Bisher war es in Strafprozessen stets so, dass die Staatsanwaltschaft am Ende einer Verhandlung ihre Anklagerede vortrug. Künftig soll sie das vor dem Plädoyer der Verteidigung tun. Damit wird einer langjährigen Forderung der Anwaltschaft Rechnung getragen.
„Wir haben es hier mit einigen wesentlichen Anpassungen zu tun und betreiben nicht nur Kosmetik“, so der Abgeordnete Charles Margue (Déi Gréng) Anfang Dezember im Parlament. Anlass war das Gesetzesprojekt 7785, ein sogenanntes Omnibus-Gesetz, das eine ganze Reihe von voneinander unabhängigen Änderungen der Strafprozessordnung vorsah und am Ende einstimmig verabschiedet wurde.
Eine dieser Anpassungen betraf die Reihenfolge, in der die Prozessparteien vor Gericht das Wort erhalten. „Wir kehren die Abfolge einfach um“, so Charles Margue in seiner Eigenschaft als Berichterstatter des Gesetzesprojekts. Die Reform bedeutet, dass der Verteidigung nun zugestanden wird, in einem Strafprozess immer das letzte Wort zu haben.
Bisher war es in der Regel an der Staatsanwaltschaft, ganz zum Schluss einer Verhandlung ihre Anklagerede vorzutragen. Nun soll sie das vor dem Plädoyer der Verteidigung tun. Es ist tatsächlich eine wesentliche Änderung des „Code de procédure pénale“ – und eine seit vielen Jahren immer wiederkehrende Forderung vonseiten der Rechtsanwälte.
Neue Erkenntnisse vor Gericht
Kürzlich erst war die Forderung wieder Thema im Prozess um die „CSV-Frendeskrees“-Affäre. Und auch im Verfahren gegen den Rechtsanwalt André Lutgen hätte es die Verteidigung ohne Zweifel bevorzugt, zunächst im Detail die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft zu hören, ehe sie ihr Plädoyer hielt.
Es ist eine Sache der Logik, dass die Staatsanwaltschaft zunächst ihre Argumentation darlegt. Immerhin ist sie es, die in einem Strafprozess eine Person anklagt und deren Schuld beweisen muss.“Valérie Dupong, Vorsitzende der Anwaltskammer
Die Umkehr der Reihenfolge wird denn auch vor allem von den Strafverteidigern begrüßt. Bis zur Reform sahen diese sich gezwungen, in ihren Plädoyers auf alle möglichen Elemente einzugehen, die in der Anklageschrift enthalten waren, ohne zu wissen, zu welchen Schlussfolgerungen die Staatsanwaltschaft infolge der Verhandlung vor Gericht gekommen war.
Dabei kam es durchaus vor, dass die Vertreter der Staatsanwaltschaft entschieden, diesen oder jenen Anklagepunkt fallen zu lassen. Etwa weil sie durch Aussagen von Beschuldigten oder Zeugen entsprechende Erkenntnisse gewinnen konnten oder vor Gericht neue Indizien zutage gefördert worden waren. Oder die Ankläger beantragten, in Ausnahmefällen, gar selbst einen Freispruch für die beschuldigte Partei. In vielen Fällen führten sie auch ganz einfach etwas aus, was die Verteidigung in ihrem Plädoyer nicht berücksichtigt hatte.
In solchen Fällen hatten die Anwälte zwar stets die Möglichkeit, in einer Replik nochmals Stellung zu nehmen. Jedoch fiel diese dann angesichts fortgeschrittener Zeit oft verhältnismäßig kurz aus. Zudem wiesen viele Richter darauf hin, dass am Ende nicht noch einmal ein ganzes, zweites Plädoyer gehalten werden solle. Ein Umstand, der bei den Anwälten wiederholt für Unmut sorgte.
Anwaltskammer begrüßt Anpassung
Um solche Situationen vor Gericht künftig zu vermeiden, wurde unter anderem Artikel 190-1 der Strafprozessordnung dahingehend geändert, dass dort nicht mehr wie bisher festgehalten ist: „…le procureur d’Etat résume l’affaire et donne ses conclusions; le prévenu et les personnes civilement responsables peuvent répliquer“. Stattdessen ist nun vorgesehen, dass die Verteidigung in jedem Fall das letzte Wort hat: „…le ministère public prend ses conclusions et le prévenu et, s’il y a lieu, la personne civilement responsable, présentent leur défense. La partie civile et le ministère public peuvent répliquer. Le prévenu ou son conseil ont toujours la parole en dernier.“
Die Anwaltskammer begrüßt die Reform. „Es ist ganz einfach eine Sache der Logik, dass die Staatsanwaltschaft zunächst ihre Argumentation darlegt“, sagt ihre Vorsitzende Valérie Dupong gegenüber Reporter.lu. „Immerhin ist sie es, die in einem Strafprozess eine Person anklagt und dort deren Schuld beweisen muss.“
Einen einzigen möglichen Nachteil sieht Valérie Dupong darin, dass sich die Staatsanwaltschaft nun nicht mehr durch ein Plädoyer von diesem oder jenem Punkt bei ihrer Schlussfolgerung überzeugen lassen kann. Doch bestehe ja nun auch für die Anklage die Möglichkeit, in einer Replik nochmals auf die Argumente der Verteidigung zu reagieren, so die „Batônniere“.
„Systematische Umkehr“ infrage gestellt
Dass dies der Fall sein soll, dafür hatte sich unter anderem die Staatsanwaltschaft des Gerichtsbezirks Luxemburg in ihrem Gutachten zum Gesetzestext ausgesprochen. Darüber hinaus fragt sie sich, ob eine solche „systematische Umkehr“ der Abfolge vor Gericht überhaupt vonnöten sei. Denn auch bisher sei es nicht selten, dass die Staatsanwaltschaft in vielen Fällen ihren Antrag darlege, noch ehe die Verteidigung plädiert habe.
Dies habe den Vorteil, die Debatten und auch die Ausführungen der Verteidigung zielführender zu gestalten, so der „Procureur d’Etat“ Georges Oswald in dem Gutachten. In diesem Sinne könne auch er diese Anpassung der Strafprozessordnung nur begrüßen, auch wenn er sich fragt, warum man nicht in jedem Fall dem Gericht die Entscheidung überlasse, welche Prozesspartei wann zu Wort kommen soll.


