Die „CSV-Frëndeskrees“-Affäre erhielt auch vor Gericht schnell eine politische Dimension. Durch den Prozess lässt sich jedoch besser verstehen, wie es zum Eklat um den Ex-Vorsitzenden Frank Engel kommen konnte. Chronik eines parteiinternen Streits, der nur Verlierer kennt.
Drei Prozesstage, sieben Angeklagte, eine Partei im Kreuzverhör: Die vergangene Woche bot ein für Luxemburg ungewöhnliches Schauspiel. Selten treten Politiker als Angeklagte in Gerichtsverfahren in Erscheinung. Im Fall der „CSV-Frëndeskrees“-Affäre aber tummelten sich gleich mehrere Politiker und Politikerinnen im Saal 1.10 des Bezirksgerichts Luxemburg. Erst am Dienstag sollen die Verhandlungen vor der 12. Strafkammer mit den letzten Plädoyers und der Anklagerede der Staatsanwaltschaft beendet werden. Doch schon jetzt zeigt sich: Der Prozess bestätigte den Kern der Affäre, wonach die CSV in den vergangenen Jahren leichtfertig mit ihren Finanzen umging.
Über dem strafrechtlichen Verfahren schweben zudem politische Verfehlungen und personelle Feindschaften, welche die größte Partei des Landes noch länger beschäftigen dürften. Vor allem lieferte der Prozess aber ein wesentliches Maß an Klarheit, was den Ablauf der Affäre um den ominösen Arbeitsvertrag von Frank Engel beim „CSV-Frëndeskrees“ betrifft. Reporter.lu berichtete im März erstmals über die Hintergründe der Affäre. Durch die Untersuchung der Justiz und die Aussagen vor Gericht lässt sich nun aber im Detail nachvollziehen, wie es so weit kommen konnte.
Ein Parteichef auf der Suche nach Geld
Die Ausgangslage hätte für Frank Engel fast nicht schlechter sein können. Der Europaabgeordnete wurde im Januar 2019 gegen den Willen führender Parteimitglieder zum neuen CSV-Vorsitzenden gewählt. Sein Versprechen an die Basis: Er werde sich völlig seinem neuen Amt widmen und nicht erneut für das Europäische Parlament kandidieren. Frank Engel wurde somit zum ersten Präsidenten in der Geschichte der CSV, der keinen festen Job, und damit auch bald kein regelmäßiges Einkommen mehr hatte.
Bereits zu Beginn des Mandats stellte sich somit die Frage einer möglichen Bezahlung des neuen Vorsitzenden. Innerhalb der CSV war es kein Geheimnis, dass Frank Engel gerne ein Gehalt beziehen wollte und in diesem Sinn auch erste „Sondierungen“ anstellte. Doch die Partei- bzw. Fraktionsoberen weigerten sich. Der Parteivorsitz sei ein Ehrenamt und das solle auch so bleiben, hieß es. Vor allem auf die Unterstützung der mächtigen Fraktion konnte der neue Vorsitzende von Beginn an nicht zählen.
Frank Engel ist ein Typ, der es auch fertig bringt, zwei oder drei andere Dinge zu finden, mit denen er sein Geld verdienen kann.“Frank Engel über Frank Engel, Januar 2019
Zudem besaß die Partei zu jenem Zeitpunkt nicht genügend Mittel, um ihren eigenen Präsidenten zu bezahlen, sagte Frank Rollinger, der Anwalt von Ex-Schatzmeister Georges Heirendt, vor Gericht. Finanziell befand sich die Partei nach einer weiteren Wahlniederlage und einem teuren Wahlkampf in einer schwierigen Lage.
Dennoch war man sich innerhalb der CSV der finanziellen Situation ihres Parteivorsitzenden bewusst. Der damalige Generalsekretär Félix Eischen sprach Frank Engel gleich nach seiner Wahl an, wie dieser sich über Wasser halten wolle, sobald die Übergangsgelder aus Brüssel nicht mehr fließen würden. „Ech ginn eens“, soll der Parteipräsident geantwortet haben, so Félix Eischen gegenüber den Ermittlern der Kriminalpolizei. „Frank Engel ist ein Typ, der es auch fertig bringt, zwei oder drei andere Dinge zu finden, mit denen er sein Geld verdienen kann“, hatte Engel über Engel kurz nach seiner Wahl zum Parteichef angegeben.
Finanzielle Abmachungen im kleinen Kreis
Doch schnell wurde klar, dass der angestrebte Wechsel in die Privatwirtschaft sich schwieriger gestalten würde als erwartet. Also suchte Frank Engel einen anderen Weg. Bereits im Herbst 2019 sprach er am Rande einer Parteiveranstaltung mit Georges Heirendt über die Möglichkeit, seine Sozialbeiträge und Handyrechnungen von der Partei erstattet zu bekommen. Finanziell sei dies zwar möglich, doch er wolle eine Erstattung nicht allein bewilligen, sagte der damalige Schatzmeister. Frank Engel sollte dies vorab mit der Parteiexekutive besprechen, erklärte Georges Heirendt vor Gericht.
