befänden und was damit in nächster Zukunft geplant sei.

Eine Gemeinde muss die richtige Balance finden, damit die Durchmischung der Viertel auch funktioniert. Alles wahllos aufzukaufen, das macht keinen Sinn.“Tom Becker, Urbanismusforscher

„Eine bessere Lebensqualität ist nur über eine proaktive Wohnungsbaupolitik zu erreichen“, sagt hingegen Steve Faltz. Der Oppositionspolitiker spricht sich für eine aktive Förderung alternativer Wohnformen aus, hält die Reglementierungen der jetzigen Mehrheit in Esch bezüglich Wohngemeinschaften etwa, für „völlig falsche Verbote“ und warnt davor, Esch/Alzette zu gentrifizieren.

„Wir brauchen Studenten, junge Menschen und Familien in der Innenstadt“, sagt er und spricht von einer spürbaren Zurückhaltung der jetzigen Regierung, diesen Bevölkerungsgruppen leerstehenden Wohnraum im Stadtkern zugänglich zu machen. „Wir brauchen weder Spekulationsobjekte noch Gentrifizierung, sondern Raum zum Leben für alle und eine wirkliche Durchmischung der Stadtviertel.“

Die beiden Herrenhäuser in der Straße neben dem Haus von Djo und Norbert gehören übrigens der „Banque Internationale à Luxembourg“ (BIL). Das bestätigte die Bank auf Nachfrage von Reporter.lu. Ihr Pressesprecher schreibt: „Nous réfléchissons actuellement à ce que nous allons en faire.“


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