Offenbar war dies jedoch nicht passiert. Am 29. November 2019 wendete sich der Vorsitzende erneut an den Kassenhüter der Partei: Per E-Mail forderte er die Erstattung von insgesamt 6.000 Euro. Der Schatzmeister tätigte die Zahlung, allerdings in der Annahme, dass der Vorstand diese bewilligt habe, so Heirendt im Prozess. Félix Eischen, der damalige Generalsekretär, sagte jedoch gegenüber den Ermittlern, nichts von einer solchen finanziellen Abmachung gewusst zu haben.
Als Parteipräsident kann er sich schlecht beim Arbeitsamt einschreiben. Ich kann mir schon die Presseartikel vorstellen…“Lydie Lorang, Anwältin von Frank Engel
Vor allem der Zeitpunkt der Zahlung lässt aufhorchen. Mitte November kündigte Georges Heirendt an, sein Amt als Schatzmeister niederzulegen. Am 9. Dezember 2019 sollte André Martins, ein Parteimitglied aus Petingen, übernehmen. Warum Frank Engel genau in dieser Übergangsphase seinen Antrag stellte, wurde vor Gericht jedoch nicht angesprochen. Ende Dezember 2020 tätigte André Martins jedenfalls eine zweite Überweisung der Sozialbeiträge und Telefonrechnungen in Höhe von 2.545,05 Euro. Er berief sich dabei auf die bereits getätigte Überweisung aus dem Vorjahr.
Ungewöhnlicher Umgang mit Parteifinanzen
Dass sich niemand allzu viele Fragen stellte, scheint eine der wenigen Regeln zu sein, die sich in der Verwaltung der CSV-Parteifinanzen durchgesetzt hat. Eine klare Prozedur, wer über Ausgaben entscheidet, gab es offenbar nicht. Während des Prozesses erweckten die ehemaligen Verantwortlichen den Eindruck, ihre Finanzen eher wie ein kleiner Kegelklub als wie eine seriöse politische Partei zu verwalten – ein Eindruck, den auch die Verteidigung nicht komplett aus der Welt schaffen konnte.

Dieser Eindruck verstärkt sich auch angesichts anderer Finanztransaktionen der Partei. Während des Prozesses beschuldigte Frank Engel etwa die Bürgermeisterin von Fels und Mitarbeiterin der Partei, Natalie Silva, leichtfertig mit Parteigeldern umzugehen. Demnach wollte Marc Spautz, der nach den Parlamentswahlen 2018 den Parteivorsitz aufgab, seinen Schreibtisch aus der Parteizentrale weiter als Abgeordneter nutzen. Die Fraktion habe daraufhin den fünf Jahre alten Schreibtisch zum Einkaufspreis von der Partei abgekauft.
Laut Frank Engel habe es sich dabei um rund 25.000 Euro gehandelt, was zudem – wiederum laut Engel – einer illegalen Parteifinanzierung gleichgekommen sei. Zusätzlich habe Natalie Silva einen neuen Schreibtisch für etwa 20.000 Euro gekauft – ohne mit jemandem darüber gesprochen zu haben. Die Parteimitarbeiterin persönlich habe die Käufe getätigt und anschließend die Rechnungen an den Schatzmeister geschickt, erklärte auch André Martins. Er selbst sei in dieser Zeit „wenn es gut geht, höchstens ein- bis zweimal pro Monat in der Parteizentrale“ gewesen, so der Sekundarschullehrer aus Petingen.
Ein Parteichef als „Chargé de mission“
Die Übernahme von Frank Engels Spesen und Sozialbeiträgen durch die Partei sollte aber bekanntlich nicht das Ende der Geschichte sein. Dafür gab es einen naheliegenden Grund: Im Mai 2020 versiegte der Brüsseler Geldhahn. Engels Übergangsgelder, die jedem ehemaligen Abgeordneten des Europäischen Parlaments zustehen, liefen aus. Nach eigenen Angaben vor Gericht suchte er daraufhin vergeblich nach einer festen Anstellung. Er stand vor einem Problem: „Als Parteipräsident kann er sich schlecht beim Arbeitsamt einschreiben. Ich kann mir schon die Presseartikel vorstellen“, sagte seine Anwältin Lydie Lorang in ihrem Plädoyer.
Eine Lösung konnte schließlich während einer Sitzung des Vorstands des „CSV-Frëndeskrees“ am 24. April 2020 gefunden werden. Frank Engel sollte für den Verkauf der Parteizentrale, den Erwerb einer neuen Immobilie und die Umwandlung der ASBL in eine Stiftung als „Chargé de mission“ eingestellt werden. Der Vertrag sollte über sieben Monate laufen und enthielt eine Vergütung von 40.000 Euro brutto. Das Geld dafür befand sich auf dem Konto der ASBL, das durch die Vermietung der parteieigenen Immobilie in der hauptstädtischen Rue de l’Eau von der CSV monatlich gefüllt wird.
Le contrat avait pour objectif d’assurer des moyens financiers à M. Engel à partir de fin mai 2020, date à laquelle des indemnités transitoires ne lui ont plus été versées par le Parlement européen.“Sitzungsprotokoll der „CSV-Frëndeskrees ASBL“
Frank Engel setzte selbst einen Vertragsentwurf auf, in dem er die einzelnen Aufgaben auflistete. Zusätzlich zu den mit dem Vorstand vereinbarten Arbeiten sollte er dem Vertrag zufolge auch neue Mitglieder für den Verein anwerben. Ende Mai unterzeichneten Schatzmeister André Martins, Generalsekretär Félix Eischen und Parteichef Frank Engel den Arbeitsvertrag.
Während die Partei leichtfertig bis amateurhaft agierte, handelte der „CSV-Frëndeskrees“ komplett im Stillen. Die anderen drei Vorstandsmitglieder, Elisabeth Margue, Stéphanie Weydert und Georges Pierret, wollen von der Existenz des Vertrags jedenfalls nichts gewusst haben, obwohl sie ihm einen Monat zuvor im Prinzip zugestimmt hatten. Zwar sei im Vereinsvorstand die Möglichkeit eines Arbeitsverhältnisses diskutiert worden, doch einen formalen Beschluss habe es nicht gegeben, argumentieren die Mitangeklagten nun vor Gericht.
Erst im Januar 2021 habe Frank Engel dann in einem Telefongespräch mit Stéphanie Weydert über eine mögliche Verlängerung des Vertrags geredet. „Da bin ich aus allen Wolken gefallen“, sagte die designierte Co-Generalsekretärin vor Gericht. Es war der Stein, der die ganze Affäre ins Rollen brachte.
Zwischen Vertrags- und Vertrauensbruch
Zu einer Verlängerung des Vertrags kam es jedenfalls nicht mehr. Jeder Vorschlag wurde „abgeschmettert“, ab dann herrschte ein „offener Krieg in der Partei“, so Frank Engel. Stéphanie Weydert informierte umgehend Elisabeth Margue über den Arbeitsvertrag. Beide forderten von Engel, sich zu erklären und die anderen Parteimitglieder einzuweihen. In dem Gespräch habe Frank Engel unterstrichen, er habe nicht „hoch und heilig versprochen“, den Parteivorstand über sein Arbeitsverhältnis zu informieren, erklärte Stéphanie Weydert vor Gericht. Erst im April 2021 wollte er dies während der Vollversammlung ansprechen, so die designierte Co-Generalsekretärin der Partei.
Frank Engel schickte den beiden Juristinnen erst nach mehrfacher Nachfrage seinen Arbeitsvertrag zu. Schnell wurde eine Vorstandssitzung einberufen, die gegen die Stimme von Frank Engel den Beschluss fasste, eine Vollversammlung für den 8. März 2021 zu organisieren. In dieser Versammlung kam es schließlich zum Eklat. Mehrere Fraktionsmitglieder griffen den Parteivorsitzenden offen an. Frank Engels Anwältin Lydie Lorang, die selbst vor Gericht betonte, CSV-Mitglied zu sein, sprach von einem „Putsch, der der CSV nicht würdig ist“.

Die Geschehnisse hielt Paul Galles in einem Bericht fest, der jedoch nie formal angenommen wurde. Den ersten Entwurf sollte er den Fraktionsmitgliedern Martine Hansen, Diane Adehm, Gilles Roth, Léon Gloden und Marc Spautz zuschicken. Diese nahmen anschließend Korrekturen vor. Im Bericht, der Reporter.lu vorliegt, haben sie etwa darauf bestanden, einzufügen, dass der Vertrag „avait pour objectif d’assurer des moyens financiers à M. Engel à partir de fin mai 2020, date à laquelle des indemnités transitoires ne lui ont plus été versées par le Parlement européen“.
Ob dieser Satz in der Versammlung tatsächlich gefallen ist, ist jedoch umstritten. Es ist eine entscheidende Passage, denn sie dient als Grundlage für den Vorwurf der Scheinbeschäftigung. Vier Tage später telefonierte Martine Hansen mit dem Anwalt Rosario Grasso und beauftragte ihn, ein Gutachten zum Arbeitsvertrag zu erstellen. Dem Anwalt wurden die Geschehnisse auf der Vollversammlung lediglich von Fraktionsmitgliedern geschildert, den Bericht von Paul Galles hat er nicht gesehen. Innerhalb von vier Tagen lieferte Rosario Grasso das von der Fraktion erwartete Ergebnis: Bei dem Arbeitsvertrag handele es sich um Scheinbeschäftigung.
Nach einer Fraktionssitzung am 16. März 2021 beschlossen die Abgeordneten, die Justiz über eine mutmaßliche Straftat in Kenntnis zu setzen – und somit Frank Engel bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Die Mitglieder des „Frëndeskrees“-Vorstands wurden einzeln angerufen und gebeten, das dafür aufgesetzte Schreiben zu unterzeichnen. Der Druck auf die Parteimitglieder war dem Vernehmen nach groß. Fraktionschefin Martine Hansen habe André Martins gebeten, schleunigst in die Stadt zu kommen. Sowohl Gilles Roth als auch Léon Gloden hätten dem Schatzmeister gesagt, wenn er unterzeichnen würde, würde ihm schon nichts passieren. Er wie auch die anderen Vorstandsmitglieder unterzeichneten schließlich widerwillig, obwohl sie die Zulässigkeit des Arbeitsvertrags an sich nicht infrage stellten.
Der Kern der Affäre bleibt ungeklärt
Als Félix Eischen, André Martins, Stéphanie Weydert, Elisabeth Margue und Georges Pierret ihre Unterschrift unter das Schreiben an die Staatsanwaltschaft setzten, waren sie sich der Konsequenzen dieses Vorgangs offenbar nicht bewusst. Nun müssen sie sich neben Frank Engel wegen Fälschung, Verwendung von Fälschungen, Vertrauensmissbrauch, Betrug und Geldwäsche vor Gericht verantworten. Und streiten dort sämtliche Vorwürfe ab.
In der Sache sind sich nämlich alle Angeklagten einig: Frank Engel habe nämlich durchaus für die ASBL gearbeitet. Im Sommer 2020 besichtigte der Vorstand etwa eine Immobilie in der hauptstädtischen Route de Longwy. Zuvor ließ er auch den Wert der Parteizentrale ermitteln. Demnach sollen die vier Wohnungen in der Rue de l’Eau insgesamt auf fünf Millionen Euro geschätzt worden sein. Ein weiterer Versuch, eine neue Parteizentrale ausfindig zu machen, verlief jedoch im Sand.
Es ist schwer für uns zu sagen, ob Frank Engel in dem Zeitraum für die CSV oder für den Freundeskreis gearbeitet hat.“Ein Ermittler der Kriminalpolizei
Auch wenn mehrere Angeklagte diese Aktivitäten bestätigten, bleibt fraglich, ob diese alleine die Zahlung von 40.000 Euro rechtfertigen. Wie viel Arbeit Frank Engel in den sieben Monaten neben seinem Mandat als Parteivorsitzender tatsächlich für den „CSV-Frëndeskrees“ leistete, ist kaum nachvollziehbar. Dabei war dies der Kern der ursprünglichen Ermittlung. „Es ist schwer für uns zu sagen, ob Frank Engel in dem Zeitraum für die CSV oder für den Freundeskreis gearbeitet hat“, sagte einer der Ermittler vor Gericht.
Juristisch ist das Arbeitsverhältnis umso verzwickter, als Frank Engel in dieser Zeit gleichzeitig Vorsitzender und Angestellter der ASBL war. Die Aufgaben als Angestellter dürften sich demnach mit den üblichen Aufgaben eines ehrenamtlichen Präsidenten überschneiden. Doch zumindest das Anwerben von neuen Mitgliedern fällt in beide Aufgabenbereiche, auch wenn dies dem Vorsitzendem ebenso nicht gelungen ist.
Dass die anderen Angeklagten die Version von Frank Engel stützten, ist dabei wenig überraschend, weil sie sich sonst selbst belasten würden. In diesem Sinn versuchten die Anwälte der Verteidigung denn auch mit Nachdruck zu erklären, dass es sich bei Engels „Mission“ nicht um eine Scheinbeschäftigung gehandelt habe. Dafür müsste von Beginn an die Absicht bestanden haben, den Parteipräsidenten ohne Gegenleistung einzustellen, so ein Argument.
Frank Engel habe jedoch von Anfang an versucht, den Inhalt seines Arbeitsvertrages zu erfüllen, hieß es von den Anwälten der Verteidigung. Ob es sich dabei um eine Arbeit mit 40-Stunden-Woche handelte, konnte vor Gericht niemand belegen, aber eben auch nicht widerlegen.


